Viele Mandantinnen und Mandanten fragen sich, ob man einen Vertrag mit dem eigenen Anwalt genauso wie einen Online-Kauf widerrufen kann. Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Flensburg vom 09.10.2025 zeigt: Ja, unter bestimmten Voraussetzungen ist das möglich. In dem Fall konnte eine ehemalige Geschäftsführerin eine Anwaltsrechnung von über 20.000 € erfolgreich widerrufen. Sie galt als Verbraucherin und hatte keine Widerrufsbelehrung erhalten – deshalb musste sie die Honorarforderung nicht zahlen. Im Folgenden fassen wir das Urteil verständlich zusammen und erklären, was hinter dem Widerrufsrecht bei Anwaltsverträgen steckt. Außerdem erfahren Sie, wann Mandantinnen und Mandanten rechtlich als Verbraucher gelten und wie sich Kanzleien gegen solche Honorarausfälle absichern können.
Mandantin muss 20.000 € Anwaltsrechnung nicht zahlen
Eine Frau, die kurzzeitig Geschäftsführerin zweier GmbHs gewesen war, sah sich plötzlich privat mit Steuerschulden konfrontiert (Haftung für Säumniszuschläge). Sie beauftragte daraufhin eine Anwaltskanzlei ausschließlich per E-Mail mit ihrer Vertretung. Der Anwalt erledigte nur eine einzige Aufgabe – er verfasste eine Stellungnahme ans Finanzamt – und stellte dafür noch am selben Tag über 21.000 € in Rechnung. Die Mandantin war schockiert über die hohe Rechnung und beschwerte sich umgehend telefonisch, woraufhin die Kanzlei das Mandat niederlegte.
Anschließend beauftragte sie einen neuen Anwalt, der den Fall für knapp 1.500 € Gebühren zum Abschluss brachte. Außerdem erklärte sie gegenüber der ersten Kanzlei den Widerruf des Anwaltsvertrags – mit Erfolg: Das Landgericht Flensburg (Urteil vom 09.10.2025 – 4 O 80/25) entschied, dass dieser Widerruf wirksam war, sodass die erste Kanzlei keinen Cent ihres Honorars verlangen konnte.
Widerrufsrecht bei Anwaltsverträgen: Rechtlicher Hintergrund
Viele Verbraucherverträge – vom Online-Kauf bis zum Handyvertrag – kann man innerhalb von 14 Tagen widerrufen. Weniger bekannt ist, dass dieses Widerrufsrecht auch bei Dienstleistungen von Rechtsanwälten gilt. Entscheidend sind die Umstände des Vertragsabschlusses: Wurde der Anwaltsvertrag außerhalb der Geschäftsräume der Kanzlei oder ausschließlich über Fernkommunikationsmittel (also z. B. per Telefon, E-Mail oder Online-Formular) geschlossen, liegt ein sogenanntes Fernabsatzgeschäft vor. In solchen Fällen steht privaten Mandanten ein 14-tägiges Widerrufsrecht zu – genau wie beim Online-Shopping. Der Vertrag mit dem Anwalt wird also verbraucherschutzrechtlich wie ein Fernabsatz-Vertrag behandelt.
Wichtig: Das Widerrufsrecht gilt nur, wenn die Mandantin oder der Mandant als Verbraucher handelt (mehr dazu unten). Die Kanzlei ist verpflichtet, Verbraucher-Mandanten über ihr Widerrufsrecht zu informieren (Widerrufsbelehrung). Erst ab ordnungsgemäßer Belehrung beginnt die 14-Tage-Frist zu laufen. Im oben geschilderten Fall lief die gesamte Kommunikation ausschließlich digital ab – man traf sich nie persönlich. Entsprechend handelte es sich um ein Fernabsatzgeschäft. Die Mandantin hatte aber keine Widerrufsbelehrung erhalten, wodurch die Widerrufsfrist zunächst nicht zu laufen begann.
Wann gelten Mandantinnen und Mandanten als Verbraucher?
Ob eine Mandantin Verbraucherschutz genießt, hängt von seiner Rolle beim Vertragsabschluss ab. Verbraucher ist laut Gesetz (§ 13 BGB) jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Einfacher gesagt: Wer den Anwalt für private Angelegenheiten beauftragt, handelt als Verbraucher. Erfolgt das Mandat dagegen überwiegend im Rahmen der beruflichen oder unternehmerischen Tätigkeit (z. B. als Firmeninhaber*in), gilt die Person als Unternehmer und hat kein Widerrufsrecht.
Im Flensburger Fall argumentierte die klagende Kanzlei, ihre Mandantin sei als ehemalige Geschäftsführerin unternehmerisch tätig gewesen und daher nicht schutzbedürftig. Das Gericht stellte jedoch klar, dass die frühere Tätigkeit als GmbH-Geschäftsführerin keine automatische Unternehmereigenschaft im Sinne des Gesetzes begründet. Die Mandantin handelte hier in einer persönlichen Haftungsangelegenheit – sie sollte privat für Schulden der GmbH einstehen – und trat somit als Verbraucherin auf. Selbst wenn ein Geschäftsführer Schulden seiner Firma mitübernimmt oder sich dafür verbürgt, bleibt er rechtlich ein Verbraucher. Entscheidend ist immer, ob die Person im konkreten Mandat hauptsächlich im privaten oder beruflichen Interesse handelt.
