Wer seine Stelle kündigt, steht oft vor der Frage: Muss ich bis zum letzten Tag weiterarbeiten oder kann ich mich während der Kündigungsfrist krankschreiben lassen? Hier ist entscheidend, zwischen „krank sein“ (tatsächlicher Erkrankung) und „krank machen“ (vorgeblicher Erkrankung) zu unterscheiden – zwei grundverschiedene Dinge. Im Folgenden erklären wir die rechtlichen Grundlagen, zeigen anhand eines aktuellen Falls aus Mecklenburg-Vorpommern die Rechtsprechung auf und geben praktische Tipps für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dabei wird deutlich, wo die arbeitsrechtlichen Leitplanken verlaufen und welche Risiken drohen, wenn man versucht, die Kündigungsfrist durch Krankfeiern zu überbrücken.
Rechtliche Grundlagen: Lohnfortzahlung und Krankmeldung
Grundsätzlich gilt im Arbeitsrecht: Wer krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist, muss nicht arbeiten und hat Anspruch auf Lohnfortzahlung. Gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) erhält ein Arbeitnehmer bis zu sechs Wochen lang den vollen Lohn weiter, wenn ihn keine Schuld an der Erkrankung trifft. Voraussetzung ist, dass das Arbeitsverhältnis bereits mindestens 4 Wochen besteht und der Arbeitnehmer seiner Anzeigepflicht nachkommt – d. h. den Arbeitgeber unverzüglich über die Arbeitsunfähigkeit informiert und spätestens am dritten Krankheitstag ein ärztliches Attest (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, kurz AU) vorlegt (oder früher, falls der Arbeitgeber dies verlangt).
Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzliche Beweismittel dafür, dass jemand krankheitsbedingt nicht arbeiten kann. Einem solchen „gelben Schein“ kommt ein hoher Beweiswert zu. Das bedeutet: Der Arbeitgeber muss die bescheinigte Krankheit im Regelfall akzeptieren und Lohnfortzahlung leisten, solange keine konkreten Zweifel an der Echtheit bestehen. Bloße Vermutungen oder ein ungutes Bauchgefühl reichen nicht, um die Aussagekraft einer AU zu erschüttern. Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber: Er muss substantielle Umstände darlegen und notfalls beweisen, die ernsthafte Zweifel an der attestierten Erkrankung begründen. Gelingt ihm das nicht, bleibt der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers bestehen.
Während der Kündigungsfrist (also nach Ausspruch einer Kündigung durch Arbeitnehmer oder Arbeitgeber) gelten diese Grundsätze unverändert. Es gibt keine Pflicht, „auf Teufel komm raus“ gesund zur Arbeit zu erscheinen, wenn man tatsächlich erkrankt ist. Erkrankt ein Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist, darf er selbstverständlich zu Hause bleiben und wird weiterhin bezahlt, genau wie sonst auch. Der zeitliche Zusammenhang mit einer Kündigung ändert daran nichts – weder der Wochentag, an dem die Krankheit endet, noch die Länge der verbleibenden Kündigungsfrist spielt zunächst eine Rolle. Wichtig ist allein, dass tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt und diese ärztlich bescheinigt wurde.
Gerichtsurteile: Krankschreibung in der Kündigungsfrist am Beispiel Mecklenburg-Vorpommern
Ein aktueller Fall vor den Arbeitsgerichten in Mecklenburg-Vorpommern verdeutlicht, wie die Rechtsprechung solche Konstellationen bewertet. Was war geschehen? Ein angestellter Assistenzarzt hatte am 28. Februar 2022 selbst fristgerecht zum 31. März gekündigt. Zunächst arbeitete er noch etwa zwei Wochen normal weiter. Dann legte er eine ärztliche AU-Bescheinigung vor, die exakt bis zum letzten Tag der Kündigungsfrist (31. März) seine Arbeitsunfähigkeit attestierte. Für den Zeitraum vom 14. bis 31. März erschien der Arzt also nicht mehr zur Arbeit.
Der Arbeitgeber hegte von Anfang an Zweifel an der Echtheit der Erkrankung und verweigerte die Lohnfortzahlung für die Zeit der Krankschreibung. Er führte mehrere Indizien an, die für eine „geplante“ Krankmeldung sprechen sollten: Der Arbeitsplatz des Arztes sei ungewöhnlich aufgeräumt gewesen, persönliche Gegenstände waren bereits entfernt, und der Mitarbeiter habe sogar schon seinen Schlüssel abgegeben – alles Anzeichen dafür, dass er nicht mehr zurückzukommen plante. Außerdem ende die Krankschreibung auffällig genau mit dem letzten Tag des Arbeitsverhältnisses. Aus Sicht des Arbeitgebers deutete dies darauf hin, der Arzt könnte gar nicht wirklich krank gewesen sein, sondern habe bewusst „blau gemacht“, um die Restzeit freizuhaben.
