OVG Magdeburg: Entlassung eines Polizeianwärters nach frauenverachtendem Chat-Posting aufgehoben

30. September 2025 -

Ein 25-jähriger Polizeianwärter in Sachsen-Anhalt, der seit 2017 im Polizeivollzugsdienst ausgebildet wurde, geriet wegen eines Vorfalls in einem dienstlichen WhatsApp-Klassenchat in das Visier seiner Dienstbehörde. In diesem Chat, an dem mehrere Polizeischüler beteiligt waren, wurden wiederholt geschmacklose und teils frauenverachtende Inhalte ausgetauscht. Der Anwärter selbst stellte dort im Jahr 2020 ein Foto ein, das eine nackte Frau ohne Arme und Beine mit dem Schriftzug „Bumsklumpen“ zeigte. Dieses menschenverachtende Bild wurde von ihm zudem mit einem abfälligen Kommentar versehen. Kurz nach seinem Posting folgten weitere ähnliche derbe Beiträge durch andere Chat-Teilnehmer. Zum Zeitpunkt der Chat-Beiträge war der Anwärter noch Beamter auf Widerruf (also im Vorbereitungsdienst); erst später – nach erfolgreichem Abschluss der Laufbahnprüfung – wurde er in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen.

Der problematische Chat-Inhalt blieb zunächst unentdeckt. Erst im Zuge anderweitiger polizeilicher Ermittlungen im Jahr 2023 wurde der WhatsApp-Klassenchat und der darin geteilte „Bumsklumpen“-Beitrag des Anwärters bekannt. Die Polizeibehörde wertete das Teilen des Bildes mitsamt Kommentar als gravierenden Verstoß gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht – also die Pflicht eines Beamten, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes jederzeit so zu verhalten, dass das Ansehen des Berufs nicht beschädigt wird. Folglich leitete die Behörde ein Entlassungsverfahren ein und entließ den jungen Beamten 2023 aus dem Beamtenverhältnis auf Probe. Der Anwärter legte hiergegen Widerspruch ein und erhob Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg. Sowohl der Widerspruch als auch die Klage blieben jedoch ohne Erfolg, das VG Magdeburg bestätigte zunächst die Entlassung.

Rechtliche Grundlagen

Die Entlassung von Beamten auf Probe richtet sich in Bund und Ländern nach den Bestimmungen des Beamtenrechts, hier insbesondere nach § 23 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG). Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn er sich in der Probezeit nicht bewährt hat – mit anderen Worten, wenn während der Probezeit Zweifel an seiner fachlichen oder charakterlichen Eignung für das Beamtenverhältnis auftreten. Die Probezeit dient gerade dazu, die Eignung des Beamten für eine Übernahme auf Lebenszeit zu prüfen. Erweist sich der Beamte in dieser Zeit als ungeeignet, weil etwa Dienstpflichtverletzungen oder charakterliche Mängel offenbar werden, kann die Entlassung erfolgen.

Ein wichtiger Maßstab ist dabei die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht nach § 34 BeamtStG: Beamte haben sich innerhalb und außerhalb des Dienstes so zu verhalten, dass sie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert. Verstöße gegen diese Pflicht – etwa durch das Verbreiten von menschenverachtenden oder extremistischen Inhalten – können Zweifel an der charakterlichen Eignung begründen. Auch Vorfälle außerhalb des eigentlichen Dienstes oder vor der Probezeit dürfen vom Dienstherrn berücksichtigt werden, sofern sie Rückschlüsse auf die charakterliche Haltung des Beamten zulassen. Allerdings müssen solche Rückschlüsse mit Bedacht gezogen werden, insbesondere wenn die betreffenden Ereignisse lange zurückliegen oder isolierte Ausrutscher darstellen.

