Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat in einem Beschluss vom 26.08.2025 (Az.: 2 ORs 96/25) einen Fall entschieden, in dem ein Rechtsanwalt zuerst als Mediator in einer Ehekrise auftrat und anschließend die Vertretung des Ehemanns übernahm. Dieses Verhalten bewertete das Gericht als schwerwiegenden Verstoß gegen anwaltliche Berufspflichten und zugleich als Straftat. Der Anwalt wurde wegen Parteiverrats förmlich verwarnt und muss 4.000 Euro an die Staatskasse zahlen. Im folgenden Rechtstipp erläutern wir ausführlich den Sachverhalt, die rechtlichen Hintergründe, die Entscheidung des Gerichts sowie die Konsequenzen – und geben Hinweise für Anwälte und Mandanten, was aus diesem Fall zu lernen ist.
1. Sachverhalt und rechtliche Hintergründe
Im Oktober 2018 geriet die Ehe eines Paares in eine schwere Krise. Die schwangere Ehefrau musste die gemeinsame Wohnung verlassen und wollte in der Folge einige persönliche Gegenstände aus dem Haushalt abholen. Ein Rechtsanwalt bot sich der Frau in dieser Situation als „allseitiger“ und unabhängiger Mediator an, um zwischen ihr und ihrem Ehemann zu vermitteln. Beide Ehepartner willigten in diesen Vermittlungsversuch ein. In einem etwa 90-minütigen Gespräch schilderte die Frau dem Anwalt detailliert ihre Sicht der Eheprobleme und erklärte, welche Gegenstände sie dringend aus der Wohnung benötigte. Eine Einigung kam jedoch nicht zustande: Der Ehemann bestand auf einer „Gesamtlösung“ aller Streitfragen und verweigerte der Frau die Abholung einzelner Sachen.
Ohne Ergebnis endete die Mediation – doch damit nicht die Rolle des Anwalts. Im späteren Scheidungsverfahren der Eheleute zeigte derselbe Anwalt im Januar 2021 an, dass er nun als Rechtsanwalt den Ehemann vertrete, und beantragte Akteneinsicht. Mit anderen Worten: Der vormalige Mediator schlug sich auf die Seite des Mannes und trat als dessen Parteivertreter auf. Nachdem die Ehefrau bzw. ihr neuer Anwalt dieses Vorgehen beanstandet hatte, erteilte die zuständige Rechtsanwaltskammer dem Mediator-Anwalt eine Rüge (förmliche Missbilligung). Daraufhin legte der Anwalt das Mandat für den Ehemann nieder und trat aus dem Scheidungsverfahren zurück.
Rechtlicher Hintergrund: Ein solcher Rollenwechsel vom neutralen Vermittler zum Interessenvertreter ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen verletzt er die Neutralitätspflicht des Mediators. Ein Mediator muss unabhängig und allparteilich sein, d.h. er darf keine Partei bevorzugen oder benachteiligen. Diese Pflicht ist ausdrücklich im Mediationsgesetz festgeschrieben. In § 3 Abs. 2 Satz 2 MediationsG heißt es: „Der Mediator darf auch nicht während oder nach der Mediation für eine Partei in derselben Sache tätig werden.“. Genau gegen dieses Verbot hat der Anwalt im geschilderten Fall verstoßen. Indem er zunächst beiden Parteien als Vermittler diente und dann einen Seitenwechsel vornahm, widersprach er in besonderem Maße dem Gebot der Neutralität eines Mediators.
Zum anderen verstößt dieses Verhalten gegen die anwaltlichen Berufspflichten. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unterliegen dem strikten Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten. Dieser Grundsatz ist in § 43a Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) sowie § 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) verankert. Er besagt, dass ein Rechtsanwalt nicht gleichzeitig oder nacheinander beide Seiten in derselben Angelegenheit beraten oder vertreten darf, wenn sich deren Interessen zumindest teilweise entgegenstehen. Eine solche Interessenkollision ist z.B. gegeben, wenn – wie hier – derselbe Lebenssachverhalt betroffen ist, auch wenn es formal verschiedene Verfahren sind. Im vorliegenden Fall ging es sowohl in der gescheiterten Mediation als auch im Scheidungsverfahren um den Kern des ehelichen Konflikts zwischen denselben Personen. Der Anwalt hatte also aus seiner früheren neutralen Tätigkeit Informationen und Einblicke, die ihn nun bei der Vertretung einer Seite begünstigen konnten. Das anwaltliche Berufsrecht untersagt ein solches Vorgehen kategorisch, um das Vertrauen beider Parteien und die Integrität der Anwaltschaft zu schützen.
