OLG München: Richterlicher Unmut ist nicht gleich Befangenheit

12. Oktober 2025 -

Beschluss vom 26.09.2025 – Az. 19 U 2796/24 e (OLG München) – Das Oberlandesgericht München hat klargestellt, dass selbst deutliche Unmutsäußerungen eines Richters – etwa ein Schlag mit der flachen Hand auf den Tisch oder die Ermahnung einer Partei, „diese Spielchen“ zu unterlassen – nicht ohne Weiteres einen Ablehnungsgrund wegen Besorgnis der Befangenheit darstellen. Entscheidend sind stets die konkreten Umstände des Einzelfalls und ob aus Sicht einer vernünftig urteilenden Partei ein objektiver Anlass besteht, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln. Im besagten Fall wies das OLG München zwei Befangenheitsgesuche der beklagten Partei als unbegründet zurück. Nachfolgend beleuchten wir den Fall und die Begründung des Gerichts im Detail.

Hintergrund des Falls

Im zugrunde liegenden Zivilverfahren verlangte der Kläger von den Beklagten die Rückzahlung eines restlichen Darlehensbetrages. Das Gericht hatte per Ladungsverfügung nicht nur das persönliche Erscheinen aller Beklagten (inklusive des Beklagten zu 3) angeordnet, sondern auch darauf hingewiesen, dass bestimmte in Schriftsätzen erwähnte Anlagen fehlten und bis zum 24.06.2025 vorzulegen seien. In der mündlichen Verhandlung am 08.09.2025 kam es dann zu erheblichen Versäumnissen seitens der Beklagtenseite:

  • Der Beklagte zu 3) erschien trotz gerichtlicher Anordnung nicht zum Termin. Zunächst wurde hierfür kein Grund genannt; eine besondere Terminsvollmacht der anwesenden Beklagten zu 2) (zugleich Prozessbevollmächtigte aller Beklagten) für den Abwesenden wurde nicht vorgelegt. Später behauptete die Beklagtenseite nebulös, das Fernbleiben des Beklagten zu 3) habe „der Deeskalation dienen“ sollen – eine Entschuldigung, die das Gericht nicht gelten ließ, zumal keine schwerwiegenden Hinderungsgründe erkennbar waren.
  • Die Beklagtenvertreterin hatte die vom Senat im Vorfeld ausdrücklich angeforderten Unterlagen (Anlagen) nicht dabei. Unter anderem fehlte eine als Anlage B 24 bezeichnete Urkunde, auf die sich die Beklagten zuvor bezogen hatten.
  • Im Verhandlungsgespräch ergaben sich Auffälligkeiten: So hatten zwei Überweisungen des Klägers à 5.000 € im Verwendungszweck ein Aktenzeichen angegeben. Das Gericht wollte wissen, was es damit auf sich habe – insbesondere, ob diese Beträge möglicherweise für eine andere Verbindlichkeit (etwa anwaltliche Gebühren) geleistet worden waren. Die Beklagtenvertreterin weigerte sich jedoch, diese Frage zu beantworten, und behauptete stattdessen pauschal, die gesamte Klage sei unschlüssig. Dies stand im Widerspruch zu ihren prozessualen Wahrheitspflichten nach § 138 ZPO und war umso bemerkenswerter, als in einem früheren Schreiben der Beklagten zu 2) an den Kläger (Anlage K 2) sogar um ein weiteres Darlehen gebeten worden war. Erst nachträglich – im Schriftsatz vom 22.09.2025 – erklärten die Beklagten, die betreffenden alten Akten aus 2016 seien bereits vernichtet.

Vorwürfe der Beklagten: „unbeherrschte Emotionen“ und „Spielchen“

Unmittelbar nach der Verhandlung stellten die Beklagten zwei Befangenheitsanträge (§ 42 ZPO) gegen den Vorsitzenden und die Berichterstatterin des Senats. Sie begründeten dies im Kern damit, dass der Vorsitzende Richter durch sein Auftreten angeblich „unbeherrschte Emotionen“ gezeigt habe – insbesondere indem er mit der flachen Hand auf den Richtertisch schlug – und dadurch der Beklagtenseite implizit die Glaubwürdigkeit absprach. Der Berichterstatterin warf man vor, sie habe sich „abwertend und parteiisch“ verhalten, indem sie etwa Antworten vorweggenommen und der Beklagtenseite unterstellt habe, „Spielchen“ zu betreiben.

