Doppelrolle als Notar und Anwalt: Anwaltsvertrag kann unwirksam sein
Ein Anwalt riskiert sein Honorar, wenn er in derselben Angelegenheit erst als Notar und dann als Rechtsanwalt tätig wird. Dies verdeutlichte das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig in einem aktuellen Beschluss. Im entschiedenen Fall beurkundete ein Anwaltsnotar zunächst einen umstrittenen Adoptionsantrag und vertrat anschließend den Vater als Rechtsanwalt gegen dessen leibliche Tochter – mit fatalen Folgen für seinen Vergütungsanspruch. Das Gericht sah beide Streitigkeiten als „dieselbe Sache“ an. Der Anwaltsvertrag wurde daher gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als nichtig angesehen, sodass der Anwalt – trotz erfolgreichen Prozesses – kein Honorar verlangen konnte.
Hintergrund des Falls (OLG Schleswig, Beschluss vom 11.04.2023 – 7 W 4/25)
Der Fall betraf eine familienrechtliche Auseinandersetzung zwischen einem Vater und seiner erwachsenen leiblichen Tochter. Ein Rechtsanwalt, der zugleich Notar ist (sogenannter Anwaltsnotar), wurde zunächst vom Vater beauftragt, außergerichtlich mit der Tochter zu verhandeln. Ziel war es, die Tochter dazu zu bewegen, ohne Abfindung auf ihren Pflichtteilsanspruch am Erbe zu verzichten. Als diese Verhandlungen scheiterten, wechselte der Jurist die Rolle: Er beurkundete 2021 in seiner Funktion als Notar den Adoptionsantrag des erwachsenen Stiefsohnes seines Mandanten. Durch die Adoption eines Stiefkindes sollte offenbar der Pflichtteilsanspruch der leiblichen Tochter gemindert oder umgangen werden.
Die Tochter reagierte prompt auf diesen Adoptionsversuch. Sie forderte von ihrem Vater die Erstattung ihrer außergerichtlichen Anwaltskosten im Adoptionsverfahren – rund 47.000 € – als Schadenersatz. Es entwickelte sich also ein Kostenerstattungs-Streit zwischen Vater und Tochter im Zusammenhang mit dem Adoptionsverfahren. Für diesen Streit beauftragte der Vater wiederum denselben Anwaltsnotar als seinen Rechtsanwalt, um die Forderung der Tochter abzuwehren.
Im ersten Rechtszug war der Vater mit Hilfe seines Anwalts erfolgreich – das Gericht wies den Zahlungsanspruch der Tochter ab, die Verfahrenskosten wurden der Tochter auferlegt. Somit hätte der Vater grundsätzlich Anspruch, dass die Tochter auch die Anwaltskosten seines Rechtsanwalts übernimmt. Doch dazu sollte es nicht kommen: Die Tochter legte gegen die Kostenentscheidung sofortige Beschwerde beim OLG Schleswig ein.
Entscheidung des OLG Schleswig: Verstoß gegen Tätigkeitsverbot
Das OLG Schleswig hob den Kostenfestsetzungsbeschluss zugunsten des Vaters auf. Begründung: Der Anwalt hätte in diesem Streit gar nicht als Rechtsanwalt tätig werden dürfen, da er zuvor in derselben Angelegenheit als Notar aufgetreten war. Das Gericht stellte fest, dass der Anwalt durch sein Handeln gegen das anwaltliche Tätigkeitsverbot verstoßen hat, das in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verankert ist.
Nach § 45 Abs. 1 Nr. 1c BRAO ist es einem Rechtsanwalt untersagt, in einer Rechtssache tätig zu werden, in der er bereits als Notar (oder in anderer hoheitlicher Funktion wie Richter oder Staatsanwalt) tätig gewesen ist. Dieser gesetzliche Interessenkonflikt- und Neutralitätsschutz soll verhindern, dass ein Rechtsanwalt seine neutrale Rolle als Notar später dazu ausnutzt, einseitig für eine Partei als Anwalt zu agieren. Genau dies war hier geschehen: Der Jurist hatte erst als neutraler Notar den Adoptionsantrag beurkundet und dann parteiisch die Interessen des Vaters als Anwalt vertreten.
