Kündigungsgrund Krankheit? Wann zu viele Fehltage zum Problem werden können

17. August 2025 -

Wenn Mitarbeiter häufig oder lange krankheitsbedingt ausfallen, stellt das Arbeitgeber vor große Herausforderungen. Einerseits ist klar: Krankheit ist kein Fehlverhalten, sondern kann jeden treffen. Andererseits können hohe Fehlzeiten den Betriebsablauf erheblich stören und für den Arbeitgeber teuer werden. Aktuell sorgt etwa ein Fall bei Amazon für Aufsehen: Ein Mitarbeiter fehlte innerhalb von drei Jahren 243 Tage krankheitsbedingt – Amazon kündigte ihm, und nun streiten die Parteien vor Gericht. Solche Fälle werfen die Frage auf: Darf der Arbeitgeber kündigen, wenn Krankheitszeiten Überhand nehmen? Die Antwort lautet: Ja, aber nur unter strengen Voraussetzungen. Allein eine hohe Zahl an Fehltagen genügt nicht. Entscheidend sind eine fundierte negative Gesundheitsprognose, spürbare betriebliche Beeinträchtigungen und eine sorgfältige Interessenabwägung. Zudem müssen Arbeitgeber nachweisen, dass sie – insbesondere durch ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)alles Zumutbare versucht haben, um das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Im Folgenden beleuchten wir, wann krankheitsbedingte Fehlzeiten zum Problem werden, welche rechtlichen Hürden bestehen, welche Formen der krankheitsbedingten Kündigung es gibt und was die Rechtsprechung verlangt. Außerdem erhalten Sie Hinweise zu häufigen Fehlern und praktische Handlungsempfehlungen, damit Sie als Arbeitgeber rechtssicher und fair agieren können.

Fehlzeiten als Belastung für den Betrieb – ab wann wird es kritisch?

Jeder Arbeitgeber weiß: Ein gewisses Maß an Krankmeldungen ist normal und muss aufgefangen werden. Problematisch wird es erst, wenn Fehlzeiten überhandnehmen und den Betriebsablauf spürbar beeinträchtigen. Das kann sich auf zwei Ebenen auswirken:

  • Organisatorische Störungen: Wenn ein wichtiger Mitarbeiter immer wieder ausfällt oder lange fehlt, geraten Arbeitsabläufe ins Stocken. Termine müssen verschoben, Kollegen müssen regelmäßig Mehrarbeit leisten oder es müssen Ersatzkräfte organisiert werden. Wiederholte, unvorhersehbare Ausfälle können zu erheblichen Betriebsablaufstörungen führen – etwa zu Produktionsverzögerungen oder Leistungsengpässen in Projekten. Je kleiner die Personaldecke oder je spezieller die Position des Mitarbeiters, desto gravierender wirken sich häufige Ausfälle aus.
  • Wirtschaftliche Belastungen: Krankheitsbedingte Fehlzeiten kosten Geld. Zwar muss der Arbeitgeber das Gehalt i. d. R. maximal sechs Wochen pro Krankheit weiterzahlen (§ 3 Abs. 1 EntgFG). Bei langen Einzel-Erkrankungen endet diese Entgeltfortzahlung nach sechs Wochen und die Krankenkasse zahlt Krankengeld – das entlastet den Arbeitgeber. Anders bei vielen Kurzerkrankungen: Hier beginnt die 6-Wochen-Frist immer wieder neu. Fällt ein Mitarbeiter z. B. zehnmal im Jahr für jeweils 1–2 Wochen aus, trägt der Arbeitgeber jedes Mal die Lohnfortzahlung. Überdurchschnittlich viele Krankheitsphasen summieren sich so zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung, insbesondere durch ständig neue Entgeltfortzahlungskosten. Hinzu kommen indirekte Kosten (Produktivitätseinbußen, Einarbeitung von Vertretungen etc.).

Werden die Fehlzeiten eines Mitarbeiters zur Dauerbelastung, wächst verständlicherweise der Wunsch, personelle Konsequenzen zu ziehen. Doch Vorsicht: Krankheit ist zunächst kein Kündigungsgrund an sich. Arbeitgeber dürfen nicht voreilig eine Kündigung aussprechen, nur weil jemand „zu oft“ krank ist. Das Arbeitsrecht – insbesondere das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) – setzt hier hohe Hürden, um Arbeitnehmer vor willkürlichen Kündigungen zu schützen. Ab wann eine Kündigung rechtlich zulässig ist, erläutern wir im nächsten Abschnitt.

Wann ist eine Kündigung wegen Krankheit zulässig?

Eine Kündigung aus Krankheitsgründen zählt zu den personenbedingten Kündigungen – der Grund liegt also in der Person bzw. dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers, nicht in einem Fehlverhalten. Entsprechend ist keine Abmahnung als Vorwarnung erforderlich oder sinnvoll, denn der Arbeitnehmer kann sein Kranksein nicht willentlich abstellen. Allerdings: Greift der allgemeine Kündigungsschutz (Betrieb > 10 Mitarbeiter und Beschäftigungsdauer > 6 Monate), dann muss jede Kündigung „sozial gerechtfertigt“ sein (§ 1 Abs. 2 KSchG). Die Arbeitsgerichte – allen voran das Bundesarbeitsgericht (BAG) – haben hierfür ein Prüfungsschema in drei Stufen entwickelt:

