Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat am 16. Oktober 2025, Az. 5 SLa 251/25 entschieden, dass der frühere Fahrer eines Landesministers keinen Anspruch auf Tagegeld für seine Fahrten im Ministerauftrag hat. Fahrten, die zum Hauptinhalt der Arbeit gehören, stellen keine Dienstreisen im reisekostenrechtlichen Sinne dar. Damit entfällt ein Anspruch auf die pauschale Reisekostenvergütung (Tagegeld). Selbst der Hinweis des Klägers, andere Fahrer hätten Tagegeld erhalten, verfängt nicht – eine etwaige ungerechtfertigte Zahlung an Kollegen begründet keinen Gleichbehandlungsanspruch. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage hat das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Im folgenden Rechtstipp fassen wir den Fall, die Entscheidungsgründe und die Bedeutung für die Praxis ausführlich zusammen. Zudem geben wir Arbeitgebern und Arbeitnehmern konkrete Handlungsempfehlungen und beleuchten offene Fragen.
Sachverhalt: Minister-Fahrer fordert Reisekostenpauschale
Der Kläger war als persönlicher Dienstwagenfahrer für einen niedersächsischen Landesminister tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit chauffierte er den Minister regelmäßig zu Terminen innerhalb und außerhalb des Dienstortes. Für diese Fahreinsätze machte der Fahrer rückwirkend Tagegelder in Höhe von insgesamt etwa 2.045 € geltend. Das Tagegeld ist ein pauschalierter Aufwendungsersatz für Verpflegungsmehraufwand bei Dienstreisen. Nach den Regelungen des einschlägigen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV‑L) erhalten Angestellte bei Dienstreisen die gleichen Pauschalen wie Beamte. Voraussetzung ist allerdings, dass überhaupt eine Dienstreise im Sinne des Reisekostenrechts vorliegt. Im konkreten Fall argumentierte der Fahrer, er sei häufig über acht Stunden von seinem Wohnort und dem Dienstsitz entfernt im Einsatz gewesen. Dienstreisen von über acht Stunden Dauer lösen nach Reisekostenvorschriften grundsätzlich einen Anspruch auf Tagegeld aus (derzeit z. B. 14 € pro Tag). Der Kläger berief sich darauf, dass ihm für diese regelmäßigen längeren Fahreinsätze ein solcher pauschaler Verpflegungsmehraufwand zustehe. Zudem behauptete er, andere Fahrer in der Landesregierung hätten entsprechende Zahlungen erhalten und forderte aus Gleichbehandlungsgrundsatz Gleiches für sich.
Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 16.10.2025
Das LAG Niedersachsen wies die Klage des Fahrers vollumfänglich ab. Bereits in der ersten Instanz hatte das Arbeitsgericht Hannover die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass keine Dienstreise vorliege, wenn die Fahrertätigkeit selbst den wesentlichen Inhalt der Arbeitsleistung bildet. Diesen Standpunkt hat die Berufungskammer des LAG nun bestätigt. Konkret stellte das Gericht fest, dass dem Kläger kein Anspruch auf Tagegeld aus den tariflichen Reisekostenregelungen zusteht. Die beruflichen Fahrten des Ministers seien für dessen Fahrer Teil der normalen Arbeitsaufgaben („Dienstgeschäfte“) und eben keine außergewöhnlichen Dienstreisen. Folglich fehle es an der tariflichen Anspruchsvoraussetzung für Tagegeld.
Auch mit dem Argument der ungleichen Behandlung drang der Kläger nicht durch. Das LAG verneinte einen Anspruch aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz selbst dann, wenn das Land einigen anderen Fahrern Tagegelder gezahlt haben sollte. Eine etwaige fehlerhafte Praxis – etwa irrtümliche Zahlungen an Kollegen – könne keine Ansprüche für den Kläger begründen. Die beklagte Landesregierung habe lediglich die geltenden Tarifvorschriften korrekt angewandt und niemanden gezielt bevorzugt oder benachteiligt. Insgesamt wurde die Berufung des Fahrers somit zurückgewiesen.
Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Fragen ließ das LAG jedoch die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zu. Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig und kann vom Kläger vor dem BAG angefochten werden.
Begründung: Warum gelten die Fahrten nicht als Dienstreise?