Schließlich sieht sogar das Strafrecht für solch ein Verhalten Konsequenzen vor. § 356 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) stellt den sogenannten Parteiverrat unter Strafe. Vereinfacht gesprochen begeht ein Anwalt Parteiverrat, wenn er „in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient“. Genau das ist hier geschehen: Der Anwalt hat in derselben Angelegenheit (dem ehelichen Konflikt) zunächst beiden Seiten gedient (als Mediator) und sich dann parteiisch auf eine Seite geschlagen. Damit hat er seinen Pflichten gegenüber der anderen Partei zuwidergehandelt – ein Verhalten, das nicht nur disziplinarisch, sondern eben auch strafrechtlich verfolgt werden kann. Anwälte dürfen zwar grundsätzlich auch als Mediatoren tätig sein, da sie in dieser Rolle nicht einseitig eine Partei vertreten, sondern von allen Konfliktparteien gemeinsam zur Vermittlung beauftragt werden. Das widerspricht an sich noch nicht dem Verbot widerstreitender Interessen. Entscheidend ist aber die strikte Trennung der Rollen: Sobald der Anwalt nach einer Mediation zugunsten einer Partei als Rechtsbeistand auftritt, überschreitet er die Grenze des Zulässigen. Dann liegt ein klarer Pflichtverstoß vor – und, wie in diesem Fall, der Straftatbestand des Parteiverrats.
2. Die Entscheidung des Gerichts im Detail
Strafverfahren und Urteil: Der betroffene Anwalt wurde wegen Parteiverrats angeklagt. Das Amtsgericht Springe sprach ihn am 18.07.2023 schuldig. Es erteilte ihm eine Verwarnung und behielt eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 130 € vor. Diese Verwarnung mit Strafvorbehalt bedeutet, dass die Geldstrafe vorerst nicht vollstreckt wird – jedoch unter der Maßgabe, dass der Anwalt sich künftig bewähren muss. Das Amtsgericht setzte eine Bewährungszeit von einem Jahr fest und erlegte dem Anwalt bestimmte Auflagen. So musste er beispielsweise jeden Wohnsitz- oder Aufenthaltswechsel der Behörde anzeigen.
Gegen das Amtsgerichtsurteil legte der Anwalt Berufung ein, jedoch ohne Erfolg. Das Landgericht Hannover verwarf am 28.10.2024 die Berufung und bestätigte den Schuldspruch. Gleichzeitig verschärfte das Landgericht die Bewährungsauflagen: In einem neuen Bewährungsbeschluss wurde dem Anwalt zusätzlich die Zahlung eines Betrags in Höhe von 4.000 € an die Staatskasse auferlegt. Diese Zahlung stellt keine eigentliche Strafe dar, sondern eine besondere Auflage im Rahmen der Bewährung – quasi eine spürbare Sanktion, die der Wiedergutmachung und dem Denkzettel dienen soll. Der übrige Inhalt der Bewährungsentscheidung blieb wie vom Amtsgericht festgelegt.
Der Anwalt gab sich damit nicht zufrieden und zog den Fall in die Revision vor das OLG Celle. Er wandte sich sowohl gegen den Schuldspruch als auch gegen die 4.000-€-Zahlungsauflage. Das OLG Celle wies jedoch sowohl die Revision als auch die Beschwerde gegen den Bewährungsbeschluss vollumfänglich zurück. Damit ist das Urteil rechtskräftig: Der Schuldspruch wegen Parteiverrats und die verhängten Maßnahmen wurden höchstrichterlich bestätigt.