  • Negative Gesundheitsprognose: Zum Zeitpunkt der Kündigung muss eine hinreichend sichere Prognose bestehen, dass der Arbeitnehmer auch künftig in erheblichem Umfang krank sein wird. Entscheidend ist der Blick nach vorn: Die Kündigung darf keine Bestrafung für vergangene Fehlzeiten sein, sondern muss darauf gestützt werden, dass sich ähnliche Ausfälle in der Zukunft weiterhin erwarten lassen. Fehlen objektive Anhaltspunkte für eine solche Annahme, ist die Prognose positiv – dann scheidet eine Kündigung aus. Einmalige oder ausgeheilte Erkrankungen (z. B. ein komplizierter Beinbruch), die sich voraussichtlich nicht wiederholen, dürfen nicht negativ in die Zukunftsprognose einbezogen werden. Umgekehrt können allerdings häufige Kurzkrankheiten ein starkes Indiz für künftige Fehlzeiten sein. Faustregel: War ein Mitarbeiter über mehrere Jahre hinweg jeweils länger als 6 Wochen pro Jahr krank, lässt sich daraus meist eine negative Prognose ableiten. So wurde etwa bei Krankheitszeiten von jeweils über 6 Wochen in drei aufeinanderfolgenden Jahren eine Kündigung als erwägenswert angesehen. Starre Grenzwerte gibt es aber nicht – am Ende kommt es auf den Einzelfall und die Art der Erkrankungen an.
  • Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen: Zusätzlich müssen die (prognostizierten) Fehlzeiten den Betrieb spürbar belasten. Es reicht also nicht, dass der Mitarbeiter oft fehlt – seine Abwesenheit muss zu echten Problemen führen, die über normale Vertretungsschwierigkeiten hinausgehen. Das kann z. B. der Fall sein, wenn hohe Entgeltfortzahlungskosten anfallen oder wichtige Projekte durch dauernde Ausfälle ins Stocken geraten. Die Betriebstätigkeit darf durch die Erkrankungen auf Dauer nicht mehr zumutbar aufrechterhalten werden können. Beispiel: Häufige kurzfristige Krankmeldungen in einer Schlüsselposition führen regelmäßig zu Produktionsverzögerungen oder erfordern teuren Ersatzpersonal-Einsatz. Oder bei einer Langzeiterkrankung muss der Arbeitgeber monatelang die Stelle vertreten lassen, was zu Qualitäts- und Kapazitätsproblemen führt. Konkrete Zeitgrenzen lassen sich hier schwer ziehen. Aber als Anhaltspunkt gilt: Spätestens wenn wie oben erwähnt über mehrere Jahre jeweils deutlich mehr als sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit anfallen, ist eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung gegeben. Vor allem, wenn diese Fehlzeiten immer wieder vom Arbeitgeber aufgefangen werden müssen und entsprechende Kosten oder organisatorische Probleme verursacht haben, ist die Grenze des Zumutbaren oft erreicht.
  • Interessenabwägung: Schließlich ist eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen. Dabei wird geprüft, ob dem Arbeitgeber die betrieblichen Beeinträchtigungen trotz der besonderen Umstände des Einzelfalls vielleicht doch noch zuzumuten sind – oder ob sein Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt des Arbeitsplatzes überwiegt. In diese Abwägung fließen sämtliche relevanten Umstände ein. Zugunsten des Arbeitnehmers spricht etwa eine lange Betriebszugehörigkeit oder höheres Lebensalter – wer dem Betrieb viele Jahre treu gedient hat, genießt mehr Schutz, als jemand der erst kurz nach der Probezeit krank wurde. Auch die Ursachen der Erkrankung spielen eine Rolle: Handelt es sich um einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit, oder liegt sogar eine anerkannte Schwerbehinderung vor, ist besonders sorgfältig abzuwägen. Solche Faktoren erhöhen das schützenswerte Bestandsschutzinteresse des Mitarbeiters. Zugunsten des Arbeitgebers darf berücksichtigt werden, wie gravierend die Störungen durch die Fehlzeiten sind und ob alle milderen Mittel ausgeschöpft wurden, um die Kündigung zu vermeiden. Hier greift das Ultima-Ratio-Prinzip: Eine Kündigung ist nur zulässig, wenn kein anderes zumutbares Mittel mehr bleibt, um die Lage zu lösen. Der Arbeitgeber muss also zuvor prüfen, ob der Mitarbeiter ggf. auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann oder ob durch Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes (technische Hilfen, Anpassung der Arbeitszeit etc.) die Probleme lösbar sind. Erst wenn auch mit solchen Maßnahmen keine Besserung erreichbar ist, kommt die Kündigung als letztes Mittel in Betracht.

Erst wenn alle drei Stufen – negative Prognose, betriebliche Beeinträchtigung und überwiegendes Beendigungsinteresse – erfüllt sind, gilt eine personenbedingte Kündigung wegen Krankheit als sozial gerechtfertigt im Sinne des KSchG. Diese Hürde ist in der Praxis sehr hoch. Es lässt sich nie pauschal sagen, ab wann genau eine krankheitsbedingte Kündigung „erlaubt“ ist – immer kommt es auf eine sorgfältige Einzelfallprüfung an. So können z. B. 40 Fehltage pro Jahr in einem Großbetrieb verkraftbar sein, während in einem kleinen Unternehmen schon 20 Fehltage kritisch werden können. Arbeitgeber sollten daher im Zweifelsfall fachkundigen Rat einholen, bevor sie einen solchen Schritt planen.

Wichtig: Anders als bei verhaltensbedingten Kündigungen ist keine Abmahnung erforderlich, um eine krankheitsbedingte Kündigung vorzubereiten. Da der Arbeitnehmer sich seine Erkrankungen nicht vorwerfen lassen muss, kann der Arbeitgeber – sobald die obigen Voraussetzungen wirklich vorliegen – grundsätzlich ohne vorherige Abmahnung kündigen. (Eine Abmahnung wäre hier ohnehin wirkungslos, weil kein steuerbares Fehlverhalten vorliegt.) Viele Arbeitgeber glauben irrtümlich, man müsse bei häufigen Fehlzeiten zunächst abmahnen – das ist falsch. Nur wenn der Verdacht besteht, dass hinter den Krankmeldungen ein Missbrauch steckt (etwa vorgetäuschte Krankheiten oder Blaumachen), sollte zunächst das Gespräch gesucht und gegebenenfalls ausnahmsweise eine Abmahnung erwogen werden. Ansonsten aber gilt: Krankheit schützt vor Kündigung, aber nicht absolut – ist das Arbeitsverhältnis wegen andauernder Krankheiten dauerhaft erheblich gestört, kann eine Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Doch bis ein Gericht das so sieht, müssen die genannten strengen Kriterien erfüllt und nachgewiesen werden.

