Nach drei Abmahnungen Kündigung – stimmt das wirklich?

26. Oktober 2025 -

Der Mythos der „drei Abmahnungen“

Es hält sich hartnäckig die Vorstellung, ein Arbeitgeber müsse drei Abmahnungen aussprechen, bevor er kündigen dürfe – oder umgekehrt, nach drei Abmahnungen könne automatisch gekündigt werden. Diese pauschale „Drei-Abmahnungen-Regel“ ist ein weitverbreiteter Irrtum. Weder Gesetz noch Rechtsprechung kennen eine feste Zahl an Abmahnungen als Voraussetzung für eine Kündigung. Entscheidend ist stets der Einzelfall: die Schwere des Fehlverhaltens, das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Abmahnung und ob dem Arbeitnehmer ausreichend Gelegenheit zur Besserung gegeben wurde. Mit anderen Worten: „Drei Treffer“ sind nicht automatisch „raus“, sondern es kommt auf das Kontext und die Umstände des jeweiligen Falls an.

Abmahnung – Warnschuss und letzte Chance

Eine Abmahnung dient im Arbeitsrecht als ernsthafte Warnung. Der Arbeitgeber rügt ein konkretes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers und macht deutlich, dass er dieses Verhalten nicht akzeptiert. Zugleich soll die Abmahnung dem Arbeitnehmer die Chance geben, sein Verhalten zu ändern, um eine Kündigung abzuwenden. Man spricht daher oft vom „Warnschuss“ oder einer Gelben Karte: Der Arbeitnehmer wird auf sein Fehlverhalten hingewiesen und unmissverständlich gewarnt, dass im Wiederholungsfall eine Kündigung droht. Eine Abmahnung ist damit in der Regel Voraussetzung für die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung – sie zeigt, dass der Arbeitgeber das mildere Mittel ergriffen hat, bevor er zum letzten Mittel Kündigung greift.

Allerdings führt nicht jede Abmahnung automatisch zur Kündigung, wenn es erneut zu Problemen kommt. Im Gegenteil: Idealerweise soll die Abmahnung eine Kündigung gerade verhindern, indem der Arbeitnehmer sein Verhalten bessert. Sie ist keine Formalität, um eine Kündigung „vorzubereiten“, sondern ein konstruktiver Hinweis. Oft lässt sich beobachten, dass Arbeitgeber gar nicht primär an einer Kündigung interessiert sind, sondern an einer Verhaltensänderung – die Abmahnung signalisiert aber auch, dass die Geduld endlich ist.

Verhaltensbedingte Kündigung: Wann ist eine Abmahnung nötig?

Kündigung ist im Arbeitsrecht das letzte Mittel („ultima ratio“). Bei einer verhaltensbedingten Kündigung – also Kündigung wegen eines steuerbaren Fehlverhaltens des Arbeitnehmers – verlangt die Rechtsprechung in der Regel zumindest eine vorherige Abmahnung als milderes Mittel. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer zunächst deutlich vor Augen führen, welches Verhalten vertragswidrig war, und ihn auffordern, dies zukünftig zu unterlassen, anstatt sofort zu kündigen. Fehlt eine solche einschlägige Abmahnung, ist die Kündigung oft unverhältnismäßig und damit unwirksam.

Eine Abmahnung ist immer dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer sein Verhalten beeinflussen kann und man von ihm erwarten kann, dass er es nach der Warnung verbessert. Beispiel: Unpünktlichkeit, Missachtung von Anweisungen oder unangemessener Umgang mit Kunden/Kollegen – all dies liegt im Verhaltensspielraum des Arbeitnehmers und muss normalerweise zunächst abgemahnt werden. Nicht erforderlich (und sogar unzulässig) ist eine Abmahnung hingegen, wenn der Grund außerhalb des Einflussbereichs des Arbeitnehmers liegt, z.B. Krankheit: Für krankheitsbedingte Fehlzeiten darf keine Abmahnung erteilt werden, da Kranksein kein steuerbares Fehlverhalten ist. Ebenso muss bei betriebsbedingten Kündigungen (z.B. Stellenabbau) oder personenbedingten Kündigungen (z.B. dauerhafte Erkrankung, fehlende Eignung) keine Abmahnung vorausgehen, da hier kein Fehlverhalten vorliegt.

Wie viele Abmahnungen braucht es bis zur Kündigung?