Im vorliegenden Fall stützte die Behörde die Entlassung des Probebeamten auf genau diese Überlegung: Der geteilte Chat-Inhalt wurde als Hinweis darauf gewertet, dass es dem Anwärter an der erforderlichen charakterlichen Eignung fehlt, um Beamter auf Lebenszeit zu werden. Konkret sah man einen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht und einen Eignungsmangel, der die Übernahme in das Lebenszeitbeamtenverhältnis ausschließen würde. Rechtlich betrachtet stand somit § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BeamtStG (Nichtbewährung während der Probezeit) im Raum. Der zentrale Streitpunkt war, ob ein einzelner Vorfall vor Beginn der Probezeit ausreicht, um einen Beamten auf Probe wegen mangelnder Bewährung zu entlassen, oder ob insoweit die positiven Leistungen während der Probezeit zu berücksichtigen sind.

Urteil des OVG Magdeburg

Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg (OVG Sachsen-Anhalt) hat mit Urteil vom 04.09.2025 (Az. 1 L 21/25) die Entlassungsverfügung der Polizeibehörde aufgehoben. Die Richter kamen zu dem Ergebnis, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Entlassung wegen Nichtbewährung hier nicht vorlagen. Im Kern stellte das OVG fest, dass das fragliche Fehlverhalten zeitlich vor der eigentlichen Probezeit lag und während der laufenden Probezeit keinerlei Bewährungsmängel oder neue Vorfälle festgestellt wurden. Somit habe das Verhalten im Chat nicht ausgereicht, einen endgültigen Eignungsmangel zu begründen, der die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit von vornherein ausschließen würde.

Entscheidungsgründe im Detail

Das OVG würdigte den Fall als einmalige jugendliche Entgleisung des Anwärters und nicht als Ausdruck einer gefestigten charakterlichen Haltung. Im Detail führte der 1. Senat des Gerichts mehrere Gründe an, warum die Entlassung unverhältnismäßig und rechtswidrig war:

  • Vorfall vor Beginn der Probezeit: Der beanstandete Chat-Beitrag erfolgte vor der Ernennung zum Beamten auf Probe. § 23 Abs. 3 BeamtStG zielt jedoch auf das Verhalten während der Probezeit ab. Da das Fehlverhalten zeitlich außerhalb der Probezeit lag, war es rechtlich zweifelhaft, es als Nichtbewährung in der Probezeit zu werten. Zwar können auch vor-probezeitliche Vorfälle Hinweise auf die Charaktereigenschaften eines Beamten liefern, doch hier musste berücksichtigt werden, wann und unter welchen Umständen der Vorfall stattfand.
  • Keine weiteren Bewährungsmängel: Während der gesamten Probezeit zeigte der Anwärter einwandfreies dienstliches Verhalten und erzielte gute Leistungen. Es gab keinerlei Wiederholungen ähnlicher Fehltritte oder sonstige Vorkommnisse, die auf charakterliche Mängel während der Probezeit schließen ließen. Dieser saubere Leistungs- und Verhaltensnachweis während der Probezeit sprach deutlich für die Eignung des Beamten.
  • Einmaliger Fehltritt in Jugendjahren: Der Chat-Post wurde vom Gericht als vereinzelter, nicht wiederholter Vorfall zu Beginn der Volljährigkeit des Anwärters eingeordnet. Zum Zeitpunkt des Postings war der junge Mann kaum volljährig und befand sich in einem Umfeld, in dem offenbar „Gruppendynamik“ und unreifer Humor eine Rolle spielten. Die Richter betonten, dass die Veröffentlichung Ausdruck jugendlicher Unreife und gruppendynamischen Verhaltens gewesen sei – nicht jedoch ein Beleg für eine dauerhaft frauen- oder behindertenfeindliche Gesinnung des Klägers. Mit anderen Worten: Es gab keine Hinweise darauf, dass er eine solche menschenverachtende Haltung verinnerlicht oder später fortgeführt hat.
  • Verhältnismäßigkeit und Prognose: Entscheidendes Kriterium war der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das OVG prüfte, ob der einmalige Vorfall das Vertrauen in die charakterliche Eignung des Anwärters irreversibel zerstört hat. Dies wurde verneint – vielmehr überwog der Gedanke, dass einem jungen Beamten hier eine zweite Chance zu geben ist, da seine Gesamthaltung und Bewährung im Dienst positiv waren. Eine Entlassung wäre eine zu harte Maßnahme gewesen, zumal keine konkrete Wiederholungsgefahr oder Dauerfehlhaltung erkennbar war.
  • Fehlende weitere Vorkommnisse: Das Gericht monierte zudem, dass die Behörde keine Anhaltspunkte dafür vorlegen konnte, dass der Anwärter sein Fehlverhalten nach der Ernennung zum Probebeamten in irgendeiner Weise fortgesetzt hat. Es wurden weder während der Probezeit ähnliche Entgleisungen festgestellt noch andere Verfehlungen, die – zusammen mit dem alten Chat-Posting – in einem neuen Licht hätten gesehen werden müssen. Damit fehlte es an einer tragfähigen Grundlage für die Prognose, der Beamte werde sich auch künftig im Beamtenverhältnis pflichtwidrig verhalten.

