Hintergrund des Falls
Ein Lkw-Fahrer war seit Januar 2023 bei einem mittelständischen Transportunternehmen als Fahrer beschäftigt. Offiziell war eine regelmäßige Arbeitszeit von 8 Stunden pro Tag (Montag bis Freitag) vereinbart, vergütet mit 16 € brutto pro Stunde. Tatsächlich leistete der Fahrer jedoch deutlich mehr Arbeit: Von Januar bis August 2023 fielen insgesamt 572 Überstunden an. Diese Mehrarbeit wurde nicht über das Lohnabrechnungssystem erfasst, sondern zwischen den Parteien mündlich und „unter der Hand“ geregelt. Man einigte sich darauf, dass Überstunden in bar zu einem Stundensatz von 15 € vergütet würden. Jeden Monat führte der Fahrer handschriftlich zwei Stundenzettel: einen für die Normalarbeitszeit („N“) und einen für die Überstunden („Ü“) zur Bar-Auszahlung.
Über Monate hinweg holte sich der Fahrer – so der spätere Vortrag des Arbeitgebers – an jedem ersten Sonntag des Folgemonats sein Überstundengehalt in bar ab. Diese Auszahlungen erfolgten im privaten Rahmen: Die Geschäftsführerin lud sonntags zum Familienessen, bei dem der Fahrer erschien und seine Barauszahlung entgegennehmen konnte. Auf den handschriftlichen Überstundenzetteln bestätigte der Fahrer für sich selbst den erhaltenen Betrag und die Zettel wurden anschließend vernichtet, offizielle Quittungen wurden bewusst nicht erstellt.
Überstundenklage und erste Instanz
Trotz (oder gerade wegen) dieser inoffiziellen Praxis kam es später zum Streit. Im November 2023 verklagte der Fahrer seine Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern auf Zahlung der 572 Überstunden. Er behauptete, keine Vergütung für die Mehrarbeit erhalten zu haben. Dabei legte er seiner Forderung zunächst den offiziellen Stundenlohn von 16 € zugrunde, reduzierte diesen im Verfahren jedoch auf 15 € pro Stunde (möglicherweise im Bewusstsein der mündlichen Absprache). Insgesamt verlangte er rund 8.580 € Überstundenvergütung.
Vor dem Arbeitsgericht (Az. 3 Ca 878/23) hatte der Fahrer anfangs Erfolg: Das Gericht glaubte seinem Vortrag, dass die Überstunden nicht bezahlt worden seien, und verurteilte den Arbeitgeber im Februar 2024 tatsächlich zur Zahlung von über 8.500 € brutto. Dieses Urteil beruhte wohl auch darauf, dass die Arbeitgeberseite mangels offizieller Belege die Barauszahlungen nicht nachweisen konnte. Die Firma legte jedoch Berufung gegen dieses Urteil ein (Verfahren beim LAG Rheinland-Pfalz, Az. 2 SLa 85/24, parallel anhängig).
Wichtiger Hinweis: In diesem Überstunden-Prozess hatte der Fahrer selbst WhatsApp-Nachrichten vorgelegt bzw. verschickt, die eigentlich auf die Barzahlungen hindeuteten. So schickte er z.B. Fotos seiner handschriftlichen Überstundenaufstellungen (etwa für Mai 2023: „68,5 Ü-Std. x 15,- € = 1.027,50 Euro… = 1.100,- Euro bar – 20,- Euro Bierkasse = 1.080,- Euro“) und fragte per WhatsApp nach der Auszahlung. In einer Nachricht bat er Anfang Juni 2023 um einen Vorschuss von 300 € auf die Überstundenvergütung für einen Wochenendausflug – er erhielt unstreitig 200 € in bar, die er später anrechnete. Diese Kommunikationsdaten lagen dem Gericht vor und wurden später noch wichtig.
Kündigung wegen Prozesslüge
Noch bevor über die Berufung im Überstundenverfahren entschieden war, zog der Arbeitgeber Konsequenzen: Mit Schreiben vom 23.03.2024 kündigte die Firma das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.04.2024. Als Kündigungsgrund wurde angegeben, der Mitarbeiter habe im Überstundenprozess bewusst wahrheitswidrig vorgetragen, also einen versuchten Prozessbetrug zulasten des Arbeitgebers begangen. Konkret warf man ihm vor, Geld zu fordern, das er bereits erhalten hatte, und vor Gericht die Unwahrheit zu sagen, um sich einen zweifachen Vorteil zu erschleichen.
Der Fahrer erhob daraufhin Kündigungsschutzklage. Er bestritt weiterhin, die 572 Überstunden bereits bezahlt bekommen zu haben – abgesehen von den 200 € (die er nach seiner Darstellung sogar zurückgezahlt haben will). Er argumentierte, der Arbeitgeber konstruierte eine illegale Schwarzlohn-Geschichte ohne Belege, nur um ihn loszuwerden. Außerdem – so der Kläger – könne die rechtswidrige Praxis der Schwarzbezahlung nicht ernsthaft als Entlastung für den Arbeitgeber dienen; vielmehr hätte der Fall dem Zoll gemeldet gehört.