Rechtliche Hürden und Grenzen für Arbeitgeber

Für Arbeitgeber bedeutet eine krankheitsbedingte Kündigung einiges an Vorbereitung und Risiko. Selbst wenn die oben genannten Voraussetzungen scheinbar erfüllt sind, bestehen rechtliche Hürden:

  • Hohe Darlegungs- und Beweislast: Kommt es – wie fast immer – zur Kündigungsschutzklage, trägt der Arbeitgeber vor Gericht die volle Last, alle Voraussetzungen der Kündigung lückenlos darzulegen und zu beweisen. Er muss also konkret belegen können, dass zum Kündigungszeitpunkt eine negative Prognose bestand und warum die betrieblichen Belastungen untragbar wurden und weshalb keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestand. Das erfordert eine gründliche Dokumentation der Krankheitszeiten und ihrer Folgen (siehe dazu die Handlungsempfehlungen weiter unten). Gerichte prüfen solche Kündigungen äußerst streng. In der Praxis halten viele krankheitsbedingte Kündigungen einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand, weil der Arbeitgeber die strengen Voraussetzungen nicht ausreichend belegen konnte.
  • Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM): Eine zentrale Hürde ist das vorgeschriebene BEM-Verfahren (siehe nächster Abschnitt). Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, jedem Mitarbeiter ein BEM anzubieten, wenn dieser innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krank war (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Unterlässt der Arbeitgeber dieses Angebot, macht das die Kündigung zwar nicht automatisch unwirksam, erschwert aber die Rechtfertigung erheblich. Die Arbeitsgerichte werten ein fehlendes BEM als Verstoß gegen das Ultima Ratio-Prinzip – der Arbeitgeber hat dann offenbar nicht alles Zumutbare versucht, um die Kündigung abzuwenden. Folge: Im Prozess steigt die Darlegungslast weiter an. Der Arbeitgeber muss dem Gericht im Detail erklären, warum auch mit zumutbaren Maßnahmen (im Rahmen eines BEM oder anderer Anpassungen) keine Besserung zu erwarten war. Pauschale Behauptungen reichen dann nicht mehr: Er muss z. B. konkret darlegen, weshalb am bisherigen Arbeitsplatz keine leidensgerechte Beschäftigung möglich war und warum auch keine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz in Frage kam und warum die Kündigung wirklich unumgänglich war. Gelingt dieser Nachweis nicht, gilt die Kündigung als voreilig und damit als unverhältnismäßig – das Gericht wird sie dann als unwirksam betrachten.
  • Formale Anforderungen & besonderer Kündigungsschutz: Wie bei jeder Kündigung sind die Beteiligungsrechte im Betrieb zu beachten. Gibt es einen Betriebsrat, muss dieser vor jeder Kündigung umfassend angehört werden (§ 102 BetrVG); unterbleibt die Anhörung, ist die Kündigung unwirksam. Bei schwerbehinderten Arbeitnehmern ist vor der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen (§ 168 SGB IX). Ähnliches gilt für besondere Personengruppen wie Schwangere oder Arbeitnehmer in Elternzeit – hier braucht der Arbeitgeber eine behördliche Zulassung, um kündigen zu dürfen (nach MuSchG bzw. BEEG). Auch sind die geltenden Kündigungsfristen einzuhalten; eine krankheitsbedingte Kündigung wird in der Regel ordentlich mit der vertraglichen/gesetzlichen Frist ausgesprochen. Fristlos kündigen wegen Krankheit ist nur in absoluten Ausnahmefällen denkbar – etwa wenn feststeht, dass der Mitarbeiter dauerhaft nie mehr arbeiten kann und selbst die kurze Wartezeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar wäre. In der Praxis kommt das extrem selten vor.
  • Sozialauswahl? Bei betriebsbedingten Kündigungen muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl durchführen (§ 1 Abs. 3 KSchG), d. h. aus einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer diejenigen sozial am wenigsten schutzwürdigen auswählen (nach Kriterien wie Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten usw.). Bei einer personenbedingten Kündigung (z. B. Krankheit) greift diese Pflicht jedoch nicht – hier ist der Kündigungsgrund an die Person des einzelnen Arbeitnehmers gebunden, es gibt keine Auswahl zwischen mehreren Beschäftigten. Dennoch fließen soziale Gesichtspunkte indirekt in die Entscheidung ein: In der oben genannten Interessenabwägung berücksichtigt man selbstverständlich die persönlichen Umstände des betroffenen Mitarbeiters (Alter, Betriebszugehörigkeit, familiäre Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung etc.), um sein Schutzinteresse zu bewerten. Faustformel: Je härter eine Kündigung den Arbeitnehmer treffen würde, desto höher müssen auf der Gegenseite die betrieblichen Belastungen und die Prognose weiterer Ausfälle wiegen, um die Kündigung zu rechtfertigen.
  • Kostenrisiko im Kündigungsschutzprozess: Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass eine krankheitsbedingte Kündigung fast immer vor dem Arbeitsgericht landet – und das Ergebnis ist ungewiss. Wird die Kündigung vom Gericht gekippt, bleibt das Arbeitsverhältnis bestehen und der Arbeitgeber muss ggf. Lohnnachzahlungen für die gesamte Dauer des Prozesses leisten. Nicht selten enden solche Verfahren mit einem Vergleich, d. h. man einigt sich auf eine Abfindungszahlung, um das Arbeitsverhältnis zu beenden. Typische Fehler – wie ein ignoriertes BEM oder vorschnelles Kündigen ohne ausreichende Faktenbasis – können für den Arbeitgeber teuer werden. Daher ist höchste Sorgfalt geboten und im Zweifel der Rat eines Fachanwalts einzuholen, bevor eine Kündigung wegen Krankheit ausgesprochen wird.