Begründung des OLG: Das Oberlandesgericht erläuterte in seinem Beschluss detailliert, warum das Verhalten des Anwalts den Straftatbestand des Parteiverrats erfüllt. Zunächst stellte der 2. Strafsenat klar, dass die Tätigkeit als Mediator hier als Teil der anwaltlichen Berufsausübung zu betrachten ist. § 356 StGB richtet sich ausdrücklich gegen Anwälte oder Rechtsbeistände – und ein Anwalt, der als Mediator auftritt, handelt gleichwohl in Ausübung seines Berufs. Sobald er faktisch mit der Vermittlung zwischen den Parteien betraut wurde, zählte er in dieser Sache als „anwaltlich tätig“. Damit war eine wichtige Voraussetzung des Tatbestands gegeben. Der Mediator-Anwalt hat “für beide Seiten” gearbeitet, was seiner Stellung als neutraler Vermittler entgegensteht. Dieses beidseitige Tätigwerden wertete das Gericht als objektiv pflichtwidrig. Es sah darin einen eklatanten Verstoß gegen die Unabhängigkeit und Neutralität, die von einem Mediator erwartet wird. Folgerichtig hatte der Senat keine Zweifel an der Strafbarkeit: Die Verurteilung wegen Parteiverrats (§ 356 Abs. 1 StGB) wurde vom OLG nicht beanstandet, sondern ausdrücklich gebilligt.
Ein zentraler Aspekt war, ob es sich bei der Mediation und dem anschließenden Scheidungsverfahren um dieselbe Rechtssache im Sinne des § 356 StGB handelte. Der Anwalt argumentierte möglicherweise, es seien verschiedene Angelegenheiten (Mediationsgespräch vs. Scheidungsverfahren). Das OLG hingegen stellte klar, dass es hier um denselben Kernkonflikt ging. Maßgeblich sei nicht die formale Identität der Verfahren oder Ansprüche, sondern ob zumindest teilweise derselbe Lebenssachverhalt betroffen ist. Im vorliegenden Fall drehten sich sowohl die Mediationsbemühungen als auch der später vor Gericht ausgetragene Streit um die ehelichen und häuslichen Verhältnisse des Paares – mithin um denselben Kern des Konflikts. Damit lag eine einheitliche Rechtssache vor, in der der Anwalt zuerst beiden Parteien und dann einer Partei diente. Diese Auslegung entspricht auch der üblichen Definition einer Interessenkollision: Schon die Überschneidung in Teilen des Sachverhalts genügt, um von widerstreitenden Interessen in derselben Angelegenheit zu sprechen.
Das OLG befasste sich auch mit den Einwänden des Anwalts. Dieser hatte zu seiner Verteidigung vorgebracht, er habe die frühere Mediation zum Zeitpunkt der Mandatsübernahme im Jahr 2021 gar nicht mehr präsent gehabt – insbesondere weil seitdem zweieinhalb Jahre vergangen und er zwischenzeitlich die Kanzlei gewechselt hatte. Mit anderen Worten behauptete er, er habe versehentlich gehandelt, ohne sich der früheren Neutralitätsposition bewusst zu sein. Das Gericht ließ diese Argumentation nicht gelten. Zum einen, so der Senat, könne bereits aus den objektiven Umständen der Tat naheliegend auf einen Vorsatz geschlossen werden – der Anwalt wusste oder hätte wissen müssen, dass er beide Parteien in derselben Sache bedient, und es sei nicht erforderlich, im Urteil jedes theoretische Gegenargument explizit zu diskutieren. Zum anderen bewertete das OLG die Behauptung des Anwalts als unerheblich für das Revisionsverfahren. Ob er sich persönlich nicht mehr erinnerte, sei ein „urteilsfremdes Vorbringen“ und für die rechtliche Beurteilung ohne Belang. Entscheidend war objektiv, dass er die Grenzen seiner Rolle überschritten hatte – Erinnerungslücken schützen vor Strafe also nicht.
Schließlich bestätigte das OLG auch den vom Landgericht verhängten Zahlungsauflage von 4.000 €. Die Verteidigung monierte, dies stelle eine unzulässige Verschärfung des Urteils dar (da das Amtsgericht die Zahlung nicht angeordnet hatte). Doch das OLG erklärte, dass eine solche Auflage im Rahmen einer Verwarnung mit Strafvorbehalt gesetzlich vorgesehen und zulässig ist. Die Zahlung an die Staatskasse diene dem „Genugtuungsinteresse“ der Allgemeinheit und solle eine fühlbare finanzielle Belastung für den Verwarnten darstellen. Höchstrichterlich sei zudem bereits geklärt, dass das sogenannte Verschlechterungsverbot (§ 331 StPO – Verbot der reformatio in peius) hier nicht greift. Das heißt: Obwohl nur der Anwalt Revision eingelegt hatte, durfte das Landgericht im neuen Bewährungsbeschluss die Auflage verschärfen, da diese Maßnahme nicht als eigentliche „Strafe“ im Sinne des Verbots gilt. Somit wurde auch die 4.000-€-Zahlung vom OLG gebilligt.