Im Kern knüpft die Entscheidung an die Definition der Dienstreise im öffentlichen Dienst an. Eine Dienstreise liegt typischerweise vor, wenn eine Beschäftigter vorübergehend zur Erledigung eines Dienstgeschäfts außerhalb des regelmäßigen Arbeitsorts eingesetzt wird. Gerade der Ausnahmecharakter eines solchen auswärtigen Einsatzes begründet den Anspruch auf Tagegeld als Ausgleich für zusätzliche Aufwendungen (z. B. Verpflegung). Im Fall des Ministers-Fahrers fehlte es jedoch an diesem Ausnahmecharakter. Fahrten im Auftrag des Ministers waren bei ihm die Regel und Kern seiner Tätigkeit, nicht die Ausnahme. Sein „Arbeitsplatz“ war faktisch das Dienstfahrzeug bzw. die Straße. Das LAG stellte klar, dass die ständigen Fahrten nicht als Dienstreisen im tarifrechtlichen Sinne gelten, “wenn die Reisetätigkeit selbst den wesentlichen Inhalt der Arbeitsleistung bildet“. Mit anderen Worten: Was für andere Arbeitnehmer eine gelegentliche Dienstreise ist, gehörte für den Fahrer zum täglichen Job.
Zwar war der Kläger oft länger als 8 Stunden von seinem Wohn- und Dienstort unterwegs – eine Dauer, die normalerweise Tagegeld auslösen würde. Doch maßgeblich ist hier nicht die reine Abwesenheitszeit, sondern die Frage, ob eine auswärtige Tätigkeit aus dem üblichen Arbeitsrahmen herausfällt. Das Land argumentierte, dass den Fahrten des Ministers-Fahrers der für Dienstreisen typische Ausnahmecharakter fehle. Tägliche Pendelfahrten mit dem Dienstwagen, auch über viele Stunden, seien eben regelmäßige Arbeit und keine besondere Dienstreise. Nur längere auswärtige Einsätze mit Übernachtung oder vergleichbarem Mehraufwand würden einen Ausnahmefall darstellen und könnten Tagegeld rechtfertigen. Dieser Sichtweise hat sich das Gericht angeschlossen.
Ein weiterer Aspekt der Urteilsbegründung betrifft den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitsrecht. Grundsätzlich dürfen Arbeitgeber vergleichbare Arbeitnehmer nicht willkürlich ungleich behandeln, insbesondere bei freiwilligen Leistungen. Der Fahrer meinte, benachteiligt zu sein, falls Kollegen Tagegeld erhielten. Doch selbst wenn in Einzelfällen andere Fahrer eine Tagegeld-Pauschale bekommen haben sollten, ergibt sich daraus kein einklagbarer Anspruch, solange keine verbindliche Zusage oder etablierte Praxis (“betriebliche Übung”) vorliegt. Das LAG betonte, dass aus einer möglicherweise unzutreffenden Anwendung der Tarifregeln zugunsten Einzelner kein Rechtsanspruch für andere abgeleitet werden kann. Anders wäre dies nur, wenn der Arbeitgeber systematisch ohne sachlichen Grund einige begünstigt und andere nicht – wofür es hier keine Anhaltspunkte gab. Im vorliegenden Fall gab die Staatskanzlei sogar an, dass landesweit einheitlich verfahren werde und kein Fahrer Tagegeld erhalte. Die Tarifnormen wurden also konsequent angewendet, sodass keine Ungleichbehandlung im Rechtssinne vorlag.
Bedeutung des Urteils für die Praxis
Das Urteil hat über den Einzelfall hinaus erhebliche praktische Relevanz sowohl für öffentliche Arbeitgeber als auch für Beschäftigte mit mobil geprägten Tätigkeiten:
- Klarstellung für den öffentlichen Dienst: Angestellte des öffentlichen Dienstes, deren Hauptaufgabe in der Reisetätigkeit besteht (wie z. B. Fahrer, Kurier- oder Zustelldienstmitarbeiter), können nicht ohne Weiteres Tagegeld beanspruchen. Das LAG Niedersachsen stellt klar, dass die tariflichen Reisekostenvorschriften in solchen Fällen nicht greifen, weil kein echten Dienstreisen vorliegen. Öffentliche Arbeitgeber (hier das Land) dürfen sich darauf berufen, dass regelmäßige Fahreinsätze zur vertraglichen Hauptleistung gehören und daher kein zusätzlicher Verpflegungsmehraufwand erstattet wird. Dieses Verständnis dürfte auf alle Bundesländer übertragbar sein, da die meisten Tarifverträge des öffentlichen Dienstes ähnlich konstruiert sind und auf die jeweiligen Reisekostengesetze für Beamte Bezug nehmen.