Zusammengefasst: Eine Kündigung aufgrund von Krankheit ist möglich, aber nur als letztes Mittel und nur bei strikter Einhaltung aller Anforderungen. Andernfalls laufen Arbeitgeber Gefahr, vor Gericht zu scheitern und unnötig Kosten und Unruhe zu produzieren.

Formen der krankheitsbedingten Kündigung: Häufig krank vs. langzeitkrank

Nicht jede Krankheitsgeschichte ist gleich. In der Praxis haben sich vor allem zwei typische Fallgruppen herausgebildet, in denen eine Kündigung wegen Krankheit relevant wird – häufige Kurzerkrankungen und Langzeiterkrankungen. In beiden Fällen gelten die oben erläuterten Kriterien, aber die Gewichtung kann unterschiedlich ausfallen:

Häufige Kurzerkrankungen

Hierunter versteht man Arbeitnehmer, die immer wieder für kurze Zeiträume krankheitsbedingt fehlen, dafür aber über einen längeren Gesamtzeitraum betrachtet sehr viele Fehltage ansammeln. Klassisches Beispiel: Ein Mitarbeiter meldet sich über mehrere Jahre hinweg immer wieder für einige Tage oder wenige Wochen krank, mit unterschiedlichen Diagnosen. Jeder einzelne Ausfall für sich genommen mag dem Betrieb zuzumuten sein – in der Summe jedoch können sie ein erhebliches Problem darstellen.

Kennzeichen & Prognose: Typischerweise liegen bei häufigen Kurzerkrankungen unterschiedliche Krankheitsursachen vor (z. B. mal Grippe, mal Magen-Darm, mal Rückenprobleme). Paradoxerweise kann das die Kündigung eher erleichtern: Eine breite Vielzahl an Leiden stützt nämlich oft die Annahme, dass der Betroffene generell gesundheitlich anfällig ist und auch künftig immer wieder ausfallen wird. Es besteht also eine negative Gesundheitsprognose, weil keine einzelne Ursache identifiziert werden kann, die man behandeln oder beheben könnte – vielmehr scheint die gesamte gesundheitliche Konstitution labil. So deutete im Amazon-Fall die Tatsache, dass der Mitarbeiter fast durchgängig lohnfortzahlungsberechtigt war (d.h. immer neue Krankheiten mit je bis zu 6 Wochen Ausfall hatte), darauf hin, dass zahlreiche unterschiedliche Erkrankungen vorlagen. Das Arbeitsgericht folgerte, dass offenbar keine monokausale Dauererkrankung, sondern eine generelle Krankheitsanfälligkeit gegeben war – was für Amazon die Kündigung eher stützt, da eine breite Krankheitslage oft eine negative Prognose untermauert.

Betriebliche Auswirkungen: Viele Kurz-Ausfälle sind für Betriebe vor allem organisatorisch belastend. Ständige ungeplante Abwesenheiten stören die Abläufe enorm – Kollegen müssen einspringen, Planungen werden unsicher. Zudem trägt der Arbeitgeber bei jeder neuen Erkrankung wieder die vollen sechs Wochen Lohnfortzahlung, was bei häufigen Fällen zu erheblichen Gesamtkosten führt. Wenn ein Mitarbeiter z. B. zehn Mal im Jahr eine Woche fehlt, hat der Betrieb am Ende 10 Wochen Entgeltfortzahlung gezahlt – mehr als das Doppelte dessen, was bei einer langen Erkrankung angefallen wäre. Die wirtschaftliche Zumutbarkeitsgrenze ist hier schnell erreicht, wenn keine Besserung in Sicht ist.

Rechtliche Anforderungen: Die Gerichte verlangen bei häufigen Kurzerkrankungen einen längeren Beobachtungszeitraum (meist 2–3 Jahre), um einen Trend festzustellen. Ein einzelnes krankheitsreiches Jahr genügt in der Regel nicht. Aber zeigen die letzten z. B. drei Jahre ein klares Muster von überdurchschnittlich vielen Fehltagen, kann daraus auf künftige Wiederholungsgefahr geschlossen werden. Wichtig ist auch hier: Die Kündigung ist kein Denkzettel für die Vergangenheit, sondern soll künftige Belastungen verhindern. Daher muss der Arbeitgeber möglichst objektive Daten sammeln (Fehltage zählen, Art der Erkrankungen betrachten) und daraus eine ernsthafte Prognose ableiten. Ohne medizinische Grundlagen geht das oft nicht – sinnvoll kann es sein, den Betriebsarzt einzuschalten, um die gesundheitliche Situation einschätzen zu lassen.

Langzeiterkrankung (Dauererkrankung)

Hierbei handelt es sich um einen Mitarbeiter, der über einen sehr langen Zeitraum ununterbrochen arbeitsunfähig ist. Beispielsweise jemand, der seit über einem Jahr durchgehend erkrankt ist (etwa wegen einer schweren chronischen Erkrankung oder Unfallfolgen) und bei dem unklar ist, wann – und ob – er an den Arbeitsplatz zurückkehren kann.