Zusammengefasst hat das OLG Celle durch seinen Beschluss die vorherigen Urteile bestätigt und klar signalisiert, dass ein solcher Treuebruch gegenüber einer (ehemals) betreuten Partei konsequent sanktioniert wird – strafrechtlich wie berufsrechtlich.
3. Berufsrechtliche Maßstäbe für Mediatoren und Anwälte
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Maßstäbe, die für Anwälte (insbesondere als Mediatoren) gelten. Kernprinzip ist das bereits erwähnte Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten. Dieser Grundsatz gehört zu den fundamentalsten Pflichten eines Anwalts und soll das Vertrauen der Rechtssuchenden in die Integrität der Anwaltschaft schützen. Verstößt ein Anwalt dagegen, untergräbt das das Vertrauen der Allgemeinheit in den Berufsstand. Daher gilt: Ein Anwalt darf niemals zwei Herren in derselben Angelegenheit dienen. Er muss sich für eine Seite entscheiden – oder neutral bleiben – aber nicht beides.
Für Anwälte als Mediatoren gelten in solchen Konstellationen besondere Regeln, die eine strikte Rollenabgrenzung verlangen. Wie oben erwähnt, bestimmt § 3 MediationsG ausdrücklich, dass ein Mediator nicht im selben Fall parteiisch tätig werden darf – weder während der Mediation noch danach. Allparteilichkeit (Neutralität gegenüber allen Beteiligten) ist das oberste Gebot der Mediation. Ein Rechtsanwalt, der als Mediator auftritt, darf daher zu keinem Zeitpunkt in diesem Konflikt als Anwalt einer Partei agieren. Selbst wenn die Mediation scheitert und keine Einigung erzielt wird, bleibt diese Sperre bestehen: Der einstige Mediator muss sich aus der Sache zurückziehen und darf keinen der ehemaligen Medianden als Mandanten annehmen. Dies gilt auch für Sozien bzw. andere Anwälte derselben Kanzlei – denn andernfalls könnte man das Verbot leicht unterlaufen, indem ein Kollege das Mandat übernimmt.
Die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) schreibt ebenfalls vor, dass Anwälte in einem Mediationsverfahren ihre Rolle klarstellen müssen. Ein sogenannter Anwaltsmediator sollte gegenüber den Parteien unmissverständlich offenlegen, dass er in der Funktion als neutraler Vermittler und nicht als Rechtsberater einer Partei agiert. In der Praxis wird empfohlen, dies vertraglich festzuhalten – etwa durch einen Mediationsvertrag, der die Rolle des Anwalts als Mediator definiert. So wird dokumentiert, dass der Anwalt nicht in Ausübung eines Parteiauftrags handelt, sondern als unabhängige Instanz zur Konfliktlösung. Diese Klarheit schützt alle Beteiligten: Die Parteien wissen, woran sie sind, und der Anwalt wahrt seine berufsrechtlichen Grenzen.
Berufsrechtlich ist zudem das sogenannte Vorbefassungsverbot zu beachten: War ein Anwalt in einer Sache schon für eine Partei tätig, darf er nicht zum Mediator in derselben Angelegenheit werden. Umgekehrt – war er Mediator – darf er nachträglich nicht als Parteivertreter tätig werden. Diese wechselseitigen Einschränkungen sollen sicherstellen, dass Interessenkonflikte gar nicht erst entstehen. Denn ein Mediator erhält oft vertrauliche Informationen von beiden Seiten, die ein normaler Parteianwalt der Gegenseite nie bekäme. Würde er später eine Seite vertreten, könnte er (bewusst oder unbewusst) dieses Wissen zu deren Vorteil und zum Nachteil der anderen Seite nutzen. Schon der Anschein einer solchen Vorteilsnahme soll vermieden werden.