- Signalwirkung für ähnliche Fälle: Der Fall des Minister-Fahrers ist zwar spezifisch, berührt aber einen allgemeinen Grundsatz: Wann ist man „auswärts“ im Sinne der Reisekostenregelungen? Die Entscheidung signalisiert, dass bei Tätigkeiten, die naturgemäß unterwegs stattfinden (z. B. Fahrer, Monteure mit ständig wechselnden Einsatzorten, Zusteller), strenge Maßstäbe anzulegen sind, bevor ein Einsatz als Dienstreise mit Spesenanspruch gewertet wird. Arbeitgeber können sich bestärkt fühlen, in solchen Fällen keine Tagegelder zu gewähren, sofern die Tätigkeit an sich schon das Reisen impliziert. Umgekehrt sollten Beschäftigte in solchen Mobil-Berufen ihre Erwartungen an Reisekostenentschädigungen überprüfen – Routinefahrten gelten nicht als entschädigungswürdige Auswärtstätigkeit im Tarifsinne.
- Einfluss auf Dienstreisepraxis und Vergütungsgestaltung: Die öffentlich gewordene Klage hat das Land Niedersachsen bereits veranlasst, die eigene Verwaltungspraxis zu überprüfen. Öffentliche Arbeitgeber könnten nun ihre internen Richtlinien schärfen und klarstellen, ab wann genau eine Fahrt als Dienstreise zählt und wann nicht. Denkbar wäre z. B. festzulegen, dass nur mehrtägige Dienstgänge mit Übernachtung oder klar definierte Ausnahmefälle Tagegeld auslösen. Alternativ könnte man – wie im Prozess angeführt – solche Jobs vergütungsseitig anders ausgestalten: Das Land argumentierte, Minister-Fahrer verdienten ohnehin mehr als Büroangestellte, wodurch die Erschwernisse der ständigen Fahrerei bereits abgegolten seien. Dieses Vergütungsmodell (höheres Grundgehalt statt Spesen) ist für Arbeitgeber ein praktikabler Weg, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Für Beschäftigte bedeutet es allerdings, dass sie indirekt für Mehrkosten unterwegs entschädigt werden, ohne sie separat abrechnen zu können. Hier ist Transparenz wichtig: Arbeitgeber sollten offenlegen, wenn ein höheres Entgelt ausdrücklich als Ausgleich für Reiseaufwände dient.
Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber
Klare Regelungen treffen: Arbeitgeber – insbesondere im öffentlichen Sektor oder in Unternehmen mit vielen Außendienstlern/Fahrern – sollten eindeutige Reisekostenrichtlinien formulieren. Darin muss definiert sein, welche Tätigkeiten als Dienstreise gelten und Anspruch auf Tagegeld oder Spesen begründen. Bei Rollen wie Fahrerinnen, bei denen Mobilität zum Kern der Arbeit gehört, sollte ausdrücklich festgehalten werden, dass regelmäßige Fahrten nicht als Dienstreisen* im Sinne der Spesenordnung zählen. So können Missverständnisse und Erwartungen auf Seiten der Beschäftigten frühzeitig ausgeräumt werden.
Einheitliche Anwendung sicherstellen: Wichtig ist die gleichmäßige Handhabung solcher Regeln. Das LAG-Urteil zeigt, dass Uneinheitlichkeit schnell als unfair wahrgenommen und juristisch angegriffen werden kann. Arbeitgeber sollten daher intern sicherstellen, dass alle vergleichbaren Mitarbeiter gleichbehandelt werden. Sonderzahlungen oder Abweichungen (wenn etwa doch einem Mitarbeiter irrtümlich Tagegeld gezahlt wurde) sollten dokumentiert und möglichst korrigiert werden, um keinen Präzedenzfall für eine betriebliche Übung zu schaffen. Die Entscheidung aus Niedersachsen bestätigt zwar, dass einmalige Fehler keinen Rechtsanspruch anderer begründen. Dennoch ist es im Interesse des Betriebsfriedens besser, solche Fehler zu vermeiden oder offen zu erklären.