Kennzeichen & Prognose: Bei einer Dauererkrankung steht die Frage im Vordergrund, wie die Zukunft aussieht. Ist absehbar, dass der Arbeitnehmer in absehbarer Zeit wieder genesen wird und seine Arbeit aufnehmen kann? Oder ist nicht abzusehen, wann (und ob überhaupt) er zurückkehrt? Solange eine baldige Genesung wahrscheinlich ist, hat der Arbeitgeber keine Handhabe zu kündigen – dann fehlt es an der negativen Prognose. Die Gerichte billigen Arbeitnehmern bei ernsten Krankheiten durchaus einen angemessenen Zeitraum zur Gesundung zu. Erst wenn eine deutliche Verschlechterung oder keine Aussicht auf Besserung erkennbar ist, kann die Prognose negativ ausfallen. In vielen Fällen holt der Arbeitgeber hierzu ein medizinisches Gutachten oder eine Einschätzung des Medizinischen Dienstes ein, um fundiert darlegen zu können, dass der Mitarbeiter voraussichtlich dauerhaft oder noch sehr lange arbeitsunfähig bleiben wird. Beispiel: Ein Mitarbeiter ist seit 1,5 Jahren ununterbrochen krank geschrieben, und laut ärztlicher Prognose ist in den nächsten 6 Monaten nicht mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen. Hier könnte eine Kündigung gerechtfertigt sein, da insgesamt mindestens 2 Jahre Ausfall zu erwarten sind und keine Besserung in Sicht ist. – Anders wäre es, wenn zwar schon 1 Jahr Krankheitszeit vorliegt, aber ein operativer Eingriff kurz bevorsteht, der voraussichtlich die Arbeitsfähigkeit wiederherstellt. Dann besteht eine positive Prognose und eine Kündigung wäre unwirksam.

Betriebliche Auswirkungen: Eine Langzeiterkrankung belastet den Betrieb vor allem durch den kompletten Wegfall der Arbeitskraft über lange Zeit. Nach 6 Wochen endet zwar die Lohnfortzahlung, so dass die direkten Gehaltskosten vom Krankenversicherungsträger übernommen werden. Dennoch muss die Arbeit anderweitig erledigt werden: Häufig wird eine Vertretung eingestellt oder Kollegen teilen sich die Zusatzarbeit. Das ist meist mit Einarbeitung, Produktivitätsverlusten und mitunter auch Mehrkosten (für befristete Ersatzkräfte) verbunden. Je länger der Zustand andauert, desto schwieriger wird es für den Arbeitgeber, die Lücke zu füllen – fachlich wie personell. Irgendwann stellt sich die Frage, ob der Arbeitsplatz dauerhaft neu besetzt werden muss. Allerdings: Der Arbeitgeber darf den erkrankten Mitarbeiter nicht einfach ersetzen, ohne wirklich sicher zu wissen, dass dieser nicht zurückkehrt. Genau hier liegt die Krux – oft bewegt man sich in einer Unsicherheitszone, was die Zukunft des erkrankten Mitarbeiters angeht.

Rechtliche Anforderungen: Auch bei Langzeiterkrankungen ist die negatieve Prognose der Knackpunkt. Die Rechtsprechung fordert, dass zum Kündigungszeitpunkt konkrete Anhaltspunkte vorliegen, wonach in absehbarer Zeit keine Rückkehr zu erwarten ist. Eine Kündigung nach z. B. „erst“ 3 Monaten Dauererkrankung wäre in aller Regel unwirksam – hier müsste der Arbeitgeber zumindest den weiteren Heilungsverlauf abwarten. Oft werden Richtwerte diskutiert: Etwa, dass eine krankheitsbedingte Abwesenheit von mehr als 18 Monaten mit ungewisser Genesungsperspektive eine Kündigung rechtfertigen kann. Letztlich schaut das Gericht aber genau auf den Einzelfall und die ärztlichen Atteste. Wichtig ist auch, dass der Arbeitgeber vor der Kündigung ein BEM angeboten hat (dazu gleich mehr) – gerade bei Langzeiterkrankten versucht man so, Wege für eine Rückkehr ins Arbeitsleben zu finden (z. B. stufenweise Wiedereingliederung, Umgestaltung des Arbeitsplatzes).

Sonderfälle: Neben den genannten Hauptfallgruppen gibt es noch Sonderkonstellationen, z. B. die krankheitsbedingte Leistungsminderung. Darunter versteht man, dass der Mitarbeiter zwar (wieder) anwesend ist, aber dauerhaft nicht mehr die volle Leistung erbringen kann – etwa weil eine chronische Erkrankung gewisse Tätigkeiten unmöglich macht. Auch eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit (z. B. der Mitarbeiter ist zum Rentenfall geworden) fällt darunter. Diese Fälle werden rechtlich ähnlich bewertet: Entscheidend ist auch hier die Prognose, ob der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung künftig absehbar nicht mehr erfüllen kann. Wenn nein, und der Arbeitgeber keine andere zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit hat, kann eine Kündigung in Frage kommen. In der Praxis überschneiden sich diese Kategorien oft mit den oben genannten (häufige Kurz- oder Langzeiterkrankungen) und unterliegen denselben strengen Anforderungen.

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) – Pflicht vor der Kündigung

Bevor an eine Kündigung auch nur zu denken ist, spielt in vielen Fällen das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) eine zentrale Rolle. Dieses Verfahren ist gesetzlich vorgeschrieben (§ 167 Abs. 2 SGB IX), sobald ein Mitarbeiter innerhalb von 12 Monaten länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war. Das gilt betriebsgrößenunabhängig für alle Arbeitgeber und alle Arbeitnehmer (nicht nur Schwerbehinderte). Ziel des BEM ist es, gemeinsam mit dem betroffenen Mitarbeiter Wege zu finden, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden und künftigen Erkrankungen vorgebeugt werden kann. Es handelt sich gewissermaßen um ein präventives Hilfeangebot, um das Arbeitsverhältnis möglichst zu erhalten.