Tatsächlich hatten beide abgelehnten Richter in ihren dienstlichen Äußerungen die beanstandeten Vorkommnisse weitgehend bestätigt: Der Vorsitzende räumte ein, mit der Hand auf den Tisch geschlagen zu haben, um seinem Hinweis auf die Wahrheitspflichten Nachdruck zu verleihen. Die Berichterstatterin bestätigte, dass der Satz „Lassen Sie diese Spielchen“ (sinngemäß) gefallen ist. Diese Äußerungen seien jedoch – so die Richter – Reaktionen auf das Verhalten der Beklagtenseite gewesen. Insbesondere hatte die Beklagtenvertreterin im Termin behauptet, bestimmte Schriftsätze nicht erhalten zu haben, obwohl diese nachweislich zugestellt worden waren (teilweise per Gerichtsvollzieher, nachdem Zustellungen via beA an die Kanzlei der Beklagten gescheitert waren). Zudem waren gerichtliche Schreiben mangels Erreichbarkeit der Beklagtenseite sogar an Privatadressen versandt worden. Vor diesem Hintergrund lag für die Richter der Schluss nahe, dass die Beklagtenseite prozessual taktiere – daher die Ermahnung, mit solchen „Spielchen“ aufzuhören.

Rechtlicher Maßstab: Wann liegt Befangenheit vor?

Bevor das OLG die konkreten Rügen prüfte, stellte es den Prüfungsmaßstab für Befangenheitsgesuche klar dar. Maßgeblich ist § 42 Abs. 2 ZPO: Entscheidend ist nicht, ob der Richter tatsächlich befangen ist, sondern ob aus Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Betrachtung ein objektiver Grund vorliegt, der Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters rechtfertigen könnte. Schon der böse Schein der Voreingenommenheit soll vermieden werden. Dabei reicht aber ein rein subjektives Unwohlsein oder überempfindliches Empfinden der Partei nicht aus – es muss ein nachvollziehbarer Anlass zur Befürchtung mangelnder Neutralität gegeben sein.

Von Richtern wird zwar ein besonders diszipliniertes und würdiges Auftreten erwartet, doch verlangt niemand, dass sie stets mit Engelsgeduld agieren. Der Richter darf durchaus lebhaft, laut und leidenschaftlich verhandeln und „klare Worte“ finden, solange seine Äußerungen sachbezogen bleiben und keine persönlichen Herabwürdigungen der Partei oder ihres Anwalts darstellen. Grobe Unsachlichkeiten wie beleidigende oder höhnische Bemerkungen können selbstverständlich Befangenheit begründen. Doch bloße Unmutsäußerungen – insbesondere wenn sie durch das Prozessgeschehen provoziert und menschlich verständlich sind – führen für sich genommen nicht ohne Weiteres zur Besorgnis der Befangenheit. Auch ein ungehaltener oder scharfer Ton ist für sich genommen noch kein Beleg für Voreingenommenheit, solange der Zusammenhang klar macht, dass es um die Sache geht. Wichtig ist stets, den Kontext solcher Äußerungen zu betrachten, anstatt einzelne Sätze isoliert zu bewerten.

Zudem erinnerte das OLG an die formalen Anforderungen des Ablehnungsrechts: Die Partei trägt die Darlegungslast und Glaubhaftmachungspflicht für einen Befangenheitsgrund (§ 44 Abs. 2 ZPO). Die persönliche Unparteilichkeit des Richters wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. Dienstliche Äußerungen der abgelehnten Richter sind ein zentrales Beweismittel; bloßes Bestreiten oder subjektive Empörung der ablehnenden Partei genügt hingegen nicht. Werden Behauptungen nicht mit präsenten Beweismitteln untermauert (z. B. Protokollauszüge, eidesstattliche Erklärungen Dritter), bleibt das Gesuch erfolglos.

Entscheidung des OLG München: Kein Befangenheitsgrund im konkreten Fall

Unter Anwendung dieser Maßstäbe hat das OLG München die Ablehnungsgesuche zurückgewiesen. Aus Sicht einer vernünftigen Partei konnte im geschilderten Verhalten der Richter kein Anschein von Voreingenommenheit erkannt werden. Im Gegenteil: Das Gericht betonte, dass die beanstandeten Handlungen und Äußerungen nur im Lichte des vorherigen Verhaltens der Beklagtenseite zu bewerten seien. Und dieses Verhalten war objektiv geeignet, bei jedem Richter Unmut auszulösen:

