In Baden-Württemberg war die Stelle des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht (Besoldungsgruppe R3) zu besetzen. Das Justizministerium hatte zunächst einen Bewerber – einen stellvertretenden Senatsvorsitzenden am OLG – als besten Kandidaten ausgewählt. Dieser Bewerber war in aktuellen dienstlichen Beurteilungen sehr gut bewertet und lag nach einem ausführlichen Auswahlvermerk des Ministeriums in Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vor der Konkurrentin. Im Beteiligungsverfahren nach dem Landesrichter- und -Staatsanwaltsgesetz (LRiStAG) sprach jedoch der Präsidialrat (ein richterliches Gremium, das bei Beförderungen anzuhören ist) überraschend einen Gegenvorschlag aus: Statt des Bewerbers empfahl er die Mitbewerberin, eine langjährige Vorsitzende Richterin am Landgericht. Beide Bewerber hatten zwar das gleiche Gesamturteil in ihren Beurteilungen („übertrifft die Anforderungen“), doch der Präsidialrat begründete seinen Vorschlag damit, dass die Bewerberin aufgrund ihrer seit 2009 ausgeübten Tätigkeit als LG-Vorsitzende einen deutlichen Erfahrungsvorsprung – insbesondere in Führung eines Spruchkörpers und Verhandlungsleitung – habe und deshalb über die größere Fachkompetenz verfüge.
Das Justizministerium schwenkte infolge des Votums des Präsidialrats um und beschloss in einem abschließenden Vermerk, nun die Bewerberin zur Ernennung vorzuschlagen. In diesem Vermerk wurde die Entscheidung lediglich „vor dem Hintergrund des Auswahlvermerks und der Stellungnahme mit Gegenvorschlag des Präsidialrats“ dokumentiert, ohne die Widersprüche aufzulösen. Dem unterlegenen Bewerber wurde mitgeteilt, dass seine Bewerbung nicht zum Zuge komme und beabsichtigt sei, die Mitbewerberin zu befördern.
Daraufhin stellte der übergangene Bewerber beim Verwaltungsgericht (VG) Freiburg einen Eilantrag nach § 123 VwGO, um die Beförderung vorläufig zu stoppen. Er monierte insbesondere, dass die endgültige Auswahlentscheidung inhaltlich im Widerspruch zum ursprünglichen Auswahlvermerk des Ministeriums stehe. In jenem ersten Vermerk war er ausführlich und nachvollziehbar als der deutlich bessere Kandidat identifiziert worden – gerade auch in der Fachkompetenz. Eine sachliche Begründung, warum nun plötzlich entgegen der ursprünglichen Einschätzung die Konkurrentin ausgewählt wurde, fehle völlig.
Entscheidung des VG Freiburg
Mit Beschluss vom 21.07.2025 (Az. 3 K 1791/25) gab das VG Freiburg dem Eilantrag statt und untersagte dem Dienstherrn vorläufig, die Stelle mit der ausgewählten Konkurrentin zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden ist. Das Gericht sah den unterlegenen Bewerber in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzt.
Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche bei Zugang zu öffentlichen Ämtern ein Recht auf Bestenauslese nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Dieser Grundsatz war hier nicht gewahrt, weil die Auswahlentscheidung nicht ausreichend begründet und nicht nachvollziehbar war. Insbesondere enthielt der letzte Auswahlvermerk zwei einander widersprechende Bewertungen (die ursprüngliche Empfehlung zugunsten des Antragstellers und das abweichende Votum des Präsidialrats) – ohne dass dieser Widerspruch aufgelöst oder erklärt wurde. Eine solch inkonsistente Begründung wird den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG nicht gerecht.