Einen festen „Abmahnkatalog“ gibt es nicht. Weder gilt „drei müssen es sein“ noch „drei reichen immer“. In vielen Fällen kann schon eine einzige vorherige Abmahnung ausreichen, um bei erneutem gleichartigem Fehlverhalten eine Kündigung zu rechtfertigen. Entscheidend ist die Schwere des Pflichtverstoßes und die Prognose für das künftige Verhalten. Je schwerwiegender das Fehlverhalten, desto weniger Abmahnungen sind erforderlich, weil der Vertrauensbruch gravierender ist. Beispiel: Bei wiederholtem gravierendem Verstoß – etwa wiederholtes alkoholisiertes Erscheinen am Arbeitsplatz in einem sicherheitsrelevanten Job – kann schon eine Abmahnung genügen, um beim nächsten Vorfall eine Kündigung auszusprechen. Hingegen werden bei leichten Verstößen (z.B. gelegentlich ein paar Minuten zu spät kommen) oftmals mehrere Abmahnungen nötig sein, bis eine Kündigung sozial gerechtfertigt ist.

Die Zeitspanne seit der letzten Abmahnung spielt ebenfalls eine Rolle. Liegt die letzte Abmahnung lange zurück (etwa ein oder zwei Jahre ohne weitere Vorfälle), darf der Arbeitgeber nicht einfach auf eine uralte Abmahnung zurückgreifen – das Fehlverhalten gilt dann als „bewährt“ geändert, und ein späterer erneuter Verstoß muss meist erneut abgemahnt werden. Umgekehrt, wenn nach kurzer Zeit erneut das gleiche Fehlverhalten auftritt, kann eine Kündigung schon nach der ersten Abmahnung wirksam sein. Hierbei wird auch die Reaktion des Arbeitnehmers berücksichtigt: Zeigt er nach der Abmahnung keinerlei Einsicht oder Besserungswillen, ist eine negative Prognose gerechtfertigt und der Arbeitgeber wird nicht endlos weitere Abmahnungen aussprechen müssen.

Achtung: Zu viele Abmahnungen können kontraproduktiv sein. Wenn ein Arbeitgeber x‑mal abmahnt, ohne Konsequenzen zu ziehen, verliert die Abmahnung an Warnwirkung. Irgendwann nimmt der Arbeitnehmer die angedrohte Kündigung nicht mehr ernst, und ein Gericht könnte argumentieren, der Arbeitgeber habe das Verhalten offenbar geduldet. Deshalb sollte spätestens in der letzten Abmahnung unmissverständlich klargemacht werden, dass beim nächsten Verstoß die Kündigung erfolgt. In der Praxis empfehlen viele Arbeitsrechtler, zumindest zwei Abmahnungen auszusprechen, um dem Arbeitnehmer eine faire Bewährungschance zu geben, bevor an Kündigung gedacht wird. Eine rechtliche Pflicht zu „mindestens zwei Abmahnungen“ besteht aber nicht – es handelt sich um eine Ermessens- und Vorsichtsfrage im Einzelfall.

Kündigung trotz Abmahnungen nur bei wiederholtem gleichen Fehlverhalten

Wichtig ist, dass eine Kündigung nach Abmahnung nur bei einem wiederholten vergleichbaren Fehlverhalten gerechtfertigt ist. Abmahnungen sind „einschlägig“, d.h. sie beziehen sich immer auf eine bestimmte Pflichtverletzung. Wiederholt der Arbeitnehmer genau dieses oder ein sehr ähnliches Fehlverhalten, hat er die Warnung in den Wind geschlagen – dann darf der Arbeitgeber (unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeit und Dauer der Betriebszugehörigkeit) kündigen. Passiert dagegen etwas völlig Anderes, hilft die alte Abmahnung wenig, denn es liegt kein „Wiederholungsfall“ vor.

Beispiel 1: Ein Arbeitnehmer nutzt verbotenerweise seinen Dienstcomputer privat und erhält dafür eine Abmahnung. Wenig später verstößt er erneut gegen seine Pflichten, indem er während der Arbeitszeit ein längeres privates Telefonat über das Büro-Telefon führt. Hier liegt ein ähnlicher Pflichtverstoß vor – in beiden Fällen geht es um die private Nutzung betrieblicher Arbeitsmittel. Die Kündigung ist in diesem Fall wirksam, obwohl die genaue Art (Surfen vs. Telefonieren) unterschiedlich war, denn beide Verstöße gehören zur gleichen Kategorie und wurden bereits abgemahnt.