Widerrufsfrist und Folgen des Widerrufs
Die Frist für den Widerruf beträgt gesetzlich 14 Tage ab Vertragsschluss (bzw. ab Erhalt der Widerrufsbelehrung) – in diesem Zeitraum können Verbraucher ohne Angabe von Gründen vom Vertrag zurücktreten. Wird die erforderliche Belehrung allerdings unterlassen, verlängert sich die Widerrufsfrist automatisch um 12 Monate. Im Flensburger Fall waren bei Widerruf weit mehr als 14 Tage vergangen, doch das Gericht akzeptierte dies: Mangels Belehrung hatte die 14-Tage-Frist nie zu laufen begonnen. Stattdessen galt die verlängerte Frist von 12 Monaten + 14 Tagen, die noch nicht abgelaufen war.
Ein wirksamer Widerruf kehrt den Vertragsschluss um. Der Anwaltsvertrag wird also rückabgewickelt, als hätte er nie bestanden. Honorarforderungen entfallen in der Regel komplett. Bereits gezahlte Beträge müssten erstattet werden. Nur unter engen Voraussetzungen kommt ein Wertersatz für bereits erbrachte Leistungen in Betracht: Dafür muss derdie Mandantin vorab ausdrücklich verlangt haben, dass der Anwalt schon vor Ablauf der Widerrufsfrist mit der Ausführung beginnt, und es muss eine korrekte Widerrufsbelehrung erfolgt sein. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt (wie im vorliegenden Fall), schuldet der Mandant keinerlei Bezahlung für geleistete Arbeit. Die Gesetzeslage ist hier verbraucherfreundlich und lässt keinen Raum für alternative Ansprüche der Kanzlei (z. B. aus Bereicherungsrecht oder auf gesetzliche Gebühren). Das bedeutet: Wurde der gesamte Vertrag wirksam widerrufen, kann die Kanzlei nicht einmal die üblichen RVG-Gebühren als Mindestvergütung verlangen.
Hinweise für Kanzleien: Widerruf vorbeugen und Honorarausfälle absichern
Für Anwaltskanzleien bedeutet dieses Urteil, dass sie bei Mandaten mit Verbrauchern besondere Sorgfalt walten lassen müssen. Folgende Maßnahmen helfen, einen überraschenden Widerruf und dadurch ausbleibende Honorare zu verhindern:
- Widerrufsbelehrung korrekt erteilen: Stellen Sie sicher, dass jeder Verbraucher-Mandant bei Vertragsschluss eine deutliche Widerrufsbelehrung in Textform erhält (z. B. als Teil des Mandatsvertrags oder per E-Mail). Nur dann beginnt die 14-tägige Widerrufsfrist zu laufen. Unterbleibt die Belehrung, kann der/die Mandant:in noch ein Jahr lang widerrufen – ein erhebliches Risiko für die Kanzlei.
- Dokumentation und Bestätigung: Lassen Sie sich den Erhalt der Widerrufsbelehrung am besten schriftlich bestätigen. Zum Beispiel kann der Mandant auf dem Vertragsdokument unterschreiben, dass er die Belehrung erhalten und verstanden hat. Bei digitalen Verträgen sollte die Belehrung nachweisbar per E-Mail oder PDF übermittelt werden.
- Bei Eilbedürftigkeit: ausdrückliches Verlangen einholen: Häufig wünschen Mandanten, dass der Anwalt sofort tätig wird (z. B. bei Fristsachen). In solchen Fällen sollten Kanzleien den Mandanten ausdrücklich schriftlich verlangen lassen, dass mit der Bearbeitung vor Ablauf der 14 Tage begonnen wird. Gleichzeitig muss der Mandant darüber aufgeklärt sein, dass er bei vorzeitig erbrachter Leistung im Widerrufsfall Wertersatz leisten muss. Dieses Verlangen und die Aufklärung hierüber sollten dokumentiert werden (z. B. als Klausel im Auftragsschreiben, die der Mandant unterschreibt).
- Vertragsabschluss bewusst gestalten: Überlegen Sie, wo und wie der Mandatsvertrag zustande kommt. Wenn möglich, laden Sie neue Mandanten zu einem Erstgespräch in die Kanzlei, statt den Vertrag ausschließlich online oder telefonisch abzuschließen. Ein Vertrag in den Kanzleiräumen fällt nicht unter außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge – das Widerrufsrecht greift dort also in der Regel nicht. Wichtig ist jedoch Ehrlichkeit: Der Vertrag sollte nicht pro forma im Büro unterzeichnet werden, während die eigentliche Beratung woanders stattfand.
Durch diese Vorsichtsmaßnahmen können Kanzleien das Risiko minimieren, dass Mandanten im Nachhinein ihre Honorare wegwiderrufen. Gleichzeitig stellt man sicher, den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen und bösen Überraschungen – wie im Fall vor dem LG Flensburg – vorzubeugen.
Das Urteil des LG Flensburg unterstreicht, dass das Widerrufsrecht im Verbraucherrecht ernst zu nehmen ist – auch im Verhältnis Anwalt-Mandant. Mandanten sollten wissen, dass sie unter bestimmten Umständen einen vorschnell geschlossenen oder unerwartet teuren Anwaltsvertrag rückgängig machen können. Kanzleien wiederum tun gut daran, ihre Vertragsabschlüsse verbraucherfreundlich zu gestalten und die gesetzlichen Informationspflichten genau einzuhalten. Mit einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung und klaren Absprachen lässt sich verhindern, dass am Ende weder Mandant noch Anwalt zufrieden ist.