Zusammengefasst hat das OVG Magdeburg entschieden, dass der einzelne Chat-Fehltritt – so geschmacklos und dienstpflichtwidrig er auch war – im konkreten Fall keinen dauerhaften Eignungsmangel begründet. Die Entlassung des Polizeianwärters wurde daher aufgehoben, und er darf im Polizeidienst verbleiben. Wichtig ist: Das Gericht hat keineswegs den Inhalt des Postings verharmlost; es hat ausdrücklich von einer schweren Dienstpflichtverletzung gesprochen. Ausschlaggebend war jedoch die Wertung als einmaliges Fehlverhalten eines sehr jungen Beamten, das durch nachfolgend tadelloses Verhalten wieder wettgemacht wurde.

Konsequenzen und Praxishinweise

Der Fall verdeutlicht, dass Dienstherren bei Verfehlungen junger Beamtenanwärter stets den Einzelfall und das Gesamtbild der Persönlichkeit betrachten müssen. Eine einzige jugendliche Entgleisung rechtfertigt nicht ohne Weiteres die Vernichtung der beruflichen Laufbahn, wenn der Betroffene sich danach bewährt und keine Anzeichen einer verfestigten charakterlichen Ungeeignetheit vorliegen. Gerade im Bereich der Polizei gab es in jüngerer Zeit allerdings auch andere Fälle, in denen Chat- oder Social-Media-Aktivitäten von Anwärtern zurecht zu dienstrechtlichen Konsequenzen führten. So hat etwa das VG Koblenz die Entlassung eines Polizeikommissars auf Probe bestätigt, der während seines Vorbereitungsdienstes über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen sowie frauen- und behindertenfeindlichen Inhalten in WhatsApp-Gruppen verbreitet hatte. In jenem Fall ergaben sich erhebliche Zweifel an der charakterlichen Eignung, da der Beamte die verletzenden Inhalte mehrfach und über längere Zeit teilte – es handelte sich also nicht um einen einmaligen Ausrutscher, sondern um ein Muster. Entsprechend sah das Gericht dort die Entlassung als gerechtfertigt an. Es spielte keine Rolle, dass der Beamte dies nachträglich als „schwarzen Humor“ herunterspielte; das VG Koblenz betonte, dass der Beamte sich an seinen Handlungen objektiv messen lassen muss und offenbar nicht das geringste Bewusstsein für seine beamtenrechtlichen Pflichten zeigte. Dem Mann fehlte erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt, was letztlich sogar durch ein parallel laufendes Strafverfahren untermauert wurde.

