Eine verbeamtete Lehrerin war seit 2009 ununterbrochen krankheitsbedingt dienstunfähig. Erst 2025 – nach über 15 Jahren Untätigkeit – verlangte ihr Dienstherr eine amtsärztliche Untersuchung, inklusive psychiatrischer Begutachtung. Die Lehrerin hielt dies für unverhältnismäßig nach so langer Zeit. Doch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster stellte klar: Auch nach jahrzehntelanger Dienstunfähigkeit kann der Dienstherr noch eine amtsärztliche Untersuchung anordnen. Die lange Wartezeit führt nicht dazu, dass das Untersuchungsrecht „verwirkt“ (also verwunden) wäre. Zudem durfte hier aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine fachpsychiatrische Untersuchung mitangeordnet werden. Dieser Rechtstipp erläutert den Fall, die Begründung des Gerichts und gibt Hinweise für betroffene Beamte.
Hintergrund: 15 Jahre dienstunfähig – plötzlich soll zum Amtsarzt gegangen werden
Eine verbeamtete Studienrätin (Lehrerin) war seit 2009 durchgehend erkrankt und konnte seitdem keinen Dienst mehr leisten. Über 15 Jahre lang unternahm ihr Dienstherr nichts, um den Gesundheitszustand offiziell prüfen zu lassen. Erst im April 2025 erhielt sie die Aufforderung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Diese Untersuchung sollte umfassend sein und insbesondere auch eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung beinhalten. Die Beamtin empfand diese plötzliche Anordnung nach so langer Zeit als nicht nachvollziehbar und unverhältnismäßig.
Um die Untersuchung abzuwenden, stellte sie beim Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf einen Eilantrag. Sie wollte erreichen, vorläufig von der Pflicht befreit zu werden, zum Amtsarzt zu gehen, bis in einem Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit entschieden ist. Das VG Düsseldorf lehnte ihren Antrag jedoch ab. Daraufhin legte die Lehrerin Beschwerde beim OVG Münster ein. Auch das OVG Münster wies ihre Beschwerde zurück – die Beamtin muss der Untersuchungsanordnung also Folge leisten.
Gerichtliche Entscheidung: Keine Verwirkung trotz jahrelanger Untätigkeit des Dienstherrn
Das OVG Münster (Beschluss vom 12.08.2025, Az. 6 B 724/25) hat unmissverständlich klargestellt, dass die Befugnis des Dienstherrn zur Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung wegen Dienstunfähigkeit nicht durch bloßen Zeitablauf erlischt. Eine so genannte „Verwirkung“ tritt nicht ein, selbst wenn der Arbeitgeber über viele Jahre untätig geblieben ist. Im Klartext: Auch nach 15 oder mehr Jahren kann der Dienstherr noch eine Untersuchung verlangen, sofern die Voraussetzungen grundsätzlich vorliegen.
Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Lehrerin unstreitig seit über 15 Jahren dienstunfähig erkrankt war. Damit waren die gesetzlichen Voraussetzungen einer möglichen Dienstunfähigkeit weit übererfüllt – nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) gilt ein Beamter schon als dienstunfähig, wenn er in 6 Monaten mehr als 3 Monate keinen Dienst getan hat und keine Besserung in den nächsten 6 Monaten zu erwarten ist. Vorliegend lagen viele Jahre ohne Dienst vor, sodass objektiv erhebliche Zweifel an der dauernden Dienstfähigkeit bestanden. Die sehr lange Untätigkeit des Dienstherrn ändert daran nichts. Insbesondere muss der Dienstherr in der Untersuchungsanordnung keine weiteren Gründe angeben außer der langjährigen Erkrankung. Dass die Behörde so spät tätig wird, macht die Anordnung nicht rechtswidrig – die lange Krankheitsdauer an sich ist ein ausreichender Anlass für die Untersuchung.
Das OVG betonte außerdem, dass gerade in solchen Fällen geprüft werden müsse, ob eine Wiederherstellung der Dienstfähigkeit innerhalb eines überschaubaren Zeitraums überhaupt noch realistisch ist. Der Gesetzgeber sieht hierfür einen Prognosezeitraum von sechs Monaten vor (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 3 Landesbeamtengesetz NRW). Nach so langer Abwesenheit der Beamtin sei es wichtig festzustellen, ob innerhalb dieses halben Jahres eine Rückkehr in den Dienst gelingen kann oder nicht. Zwei Interessen stehen dabei im Vordergrund: Zum einen kommt der Dienstherr seiner Fürsorgepflicht nach, indem er den Gesundheitszustand klären lässt – auch im Interesse der Beamtin, deren berufliche Zukunft geklärt werden soll. Zum anderen besteht ein öffentliches Interesse an der Funktionsfähigkeit des Staatsdienstes. Es soll sichergestellt werden, dass hoheitliche Aufgaben nur von physisch und psychisch dauerhaft geeigneten Beamten erfüllt werden. Ebenso hat die Allgemeinheit ein berechtigtes Interesse daran, dass ein dienstfähiger Beamter auch tatsächlich wieder arbeitet und nicht dauerhaft bei vollen Bezügen vom Dienst freigestellt bleibt. Diese Interessen verlieren nicht an Bedeutung, nur weil der Dienstherr lange untätig war. Ein jahrelanges Zögern lässt das Recht, eine Untersuchung anzuordnen, nicht „verfallen“. Mit anderen Worten: Es gibt kein zeitliches Verfallsdatum für die Überprüfung der Dienstfähigkeit eines Beamten.