Das OLG machte unmissverständlich klar, dass dieselbe Angelegenheit im Sinne des Tätigkeitsverbots vorlag. Zwar ging es in dem ersten Teil der Geschichte formal um Adoption und in dem zweiten um Kostenerstattung, doch beide Verfahren wurzelten in demselben Lebenssachverhalt – nämlich dem Konflikt um den Pflichtteilsanspruch der Tochter. Entscheidend sei eine natürliche Betrachtungsweise: Alle Streitigkeiten, die „auf ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis zurückzuführen“ sind, gelten als dieselbe Rechtssache. Hier betrafen sowohl die Adoption des Stiefsohns als auch die Kostenerstattungsforderung letztlich Ansprüche der Tochter gegen den Vater aus dem gesetzlichen Pflichtteilsverhältnis – somit handelte es sich um ein und denselben Lebenskomplex.
Diese weite Auslegung des Begriffs Rechtssache entspricht übrigens dem Verständnis in anderen Rechtsgebieten: Das Strafgesetzbuch kennt in § 356 (Parteiverrat) ähnliche Kriterien, und auch § 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) nutzt einen weiten Lebenssachverhalts-Begriff. Für die Praxis bedeutet dies, dass Anwältinnen und Anwälte ihre vorangegangenen Tätigkeiten in verwandten Kontexten genau prüfen müssen – formell unterschiedliche Verfahren können als dieselbe Sache gelten, wenn sie faktisch aus dem gleichen Konflikt entstehen.
Konsequenzen: Nichtigkeit des Anwaltsvertrags und Honorarverlust
Ein Verstoß gegen § 45 BRAO bleibt nicht folgenlos. Rechtsfolgen: Der zwischen Anwalt und Mandant geschlossene Anwaltsvertrag ist kraft Gesetzes nichtig (§ 134 BGB). Im Klartext: Der Anwalt hat keinen Anspruch auf sein Honorar, selbst wenn er die Sache erfolgreich geführt hat. Genau das widerfuhr dem Anwaltsnotar im vorliegenden Fall. Seine intensive Tätigkeit – vom außergerichtlichen Verhandeln bis zum gewonnenen Prozess – blieb letztlich unbezahlt, weil der Mandant aufgrund der Nichtigkeit des Vertrags nicht zahlen muss und auch die unterlegene Tochter nichts erstatten muss.
Zudem stellte das OLG klar, dass der Anwalt keine Schlupflöcher zur Vergütungsdurchsetzung nutzen kann. Insbesondere kommen keine Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) oder aus dem Bereicherungsrecht in Betracht, um doch noch Geld für die geleistete Arbeit zu erhalten. Der Grund: Wer bewusst ein gesetzliches Tätigkeitsverbot ignoriert, soll daraus keinen finanziellen Nutzen ziehen können. Auch schutzwürdige Erwartungen des Mandanten stehen dem entgegen – dieser durfte auf die gesetzliche Regelung vertrauen und muss daher im Ergebnis nichts zahlen, selbst wenn er vom Verstoß des Anwalts vielleicht gar nichts wusste.
Zur Einordnung: Diese strenge Konsequenz der Vertragsnichtigkeit bei Interessenkollision ist nicht neu. Bereits der Bundesgerichtshof hat 2010/2011 entschieden, dass ein Anwaltsvertrag, der gegen das Verbot widerstreitender Interessen verstößt (dazu zählt auch die hiesige Konstellation der Vorbefassung als Notar), nach § 134 BGB nichtig ist. Der Gesetzgeber hat mit der BRAO-Reform 2022 diese Rechtsprechung bestätigt und die Regeln für Tätigkeitsverbote (§ 45 BRAO) nochmals präzisiert. Das soll die Integrität des Anwaltsberufs sichern und Klarheit für alle Beteiligten schaffen.