Im Arbeitsgericht Kaiserlautern (1. Instanz, Kündigungsschutzverfahren Az. 3 Ca 352/24) bekam der Fahrer zunächst Recht. Das Gericht gab seiner Kündigungsschutzklage im September 2024 statt und verurteilte die Arbeitgeberin sogar zur Weiterbeschäftigung. Offenbar hielt das Arbeitsgericht den Kündigungsvorwurf für nicht ausreichend bewiesen bzw. meinte, ohne offizielle Abrechnung der Überstunden sei der Vorwurf des Prozessbetrugs schwer zu belegen. Gegen dieses Urteil legte die Arbeitgeberin Berufung zum LAG Rheinland-Pfalz ein.
Urteil des LAG: Kündigung wirksam
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27.03.2025 – 2 SLa 253/24) entschied zugunsten des Arbeitgebers und erklärte die Kündigung – mit einer geringfügigen Anpassung des Enddatums – für sozial gerechtfertigt. Zwar wurde das Ende des Arbeitsverhältnisses auf den 15.05.2024 korrigiert (weil die Kündigung dem Kläger erst am 08.04.2024 zuging, griff die gesetzliche Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 1 BGB bis Mitte Mai). Im Übrigen aber hielt das LAG die Kündigung für rechtmäßig, weil der Kläger sich einer erheblichen Vertragspflichtverletzung schuldig gemacht hatte.
Im Berufungsverfahren wurde umfassend Beweis erhoben. Mehrere Familienmitglieder des Inhabers – der Ehemann der Geschäftsführerin (leitender Angestellter), deren Sohn (ebenfalls im Betrieb tätig), eine Tante und ein Neffe – sagten als Zeugen aus. Sie schilderten übereinstimmend das System der monatlichen Barzahlungen beim sonntäglichen Familienessen, wie oben beschrieben. Dabei räumten die Zeugen offen ein, dass es sich um Schwarzgeldzahlungen handelte, die bewusst ohne Belege erfolgten. Trotz der familiären Verbindungen (und dem Umstand, dass gegen zwei der Zeugen wohl Verfahren wegen des Verdachts auf Falschaussage liefen) stuften die LAG-Richter diese Aussagen als glaubhaft ein – insbesondere im Lichte der objektiven Indizien.
Als entscheidende Indizien wertete das Gericht vor allem die WhatsApp-Nachrichten und die handschriftlichen Aufstellungen des Klägers selbst. Daraus ging hervor, dass der Fahrer explizit von “Bezahlung der Überstunden beim Familienessen” sprach. Es sei lebensfremd anzunehmen, der Kläger wäre acht Monate in Folge jeweils an einem Sonntag zur Chefin nach Hause gefahren, um dort lediglich seine Stunden “abrechnen” zu lassen, ohne Geld mitzunehmen. Zudem erhöhe die Glaubwürdigkeit der Arbeitgeberseite der Umstand, dass diese sich mit dem Eingeständnis illegaler Barzahlungen selbst strafrechtlich belastet hat – wer würde dies tun, wenn die Behauptung unwahr wäre?
Damit stand für das LAG fest, dass der Mitarbeiter im Überstundenprozess bewusst gelogen hatte: Er hatte das geforderte Geld längst erhalten und bestritt dies dennoch wahrheitswidrig vor Gericht. Darin liegt eine schwere Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können bewusst falsche Erklärungen eines Arbeitnehmers im Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber – insbesondere um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen – einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen. Hier war die Kündigung zwar „ordentlich“ (mit Frist) ausgesprochen, aber die Sozialwidrigkeit nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) war zu prüfen. Das LAG befand, dass die Kündigung verhaltensbedingt sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 KSchG), weil eine weitere störungsfreie Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten steht.
Auch die Interessenabwägung fiel zugunsten des Arbeitgebers aus: Zwar war der Kläger fast 60 Jahre alt, verwitwet und erst seit gut einem Jahr im Betrieb. Doch das Gewicht der Pflichtverletzung überwog diese sozialen Gesichtspunkte deutlich. Der Mitarbeiter habe vorsätzlich und in erheblicher Weise seine Pflichten verletzt, indem er seine Arbeitgeberin vor Gericht zu einer “nochmaligen” Zahlung veranlasste, obwohl er genau wusste, dass er bereits bezahlt worden war. Ein Arbeitgeber müsse ein derartiges Verhalten nicht hinnehmen. Eine vorherige Abmahnung sei entbehrlich gewesen – dem Kläger musste klar sein, dass er mit einem solchen Vertrauensbruch seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt.
