Der Oberste Gerichtshof (OGH) in Wien hat am 07. August 2025 (Az. 7 Ob 58/25t) eine wegweisende Entscheidung zum Diskriminierungsverbot gefällt. Konkret ging es um eine Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen einer privaten Krankenversicherung, die Geschlechtsumwandlungen pauschal vom Versicherungsschutz ausnahm. Diese Klausel erklärte der OGH für unzulässig, da sie transgeschlechtliche und intersexuelle Personen diskriminiert. Mit anderen Worten: Ein Versicherer darf nicht generell die Kostenübernahme für geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen verweigern, weil dies gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Verbot der Geschlechterdiskriminierung verstößt.
Der Fall: Verbandsklage gegen Risikoausschluss
Im zugrunde liegenden Fall hatte der Verein für Konsumenteninformation (VKI) – eine österreichische Verbraucherorganisation – gegen die Versicherung geklagt. Die Versicherung hatte in ihren Bedingungen festgelegt, dass „Geschlechtsumwandlungen nicht als Versicherungsfall gelten“ und somit nicht vom Versicherungsschutz erfasst sind. Der VKI betrachtete diese Klausel als diskriminierend und beantragte, der Versicherer möge sie künftig weder verwenden noch sich darauf berufen.
Nach einem längeren Instanzenzug bekam der VKI am Ende Recht: Erstinstanzlich war die Klage zwar abgewiesen worden, doch das Berufungsgericht gab dem VKI Recht. In letzter Instanz bestätigte nun der OGH diese Sicht und wies die Revision der Versicherung zurück. Die fragliche Klausel wurde als unwirksam eingestuft, weil sie gegen gesetzliche Diskriminierungsverbote verstößt.
OGH-Urteil: Warum der Ausschluss diskriminierend ist
Der OGH stellte klar, dass die Klausel scheinbar alle Versicherten gleichbehandelt, tatsächlich aber nur eine bestimmte Personengruppe benachteiligt. Transgender-Personen (transidenten Menschen) und intersexuelle Personen sind die einzigen, für die eine medizinisch notwendige Geschlechtsanpassung überhaupt in Betracht kommt. Bei cisgender Personen – also Menschen, deren bei Geburt zugewiesenes Geschlecht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmt – stellt sich das Bedürfnis einer Geschlechtsumwandlung gar nicht. Daher trifft der pauschale Leistungsausschluss faktisch nur trans und inter Personen und nimmt dieser Gruppe die Möglichkeit, eine medizinisch notwendige Geschlechtsangleichung auf Kosten der Versicherung durchzuführen.
Die Versicherung hatte argumentiert, der Ausschluss gelte „für alle Versicherten gleichermaßen“ – unabhängig vom Geschlecht – und sei somit nicht diskriminierend. Dieses Formalargument ließ der OGH jedoch nicht gelten. Vielmehr liegt hier eine mittelbare Diskriminierung vor: Eine neutral formulierte Regelung (alle Versicherten, egal ob Mann oder Frau, bekommen keine Leistung für Geschlechtsumwandlungen) wirkt sich in der Praxis besonders nachteilig für eine bestimmte Geschlechtsgruppe aus. Genau das verbieten die Gleichbehandlungsregeln. Eine unmittelbare (direkte) Diskriminierung wäre gegeben, wenn z.B. explizit festgeschrieben würde, dass nur “Transsexuelle keine Leistung erhalten”. Hier war die Klausel zwar allgemein formuliert, entfaltete aber den gleichen Effekt, indem sie trans und inter Personen exklusiv benachteiligt – somit mittelbar diskriminierend.
Rechtliche Grundlage: Diskriminierungsverbot und Gleichheitsgrundsatz
Der OGH stützte seine Entscheidung auf österreichische Antidiskriminierungsvorschriften im Versicherungsrecht. Insbesondere verstieß die Klausel gegen § 1c VersVG (Versicherungsvertragsgesetz) in Verbindung mit § 32 Abs. 2 GlBG (Gleichbehandlungsgesetz). § 1c VersVG verbietet es Versicherern, den Faktor Geschlecht zu unterschiedlichen Versicherungsleistungen oder Prämien führen zu lassen. Diese Regel ist zwingendes Recht zugunsten der Versicherungsnehmerinnen und untersagt umfassend und absolut jede unterschiedliche Behandlung nach Geschlecht – einschließlich geschlechtsspezifischer Risikoausschlüsse in Versicherungsbedingungen. Zwar ist im Wortlaut dieser Norm zunächst nur von Frauen und Männern die Rede. Doch der OGH – im Einklang mit europäischer Rechtsprechung – stellte klar, dass „Geschlecht“ im Rechtssinn nicht binär zu verstehen ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) fällt Transsexualität unter den Diskriminierungsgrund Geschlecht. Zudem schützt auch Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) die geschlechtliche Identität und Selbstbestimmung – und damit Personen, die sich weder der Kategorie „männlich“ noch „weiblich“ eindeutig zuordnen lassen. Folgerichtig ist § 1c VersVG verfassungskonform erweiternd dahingehend auszulegen, dass das Diskriminierungsverbot alle Geschlechter umfasst– also ausdrücklich auch transgeschlechtliche und intersexuelle Menschen* schützt.
Neben dem Versicherungsvertragsgesetz war hier das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) einschlägig. § 32 GlBG definiert, was unter Diskriminierung wegen des Geschlechts zu verstehen ist, und unterscheidet ebenfalls zwischen unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung. Auch daran gemessen war die Klausel klar unzulässig. Eine sachliche Rechtfertigung für den Leistungsausschluss – die einen solchen Unterschied ausnahmsweise legitimieren könnte – war weder ersichtlich noch von der Versicherung vorgebracht worden. Daher folgte aus dem Verstoß gegen das gesetzliche Diskriminierungsverbot unmittelbar die Nichtigkeit der Klausel.