Der Fall landete vor Gericht, und zwar zunächst beim Arbeitsgericht Stralsund. In erster Instanz bekam der Arzt Recht: Das Gericht entschied, dass der Arbeitgeber den Lohn für die Zeit der Krankschreibung zahlen muss. Entscheidend war, dass der Arzt eine ordnungsgemäße ärztliche Bescheinigung vorgelegt hatte und die gesetzlichen Voraussetzungen für die Entgeltfortzahlung erfüllt waren. Das Entgeltfortzahlungsgesetz schreibt klar vor, dass bei nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich ein Lohnfortzahlungsanspruch besteht. Einer ärztlichen AU-Bescheinigung kommt ein starker Beweiswert zu; vage Vermutungen des Arbeitgebers genügen nicht, um diesen Beweiswert zu erschüttern. Mit anderen Worten: Solange kein handfester Gegenbeweis vorliegt, muss der Arbeitgeber zahlen.
Der Arbeitgeber akzeptierte dieses Urteil nicht und ging in Berufung. Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern unterlag er jedoch erneut. Die zweite Instanz bestätigte das erstinstanzliche Urteil und wies die Berufung zurück. Auch das LAG befand, dass die vorgebrachten Verdachtsmomente keinen echten Beweis für eine vorgetäuschte Krankheit darstellten. Die Richter überprüften die Indizien im Detail und ordneten sie rechtlich ein:
- Ein aufgeräumter Arbeitsplatz sei kein Indiz für Simulation, betonte das Gericht – viele Beschäftigte halten ihren Schreibtisch generell frei von Privatsachen, zumal hier ein Büro von mehreren Personen genutzt wurde.
- Dass die AU-Bescheinigung an einem Donnerstag (dem letzten Tag der Kündigungsfrist) endete, sei ebenfalls unerheblich – maßgeblich ist der Inhalt der Bescheinigung, nicht der Wochentag.
Unterm Strich stellte das LAG klar: Der objektive Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung überwiegt subjektive Eindrücke. Solange es keine konkreten und substanziellen Gegenbeweise gibt, bleibt die Krankschreibung ausschlaggebend – und damit besteht auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung fort. Verdacht allein ist kein Beweis.
Dieser Fall aus Mecklenburg-Vorpommern zeigt exemplarisch, wie hoch die Hürden für Arbeitgeber sind, eine Krankschreibung in der Kündigungsfrist anzufechten. Allgemeine Mutmaßungen oder zeitliche Auffälligkeiten reichen nicht aus. Nur wenn der Arbeitgeber handfeste Tatsachen vorlegen kann, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen, kann er den Beweiswert der AU erschüttern und die Lohnzahlung verweigern. Im konkreten Fall genügten weder das „passende“ Enddatum der Krankheit noch die aufgeräumte Büroumgebung als Belege – der Arzt bekam sein volles Gehalt für die Krankheitszeit.
Hinweis: In einem ähnlichen Fall hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) jüngst bekräftigt, dass eine passgenaue Krankschreibung bis zum Ende der Kündigungsfrist in Verbindung mit einem unmittelbar folgenden neuen Job durchaus ein starkes Indiz für eine Scheinerkrankung sein kann. Eine solche zeitliche Koinzidenz kann den Beweiswert der AU erschüttern – mit der Folge, dass dann der Arbeitnehmer beweisen muss, tatsächlich krank gewesen zu sein. Der Ausgang hängt also immer von den Gesamtumständen des Einzelfalls ab. Im Regelfall genießen Arbeitnehmer aber den beschriebenen Vertrauensschutz durch die AU-Bescheinigung.
Praktische Tipps für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Für Arbeitnehmer gilt: Wenn Sie während Ihrer Kündigungsfrist wirklich krank werden, dürfen Sie selbstverständlich zuhause bleiben. Arbeiten trotz Krankheit müssen Sie nicht, nur weil das Arbeitsverhältnis bald endet. Sorgen um Ihren Lohn brauchen Sie sich in diesem Fall nicht zu machen: Bei echter Arbeitsunfähigkeit besteht Ihr Anspruch auf Entgeltfortzahlung weiter – unabhängig davon, wie „passend“ oder zufällig das Krankheitsende mit dem letzten Arbeitstag zusammenfällt. Wichtig ist, dass Sie die Arbeitsunfähigkeit sofort melden und sich vom Arzt eine AU-Bescheinigung ausstellen lassen. Halten Sie alle formalen Vorgaben Ihres Arbeitsvertrags ein (z. B. rechtzeitiges Einreichen der Krankmeldung). Bewahren Sie Kopien der Bescheinigung auf, falls es später Nachfragen gibt.