Ablauf und Inhalte: Das BEM beginnt mit einer Einladung an den Mitarbeiter zu einem Gespräch. Wichtig: Diese Einladung muss bestimmten formalen Anforderungen genügen. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Arbeitnehmer darin umfassend über Sinn und Ablauf des BEM informiert werden muss – insbesondere über die Ziele, die Art der erhobenen Daten und seine Mitwirkungsrechte. Der Mitarbeiter soll genau wissen, worauf er sich einlässt. Im BEM-Gespräch selbst (oft unter Beteiligung des Betriebsrats, der Schwerbehindertenvertretung und ggf. des Betriebsarztes – jeweils nur mit Zustimmung des Mitarbeiters) wird dann beraten, woran es liegen könnte, dass der Mitarbeiter so oft oder so lange krank ist, und was man tun kann, damit er künftig gesünder und zuverlässiger arbeiten kann. Mögliche Maßnahmen reichen von Arbeitsplatzanpassungen (ergonomische Möbel, technische Hilfen) über Änderungen der Arbeitszeit oder Versetzung auf einen geeigneteren Posten bis hin zu Rehabilitationsmaßnahmen oder Weiterbildung. Entscheidend ist: Alles ist freiwillig. Der Arbeitnehmer muss keine Diagnosen preisgeben, wenn er nicht will, und er kann das BEM-Angebot ablehnen – ohne daraus Nachteile befürchten zu müssen. (Die Gerichte dürfen dem Arbeitnehmer eine solche Ablehnung nicht negativ anlasten, hat das BAG ausdrücklich klargestellt.) Allerdings vergibt der Mitarbeiter damit auch Chancen, denn im BEM hätten vielleicht Lösungen gefunden werden können, um ihm das Arbeitsleben zu erleichtern.

Bedeutung für die Kündigung: Aus Arbeitgebersicht ist ein sorgfältig durchgeführtes BEM enorm wichtig, bevor man überhaupt an Kündigung denkt. Zwar betont das BAG, dass die Kündigung nicht automatisch unwirksam ist, nur weil kein BEM stattfand. Aber: Das Unterlassen des BEM verstößt gegen das Prinzip der Kündigung als letztes Mittel – schließlich hätte das BEM womöglich Alternativen aufgezeigt. Gerichte werten ein fehlendes BEM daher als Indiz, dass der Arbeitgeber nicht alles Zumutbare unternommen hat. Wie oben schon erläutert, führt das dazu, dass im Kündigungsschutzprozess die Hürden für den Arbeitgeber noch höher liegen: Er muss dann haarklein darlegen, warum kein BEM dennoch keine Lösung gebracht hätte. Viele Kündigungen scheitern genau daran – fehlende oder fehlerhaft durchgeführte BEM-Verfahren sind häufig der Knackpunkt, an dem krankheitsbedingte Kündigungen vor Gericht scheitern.

Umgekehrt kann ein gewissenhaft durchgeführtes BEM dem Arbeitgeber sehr nützen, falls es später doch zur Kündigung kommt. Hat der Arbeitgeber nachweislich alles versucht – also ein BEM angeboten, vom Mitarbeiter angenommen und ergebnisoffen durchgeführt – und brachte auch dieses keine Verbesserung oder keine leidensgerechte Einsatzmöglichkeit hervor, dann kann er im Prozess darauf verweisen. Die erfolglose Durchführung des BEM untermauert, dass die Kündigung leider unumgänglich war. Die Gerichte erkennen an, wenn ein Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht ernst genommen und den Erhalt des Arbeitsverhältnisses vorrangig verfolgt hat. In solchen Fällen stehen die Chancen deutlich besser, dass die Kündigung als gerechtfertigt durchgeht.

Praxis-Tipp: Sehen Sie das BEM nicht als lästige Formalie, sondern als Chance. Zum einen besteht die Möglichkeit, einen eigentlich motivierten Mitarbeiter durch geeignete Unterstützung wieder voll einsatzfähig zu machen – das ist oft wirtschaftlich sinnvoller, als einen langjährig Beschäftigten aufzugeben und neues Personal suchen zu müssen. Zum anderen schafft ein dokumentiertes BEM wichtige Fakten: Sollte es später doch zur Kündigung kommen, haben Sie eine deutlich bessere Grundlage, um die sozialen Rechtfertigungsgründe darzulegen. Kurz gesagt: Die pflichtgemäße Umsetzung des BEM ist ein entscheidender Baustein im rechtssicheren Umgang mit langzeit- oder häufig erkrankten Mitarbeitern.

Typische Fehler bei krankheitsbedingten Kündigungen

Bei Kündigungen wegen Krankheit gibt es für Arbeitgeber viele Fallstricke. Häufige Fehler, die es zu vermeiden gilt, sind unter anderem:

  • Ohne gründliche Prüfung „einfach kündigen“: Die vielleicht größte Falle ist, voreilig zu kündigen, ohne die strengen Voraussetzungen wirklich nachweisbar erfüllt zu haben. Eine Kündigung „auf gut Glück“, in der Hoffnung, der Mitarbeiter werde sich schon nicht wehren, ist gefährlich – zumal die meisten Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erheben. Vorschnelles Kündigen ohne belastbare Faktenbasis kann vor Gericht teuer enden. Tipp: Vor der Kündigung unbedingt die letzten Jahre Fehlzeiten genau dokumentieren und eine fundierte Prognose erstellen (ggf. ärztlichen Rat einholen). Prüfen Sie: Wie hoch waren die Ausfallzeiten? Welche Krankheiten lagen vor? Ist eine Besserung in Sicht? Wenn hier Unsicherheiten bestehen, lieber noch warten oder Alternativen probieren.
  • BEM nicht (oder nur pro forma) durchführen: Oft scheitern Kündigungen, weil das obligatorische BEM unterlassen wurde oder fehlerhaft war. Wer das BEM-Angebot „vergisst“ oder nur halbherzig und ohne ernsthaften Lösungswillen erledigt, verletzt seine Pflichten als Arbeitgeber. Tipp: Halten Sie sich exakt an § 167 Abs. 2 SGB IX. Bieten Sie dem Mitarbeiter nach 6 Wochen Krankheit schriftlich ein BEM an – und informieren Sie ihn umfassend über Zweck, Ablauf und Datenschutz dabei. Dokumentieren Sie die Einladung und ggf. die Ablehnung durch den Mitarbeiter ordentlich. Führen Sie ein BEM-Gespräch nur durch, wenn der Mitarbeiter einverstanden ist, aber dann auch ergebnisoffen und engagiert. Alles, was dort besprochen wird, ist vertraulich; zwingen Sie niemanden zu Aussagen über Diagnosen. Ziel muss sein, gemeinsam realistische Maßnahmen zu erarbeiten, die dem Mitarbeiter helfen können (siehe oben). Ein gut dokumentiertes BEM zeigt später im Zweifel, dass Sie wirklich alles versucht haben, bevor Sie zur Kündigung greifen.
  • Keine Ultima-Ratio-Prüfung: Ein häufiger Fehler ist, keine Alternativen zur Kündigung in Betracht zu ziehen. Arbeitsgerichte erwarten, dass der Arbeitgeber prüft, ob nicht eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen möglich wäre. Einfach zu sagen „Der Mitarbeiter ist krank, also muss er gehen“ greift zu kurz. Tipp: Überlegen Sie vor einer Kündigung: Kann der Arbeitnehmer vielleicht auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt werden, der seinen gesundheitlichen Einschränkungen besser gerecht wird? Lässt sich der bisherige Arbeitsplatz durch technische oder organisatorische Maßnahmen (Hilfsmittel, reduzierte Stunden, Homeoffice etc.) so anpassen, dass der Mitarbeiter trotz gesundheitlicher Probleme weiterarbeiten kann? Solche Überbrückungs- und Anpassungsmaßnahmen sind zwar nicht immer möglich, aber sie müssen ernsthaft erwogen* werden (Stichwort: leidensgerechter Arbeitsplatz). Nur wenn hierbei nichts Erfolgversprechendes gefunden wird, darf gekündigt werden. Dokumentieren Sie auch diese Prüfungen schriftlich.
  • Formfehler bei der Kündigung: Selbst inhaltlich gut begründete Kündigungen können an formalen Fehlern scheitern. Zwei Klassiker: Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt und Integrationsamt bei Schwerbehinderten nicht eingeschaltet. Beide Fehler führen automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung. Tipp: Holen Sie vor Ausspruch der Kündigung immer die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG ein (bei bestehendem Betriebsrat) – schriftlich, mit genauer Darstellung der Kündigungsgründe. Warten Sie die Frist für die Stellungnahme ab. Und prüfen Sie, ob der Mitarbeiter besonderen Kündigungsschutz genießt (Schwerbehinderung, Schwangerschaft, Elternzeit etc.). In solchen Fällen vorher die Zustimmung der zuständigen Stelle (Integrationsamt, Gewerbeaufsicht, Betriebsarzt etc.) einholen. Stimmen Sie die Kündigungsfrist korrekt auf das Arbeitsverhältnis ab (ggf. anhand der Dauer der Betriebszugehörigkeit gemäß § 622 BGB). Vermeiden Sie auch inhaltliche Schnitzer im Kündigungsschreiben – eine allgemeine Formulierung ohne Nennung des Krankheitsgrundes ist üblich und ausreichend, denn die detaillierte Begründung erfolgt ohnehin im Prozess.
  • Irrtümer und falsche Annahmen: Schließlich scheitern manche Maßnahmen an verbreiteten Irrtümern. Ein Beispiel hatten wir schon: Die Annahme, man müsse den häufig kranken Mitarbeiter vorher abmahnen, ist falsch. Eine Abmahnung ist im Krankheitsfall weder rechtlich notwendig noch praktisch hilfreich, solange kein Missbrauchsverdacht besteht. Ein weiterer Irrtum: Manche Arbeitgeber glauben, Resturlaub oder Überstunden müssten bei Krankheit nicht berücksichtigt werden – doch auch langzeiterkrankte Mitarbeiter sammeln Urlaubsansprüche und können diese ggf. nach langer Krankheit nehmen oder ausbezahlt verlangen (EuGH- und BAG-Rechtsprechung). Hier sollte man sauber abrechnen und beraten sein, um keinen Verstoß zu riskieren. Ebenso ist es falsch zu glauben, nach x Monaten Krankheit ende das Arbeitsverhältnis automatisch – ein solcher Automatismus existiert im deutschen Arbeitsrecht nicht; es bedarf immer einer Kündigung oder Aufhebungsvereinbarung.

Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber

Abschließend möchten wir Ihnen praktische Tipps an die Hand geben, wie Sie mit häufigen oder langen Erkrankungen von Mitarbeitern umgehen und rechtssichere Entscheidungen treffen:

  • Frühzeitig das Gespräch suchen: Bevor die Situation eskaliert, suchen Sie das offene Gespräch mit dem häufig kranken Mitarbeiter. Klären Sie, ob es arbeitsbedingte Ursachen gibt (z. B. Überlastung, ergonomische Probleme) und signalisieren Sie Unterstützung. Oft lassen sich durch präventive Maßnahmen (Umverteilung von Aufgaben, Anpassung des Arbeitsplatzes, Gesundheitsangebote) weitere Ausfälle reduzieren. Zudem bauen Sie Vertrauen auf – der Mitarbeiter wird weniger geneigt sein, bei längerer Krankheit sofort anwaltlichen Rat zu suchen, wenn er das Gefühl hat, fair behandelt zu werden.
  • Fehlzeiten genau erfassen und auswerten: Führen Sie Buch über alle Krankheitszeiten. Dokumentieren Sie Dauer und Häufigkeit der Ausfälle über die letzten Jahre. Diese Daten sind Grundlage für jede spätere Entscheidung – und im Streitfall Ihr wichtigstes Beweismaterial. Analysieren Sie die Muster: Gibt es Auffälligkeiten? (z. B. häufiger Montagskrank, immer nach bestimmten Arbeitseinsätzen krank). Solche Muster können auf Missbrauch hindeuten oder aber auch auf betriebliche Auslöser (zum Beispiel wenn immer nach schwerer körperlicher Arbeit Krankmeldungen folgen). Je besser Ihre Faktenlage, desto gezielter können Sie reagieren – sei es mit internen Lösungen oder eben einer fundierten Kündigungsentscheidung.
  • Betriebsärztliche und fachkundige Hilfe nutzen: Scheuen Sie sich nicht, den Betriebsarzt oder den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einzuschalten, um eine professionelle Einschätzung zu bekommen. Der Betriebsarzt kann beurteilen, ob und welche gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen und wie die Arbeitsfähigkeit perspektivisch einzuschätzen ist. Er kann auch Vorschläge machen, welche betrieblichen Maßnahmen helfen könnten (technische Hilfen, Umsetzung etc.). Diese Informationen sind Gold wert, um eine objektive Prognose zu erstellen – und sie zeigen, dass Sie verantwortungsvoll vorgehen. Im Prozess haben solche fachärztlichen Einschätzungen deutlich mehr Gewicht als laienhafte Vermutungen des Arbeitgebers.
  • BEM-Angebot pflichtgemäß unterbreiten: Kommt ein Mitarbeiter über die 6-Wochen-Grenze (entweder am Stück oder summiert in 12 Monaten), bieten Sie ihm schriftlich ein BEM an. Legen Sie in diesem Schreiben klar und verständlich dar, was das Ziel des BEM ist (nämlich die Rückkehr zur Arbeit zu erleichtern und weitere Krankheiten zu vermeiden) und welche Vorteile es für den Mitarbeiter haben kann. Betonen Sie die Freiwilligkeit und Vertraulichkeit. Dieses Einladungsschreiben sollten Sie dokumentieren (Eingang bestätigen lassen), um später nachweisen zu können, Ihrer Pflicht nachgekommen zu sein. Führen Sie ein eventuell folgendes BEM-Gespräch ergebnisoffen und protokollieren Sie die besprochenen Maßnahmen. Signalisieren Sie ernsthaftes Interesse an einer gemeinsamen Lösung. Selbst wenn das BEM ergebnislos bleibt oder der Mitarbeiter es ablehnt – Sie haben damit Ihre Sorgfaltspflicht erfüllt und stehen im Streitfall deutlich besser da.
  • Alternativen zur Kündigung prüfen: Bevor Sie wirklich kündigen, denken Sie an das Ultima-Ratio-Prinzip. Fragen Sie sich: Gibt es irgendeine zumutbare Möglichkeit, den Mitarbeiter trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen weiter zu beschäftigen? Vielleicht in einer anderen Abteilung, in einer weniger belastenden Rolle oder mit veränderten Arbeitszeiten? Könnte eine Umschulung oder Fortbildung helfen, ihn auf eine andere Position zu versetzen? Solche Schritte mögen aufwendig erscheinen, aber sie können eine Kündigung vermeiden und sind arbeitsrechtlich oft geboten. Falls Sie solche milderen Mittel gar nicht erst erwägen, wird man Ihnen vor Gericht vorhalten, vorschnell die „Axt angelegt“ zu haben. Dokumentieren Sie daher Ihre Überlegungen: Notieren Sie, welche Alternativen geprüft wurden und warum sie ggf. nicht infrage kamen. Diese Aktennotizen können im Prozess entscheidend sein, um zu beweisen, dass die Kündigung wirklich ultima ratio war.
  • Formal korrekt vorgehen: Stellen Sie sicher, dass Sie alle formalen Vorgaben einhalten. Dazu zählt insbesondere die Betriebsratsanhörung (sofern ein Betriebsrat existiert) vor Ausspruch der Kündigung. Geben Sie dem Betriebsrat alle relevanten Informationen zu den Krankheitszeiten und den Gründen, warum Sie eine Kündigung erwägen. Holen Sie bei schwerbehinderten Mitarbeitern die Zustimmung des Integrationsamtes ein, bevor Sie kündigen – ohne diese ist die Kündigung unwirksam. Achten Sie auch auf gesetzliche Sonderkündigungsschütze (Mutterschutz, Elternzeit usw.) und die korrekte Kündigungsfrist. Ein in formaler Hinsicht sauber vorbereitetes Verfahren erspart Ihnen viel Ärger und Nerven.
  • Im Zweifel Rechtsrat einholen: Krankheitsbedingte Kündigungen gehören zu den komplexesten Materien des Arbeitsrechts. Wenn Sie unsicher sind, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, oder wie Sie den Fall am besten angehen sollen, ziehen Sie frühzeitig einen Fachanwalt für Arbeitsrecht hinzu. Dieser kann Ihre Situation einschätzen, Sie auf Risiken hinweisen und beim korrekten Vorgehen unterstützen – sei es bei der Formulierung der BEM-Einladung, der Betriebsratsanhörung oder der Kündigung selbst. Die Kosten für eine Beratung sind in der Regel weitaus geringer als ein verlorener Prozess oder eine fette Abfindung, die man wegen eines Fehlers zahlen muss.

Hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten können eine Kündigung rechtfertigen – automatisch geht das aber keineswegs. Arbeitgeber sollten besonnen und gut informiert vorgehen. Ein häufiger Irrtum ist, Kranksein mit Fehlverhalten gleichzusetzen – dem ist nicht so. Daher darf eine Kündigung wegen Krankheit nie eine „Strafe“ für vergangene Fehltage sein, sondern muss auf die Zukunft gerichtet sein: Drohen weitere erhebliche Ausfälle, die der Betrieb nicht verkraften kann? Nur wenn diese Frage klar zu bejahen ist und alle zumutbaren Gegenmaßnahmen erfolglos blieben, kommt eine Kündigung in Betracht. Wer als Arbeitgeber die oben genannten Punkte beherzigt – die Kriterien strikt prüft, das BEM ernst nimmt, typische Fehler vermeidet und sich im Zweifel professionell beraten lässt –, der bewegt sich rechtlich auf der sicheren Seite. So lässt sich im Spannungsfeld zwischen Betriebsablauf und Fürsorgepflicht eine tragfähige Lösung finden, selbst wenn Arbeitnehmer häufiger krank sein sollten. Letztlich gilt: Eine sozial gerechtfertigte Kündigung aus Krankheitsgründen ist das letzte Mittel – zuvor sollten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um den Mitarbeiter im Unternehmen zu halten.