Konsequenzen des Urteils für Österreich
Das OGH-Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der Versicherer und die Rechte der Versicherten in Österreich. Private Krankenversicherungen müssen nun ihre Geschäftsbedingungen überarbeiten. Klauseln, die bislang geschlechtsangleichende Behandlungen generell ausschließen, dürfen in dieser Form nicht weiterverwendet werden. Andernfalls laufen Versicherer Gefahr, von Verbraucherverbänden oder betroffenen Personen verklagt zu werden. Faktisch bedeutet das Urteil, dass medizinisch notwendige Geschlechtsangleichungen (Operationen, Hormonbehandlungen etc.) vom privaten Krankenversicherungsschutz umfasst sein müssen, sofern eine entsprechende Krankenkostenversicherung besteht. Trans- und intergeschlechtliche Versicherte gewinnen durch die Entscheidung an Rechtssicherheit: Ihnen darf die Kostenübernahme für notwendige Behandlungen nicht mehr pauschal verweigert werden. Sollte eine Versicherung sich dennoch auf eine solche (nun unwirksame) Klausel berufen und die Leistung verweigern, haben Betroffene gute Chancen, ihren Anspruch gerichtlich durchzusetzen.
Darüber hinaus setzt das Urteil ein gesellschaftliches Signal: Es unterstreicht, dass Diskriminierung wegen der Geschlechtsidentität auch im Privatrecht nicht toleriert wird. Insbesondere in einer Zeit, in der Transgender-Rechte teils politisch infrage gestellt werden, ist diese höchstrichterliche Klarstellung wichtig. Der OGH zeigt deutlich, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung schwerer wiegt als etwaige wirtschaftliche Erwägungen der Versicherungswirtschaft.
Bedeutung für Deutschland: § 19 AGG und § 138 BGB
Auch wenn das Urteil direkt nur in Österreich gilt, verdient es besondere Beachtung in Deutschland. Die deutsche Rechtslage ist der österreichischen in diesem Bereich sehr ähnlich. Hier verbietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechts – wozu nach überwiegender Auffassung auch die geschlechtliche Identität gehört – bei zivilrechtlichen Versicherungsverträgen. Versicherer dürfen also auch nach deutschem Recht niemanden wegen seines Geschlechts schlechter stellen. Eine Klausel, die beispielsweise geschlechtsangleichende Behandlungen vom Versicherungsschutz ausnimmt, wäre sehr wahrscheinlich als mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts einzustufen.
Die rechtlichen Folgen eines solchen Verstoßes wären in Deutschland vergleichbar drastisch: Eine diskriminierende Vertragsbedingung hielte einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Im Einzelnen gilt: Führt eine Vertragsklausel zu einer unzulässigen Benachteiligung im Sinne des AGG, ist sie – wenn individuell ausgehandelt – nach § 138 BGB (Verstoß gegen die guten Sitten) nichtig; handelt es sich um eine vorformulierte Klausel (AGB), ist sie nach § 307 BGB unwirksam. In beiden Fällen hätte die Klausel also keine rechtliche Wirkung, und der Versicherer könnte sich ihr gegenüber demder Versicherten nicht erfolgreich berufen. Darüber hinaus begründet das AGG bei Diskriminierungen Schadensersatzansprüche* (§ 21 AGG) für die benachteiligte Person. Ein Versicherungsunternehmen, das Transpersonen pauschal Leistungen vorenthält, müsste also mit rechtlichen Konsequenzen bis hin zu Entschädigungszahlungen rechnen.
Zwar ist ein derart expliziter Ausschluss von Geschlechtsumwandlungen in deutschen Versicherungsbedingungen bislang wenig bekannt – was auch daran liegen mag, dass seit einigen Jahren Unisex-Tarife und Gleichbehandlung im Versicherungswesen EU-weit Standard sind. Sollte aber doch eine Versicherung versuchen, Leistungen für Transitionsmaßnahmen kategorisch auszuschließen, würde dies mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen § 19 AGG verstoßen. Hinzu kommt, dass ein derartig diskriminierendes Vertragskonstrukt wohl auch gegen die guten Sitten verstieße, also § 138 BGB tangieren würde. Denn die allgemeine Wertordnung – geprägt durch das Grundgesetz und einfachgesetzliche Verbote – lässt Benachteiligungen aufgrund persönlicher Merkmale wie des Geschlechts heute nicht mehr zu.
Das österreichische OGH-Urteil vom 07.08.2025 ist ein wichtiger Schritt für die Rechte von trans und inter Personen im Versicherungsrecht. Es stellt klar, dass Versicherer keine Schlupflöcher nutzen dürfen, um bestimmte Personengruppen vom Schutz auszunehmen. Diese Klarstellung hat Strahlkraft über Österreich hinaus. Auch in Deutschland sollten Versicherer und Versicherte aufmerksam sein: Gleichbehandlung ist im Versicherungsvertrag keine bloße Formsache, sondern bindende Pflicht. Diskriminierende Klauseln – ob offen oder versteckt – haben vor Gericht keinen Bestand. Versicherer sind gut beraten, ihre Bedingungen entsprechend (weiter) zu prüfen. Versicherte wiederum sollten ihre Rechte kennen: Wer sich durch Vertragsklauseln benachteiligt fühlt, kann sich auf das AGG berufen und im Zweifel rechtlichen Rat einholen. So trägt dieses Urteil letztlich zur Sensibilisierung für Antidiskriminierung im Privatleben bei – ein Gewinn für die Versicherten und ein wichtiger Impuls für gleichberechtigte Teilhabe.