Einfache Signatur über das Gesellschaftspostfach – BGH schafft Klarheit

17. Oktober 2025 -

Hintergrund: Elektronischer Rechtsverkehr und Signaturanforderungen

Im elektronischen Rechtsverkehr nach § 130a ZPO gibt es zwei Wege, um Schriftsätze formwirksam bei Gericht einzureichen:

  1. Qualifizierte elektronische Signatur (QES): Der Rechtsanwalt versieht das Dokument mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur. Die QES hat dieselbe Wirkung wie eine handschriftliche Unterschrift. Wer das Dokument qualifiziert signiert, übernimmt damit die Verantwortung für den Inhalt – unabhängig davon, wer es verfasst hat.
  2. Einfache Signatur auf sicherem Übermittlungsweg: Alternativ genügt es, den Schriftsatz einfach elektronisch zu signieren (also z.B. mit eingescanntem Namenszug oder maschinenschriftlichem Namen am Ende) und anschließend selbst über einen sicheren Übermittlungsweg einzureichen. Als „sicherer Übermittlungsweg“ gilt insbesondere die Übersendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA). In diesem Fall dokumentiert die einfache Signatur nach ständiger Rechtsprechung des BGH, dass die Person, die als Absender über den sicheren Übermittlungsweg ausgewiesen ist, mit der verantwortenden Person für das Dokument identisch ist. Mit anderen Worten: Wer ein elektronisches Dokument nur einfach signiert, muss es grundsätzlich persönlich mit dem eigenen beA absenden, damit er als verantwortlicher Urheber erkennbar ist. Ist nicht feststellbar, wer für das Dokument verantwortlich zeichnet, gilt der Schriftsatz als nicht wirksam eingereicht.

Diese Anforderungen haben der Bundesgerichtshof und die Instanzgerichte in der Vergangenheit deutlich gemacht. So hat der BGH z.B. im August 2025 festgehalten, dass bei einer einfach signierten Berufungsschrift die Versendung vom falschen beA (dem Postfach eines Kollegen statt vom eigenen) ein Formfehler ist: In einem solchen Fall fehlt die erforderliche Identität zwischen dem Unterzeichner und dem Absender, sodass die Eingabe unwirksam ist. Die Berufung wäre deshalb unzulässig – im betreffenden Fall half dem Anwalt nur eine Wiedereinsetzung, weil das Gericht seine Fürsorgepflicht verletzt hatte, indem es nicht frühzeitig auf den offensichtlichen Absendefehler hingewiesen hat. Der Grundsatz bleibt jedoch: Eine einfache Signatur ist nur gültig, wenn das Dokument über das eigene sichere Postfach der signierenden Person eingereicht wird.

Neue Herausforderung: Das beA-Gesellschaftspostfach der Berufsausübungsgesellschaft

Mit der BRAO-Reform zum 1. August 2022 wurden anwaltliche Berufsausübungsgesellschaften (BAG) – also Kanzleien, die als Gesellschaft organisiert sind (z.B. Partnerschaftsgesellschaft mbB) – gesetzlich anerkannt. Zugelassene Berufsausübungsgesellschaften erhalten seither ein eigenes besonderes elektronisches Anwaltspostfach, das sogenannte Gesellschaftspostfach. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hatte ein solches Kanzleipostfach lange gefordert, um den Kanzleialltag effizienter abzubilden.

Theoretisch sollte mit dem Gesellschaftspostfach vieles einfacher werden: Berechtigte Rechtsanwälte der Gesellschaft können aus dem gemeinsamen Postfach heraus Nachrichten und Schriftsätze mit vertrauenswürdigem Herkunftsnachweis (VHN) auf sicherem Weg versenden. Eigentlich hätte dadurch eine einfache Signatur im Dokument ausgereicht, ohne dass jede Nachricht zusätzlich qualifiziert signiert werden müsste. Denn technisch und rechtlich sollte der Versand über das Gesellschaftspostfach genauso sicher sein wie über das persönliche beA.