Schutzzweck: Warum dieses Verbot besteht
Das Tätigkeitsverbot des § 45 BRAO dient in erster Linie dem Schutz der Mandanten und dem Vertrauen in die Rechtspflege. Ein Notar ist Träger eines öffentlichen Amtes und zur Neutralität verpflichtet. Er erstellt z.B. Urkunden (wie hier den Adoptionsantrag) unparteiisch. Wenn derselbe Jurist danach als Rechtsanwalt auf einer Partei-Seite tätig wird, besteht die Gefahr eines Interessenkonflikts: Er könnte versucht sein, seine eigene notarielle Urkunde im Nachhinein zu rechtfertigen, zu verteidigen oder nötigenfalls anzupassen, anstatt unvoreingenommen die beste Lösung für den Mandanten zu suchen. Im OLG-Fall hätte der Anwalt z.B. im Gebührenprozess die Wirksamkeit oder Auslegung der von ihm selbst als Notar beurkundeten Adoption thematisieren müssen – hier trifft also seine frühere neutrale Rolle auf seine spätere Parteinahme. Eine solche Konstellation gefährdet die objektive Interessenwahrnehmung.
Das Verbot soll bereits den Anschein vermeiden, ein Rechtsanwalt könnte in eigener Sache handeln oder seine amtliche Vertrauensstellung als Notar für einen Parteivorteil ausnutzen. Letztlich geht es um das Vertrauen der Allgemeinheit in die Anwaltschaft als unabhängiges Organ der Rechtspflege. Die Bevölkerung soll sicher sein können, dass ein Anwalt nicht mit zweierlei Maß arbeitet – einmal neutral und einmal parteiisch – in einer und derselben Angelegenheit. Dieses Vertrauen wäre erschüttert, wenn Anwälte aus der Neutralitätsrolle Vorteile für eine Seite ziehen könnten. Daher zieht das Berufsrecht hier eine klare Grenze.
Praxistipp: Vorsicht für Anwaltsnotare und ihre Mandanten
Für Rechtsanwälte, die zugleich Notare sind, gilt: äußerste Zurückhaltung bei Doppelrollen. Sobald man als Notar in einem bestimmten Lebenssachverhalt tätig war – sei es durch Beurkundung, Beglaubigung oder sonstige notarielle Amtshandlung – darf man in dieser Sache keine anwaltliche Vertretung übernehmen. Andernfalls drohen nicht nur berufsrechtliche Sanktionen, sondern auch der totale Honorarverlust für die anwaltliche Tätigkeit. Anwältinnen und Anwälte sollten im Zweifel ein Mandat lieber ablehnen oder an einen Kollegen abgeben, wenn eine Vorbefassung als Notar besteht.
Mandanten sollten ebenfalls darauf achten, keinen Anwalt zu mandatieren, der in ihrer Angelegenheit zuvor als Notar tätig war. Für Mandanten mag es bequem erscheinen, alles aus einer Hand zu bekommen – etwa erst die notarielle Urkunde und dann die Prozessführung durch die gleiche Person. Doch dieses Vorgehen kann sich rächen, da der Anwalt wegen des Tätigkeitsverbots gar nicht wirksam beauftragt werden kann. Im schlimmsten Fall steht man später ohne durchsetzbaren Anspruch auf Kostenerstattung da, weil der Gegner erfolgreich die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags geltend macht – so wie die Tochter im vorliegenden Fall.
Das OLG Schleswig hat die Regel bekräftigt, dass Streitigkeiten aus einem einheitlichen Lebensverhältnis als „dieselbe Sache“ gelten. Die strikte Trennung der Rollen von Notar und Anwalt dient der Wahrung von Neutralität und Vertrauen in die Justiz. Anwälte sollten diese Trennung ernst nehmen – andernfalls arbeiten sie am Ende für lau, und Mandanten laufen Gefahr, ohne wirksamen Beistand dazustehen. Der sicherste Weg ist, frühzeitig für klare Verhältnisse zu sorgen und mögliche Interessenkonflikte strikt zu vermeiden, gerade wenn man in Doppelfunktion (Anwalt/Notar) tätig ist. So lassen sich teure Überraschungen – wie der Verlust eines Anspruchs auf 47.000 € Honorar – vermeiden.