Das VG Freiburg stellte klar, dass auch im Nachgang eines Gegenvorschlags durch den Präsidialrat die endgültige Entscheidung strikt am Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG zu messen ist. Die Beteiligung des Präsidialrats führt nicht zu einer geringeren gerichtlichen Kontrolldichte und entbindet den Dienstherrn nicht davon, die Auswahl sorgfältig und widerspruchsfrei zu begründen. Mit anderen Worten: Selbst wenn § 43 Abs. 5 Satz 1 LRiStAG dem Ministerium ermöglicht, dem Gegenvorschlag des Präsidialrats zu folgen, muss die Beförderungsentscheidung inhaltlich rechtmäßig nach Art. 33 Abs. 2 GG bleiben und überzeugend dokumentiert sein. Eine bloße Übernahme des Votums des Präsidialrats ohne eigene Durchdringung genügt nicht.
Kernaussagen des Gerichts (Leitsätze)
- Kein automatischer Bonus durch Erfahrung („Standzeit“): Langjährige Erfahrung auf einem bestimmten Dienstposten begründet für sich genommen keinen automatischen Vorsprung für eine Beförderung. Es kommt nicht auf die bloße Dauer der Dienstausübung an („Standzeit“), sondern allein auf die individuelle Eignung, Leistung und Befähigung des Bewerbers im Hinblick auf das angestrebte höhere Amt. Diese Kriterien spiegeln sich vor allem in den aktuellen dienstlichen Beurteilungen wider. Eine Bewerberin mag also lange einen Vorsitz innehaben – entscheidend ist aber, ob sich daraus tatsächlich die besseren Leistungswerte für das höhere Amt ergeben.
- Votum des Präsidialrats entbindet nicht von Begründungspflicht: Erscheint die Stellungnahme des Präsidialrats in der Sache rechtlich nicht tragfähig, darf sich das Ministerium ihr nicht einfach kommentarlos anschließen, sondern muss seine Auswahlentscheidung eigenständig und nachvollziehbar begründen. Insbesondere wenn der Präsidialrat – wie hier – wesentliche Leistungsgesichtspunkte unberücksichtigt lässt oder fragwürdig bewertet (z.B. überbewertung der „Standzeit“), ist der Dienstherr verpflichtet darzulegen, warum dennoch die vom Präsidialrat favorisierte Person nach dem Leistungsprinzip die Beste sein soll. Eine schlüssige Dokumentation der tragenden Auswahlerwägungen ist erforderlich, schon um effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG zu ermöglichen.
Im Ergebnis hat das VG Freiburg die Beförderungsentscheidung vorläufig gestoppt. Die Stelle darf vorerst nicht mit der favorisierten Bewerberin besetzt werden, bis eine neue Auswahlentscheidung getroffen wird, die den genannten Anforderungen gerecht wird. Das Gericht betonte, dass die Chancen des Antragstellers bei einer erneuten Auswahl intakt sind – seine Auswahl erscheint durchaus möglich, sollte der Dienstherr nun korrekt nach den Leistungsgrundsätzen entscheiden. Damit bleibt der Weg für den unterlegenen Bewerber offen, im Hauptsacheverfahren oder durch eine erneute fehlerfreie Auswahl möglicherweise doch noch zum Zuge zu kommen.
Der Beschluss des VG Freiburg ist ein wichtiges Signal an alle Dienstherren – und insbesondere an Gerichtspräsidenten und Justizministerien – dass richterliche Beförderungen strikt nach Leistungskriterien zu erfolgen haben. Auch wenn ein Präsidialrat in Beteiligungsverfahren ein abweichendes Votum abgibt, darf der letztlich entscheidende Dienstherr den Bestenauslese-Grundsatz (Art. 33 Abs. 2 GG) nicht aus den Augen verlieren. Lange Dienstzeiten allein („Standzeit“) schützen nicht vor gerichtlicher Kontrolle, wenn die Beförderungsentscheidung nicht schlüssig begründet ist. Richter, die an Auswahlverfahren teilnehmen oder solche Entscheidungen prüfen, sollten darauf achten, dass jede Beförderungsentscheidung transparent die Gründe für die Auswahl des Besten darlegt – gerade bei divergierenden Einschätzungen im Auswahlprozess. So wird sichergestellt, dass Beförderungen in der Justiz nachvollziehbar, fair und rechtmäßig erfolgen.