Praktisch zeigten sich aber zunächst Unsicherheiten: Die Justiz konnte nicht in allen Fällen aus den eingehenden Daten auslesen, welcher konkrete Anwalt der Absender über das Gesellschaftspostfach war. Unklar war, wie das Erfordernis des „selbst Einreichens“ auf ein nicht personenbezogenes Postfach einer Kanzlei zu übertragen ist. Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und der DAV empfahlen daher vorsorglich, aus dem Kanzleipostfach Schriftsätze vorerst immer qualifiziert elektronisch zu signieren. Anders ausgedrückt: Sollte ein Dokument über das Gesellschaftspostfach eingereicht werden, rieten BRAK und DAV dazu, dass sich die verantwortliche Rechtsanwältin/der Rechtsanwalt mit der persönlichen beA-Signaturkarte im Gesellschaftspostfach anmeldet und dort das Dokument mit einer QES unterzeichnet. Anschließend könne auch eine andere Person den Versand vornehmen, da die qualifizierte Signatur die Urheberschaft eindeutig belegt.

Für den Fall, dass keine qualifizierte Signatur zur Hand war (etwa wegen technischer Probleme mit der Signaturkarte), empfahlen BRAK und DAV als Hilfslösung, zumindest über das Nachrichtenjournal des beA nachzuweisen, welcher Anwalt den Schriftsatz aus dem Gesellschaftspostfach versendet hat. Dieses Nachrichtenjournal protokolliert sämtliche Versendungen und Anmeldungen im Postfach und zeigt z.B. an, welcher Nutzer zu einem bestimmten Zeitpunkt angemeldet war und unter welchem Benutzernamen der Versand erfolgte. So hoffte man, im Streitfall die verantwortliche Person identifizieren und die Formwirksamkeit der Einreichung belegen zu können.

Der Fall: Berufungsbegründung über das Kanzleipostfach (BGH VIII ZB 25/25)

Vor diesem Hintergrund war lange unklar, wie ein Gericht den Versand aus dem Gesellschaftspostfach mit einfacher Signatur rechtlich bewertet. Der Bundesgerichtshof hat nun in seinem Beschluss vom 16.09.2025 – VIII ZB 25/25 hierzu wichtige Weichen gestellt. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Eine Vermieterin – vertreten durch eine Anwaltskanzlei in der Rechtsform einer Partnerschaftsgesellschaft mbB – legte Berufung in einem Räumungsrechtsstreit ein, nachdem sie in erster Instanz unterlegen war. Ein in der Kanzlei tätiger Rechtsanwalt (zugleich vertretungsberechtigter Partner) verfasste die Berufungsbegründungsschrift und versandte sie über das beA der Gesellschaft an das Gericht. Die PDF-Datei der Berufungsbegründung war nicht qualifiziert signiert, sondern lediglich einfach elektronisch signiert, indem der Anwalt seinen Namenszug am Ende des Dokuments eingefügt hatte. Im elektronischen Übermittlungsprotokoll (Prüfvermerk) der Nachricht wurde als Absender allerdings nur die Gesellschaft (das Kanzleipostfach) ausgewiesen. Dass die Nachricht von einem beA aus versendet wurde, wurde zwar bestätigt (sicherer Übermittlungsweg mit VHN), jedoch ließ sich aus dem Empfangsvermerk nicht unmittelbar ablesen, welcher konkrete Anwalt den Schriftsatz geschickt hatte. Dies ist auf allgemeine technische Gegebenheiten beim Gesellschaftspostfach zurückzuführen – von außen ist nur die Organisation als Absender erkennbar, nicht der einzelne Nutzer.

Das Landgericht (LG) hielt die Berufung deshalb für unzulässig und verwarf sie mangels formgerechter Begründung. Nach Auffassung des LG war die Berufungsbegründung weder mit einer qualifizierten Signatur versehen noch – wegen fehlender Personenidentität zwischen Signierendem und Absender – über einen sicheren Übermittlungsweg wirksam eingereicht. Es sei nicht erkennbar, welche Person die Verantwortung für den Schriftsatz trage, sodass die Formvorschriften des § 130a ZPO nicht gewahrt seien. Daran änderte aus LG-Sicht auch der Vortrag des Anwalts nichts, er selbst habe den Versand über seine Zugangsberechtigung im Gesellschaftspostfach durchgeführt – dies lasse sich zwar dem Nachrichtenjournal entnehmen, aber ohne qualifizierte Signatur genüge das nicht.