Fazit aus berufsrechtlicher Sicht: Anwälte müssen äußerst sorgfältig prüfen, welche Rolle sie in einem Konflikt einnehmen und diese Rolle konsequent durchhalten. Wenn sie als Mediator auftreten, opfern sie damit das Recht, später einen der Beteiligten zu vertreten. Die einschlägigen Normen (BRAO, BORA, MediationsG) ziehen hier eine klare Linie. Ein Verstoß kann nicht nur eine berufsrechtliche Sanktion (z.B. Rüge, Geldbuße, im Extremfall sogar Zulassungsentzug) nach sich ziehen, sondern – wie der vorliegende Fall zeigt – auch strafrechtliche Konsequenzen. § 356 StGB sieht im Grundtatbestand eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor, was die Schwere solcher Pflichtverletzungen verdeutlicht. Damit ist klar: Das Verbot der Doppelrolle als Mediator und Parteianwalt in derselben Sache ist kein Formalismus, sondern eine zentrale Berufsregel im Interesse der Rechtspflege.
4. Folgen für den betroffenen Anwalt
Für den konkret betroffenen Anwalt hatte das Verhalten gravierende Konsequenzen. Zunächst einmal wurde er strafrechtlich verurteilt – was an sich schon ein äußerst unerfreuliches Ereignis im Lebenslauf eines Rechtsanwalts ist. Zwar blieb ihm eine Haftstrafe erspart, doch das Gericht verhängte eine Verwarnung mit Strafvorbehalt: 90 Tagessätze zu je 130 € Geldstrafe wurden für eine Bewährungszeit von einem Jahr vorbehalten. Dies bedeutet, dass der Anwalt innerhalb der Bewährungszeit keine weiteren Straftaten begehen und bestimmte Auflagen erfüllen muss, damit die Geldstrafe nicht vollstreckt wird. Zu den Auflagen gehörte in seinem Fall insbesondere, dass er jeden Wohnsitz- oder Aufenthaltswechsel den Behörden meldet. Außerdem wurde ihm per gerichtlicher Weisung auferlegt, 4.000 € an die Landeskasse zu zahlen. Diese Zahlung ist Teil der Bewährungsauflagen und musste innerhalb einer bestimmten Frist geleistet werden – sie soll einen spürbaren Einschnitt darstellen und dem Anwalt die Ernsthaftigkeit seines Verstoßes vor Augen führen. Sollte der Anwalt gegen die Bewährungsauflagen verstoßen oder sich in der Bewährungszeit erneut etwas zuschulden kommen lassen, könnte die ursprünglich vorbehaltene Geldstrafe (die 90 Tagessätze, entsprechend 11.700 €) nachträglich vollstreckt werden. Der Anwalt steht also unter Beobachtung: Er muss eine einjährige Bewährungsphase ohne weitere Zwischenfälle absolvieren, um keine härteren Konsequenzen zu riskieren.
Neben der strafrechtlichen Verurteilung hat der Anwalt auch berufsrechtlich Folgen zu tragen. Die Rechtsanwaltskammer hat sein Verhalten mit einer offiziellen Rüge beanstandet. Eine Rüge ist eine Disziplinarmaßnahme der Anwaltskammer, die ein Fehlverhalten feststellt und missbilligt. In der Regel wird sie in die Personalakte des Anwalts aufgenommen. Bereits diese Rüge führte dazu, dass der Anwalt – wie oben erwähnt – das Mandat im Scheidungsverfahren umgehend niederlegte. Für den weiteren Berufsweg bedeutet eine Rüge, dass der Anwalt bei zukünftigen Verfehlungen mit schärferen Sanktionen rechnen muss. Die Anwaltskammern überwachen die Einhaltung der Berufspflichten und können bei gravierenden oder wiederholten Verstößen ein förmliches Anwaltsgerichtsverfahren einleiten. In solchen Verfahren reichen die möglichen Maßnahmen von Geldbußen über befristete Tätigkeitsverbote bis hin zum Widerruf der Zulassung in extremen Fällen. Zwar ist ein einmaliger Parteiverrat, geahndet mit einer Geldstrafe, noch keine automatischer Grund für den Zulassungsentzug. Doch ein vorsätzliches Berufsvergehen, das sogar strafrechtlich sanktioniert wurde, stellt einen ernsthaften Makel dar. Es dürfte die Kammer veranlassen, den Anwalt künftighin genauer zu beobachten.