Vergütung anpassen statt Reisekosten zahlen: Für Tätigkeiten mit inherentem Reiseanteil kann es sinnvoll sein, die Grundvergütung etwas höher anzusetzen oder Zulagen zu gewähren, anstatt auf das Konstrukt Tagegeld zu setzen. So hat es offenbar Niedersachsen gehandhabt, indem Fahrer in einer vergleichsweise höheren Entgeltgruppe eingruppiert sind. Arbeitgeber können in Stellenbeschreibungen oder Arbeitsverträgen transparent machen, dass ein gewisses höheres Gehalt die Abgeltung für Reise- und Wartezeiten sowie Mehraufwendungen darstellt. Damit reduziert sich das Risiko von Streitigkeiten, ob zusätzlich noch Spesen zustehen.
Schulung und Kommunikation: Personalstellen und Vorgesetzte sollten über die aktuelle Rechtslage informiert sein und diese den Mitarbeitenden kommunizieren. Nach dem Motto „Keine Dienstreise, kein Tagegeld“ kann man Mitarbeitern in Reiseberufen erläutern, warum ihre regelmäßigen Touren nicht extra vergütet werden – nämlich weil sie bereits Teil der normalen Arbeitspflicht sind. Klare Kommunikation beugt Unzufriedenheit und gefühlter Ungleichbehandlung vor.
Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer
Anspruchslage prüfen: Arbeitnehmerinnen sollten realistisch einschätzen, ob ihre Fahrtätigkeiten als Dienstreisen gelten. Wer z. B. als Fahrer, Paketzusteller oder Monteur auf ständig wechselnden Routen unterwegs ist, kann nach der hier besprochenen Rechtsprechung nicht automatisch mit Tagegeld rechnen. Prüfen Sie Ihren Arbeitsvertrag, den anwendbaren Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung: Gibt es dort Regelungen zu Reisekosten? Oft verweisen Tarifverträge – wie im öffentlichen Dienst – auf das jeweilige Reisekostengesetz. Daraus ergibt sich, dass nur außergewöhnliche auswärtige Einsätze* (und meist erst ab gewissen Zeitdauern) einen Spesenanspruch begründen. Machen Sie sich mit diesen Voraussetzungen vertraut, um Enttäuschungen zu vermeiden.
Kostenerstattung individuell vereinbaren: Nur weil per Tarif oder Gesetz kein Anspruch auf Tagegeld besteht, heißt das nicht, dass Reisekosten nicht ersetzt werden können. Arbeitnehmer in mobil geprägten Jobs sollten frühzeitig das Gespräch suchen, um ggf. individuelle Zusatzzahlungen zu vereinbaren. Beispielsweise könnte ein Arbeitgeber freiwillig eine Verpflegungspauschale zahlen, auch wenn rechtlich keine Pflicht besteht. Alternativ lässt sich über Zulagen oder einen höheren Grundlohn verhandeln, um die Auswärtstätigkeit abzugelten. Wichtig: Solche Absprachen schriftlich festhalten, etwa im Arbeitsvertrag oder einer Zusatzvereinbarung, um Klarheit zu schaffen.
Gleichbehandlung aufmerksam beobachten: Fällt Ihnen auf, dass Kolleginnen in vergleichbarer Position doch Spesen oder Tagegelder erhalten, während Sie leer ausgehen, sollten Sie dies hinterfragen. Grundsätzlich verpflichtet der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz den Arbeitgeber zu fairer Leistungsgestaltung. Allerdings – das zeigt dieser Fall – können Fehlzahlungen an Einzelne keinen Anspruch für andere begründen. Haben jedoch alle Kollegen systematisch eine bestimmte Leistung erhalten (z. B. monatliche Spesenpauschale) und nur Sie nicht, könnte ein Anspruch aus Gleichbehandlung oder betrieblicher Übung* entstehen. In so einem Fall suchen Sie zunächst das Gespräch mit dem Arbeitgeber. Gegebenenfalls ist juristischer Rat sinnvoll, um die Lage korrekt einzuschätzen, bevor man rechtliche Schritte erwägt.
Im Zweifel rechtlich beraten lassen: Die Abgrenzung, was als „gewöhnliche Arbeit“ und was als „Dienstreise“ gilt, kann im Einzelfall schwierig sein – vor allem außerhalb des öffentlichen Dienstes, wo tarifliche Vorgaben fehlen. Wenn Sie das Gefühl haben, Ihnen entstehen Dienstreisekosten, die nicht ersetzt werden, ziehen Sie eine Beratung durch den Betriebsrat oder einen Fachanwalt für Arbeitsrecht in Betracht. Dies gilt besonders, wenn Sie viel unterwegs sind, Übernachtungen haben oder vergleichbare Fälle kennen, in denen Arbeitgeber Reisekosten zahlen. Rechtliche Beratung kann klären, ob vielleicht doch Ansprüche bestehen – etwa aus Treu und Glauben, Arbeitsvertrag oder betrieblichen Übungen – oder ob Sie besser anders kompensiert werden sollten.