Der BGH sah dies anders und hat den Beschluss des LG aufgehoben. Er entschied, dass die einfach signierte Berufungsbegründung formwirksam über einen sicheren Übermittlungsweg – nämlich das Gesellschaftspostfach der Kanzlei – eingereicht worden ist. Allein der Umstand, dass der Signierende und der im Prüfvermerk ausgewiesene Absender nicht identisch sind, macht die Übermittlung nicht unwirksam. Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass in diesem Fall die Inhaberin des Postfachs, also die Berufsausübungsgesellschaft, als Absenderin gilt. Würde man strikt verlangen, dass Absender und Unterzeichner zwingend dieselbe Person sein müssen, könnte kein einziger einfach signierter Schriftsatz über ein Gesellschaftspostfach wirksam eingereicht werden – was aber offensichtlich dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers widersprechen würde. Denn der Gesetzgeber hat gerade gewollt, dass Berufsausübungsgesellschaften die Möglichkeit haben, über ihr Kanzleipostfach einfach signierte Schriftsätze bei Gericht einzureichen.

Keine strikte Identitätsregel beim Kanzleipostfach – neue BGH-Linie

Der BGH hat mit dieser Entscheidung einen wichtigen Schritt getan, um die Nutzung des Gesellschaftspostfachs praxistauglich zu machen. Ungeklärt war bis dahin, ob der Anwalt, der für die Berufsausübungsgesellschaft einen Schriftsatz einfach signiert, diesen auch persönlich über das Gesellschaftspostfach versenden muss, damit die Eingabe formwirksam ist. Der BGH neigt nun dazu, dies zu verneinen. Die bisherigen strengen Vorgaben zur persönlichen Nutzung des eigenen beA lassen sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht ohne Weiteres auf das nicht personengebundene Gesellschaftspostfach übertragen. Vielmehr sei der Übermittlungsweg vergleichbar mit dem Versand über ein Behördenpostfach, bei dem nach BGH-Rechtsprechung eine Personenidentität zwischen Unterzeichner und absendender Stelle gerade nicht erforderlich ist. Wenn also etwa ein Schriftsatz aus dem Postfach einer Behörde versandt wird, muss nicht unbedingt derjenige Beamte, der das Schreiben unterzeichnet hat, selbst auf „Absenden“ klicken – analog dazu soll dies bei einer Anwaltsgesellschaft gelten.

Endgültig entschieden hat der BGH die Identitätsfrage aber (noch) nicht, weil es im konkreten Fall gar nicht darauf ankam. In der vorliegenden Konstellation ließ sich nämlich durch das Nachrichtenjournal eindeutig nachweisen, dass genau der signierende Anwalt die Berufungsbegründung persönlich über das Gesellschaftspostfach abgesendet hat. Aus dem Journal ergab sich, welcher Benutzer zum Versandzeitpunkt am Postfach angemeldet war und unter welchem Namen der Versand erfolgt ist. Damit war die verantwortliche Person zweifelsfrei identifiziert. Der BGH betonte, dass ein solch eindeutiger Log-Nachweis ausreiche – würde man diesen Nachweis nicht anerkennen, würde man den Zugang einer Berufsausübungsgesellschaft zur nächsten Instanz in unzumutbarer Weise einschränken. Mit anderen Worten: Die Möglichkeit der Anwaltsgesellschaft, selbst formwirksam Rechtsmittel einzulegen, dürfte nicht unnötig erschwert werden, nur weil technisch im Empfangsvermerk kein Name steht. Entscheidend ist, dass die verantwortliche Anwaltsperson feststellbar ist – und hierfür kann das Nachrichtenjournal effektiv genutzt werden.

Praxistipps für Anwältinnen und Anwälte

Der BGH-Beschluss schafft Erleichterung für Kanzleien in der Praxis des elektronischen Rechtsverkehrs. Dennoch sollten Anwältinnen und Anwälte einige Best Practices beachten, um sicher und formwirksam über das Gesellschaftspostfach zu kommunizieren:

  • Einfache Signatur klar erkennbar anbringen: Stellen Sie sicher, dass jeder Schriftsatz, den Sie nur einfach signieren, mit Ihrem vollen Namenszug und Ihrer Berufsbezeichnung abschließt. Eine unleserliche Paraphe oder ein bloßes Kürzel reichen nicht aus. Der Name muss für das Gericht lesbar sein, damit die Verantwortung der unterzeichnenden Person erkennbar wird. (Der BGH hat in früheren Entscheidungen betont, dass eine lesbare einfache Signatur zwingend erforderlich ist.)
  • Möglichst selbst absenden: Auch wenn der BGH andeutet, dass die Identität von Unterzeichner und Absender beim Gesellschaftspostfach nicht strikt verlangt wird, empfiehlt es sich in der Praxis, dass der unterzeichnende Anwalt nach Möglichkeit den Schriftsatz selbst aus dem Kanzleipostfach absendet. So vermeiden Sie unnötige Diskussionen über die Wirksamkeit der Einreichung und haben im Zweifel den direkten Nachweis durch das Journal, dass beide Rollen in Personalunion erfüllt wurden.
  • Nachrichtenjournal nutzen und sichern: Machen Sie sich mit dem Nachrichtenjournal Ihres beA vertraut. Dieses Protokoll ist Ihr Freund, wenn es darum geht, gegenüber Gerichten die ordnungsgemäße Einreichung nachzuweisen. Dokumentieren Sie im Zweifelsfall den Journal-Eintrag (z.B. durch Screenshot oder Ausdruck), der zeigt, welcher Nutzer den Schriftsatz versandt hat. Im Streitfall kann dies entscheidend sein, um die verantwortliche Person – nämlich Sie als Unterzeichner – zu bestätigen.
  • Bei abweichendem Absender qualifiziert signieren: Wenn es aus organisatorischen Gründen nötig ist, dass eine andere Person den Versand übernimmt, sollten Sie erwägen, den Schriftsatz qualifiziert elektronisch zu signieren. Durch die QES wird Ihre Urheberschaft und Verantwortung automatisch nachgewiesen, und es spielt keine Rolle mehr, wer die Nachricht abschickt. Dies ist insbesondere sinnvoll, wenn Sie z.B. außerhalb der Bürozeiten versenden müssen und ein Kollege oder Mitarbeiter den Versand auslöst.
  • Keine fremden Postfächer nutzen: Vermeiden Sie unbedingt, ein falsches beA-Postfach für den Versand zu verwenden (z.B. das persönliche Postfach eines Kollegen, wenn Sie selbst unterzeichnet haben). Solche Fehler können die Wirksamkeit kosten. Nutzen Sie stets entweder Ihr eigenes beA (bei Mandatierung als Einzelanwalt) oder das richtige Gesellschaftspostfach der mandatierten Kanzlei. Falls doch ein falsches Postfach verwendet wurde, reagieren Sie sofort: Reichen Sie den Schriftsatz umgehend korrekt ein und beantragen Sie gegebenenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der BGH erwartet zwar, dass Gerichte offensichtliche Absenderfehler zügig mitteilen, jedoch sollte man sich nicht darauf verlassen.
  • Aktuelle Entwicklungen verfolgen: Die Rechtsfragen rund um beA und elektronische Einreichungen entwickeln sich stetig weiter. Halten Sie sich über neue Entscheidungen und ggf. Gesetzesänderungen auf dem Laufenden. Insbesondere bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber oder die Rechtsprechung die offene Frage der Personenidentität beim Kanzleipostfach künftig abschließend klärt oder erleichternde Regelungen schafft. Nach der hier besprochenen BGH-Entscheidung ist aber bereits klar: Der Trend geht dahin, die Nutzung des Gesellschaftspostfachs zu erleichtern und pragmatische Lösungen anzuerkennen, damit Kanzleien effektiv am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen können.

Der Beschluss des BGH vom 16.09.2025 (Az. VIII ZB 25/25) ist ein wichtiger Etappensieg für die Praxis der Berufsausübungsgesellschaften im elektronischen Rechtsverkehr. Er bestätigt, dass Schriftsätze aus dem Kanzleipostfach mit einfacher Signatur wirksam eingereicht werden können. Trotz offengelassener Details zur Personenidentität gibt der BGH zu erkennen, dass eine Anwaltsgesellschaft nicht schlechter gestellt werden darf als Einzelanwälte oder Behörden, wenn sie elektronische Schriftsätze einreicht. Für Anwältinnen und Anwälte in Kanzleisozietäten bedeutet dies mehr Flexibilität: Sie können das gemeinsame Postfach nutzen, ohne jede Datei umständlich qualifiziert signieren zu müssen – sofern die internen Abläufe stimmen und die verantwortliche Person erkennbar bleibt.