  • „Hand auf den Tisch“ als Warnsignal: Der Vorsitzende Richter hatte – unstreitig – mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen. Dies geschah jedoch nachdem die Beklagtenvertreterin mehrfach gegen prozessuale Mitwirkungspflichten verstoßen hatte. Insbesondere hatte sie die Aufklärung des Sachverhalts verweigert und gerichtliche Anordnungen (persönliches Erscheinen, Vorlage von Unterlagen) missachtet. Der Tischklopfer diente erkennbar dazu, die Anwältin energisch an ihre Wahrheitspflichten nach § 138 ZPO und an ihre anwaltlichen Standespflichten zu erinnern. Zudem unterbrach der Richter anschließend die Verhandlung für ein paar Minuten, damit die Beklagtenvertreterin ihre Unterlagen ordnen und sich sammeln konnte. Das OLG fand an diesem Vorgehen nichts Ungehöriges – im Gegenteil erscheine der Ausbruch verständlich und angemessen, um die Ordnung des Verfahrens aufrechtzuerhalten. Weder Willkür noch Voreingenommenheit seien hierin zu erkennen. Ein Richter ist eben kein emotionsloser Automat; eine gewisse deutliche Reaktion auf eklatante Pflichtverletzungen einer Partei ist erlaubt und berührt die Neutralität nicht, solange sie sachbezogen bleibt.
  • „Lassen Sie diese Spielchen“ als berechtigte Ermahnung: Auch die Äußerung der Berichterstatterin, man möge gewisse „Spielchen“ unterlassen, rechtfertigte nach Auffassung des Senats keine Ablehnung. Diese Bemerkung war ebenfalls aus der Situation heraus geboren: Die Beklagtenvertreterin hatte wiederholt behauptet, wichtige Schriftsätze nicht erhalten zu haben, obwohl die Gerichtsakte Zustellungsvermerke und sogar Postzustellungsurkunden darüber enthielt. Zudem war die Kommunikation mit der Beklagtenseite offenkundig schwierig (beA-Nachrichten kamen nicht an, die offizielle Kanzleiadresse war zeitweise nicht erreichbar, etc.). Die Geduld der Richter wurde hier erheblich auf die Probe gestellt. Die Berichterstatterin reagierte mit einer pointierten Ermahnung, die – objektiv betrachtet – verständlich war und sich gegen das Prozessverhalten richtete, nicht gegen die Person der Beklagtenvertreterin. Ein Verlust an nötiger Neutralität oder Sachlichkeit war daraus nicht abzuleiten.

Schließlich stellte das OLG fest, dass die Beklagten keinerlei stichhaltige Belege für ihre anderslautende Schilderung des Geschehens vorgelegt hatten. Soweit ihre Darstellung von den dienstlichen Äußerungen der Richter abwich, fehlte es an einer Glaubhaftmachung im Sinne von § 44 Abs. 2 ZPO. Insbesondere genügte die bloße schriftliche Versicherung der abgelehnten Anwältin nicht als Beweis. Die offiziellen Protokolle und Stellungnahmen bestätigten hingegen die Sicht der Richter. Für den behaupteten „klaren Verstoß gegen die Neutralitätspflicht“ fand das OLG daher am Ende nur ein Wort: „abwegig“.

Praxishinweis

Der Beschluss des OLG München verdeutlicht, dass ein Befangenheitsgesuch hohe Hürden hat und nicht als Reaktion auf jedes strenge oder ungehaltene Richterwort Erfolg verspricht. Deutliche Worte oder sichtbarer Unmut eines Richters sind für sich genommen kein Ablehnungsgrund, solange sie sachlich motiviert sind und im Kontext eines provozierenden Parteiverhaltens stehen. Anwältinnen und Anwälte sollten daher genau abwägen, ob tatsächlich ein objektiver Anschein von Voreingenommenheit gegeben ist, bevor sie zum scharfen Schwert des Befangenheitsantrags greifen.

Im konkreten Fall zeigte sich, dass das Gericht durchaus Verständnis für menschliche Regungen hat: Richter sind nicht verpflichtet, unbegrenzt Geduld zu üben, wenn eine Partei prozessual ihre Pflichten vernachlässigt. Wichtig ist aus Anwaltssicht vielmehr, solche Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen – etwa durch sorgfältige Beachtung von gerichtlichen Hinweisen, fristgerechte Vorlage angeforderter Unterlagen und zuverlässige Kommunikation. Andernfalls läuft man Gefahr, nicht nur den Unmut des Gerichts auf sich zu ziehen, sondern auch ein Ablehnungsgesuch krachend zu verlieren – so wie hier, wo der Vorwurf der Voreingenommenheit letztlich als unbegründet und „abwegig“ abgestempelt wurde.