Darüber hinaus hat der Anwalt nun einen Eintrag im Bundeszentralregister (dem Strafregister). Auch wenn es sich „nur“ um eine Geldstrafe auf Bewährung handelt, bleibt die Verurteilung wegen eines Vorsatzdelikts in der Akte zunächst stehen. Dies kann indirekte berufliche Nachteile haben – zum Beispiel bei einem etwaigen Antrag, Notar zu werden, oder bei bestimmten Vertrauensstellungen, die eine weiße Weste voraussetzen. Mindestens ebenso bedeutsam ist der Imageschaden: Der Fall wurde in der juristischen Fachpresse publik gemacht und sicherlich haben Kollegen und potenzielle Mandanten davon erfahren. Eine Verurteilung wegen Parteiverrats kann das Vertrauen künftiger Mandanten erschüttern. Mandanten könnten befürchten, dass der Anwalt vertrauliche Informationen nicht ausreichend schützt oder nicht mit der gebotenen Loyalität ausschließlich ihre Interessen wahrt. Auch das allgemeine Ansehen des Anwalts in der örtlichen Anwaltschaft und bei Richtern kann darunter leiden.
Kurz gesagt: Das Verhalten hat dem Anwalt spürbar geschadet. Neben der finanziellen Belastung (4.000 € Zahlung plus die potenziell im Raum stehende Geldstrafe) und der strafrechtlichen Eintragung muss er einen Vertrauensverlust kompensieren. Er wird in Zukunft besonders strikt auf Compliance mit den Berufsregeln achten müssen, um seinen Ruf zu rehabilitieren. Der Fall führt eindrücklich vor Augen, dass Verstöße gegen die Neutralität und Loyalität nicht als Kavaliersdelikt abgetan werden, sondern empfindliche Folgen nach sich ziehen – bis hin zur Strafverfolgung. Letztlich dient dies dem Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung: Mandanten sollen darauf vertrauen können, dass ihr Anwalt nicht doppelgleisig fährt.
5. Lehren, die andere Anwälte daraus ziehen sollten
Aus diesem Fall sollten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wichtige Lehren ziehen, insbesondere wenn sie neben der Anwaltstätigkeit auch als Mediatoren tätig sind:
- Keine Mandatsübernahme nach Mediation: Wenn Sie als Mediator in einer Sache tätig waren, übernehmen Sie danach keinesfalls das Mandat einer der Parteien in derselben Angelegenheit. Ein solcher Rollenwechsel ist berufsrechtlich untersagt und erfüllt den Straftatbestand des Parteiverrats. Das Verbot gilt unbedingt – auch wenn die Mediation erfolglos blieb oder erst geraume Zeit zurückliegt.
- Klare Rollentrennung: Machen Sie zu jedem Zeitpunkt deutlich, in welcher Rolle Sie agieren – als Anwalt (Parteivertreter) oder als Mediator (neutraler Dritter). Dokumentieren Sie dies möglichst schriftlich durch separate Vereinbarungen. Beispielsweise sollte ein Anwalt, der als Mediator tätig wird, einen gesonderten Mediationsvertrag schließen, in dem steht, dass er als Mediator und nicht als Rechtsberater auftritt. So vermeiden Sie Missverständnisse und schützen sich davor, unfreiwillig in Interessenkonflikte zu geraten.
- Konflikt-Check und Erinnerung: Führen Sie ein gründliches Kollisionsverzeichnis und prüfen Sie bei jedem neuen Mandat, ob Sie (oder Kolleginnen Ihrer Kanzlei) bereits in der Sache involviert waren – sei es als Vertreter der Gegenseite, als Berater beider Seiten oder als Mediator. Gerade wenn einige Zeit vergangen ist, besteht die Gefahr, dass man frühere Berührungspunkte vergisst. Im besagten Fall lagen rund 2,5 Jahre zwischen Mediation und Mandatsübernahme – der Anwalt behauptete, das Mandat „versehentlich“ angenommen zu haben, weil er die Mediation nicht mehr erinnerte. Solche Versäumnisse können fatal sein. Sorgen Sie daher intern für effektive Kollisionsprüfungen*, um derartige Fehler auszuschließen.
