Autopanne kurz vor dem Termin – keine Videozuschaltung: Gerät das Auto vor dem Gerichtstermin in Schwierigkeiten, muss man notfalls auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen. Jedenfalls reicht ein solches Problem nicht, um im letzten Moment noch eine Videoverhandlung zu erzwingen. Der Bundesfinanzhof (BFH) entschied im Beschluss vom 19.09.2025 (Az. III B 95/24), dass ein erst nach Dienstschluss des Gerichts gestellter Antrag auf Durchführung einer Videoverhandlung am nächsten Morgen nicht berücksichtigt werden muss.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Im zugrunde liegenden Fall vor dem Finanzgericht (FG) Dessau-Roßlau hatte sich eine Rechtsanwältin selbst vertreten. Sie war zur mündlichen Verhandlung am Vormittag des 26.09.2024 geladen worden – mit dem Hinweis, dass beim Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden könne (§ 91 Abs. 2 FGO). Erst nach 21:00 Uhr am Vorabend (also nach Dienstschluss des Gerichts) stellte die Anwältin per Fax und über ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) einen Antrag, die Verhandlung am nächsten Morgen per Videokonferenz durchzuführen. Als Grund gab sie an, ihr Kfz sei kurzfristig ausgefallen.
Das Gericht reagierte noch vor Beginn der Verhandlung mit einem Schreiben der Senatsvorsitzenden: Am Verhandlungstag stehe keine Videokonferenztechnik zur Verfügung. Einen erheblichen Grund für eine Terminsaufhebung sehe man nicht, denn die Anwältin könne trotz des Autoproblems z.B. mit öffentlichen Verkehrsmitteln rechtzeitig zum Termin kommen – den damit verbundenen Mehraufwand müsse sie hinnehmen. Die mündliche Verhandlung fand daraufhin am 26.09.2024 in Abwesenheit der Klägerin statt; das FG verhandelte ohne sie und ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
Kurz nach Abschluss der Sitzung (Urteilsverkündung gegen 9:41 Uhr) ging beim FG noch ein weiteres Schreiben der Anwältin ein: Darin beantragte sie nachträglich die Verlegung der Verhandlung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diese Anträge blieben erfolglos. Die Anwältin legte daraufhin gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde beim BFH ein, gestützt unter anderem auf eine Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Der BFH hat diese Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Kernaussage des BFH und rechtliche Bewertung
Der BFH machte in seinem Beschluss unmissverständlich klar, dass aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) kein Anspruch auf eine Videoverhandlung folgt, zumindest dann nicht, wenn der Antrag erstmals „in letzter Minute“ – nämlich nach Dienstschluss am Vorabend – gestellt wird, der Termin für den frühen Vormittag angesetzt war und im Gericht keine Videotechnik verfügbar ist. Ein so spät eingereichter Antrag muss vom Gericht nicht mehr berücksichtigt werden. Entsprechend durfte das FG hier die Verhandlung ohne die abwesende Klägerin durchführen, ohne deren rechtliches Gehör zu verletzen.
Zunächst hob der BFH auf die zeitliche Abfolge ab: Aufgrund des späten Antrags war dem FG weder zu Beginn noch bis zum Ende der Verhandlung ein ausreichender Grund für eine Terminverlegung bekannt. Die Klägerin hatte vor dem Termin nur die Durchführung einer Videokonferenz beantragt; um Verlegung ging es erst in ihrem zweiten Antrag – nach Ende der Sitzung. Einen „Verlegungsantrag in letzter Minute“ hätte sie von sich aus substanziiert begründen und glaubhaft machen müssen – das Gericht musste sie auf diese Pflicht nicht extra hinweisen. Im Ergebnis brauchte das FG den Termin also nicht aufzuschieben und durfte trotz ihrer Abwesenheit verhandeln. Schon aus diesen Gründen sah der BFH den Anspruch auf rechtliches Gehör als nicht verletzt an.
Zudem stellte der BFH klar, dass das Gericht dem Videokonferenz-Antrag auch inhaltlich nicht entsprechen musste. Zum einen war gar nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin tatsächlich verhindert war – der bloße Ausfall ihres Autos genügte dem BFH nicht als unüberwindbares Hindernis. Zum anderen blieb bei der derart kurzfristigen Beantragung keine Zeit, eine Videokonferenz für den frühen Termin technisch zu ermöglichen. Beide Umstände zusammen nahmen dem Begehren der Klägerin die Grundlage, sodass keine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG vorlag.