Umfang der Untersuchung: Psychiatrische Begutachtung bei Hinweisen erlaubt
Die Studienrätin störte sich besonders daran, dass der Dienstherr direkt eine psychiatrische Untersuchung mit angeordnet hatte. Sie argumentierte, dies greife stark in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht ein und sei unverhältnismäßig. Ihrer Ansicht nach hätte man allenfalls eine allgemeine amtsärztliche Untersuchung durchführen dürfen, aber keine Spezialuntersuchung auf dem Fachgebiet der Psychiatrie, zumindest nicht ohne vorherige amtsärztliche Empfehlung.
Das OVG Münster hielt jedoch auch die neurologisch-psychiatrische Untersuchung für gerechtfertigt. In dem Fall gab es konkrete Anhaltspunkte für mögliche psychische Gesundheitsprobleme der Beamtin: Sämtliche in den letzten Jahren vorgelegten Atteste stammten von einem neurologisch-psychiatrischen Zentrum, und auch zu Beginn ihrer langen Krankheitsphase hatte die Lehrerin selbst ärztliche Bescheinigungen einer Psychiaterin vorgelegt. Daraus durfte der Dienstherr schließen, dass möglicherweise psychische Ursachen für die langanhaltende Dienstunfähigkeit mitverantwortlich sind. Eine amtsärztliche Untersuchungsanordnung, die allein auf langen Fehlzeiten beruht, kann sich daher auch auf eine psychiatrische Begutachtung erstrecken, wenn solche Hinweise vorliegen.
Zwar ist eine psychiatrische Untersuchung zweifellos ein intensiver Eingriff in die persönliche Sphäre des Beamten. Doch das Gericht machte deutlich, dass ein solcher Eingriff im Einzelfall gerechtfertigt sein kann – nämlich dann, wenn konkrete Verdachtsmomente für eine psychische Erkrankung bestehen. Genau das war hier der Fall. Die Befürchtung der Lehrerin, dass ihr Persönlichkeitsrecht verletzt werde, greift daher nicht durch. Auch musste der Amtsarzt nicht erst selbst die Notwendigkeit einer psychologischen Begutachtung feststellen – die vorliegenden Befunde reichten aus, um die spezielle Untersuchung anzuordnen. Insgesamt sei die Untersuchungsanordnung auch in ihrem Umfang verhältnismäßig und rechtmäßig, so das OVG.
Praxishinweise
Mit diesem Beschluss bestätigt das OVG Münster: Beamte können auch nach sehr langer Krankheitsdauer noch zu einer amtsärztlichen Untersuchung verpflichtet werden. Die Untätigkeit des Dienstherrn über Jahre hindert ihn nicht daran, später doch noch tätig zu werden. Vertrauen darauf, „verschont“ zu bleiben, gibt es nicht. Zudem genügt es, dass der Bescheid als Grund die langjährige Dienstunfähigkeit nennt – weitere Erläuterungen, warum gerade jetzt untersucht wird, sind rechtlich nicht erforderlich.
Erscheinen psychische Erkrankungen als mögliche Ursache der Dienstunfähigkeit, darf die Untersuchungsanordnung auch entsprechende Fachärzte einbeziehen. Beamte müssen also damit rechnen, dass auch eine psychiatrische Untersuchung angeordnet werden kann, wenn Indizien für psychische Probleme vorliegen.
Abschließend gilt für Beamte: Einer rechtmäßigen Untersuchungsanordnung ist Folge zu leisten. Eine Verweigerung der Amtsarzt-Untersuchung ist rechtlich äußerst problematisch und kann dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Insbesondere kann der Dienstherr – wenn ein Beamter eine ordnungsgemäß angeordnete Untersuchung ohne genügenden Grund verweigert – im Ergebnis so verfahren, als wäre Dienstunfähigkeit festgestellt worden. Das heißt, es droht im Ernstfall die Zwangspensionierung oder ein Disziplinarverfahren. Betroffene Beamte sollten sich daher im Zweifel beraten lassen und der Aufforderung nachkommen, um ihren weiteren Status nicht zu gefährden.