- Kenntnis der Regelungen: Machen Sie sich die einschlägigen Vorschriften bewusst und halten Sie Ihr Wissen auf dem aktuellen Stand. § 356 StGB droht für Parteiverrat empfindliche Strafen an – im Grundfall Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Bereits der Versuch, in ein und derselben Rechtssache beiden Seiten zu „dienen“, kann strafbar sein. Auch berufsrechtlich riskieren Sie Ruf, Bußgelder oder im Wiederholungsfall sogar den Verlust der Anwaltszulassung. Unwissenheit schützt hier nicht vor Konsequenzen, daher: Präventiv informieren und im Zweifel fachkundigen Rat (z.B. vom Kammerjustitiar) einholen, bevor man ein grenzwertiges Mandat annimmt.
- Im Zweifel Verzicht auf Doppelrolle: Sollte es Unklarheiten geben – etwa wenn Sie zunächst eine Partei anwaltlich beraten haben und anschließend als Mediator für beide auftreten wollen (oder umgekehrt) –, ist große Zurückhaltung geboten. Selbst wenn es rechtlich vielleicht keinen Parteiverrat darstellt, wird es doch äußerst schwierig sein, das Vertrauen der nicht vorab vertretenen Partei zu gewinnen und wirklich allparteilich zu agieren. Der Klarheit halber ist es in solchen Situationen meist besser, eine der beiden Rollen abzulehnen. Entweder übergibt man das Mandat an einen Kollegen oder verzichtet darauf, als Mediator tätig zu werden. So vermeiden Sie jeden Anschein von Befangenheit.
Zusammengefasst: Andere Anwältinnen und Anwälte sollten aus dem OLG-Celle-Fall mitnehmen, dass Konfliktfreiheit und Neutralität oberste Gebote sind, wenn man in verschiedenen Funktionen tätig ist. Die Wahrung der Berufsregeln ist nicht nur eine Frage der Ethik, sondern auch der eigenen Absicherung vor empfindlichen Strafen und Reputationsschäden.
6. Was Mandanten tun können, wenn sie einen ähnlichen Konflikt erleben
Nicht nur Anwälte, sondern auch Mandanten – hier insbesondere Mediationsparteien – sollten die Implikationen dieses Falls kennen. Wenn Sie als Mandant bzw. Partei einer Mediation oder eines Gerichtsverfahrens feststellen, dass ein vermeintlich neutraler Vermittler plötzlich als Anwalt der Gegenseite agiert, können und sollten Sie Folgendes tun:
- Konflikt ansprechen: Machen Sie sofort deutlich, dass der einstige Mediator nun als Vertreter der Gegenseite auftritt. Informieren Sie gegebenenfalls Ihren eigenen Anwalt über diesen Umstand. In einem laufenden Gerichtsverfahren sollte auch das Gericht über den möglichen Interessenkonflikt in Kenntnis gesetzt werden. Dadurch wird dokumentiert, dass Sie den Wechsel der Rolle beanstanden – und es erhöht den Druck auf den betreffenden Anwalt, sein Fehlverhalten zu rechtfertigen (was kaum möglich ist) oder das Mandat niederzulegen.
- Rechtsanwaltskammer einschalten: Zögern Sie nicht, die zuständige Rechtsanwaltskammer zu informieren. Jeder Bürger hat die Möglichkeit, sich bei der Kammer über das Verhalten eines Anwalts zu beschweren. Schildern Sie den Sachverhalt, am besten schriftlich, und weisen Sie darauf hin, dass der Anwalt möglicherweise gegen seine Berufspflichten verstoßen hat, indem er nach einer Mediation eine Partei vertritt. Die Kammer kann daraufhin disziplinarisch tätig werden. Im beschriebenen Fall hat eine schnelle Rüge der Rechtsanwaltskammer dazu geführt, dass der Anwalt sein Mandat umgehend niedergelegt hat. Die Kammern nehmen solche Beschwerden ernst, zumal hier auch der Ruf des Berufsstandes auf dem Spiel steht.