Offene Fragen und Ausblick
Revision beim BAG: Da das LAG die Revision zugelassen hat, wird voraussichtlich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt sich mit dem Fall befassen. Dort wird höchstrichterlich zu klären sein, ob die tariflichen Regelungen tatsächlich so auszulegen sind, dass regelmäßige Fahrer-Einsätze vom Dienstreise-Begriff ausgenommen sind. Das BAG-Urteil bleibt abzuwarten. Für die Praxis bedeutet dies vorerst eine Rechtsunsicherheit: Sollte das BAG anders entscheiden und die Fahrten doch als Dienstreisen einstufen, müssten öffentliche Arbeitgeber ihre Praxis umstellen und rückwirkend mit Nachzahlungsansprüchen rechnen. Umgekehrt würde eine Bestätigung der LAG-Sichtweise die bisherige Handhabung zementieren. Arbeitgeber und betroffene Arbeitnehmer sollten die BAG-Entscheidung aufmerksam verfolgen. Bis dahin empfiehlt es sich, keine abschließenden Verzichtserklärungen oder Zusagen zu machen, sondern das Verfahren abzuwarten.
Geltung für andere Berufsgruppen: Offene Fragen stellen sich auch außerhalb dieses speziellen Falls. Zwar ging es hier um einen öffentlichen Dienstfahrer und tarifrechtliche Vorschriften. Doch ähnliche Konstellationen gibt es in der Privatwirtschaft – etwa bei Firmenchauffeuren, Kurierfahrern oder Mitarbeitern im Vertrieb mit viel Reisetätigkeit. Zwar existiert dort kein automatischer Tagegeld-Anspruch ohne entsprechende Vereinbarung. Aber analog stellt sich die Frage: Wann ist eine Reise so außergewöhnlich, dass Spesen gezahlt werden sollten? Das LAG-Urteil dürfte Arbeitgeber in der Privatwirtschaft bestärken, im Zweifel zu sagen: Regelmäßige Außendienstfahrten sind Teil der Arbeitspflicht, keine Dienstreisen. Beschäftigte könnten dem entgegenhalten, dass zumindest längere Einsätze mit Übernachtungen oder über der üblichen Arbeitszeit liegende Touren gesonderte Kompensation verdienen. Hier bleibt Raum für betriebspolitische Lösungen oder individuelle Abmachungen, da das Arbeitsrecht außerhalb tariflicher Bindung viel Vertragsfreiheit lässt. Eine klare höchstrichterliche Linie zu Reisezeiten in solchen Berufen steht noch aus – das BAG-Urteil könnte hier mittelbar Orientierung bieten.
Tarifliche und gesetzliche Klarstellungen: Der Fall wirft schließlich die Frage auf, ob Tarifvertragsparteien oder Gesetzgeber für Klarheit sorgen sollten. Die Tarifregel im TV‑L verweist pauschal auf das Beamtenrecht, ohne Sonderfälle wie Dauerfahrer ausdrücklich zu regeln. Möglicherweise wird dieser Konflikt zum Anlass genommen, die Tarifvorschriften präziser zu fassen – etwa durch eine Definition, dass bestimmte Personengruppen (Fahrer, mobile Diensteinheiten) von der Tagegeldregel ausgenommen sind oder eigene Pauschalen erhalten. Auch in der Praxis der Reisekostenstellen könnte sich etwas ändern: Dienstherren werden sensibilisiert sein, Anträge auf Reisekosten von z. B. Fahrern nun besonders genau zu prüfen. Für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die viel unterwegs sind, bleibt vorerst eine gewisse Unsicherheit, bis das BAG gesprochen hat oder tarifliche/neue gesetzliche Regelungen geschaffen sind.
Verwandte Regelungen und Urteile
Reisekostenrecht: Im öffentlichen Dienst richtet sich die Erstattung von Reisekosten – einschließlich Fahrtkosten, Übernachtungskosten und Tagegeldern – in der Regel nach dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) oder entsprechenden Landesreisekostengesetzen, die für Beamtinnen gelten. Tarifangestellte werden durch Verweis in den Tarifverträgen meist gleichgestellt. So auch im TV‑L, der auf die für Beamte geltenden Vorschriften verweist. Das bedeutet, dass ein Angestellter nur dann Anspruch auf Tagegeld hat, wenn eine vergleichbarer Beamtein unter denselben Umständen einen Anspruch hätte. Im vorliegenden Fall sah das Gericht diese Voraussetzung nicht erfüllt, weil ein Beamter in vergleichbarer Fahrerfunktion ebenfalls keinen Reisekostensatz erhalten würde, solange er nicht aus seinem Dienstort heraus in außergewöhnlicher Weise tätig wird.