Auch in anderen Bundesländern haben Gerichte ähnlich entschieden, insbesondere wenn extremistische Tendenzen im Spiel waren. So hat etwa das OVG Berlin-Brandenburg einen Polizeianwärter entlassen, der in sozialen Medien dutzendfach Inhalte der sogenannten „Neuen Rechten“ mit „Likes“ versehen hatte – darunter Posts mit muslimfeindlichen und geschichtsrevisionistischen Aussagen. In jenem Beschluss stellte das OVG klar, dass ein solches Verhalten das nötige Gewicht für eine Entlassung habe, weil es nicht nur vereinzelt vorkam und erhebliche Zweifel an der Verfassungstreue begründete. Die gute dienstliche Leistung des Anwärters konnte ihn dort nicht retten, da sie für die Frage seiner charakterlichen Eignung und Verfassungstreue als unerheblich angesehen wurde. Diese Entscheidungen zeigen: Wiederholtes oder ideologisch geprägtes Fehlverhalten von Beamtenanwärtern – gerade im Bereich Rechtsextremismus, Rassismus oder Menschenverachtung – wird von den Gerichten konsequent als Ungeeignetheit bewertet und kann eine Entlassung rechtfertigen.

Im Ergebnis liefert das Urteil des OVG Magdeburg jedoch ein wichtiges Korrektiv: Es unterstreicht den Wert der Verhältnismäßigkeit und der zweiten Chance bei einem einmaligen Fehltritt. Für die Praxis bedeutet dies:

  • Für Dienstherren: Bei Bekanntwerden früherer Verfehlungen von Probebeamten sollte sorgfältig geprüft werden, ob es sich um einen singulären Ausrutscher handelt oder ob ein Muster bzw. eine gefestigte Einstellung erkennbar ist. Eine Entlassung ist nur dann rechtmäßig, wenn die Prognose gerechtfertigt ist, dass der Betroffene sich auf Dauer nicht bewähren wird. Isolierte Jugendsünden ohne Wiederholung dürfen nicht überbewertet werden.
  • Für Beamtenanwärter: Der Fall mahnt angehende Beamte, schon während der Ausbildung und auch im privaten Umfeld verantwortungsbewusst zu handeln. Was im Jugendalter oder im „geschützten“ Chat unter Kollegen vermeintlich witzig erscheint, kann Jahre später die Karriere kosten. Allerdings zeigt das Urteil auch: Ehrliche Reue, einwandfreies Verhalten in der Folgezeit und persönliche Reifung können einem einmal strauchelnden Nachwuchsbeamten die Chance auf Rehabilitation eröffnen. Wer einen Fehler gemacht hat, sollte daraus lernen und künftig konsequent Pflichttreue und Verfassungstreue zeigen – dann besteht die Möglichkeit, dass ein einzelner Fehler nicht das berufliche Aus bedeuten muss.

Abschließend ist festzuhalten, dass das OVG Magdeburg hier kein Signal der Verharmlosung gesendet hat, sondern einen differenzierten Einzelfallabwägungsmaßstab. Dienstvergehen – insbesondere mit menschenverachtendem Inhalt – bleiben für Beamte brandgefährlich und können disziplinar- oder dienstrechtliche Folgen bis hin zur Entfernung haben. In diesem speziellen Fall gab jedoch die jugendliche Unreife, die fehlende Wiederholung und die positive Entwicklung des Beamten den Ausschlag dafür, von der äußersten Disziplinarmaßnahme Abstand zu nehmen. Die Entscheidung betont somit, dass bei Beamten auf Probe neben der Ahndung von Fehlverhalten auch die persönliche Entwicklung und das Gesamtbild beachtet werden müssen – ein wichtiger Hinweis für Personalstellen im öffentlichen Dienst und für die jungen Beamten selbst.

Eine einmalige, schnell bereute Dummheit eines sehr jungen Beamten muss nicht zwangsläufig zur Entlassung führen, sofern der Beamte in der Folge charakterliche Eignung und Besserung erkennen lässt. Jede Dienstpflichtverletzung sollte jedoch ernst genommen werden. Im Zweifel ist frühzeitiger rechtlicher Rat sinnvoll – sowohl für Betroffene, die um ihre berufliche Existenz bangen, als auch für Dienstherren, die eine ausgewogene Entscheidung im Spannungsfeld zwischen dienstrechtlicher Konsequenz und Verhältnismäßigkeit treffen müssen. Bei Fragen rund um Disziplinarverfahren und Beamtenrecht kann fachkundiger Rechtsrat helfen, die richtige Balance zu finden.