- Rechtliche Schritte prüfen: Ein derartiges Verhalten des Anwalts ist nicht nur beruflich unzulässig, sondern – wie gezeigt – strafbar. Sie können daher in Erwägung ziehen, Strafanzeige wegen Parteiverrats (§ 356 StGB) zu erstatten. Dies sollten Sie idealerweise mit einem eigenen Anwalt besprechen. In vielen Fällen wird die Anwaltskammer von sich aus die Sache an die Staatsanwaltschaft weitergeben, aber Sie haben auch selbst das Recht, Strafverfolgungsbehörden einzuschalten. Wie der Fall vor dem OLG Celle zeigt, führen schwerwiegende Verstöße tatsächlich zu Anklagen und Gerichtsurteilen. Die Möglichkeit einer Strafverfolgung übt zusätzlichen Druck auf den betreffenden Anwalt aus und kann dazu beitragen, künftige ähnliche Fälle zu verhindern.
- Vertrauliche Informationen schützen: Keine Panik bezüglich Ihrer preisgegebenen Informationen! Alles, was Sie im Vertrauen im Mediationsverfahren offenbart haben, unterliegt der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht des Mediators. Auch wenn der Mediator nun die Seiten gewechselt hat, darf er Ihre vertraulichen Angaben nicht vor Gericht gegen Sie verwenden. Tut er es doch, verstößt er gegen weitere Berufspflichten und gegebenenfalls datenschutz- oder strafrechtliche Bestimmungen. Sollte Ihnen auffallen, dass der ehemalige Mediator in seiner neuen Rolle als gegnerischer Anwalt Informationen nutzt, die er ausschließlich aus der Mediation kennen kann, machen Sie das umgehend geltend. Weisen Sie das Gericht darauf hin und besprechen Sie mit Ihrem Anwalt, ob man entsprechende Anträge stellen kann (etwa einen Beweisverwertungsverbot zu rügen). In der Regel werden Gerichte sehr kritisch reagieren, wenn ein Anwalt versucht, aus einer Mediation gewonnenes Insiderwissen zum Nachteil der anderen Partei auszuschlachten.
- Neutralen Beistand suchen: Wenn eine Mediation gescheitert ist und zusätzlich das Vertrauen in den Mediator zerstört wurde, stehen Sie womöglich vor einer eskalierenden Konfliktsituation. Überlegen Sie, sich nun anderen Formen der Konfliktlösung zuzuwenden. Sie können etwa einen neuen, wirklich neutralen Mediator oder Schlichter einschalten, dem beide Seiten vertrauen. Oder Sie setzen von Anfang an auf eine anwaltliche Vertretung beider Seiten (jeder Partei ihr eigener Anwalt) und versuchen ggf. über diese eine Einigung zu erzielen. Wichtig ist: Vertrauen Sie nur Vermittlern, die keine versteckte Parteinahme erkennen lassen. Ein Warnsignal kann zum Beispiel sein, wenn der Mediator von einer Seite vorgeschlagen und bezahlt wird, ohne dass dies transparent gemacht wird – hier sollten extra Vereinbarungen getroffen werden. Sie können zu Beginn einer Mediation schriftlich festhalten (z.B. im Mediationsvertrag), dass der Mediator nach Abschluss der Mediation kein Mandat für eine der Parteien in derselben Angelegenheit übernehmen wird. Seriöse Mediatoren werden eine solche Klausel ohnehin standardmäßig vorsehen. Damit haben Sie schwarz auf weiß, was ohnehin Gesetz ist, und schaffen Vertrauen in den Prozess.
Tipp für Mandanten: Lassen Sie sich nicht entmutigen, Mediation als Mittel der Konfliktlösung zu nutzen – sie kann sehr wertvoll sein. Aber seien Sie sich Ihrer Rechte bewusst. Ein Mediator ist zur strikten Neutralität verpflichtet. Wenn diese Grenze überschritten wird, haben Sie das Recht, einzuschreiten und Hilfe zu holen. Weder müssen Sie hinnehmen, dass vertrauliche Informationen missbraucht werden, noch dass der neutrale Dritte zu einem gegnerischen Anwalt mutiert. In solchen seltenen Fällen bietet das Rechtssystem ausreichend Instrumente, um Ihre Interessen zu schützen – von der Beschwerde bei der Kammer bis zur Strafanzeige. Nutzen Sie diese, im Zweifel mit Unterstützung Ihres eigenen Anwalts.