Frühere Rechtsprechung zu Reisezeiten: Das Thema Dienstreise ist in anderen Zusammenhängen bereits von Gerichten beleuchtet worden – etwa bei der Frage, ob Reisezeit Arbeitszeit ist. So hat das BAG beispielsweise entschieden, dass Reisezeiten, die im Auftrag des Arbeitgebers anfallen, grundsätzlich zu vergüten sind, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (z. B. aktives Fahren vs. Passagier). Diese Thematik unterscheidet sich jedoch von der Frage der Spesen: Selbst wenn Fahrzeiten als Arbeitszeit bezahlt werden müssen, heißt das nicht, dass auch Tagegelder zustehen. Die Vergütung von Reisezeit und die Erstattung von Mehraufwendungen sind getrennte rechtliche Ansprüche. Insofern ergänzt das LAG-Urteil die bisherige Rechtsprechung dahingehend, dass es klarstellt: Ohne Dienstreise keine Spesen – selbst wenn die gesamte Arbeitszeit auf der Straße verbracht wird.
Vergleichbare Fälle: Konstellationen, in denen Arbeitnehmer ihren Arbeitsort ständig wechseln, wurden in der Vergangenheit meist unter steuerlichen Aspekten diskutiert (Stichwort erste Tätigkeitsstätte im Einkommensteuerrecht). Arbeitsgerichtliche Entscheidungen zu Spesenansprüchen bei ständig wechselnden Einsatzorten sind rar. Ein gewisses Parallelthema ist die sogenannte Auslösesätze in der Bau- und Montagebranche – dort werden tariflich oft Pauschalen für Verpflegung und Unterkunft bei Montageeinsätzen gezahlt. Diese beruhen aber auf speziellen Branchenvereinbarungen. Allgemein gesetzlich geregelt ist im Arbeitsrecht nur, dass der Arbeitgeber notwendige Auslagen des Arbeitnehmers ersetzen muss (§ 670 BGB analog). Daraus könnte man im Grundsatz einen Anspruch ableiten, dass z. B. Verpflegungskosten auf Reisen vom Arbeitgeber getragen werden. Allerdings wird dieser Anspruch regelmäßig durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung konkretisiert – oder eben, wie hier, eingeschränkt. Das LAG Niedersachsen hat nun verdeutlicht, dass die tarifliche Einschränkung („keine Dienstreise, kein Tagegeld“) wirksam ist und Vorrang vor einem allgemeinen Aufwendungsersatz hat.
Das Urteil des LAG Niedersachsen vom 16.10.2025 bringt Licht in eine Grauzone des Reisekostenrechts im Arbeitsverhältnis. Für Arbeitgeber ist die Entscheidung beruhigend: Sie können bei Mobil-Jobs darauf vertrauen, dass normale Arbeitstouren nicht zusätzlich mit Tagegeldern belastet werden müssen, sofern Tarifrecht oder Verträge nichts anderes vorsehen. Für Arbeitnehmer ist das Ergebnis zweischneidig: Einerseits schafft es Klarheit, andererseits gehen damit potenzielle Zusatzvergütungen verloren, die man sich erhofft hatte. Wichtig ist nun, die Entscheidung praxisnah umzusetzen: durch transparente Regeln, faire Gehaltsstrukturen und – wo Unklarheiten bleiben – durch frühe Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Da das letzte Wort in dieser Sache dem Bundesarbeitsgericht vorbehalten ist, sollten beide Seiten die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen. Ungeachtet des Verfahrens lehrt dieser Fall, wie entscheidend klare Vertrags- und Regelungswerke sind, um Streit über Reisekosten gar nicht erst aufkommen zu lassen. In der Reisepraxis gilt jedenfalls: Wer dauerhaft „on the road“ ist, darf das nicht ohne weiteres mit einem pralleren Spesenbeutel gleichsetzen – maßgeblich ist, was Recht und Tarif dazu sagen. Das LAG Niedersachsen hat hier für den öffentlichen Dienst eine deutliche Sprache gesprochen.