Seien Sie sich aber auch bewusst: Wenn die Krankschreibung genau mit der Kündigungsfrist deckungsgleich ist oder andere Umstände ungewöhnlich erscheinen, könnte Ihr Arbeitgeber misstrauisch werden. Das heißt nicht, dass Sie bei echter Krankheit arbeiten gehen sollen – sondern lediglich, dass Sie im Streitfall eventuell zusätzliche Nachweise erbringen müssen. Bleiben Sie daher stets ehrlich: „Krank machen“ als taktisches Manöver ist hochriskant und nicht zu empfehlen. Wenn Sie die Arbeit in der Kündigungszeit nicht mehr schaffen (z. B. aus Überlastung oder psychischem Stress, ohne formell krank zu sein), suchen Sie lieber das Gespräch mit dem Arbeitgeber. Oft lassen sich Lösungen finden – etwa eine Freistellung während der Kündigungsfrist oder der Abbau von Resturlaubstagen –, anstatt auf fragwürdige Weise zu fehlen.
Für Arbeitgeber gilt: Begegnen Sie Krankmeldungen in der Kündigungsfrist zunächst mit der gleichen Sorgfalt wie sonst auch. Grundsätzlich sollten Sie davon ausgehen, dass eine vorgelegte AU gültig ist, und Lohnfortzahlung leisten, solange kein konkreter Anlass zu Zweifel besteht. Übereilte Verdächtigungen schaden dem Betriebsfrieden und können juristisch nach hinten losgehen. Dennoch sind Sie nicht völlig wehrlos, wenn Sie ernsthafte Anhaltspunkte für Missbrauch haben. In einem solchen Fall müssen Sie aber sehr sorgfältig dokumentieren und begründen, warum Sie an der Arbeitsunfähigkeit zweifeln. Mögliche Schritte für Arbeitgeber bei Verdacht:
- Gespräch suchen: Fragen Sie den Arbeitnehmer (respektvoll) nach seinem Befinden und weisen Sie – ohne Unterstellung – auf die Auffälligkeiten hin. Manchmal klärt sich ein Verdacht im Gespräch oder der Mitarbeiter bietet selbst eine Lösung an (z. B. vorzeitiger Austritt).
- Medizinischen Dienst einschalten: Sie können bei der Krankenkasse des Arbeitnehmers eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst anregen (§ 275 SGB V). Dieser kann die Arbeitsunfähigkeit medizinisch begutachten, wenn berechtigte Zweifel bestehen.
- Detektiv oder Beweise sammeln: In Extremfällen (etwa bei Verdacht auf gleichzeitige Aufnahme einer neuen Beschäftigung während der Krankschreibung) ziehen manche Arbeitgeber Privatdetektive hinzu oder sammeln anderweitig Belege. Beachten Sie hierbei aber die Verhältnismäßigkeit und datenschutzrechtliche Grenzen.
- Rechtlich beraten lassen: Konsultieren Sie frühzeitig einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, bevor Sie die Lohnfortzahlung verweigern oder arbeitsrechtliche Schritte einleiten. So stellen Sie sicher, dass Ihr Vorgehen juristisch haltbar ist.
Verweigern Sie die Entgeltfortzahlung nur dann, wenn Sie wirklich handfeste Indizien haben, die vor Gericht Bestand hätten. Beispielsweise kann es ein starkes Indiz sein, wenn der Mitarbeiter nahtlos nach der Kündigungsfrist woanders zu arbeiten beginnt und die Krankschreibung passgenau bis zum letzten Tag lief – wie im oben genannten BAG-Urteil festgestellt. Selbst dann entfällt der Lohnanspruch nicht automatisch, aber Sie können den Beweiswert der AU erschüttern und der Ball liegt dann beim Arbeitnehmer. Ohne substantielle Anhaltspunkte dagegen sollten Sie von Aktionen wie einer vorenthaltenen Lohnzahlung oder einer Kündigung auf Verdacht absehen – diese wären in der Regel unwirksam und Sie müssten am Ende doch zahlen. Im Zweifel gilt: Erst Beweise sichern, dann handeln.