Ferner verneinte der BFH eine gerichtliche Hinweispflicht: Das FG habe die Anwältin weder auf etwaige Defizite ihres (nicht begründeten) Last-Minute-Antrags aufmerksam machen müssen, noch musste es die Beteiligten vorab über die fehlende Videokonferenztechnik im Gerichtsgebäude informieren. Für das Gericht war im Vorfeld nicht erkennbar, dass überhaupt ein Antrag auf Videoteilnahme gestellt würde. Eine rechtskundige Partei dürfe sich nicht ungefragt darauf verlassen, dass eine spontane Videozuschaltung „in letzter Minute“ problemlos möglich ist.
Schließlich wies der BFH darauf hin, dass grundsätzlich kein Anspruch auf Durchführung einer Verhandlung per Video besteht, sofern die erforderliche Technik nicht vorhanden ist. Die Verfahrensordnungen sehen Videoverhandlungen nur in geeigneten Fällen und nur vorbehaltlich ausreichender technischer Kapazitäten vor. Ob das FG sich im konkreten Fall auf die fehlende Ausstattung berufen durfte, konnte der BFH dahinstehen lassen – unabhängig davon fehlte es hier aus den genannten Gründen an einem Recht auf eine kurzfristig eingeforderte Videoverhandlung.
Bedeutung für die Praxis: Fristwahrung und technische Anträge
Die Entscheidung des BFH verdeutlicht, dass eine Videoverhandlung kein Notfallinstrument in letzter Sekunde ist. Fristen und Timing spielen eine entscheidende Rolle. Wird ein Antrag auf Videoteilnahme zu spät gestellt, insbesondere erst nach Geschäftsende am Tag vor dem Termin, läuft man Gefahr, dass das Gericht ihn nicht mehr berücksichtigt – ohne dass darin ein Verfahrensfehler liegt. Aus dem Recht auf Gehör lässt sich eben nicht ableiten, dass Gerichte ihre Abläufe ad hoc umorganisieren oder technische Lösungen aus dem Hut zaubern müssen, wenn die Gegenseite unvorbereitet fehlt. Gerade kurzfristige Anträge erfordern nach ständiger Rechtsprechung eine besonders gründliche Begründung und Glaubhaftmachung durch den Beteiligten selbst. Andernfalls darf – und wird – das Gericht in der Regel den Termin planmäßig durchführen.
Für die anwaltliche Praxis bedeutet das: Rechtzeitige Planung ist unerlässlich. Wer eine Teilnahme per Videokonferenz nach § 91a FGO (bzw. § 128a ZPO) in Erwägung zieht, sollte den Antrag frühzeitig stellen – idealerweise mehrere Tage vor dem Termin –, damit das Gericht organisatorisch darauf reagieren kann. Zwar hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab Juli 2024 die Nutzung von Videotechnik in der Finanzgerichtsbarkeit erleichtert und vereinheitlicht. Doch auch das neue Recht verlangt einen geeigneten Fall und verfügbare Ressourcen und gibt den Gerichten Ermessen. Ein Anspruch auf eine Videoverhandlung besteht nicht „auf Knopfdruck“, sondern nur im Rahmen der technischen und zeitlichen Möglichkeiten des Gerichts.
Die Entscheidung unterstreicht auch die Eigenverantwortung der Verfahrensbeteiligten bei unvorhergesehenen Hindernissen. Wer etwa auf dem Weg zur Verhandlung eine Panne oder Verspätung erleidet, sollte unverzüglich reagieren: das Gericht (und ggf. die Gegenseite) sofort informieren und – falls absehbar ist, dass eine rechtzeitige Ankunft nicht gelingt – umgehend Terminverlegung beantragen. Dieser Antrag muss dann aber substantiiert begründet und am besten mit Belegen untermauert werden. Je kurzfristiger das Gesuch, desto strenger die Anforderungen: Nach BFH-Rechtsprechung ist eine Terminsaufhebung „jedenfalls dann nicht geboten“, wenn der Prozessbeteiligte bei einem kurzfristigen Ausfall seines Verkehrsmittels weder alternative Reisemöglichkeiten darlegt noch die Möglichkeit einer Videozuschaltung nutzt. Anders gewendet: Ein Beteiligter sollte alle zumutbaren Mittel ausschöpfen, um den Termin wahrzunehmen – sei es durch Umstieg auf Bahn/ÖPNV, die Zuschaltung per Video (sofern vorab vereinbart!), oder das frühzeitige Absetzen eines Verlegungsantrags mit ausführlicher Begründung.