Ergebnis: Das LAG erklärte die Kündigung als rechtswirksam. Gleichzeitig hat das LAG im parallelen Berufungsverfahren die erstinstanzliche Verurteilung zur Überstundenvergütung aufgehoben – der Fahrer geht also leer aus und verliert obendrein seinen Job. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.
Hinweise für Arbeitnehmer
- Wahrheitspflicht im Prozess: Arbeitnehmer sollten unbedingt bei der Wahrheit bleiben, wenn sie vor Gericht gegen den Arbeitgeber vorgehen. Bewusst falsche Behauptungen – etwa über nicht erhaltene Zahlungen – können den Verlust des Kündigungsschutzes Hier kostete die Prozesslüge den Fahrer letztlich seinen Arbeitsplatz.
- Illegale Absprachen vermeiden: Lassen Sie sich nicht auf Schwarzgeld-Vereinbarungen Was zunächst nach einem finanziellen Vorteil (steuerfreie Barzahlung) aussieht, erweist sich im Streitfall als Bumerang. Ohne Belege stehen Sie im Prozess schlechter da. Zudem machen Sie sich angreifbar, wenn Sie später doch offizielle Ansprüche geltend machen – man stellt Ihnen dann die Doppelmoral vor, wie in diesem Fall.
- Ansprüche sauber durchsetzen: Haben Sie Überstunden geleistet, sollten Sie von Anfang an auf korrekte Dokumentation und Abrechnung drängen. Wenn Überstunden offiziell erfasst und bezahlt werden, kommt es gar nicht erst zu solchen Rechtsstreitigkeiten. Falls dennoch Ansprüche offen sind, können Sie diese natürlich einklagen – aber fordern Sie nur, was Ihnen tatsächlich zusteht. Andernfalls riskieren Sie nicht nur eine Niederlage vor Gericht, sondern auch arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung.
Hinweise für Arbeitgeber
- Kündigungsgrund “Prozessbetrug”: Das Urteil zeigt, dass Arbeitgeber eine Kündigung aussprechen können, wenn der Arbeitnehmer im Gerichtsprozess bewusst lügt, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Voraussetzung ist aber eine stichhaltige Beweislage. In diesem Fall konnte der Arbeitgeber die falschen Angaben durch Zeugen und Dokumente (WhatsApp, Notizen) überzeugend widerlegen. Ohne solche Beweise hätte die Kündigungsschutzklage vermutlich Erfolg gehabt.
- Saubere Lohnabrechnung statt Schwarzlohn: Illegale Praktiken wie Schwarzlohnzahlungen an Mitarbeiter sind höchst riskant. Sie verstoßen gegen Steuer- und Sozialversicherungsrecht und können zu Strafbarkeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer führen. Zudem schaffen sie ein Beweisproblem: Hier musste der Arbeitgeber sich selbst belasten, um die Wahrheit zu beweisen. Tipp: Zahlen Sie Überstunden ordnungsgemäß mit Nachweis – so vermeiden Sie solche Konflikte von vornherein.
- Vertrauensbruch und Abmahnung: Nicht jede Lüge rechtfertigt sofort eine Kündigung. Aber bei erheblichen Vertrauensbrüchen – wie einem versuchten Prozessbetrug – ist eine fristlose oder ordentliche Kündigung ohne Abmahnung grundsätzlich möglich. Die Gerichte prüfen im Einzelfall die Verhältnismäßigkeit. In gravierenden Fällen, bei denen das Vertrauensverhältnis irreparabel zerstört ist, kann die Kündigung auch ohne vorherige Warnung wirksam sein. Wichtig ist, dass der Arbeitgeber den Vorwurf wasserdicht beweisen
- Korrekte Kündigungsfrist beachten: Achten Sie bei der Kündigung auf den richtigen Beendigungszeitpunkt. Im obigen Fall war die Kündigung zwar an sich begründet, jedoch war das ursprünglich genannte Enddatum (30.04.2024) falsch berechnet. Da die Kündigung erst am 08.04. zuging, verlängerte sich die Frist bis zum 15.05.2024. Solche Formfehler können vermieden werden, indem man genau prüft, wann die Kündigung zugeht und welche Frist nach § 622 BGB gilt.
Für beide Seiten liefert dieses Urteil wertvolle Erkenntnisse: Ehrlichkeit und Legalität zahlen sich langfristig aus. Arbeitnehmer sollten nicht versuchen, durch falsche Behauptungen vor Gericht einen Vorteil zu erlangen – es gefährdet den Job und die Glaubwürdigkeit. Arbeitgeber wiederum sollten Arbeitsbedingungen und Vergütungen von Anfang an transparent und legal handhaben. Kommt es dennoch zum Prozess, kann ein nachgewiesener Vertrauensbruch des Arbeitnehmers den Kündigungsschutz aushebeln und eine ansonsten schwierige Kündigung erfolgreich machen. Letztlich stärkt die Entscheidung die Bedeutung von Wahrhaftigkeit im Rechtsstreit und der Loyalität im Arbeitsverhältnis.