Risiken und Konsequenzen: „Krank machen“ ist kein Kavaliersdelikt
Arbeitnehmer sollten keinesfalls glauben, dass „krank machen“ eine legitime Abkürzung sei, um die Kündigungsfrist zu umgehen. Wer ohne tatsächliche Krankheit eine AU erschleicht und Lohnfortzahlung kassiert, begeht Betrug – in der Regel erfüllt ein solches Verhalten den Straftatbestand des Betrugs (§ 263 StGB). Der Schaden entsteht zunächst beim Arbeitgeber, der Gehalt zahlt, ohne eine Arbeitsleistung zu erhalten. Häufig kommt noch ein weiterer Schaden hinzu, weil viele Arbeitgeber (insbesondere kleinere Betriebe) sich einen Teil des fortgezahlten Lohns von der Krankenkasse erstatten lassen (U1-Umlage). Wer also ohne krank zu sein eine AU einreicht, schädigt mittelbar auch die Krankenkasse, die unnötig zahlt – das strafrechtliche Risiko verdoppelt sich dadurch beinahe. Im Klartext: „Krank feiern“ kann ernste strafrechtliche Folgen haben.
Auch arbeitsrechtlich drohen gravierende Konsequenzen. Wird ein Arbeitnehmer beim Vortäuschen einer Erkrankung erwischt, muss er mit fristloser Kündigung rechnen. Eine vorherige Abmahnung ist in einem solchen Fall in der Regel entbehrlich, da es sich um einen schweren Vertrauensbruch handelt. Zudem kann der Arbeitgeber den bereits gezahlten Lohn für die Scheinkrankheitszeit zurückfordern. Kommt es ganz hart, können sogar Schadensersatzforderungen entstehen, etwa wenn durch die Fake-Krankheit zusätzliche Kosten im Betrieb verursacht wurden. Nicht zuletzt macht man sich im Team und in der Branche einen schlechten Ruf – der Vertrauensverlust wiegt schwer und Referenzen könnten leiden.
Aber auch Arbeitgeber gehen ein Risiko ein, wenn sie vorschnell von „Krankmachen“ ausgehen. Ohne ausreichende Beweise eine Lohnzahlung einzubehalten oder eine Kündigung auszusprechen, ist rechtlich meist nicht haltbar. Verliert der Arbeitgeber den Rechtsstreit, muss er die einbehaltene Vergütung nachzahlen und ggf. Verzugszinsen leisten. Eine unbegründete Verdachtskündigung kann als ungerechtfertigte Entlassung angesehen werden, was Schadensersatzansprüche (z. B. entgangenes Gehalt, Prozesskosten) nach sich ziehen kann. Zudem könnte der vorschnelle Umgang mit Krankmeldungen das Betriebsklima beeinträchtigen – andere Mitarbeiter fühlen sich möglicherweise unter Generalverdacht gestellt. Arbeitgeber sollten daher sehr genau abwägen, bevor sie drastische Maßnahmen ergreifen.
Fazit: „Krank sein“ und „krank machen“ sind strikt voneinander zu trennen. Wer tatsächlich krank ist – auch in der Kündigungsfrist – genießt den vollen Schutz des Entgeltfortzahlungsrechts und darf ohne Nachteile zuhause bleiben. „Krank machen“ hingegen ist keine erlaubte Abkürzung, sondern ein riskantes und rechtswidriges Verhalten mit potenziell drastischen Folgen. Der besprochene Fall des Assistenzarztes zeigt, dass die Gerichte im Zweifel auf Seiten des Arbeitnehmers stehen, solange eine ordnungsgemäße AU vorliegt und nur Vermutungen im Raum stehen. Das schafft Sicherheit für ehrlich erkrankte Beschäftigte und mahnt Arbeitgeber, im Umgang mit Kündigungskrankschreibungen besonnen vorzugehen. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass „Blaumachen“ toleriert wird – hält man sich an die klare Trennlinie zwischen echter Krankheit und vorgetäuschter, vermeidet man Konflikte und bleibt auf der rechtlich sicheren Seite.
Für Arbeitnehmer und Arbeitgeber heißt das gleichermaßen: Fairness und Vertrauen sind essenziell. Das System der Lohnfortzahlung beruht auf dem Vertrauensgrundsatz in ärztliche Atteste. Wird dieses Vertrauen missbraucht, stehen wirksame juristische Mittel bereit – doch ohne greifbare Anhaltspunkte dieses Vertrauen zu zerstören, schadet letztlich beiden Seiten. Halten sich alle Beteiligten an die Spielregeln, kommt man ohne böse Folgen durch die Kündigungsfrist.