Empfehlungen für Anwältinnen, Anwälte und Beteiligte
Angesichts dieser Rechtsprechung sollten Verfahrensbeteiligte folgende Praxistipps beachten:
- Termine vorausschauend planen: Reisen zu Gerichtsterminen mit ausreichendem Puffer planen. Verzögerungen durch Verkehr, Pannen oder Wetter einkalkulieren und ggf. eine frühere Anreise erwägen, insbesondere bei wichtigen Verhandlungen am frühen Morgen.
- Videotechnik frühzeitig klären: Wer eine Teilnahme per Videokonferenz erwägt, sollte rechtzeitig (Tage im Voraus) einen Antrag nach § 91a FGO stellen. Vorab kann man bei der Gerichtsverwaltung nachfragen, ob ausreichend Videokonferenztechnik vorhanden ist – spontan ist das nicht überall gewährleistet.
- Bei Problemen sofort reagieren: Treten unvorhergesehene Hindernisse auf dem Weg zum Termin auf (z.B. Autopanne, Zugausfall, plötzliche Erkrankung), umgehend das Gericht informieren. Noch vor der Verhandlung (möglichst während der Geschäftszeiten) sollte ein Terminverlegungsantrag gestellt werden, begründet mit allen relevanten Umständen. Eigene Bemühungen (Alternativrouten, Ersatzverkehrsmittel) sollten dargelegt und – falls möglich – belegt werden, um die Glaubhaftigkeit zu untermauern.
- Keine falschen Erwartungen an Videokonferenzen: Verfahrensbeteiligte dürfen nicht davon ausgehen, dass ein Gericht im letzten Moment auf Videobetrieb umstellen kann oder muss. Eine Videoteilnahme will vorbereitet sein – technisch und rechtlich. Wer diese Option nutzen möchte, sollte sie früh ins Gespräch bringen und verbindlich beantragen, statt sie als spontanen Notfallplan zu betrachten.
Ausblick: Wie könnten Gerichte mit ähnlichen Fällen umgehen?
Der BFH-Beschluss vom 19.09.2025 gibt den Instanzgerichten eine klare Linie vor. Es ist zu erwarten, dass Gerichte in vergleichbaren Fällen ebenso verfahren: Ein erst in allerletzter Minute gestellter Antrag auf Videoverhandlung (oder auf Terminverschiebung) wird in der Regel abgelehnt, sofern nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen. Die Strenge mag in Einzelfällen hart erscheinen, dient aber der Verlässlichkeit und Planbarkeit gerichtlicher Verfahren. Dank der aktuellen Rechtslage sind Videoverhandlungen zwar häufiger möglich, doch ausdrücklich „nur in geeigneten Fällen und soweit ausreichende Kapazitäten zur Verfügung stehen“. Gerichte behalten also einen Ermessensspielraum.
Denkbar ist, dass mit zunehmender technischer Ausstattung mancher Richter künftig pragmatisch reagiert und eine kurzfristige Videoschaltung ermöglicht, wenn dies unkompliziert machbar ist und eine Verlegung des Termins vermeiden hilft. Einen Rechtsanspruch darauf gibt es jedoch nicht. Im Zweifel werden Gerichte – gestützt durch die BFH-Rechtsprechung – eher auf der Einhaltung von Fristen und Präsenz bestehen. Für Beteiligte heißt das: Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte rechtzeitig planen, beantragen und kommunizieren, statt auf last-minute-Lösungen zu vertrauen. Kritisch bleibt anzumerken, dass die Gerichte umgekehrt angehalten sind, die neuen technischen Möglichkeiten so bereitzustellen, dass sie in geeigneten Fällen auch tatsächlich genutzt werden können. Die Verantwortung für das Gelingen einer Gerichtsverhandlung liegt letztlich bei allen Beteiligten: bei den Parteien, ihre Rechte durch umsichtiges Handeln zu wahren, und bei den Gerichten, zeitgemäße Wege (wie Videoverhandlungen) im Rahmen des Möglichen zu eröffnen – jedoch eben nicht über Nacht und ohne vorbereitende Abstimmung.
Die BFH-Entscheidung mahnt Anwältinnen, Anwälte und andere Verfahrensbeteiligte, sich nicht auf den letzten Drücker auf technische Ausweichmöglichkeiten zu verlassen. Wer sein rechtliches Gehör wahren will, muss selbst aktiv und fristgerecht dafür sorgen. Gleichzeitig wird deutlich, dass Videoverhandlungen zwar auf dem Vormarsch sind, aber kein Allheilmittel für Verspätungen darstellen – gute Vorbereitung bleibt das A und O im finanzgerichtlichen Verfahren.