Beispiel 2: Eine Arbeitnehmerin wurde fünfmal wegen Unpünktlichkeit abgemahnt. Als der Arbeitgeber sie dann wegen privater Internetnutzung während der Arbeitszeit kündigt, hält er das für gerechtfertigt, da „nun ja genug Abmahnungen vorliegen“. Tatsächlich ist diese Kündigung unwirksam, weil die früheren Abmahnungen ein anderes Fehlverhalten betrafen (ZusPätkommen) und keine einschlägige Warnung vor privater Internetnutzung enthalten. Der Arbeitgeber hätte zuerst auch die Internetnutzung abmahnen müssen, bevor er deswegen kündigt. Merke: Abmahnung und Kündigungsgrund müssen deckungsgleich sein – eine Abmahnung „auf Vorrat“ für alle möglichen Vergehen zählt nicht.

Ausnahmefälle: Kündigung ohne (vorherige) Abmahnung

Grundsätzlich muss vor einer verhaltensbedingten Kündigung abgemahnt werden – doch es gibt enge Ausnahmen. In Extremsituationen kann der Arbeitgeber sofort kündigen, weil eine Abmahnung entbehrlich oder unzumutbar ist. Das betrifft Fälle, in denen das Fehlverhalten so gravierend ist, dass das Vertrauensverhältnis irreparabel zerstört wurde und selbst eine einmalige Wiederholung absolut untragbar wäre. Beispiele:

  • Diebstahl oder Unterschlagung im Betrieb (z.B. Geld aus der Kasse nehmen) – hier liegt ein schwerer Vertrauensbruch vor.
  • Tätliche Angriffe oder schwere Beleidigungen gegenüber Vorgesetzten oder Kollegen – auch hier kann schon ein einmaliger Vorfall zur fristlosen Kündigung führen.
  • Eigenmächtiger Urlaubsantritt (der Arbeitnehmer nimmt sich ohne Genehmigung frei) – die Rechtsprechung sieht hierin regelmäßig einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung, da der Arbeitnehmer „auf eigene Faust“ seine Hauptleistungspflicht verletzt.
  • Arbeitszeitbetrug oder beharrliche Arbeitsverweigerung – z.B. wiederholtes Stempeln für Kollegen, systematisches Vortäuschen von Arbeitsleistung, oder wenn der Arbeitnehmer ausdrücklich erklärt, er werde Anweisungen nicht befolgen. Hier kann im Einzelfall eine Abmahnung entbehrlich sein, vor allem wenn der Arbeitnehmer zu erkennen gibt, dass er sein Verhalten nicht ändern wird.

In solchen Situationen wird argumentiert, dass selbst nach einer Abmahnung keine Verhaltensänderung zu erwarten ist oder das Vertrauensverhältnis bereits endgültig zerstört wurde. Der Arbeitgeber muss dann nicht erst abmahnen, sondern darf ausnahmsweise ohne Vorwarnung kündigen – häufig sogar fristlos, also ohne Einhaltung der Kündigungsfrist (sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung vorliegen, § 626 BGB). Vorsicht: Die Hürden dafür sind hoch. Was als „schwerwiegender Fall“ gilt, wird von den Gerichten sehr streng beurteilt. Ein klassisches Beispiel ist der Diebstahl geringwertiger Dinge nach langer Betriebszugehörigkeit: Trotz des Vertrauensbruchs haben Gerichte (im berühmten „Emmely“-Fall des BAG) abgewogen, dass eine außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig war, weil der Schaden minimal und die Betriebszugehörigkeit lang war. Arbeitgeber sollten im Zweifel eher einmal abmahnen, bevor sie riskieren, dass eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung vor Gericht scheitert.

Zur Vollständigkeit sei erwähnt: Betriebsbedingte und personenbedingte Kündigungen (z.B. betriebliche Gründe, dauerhafte Krankheit, fehlende Arbeitserlaubnis) erfordern keine Abmahnung. Dort geht es nicht um steuerbares Fehlverhalten, sondern um Umstände, die der Arbeitnehmer nicht „einfach ändern“ kann – eine Abmahnung wäre ins Leere gehend.

Voraussetzungen: Was muss eine Abmahnung enthalten?

Damit eine Abmahnung im Ernstfall als wirksame Grundlage für eine spätere Kündigung dient, muss sie bestimmten Inhaltlichen Anforderungen genügen. Formalien wie Betreff, Datum und klare Adressierung an den betreffenden Arbeitnehmer sind selbstverständlich. Entscheidend sind vor allem drei Funktionen der Abmahnung:

  • Hinweisfunktion: Die Abmahnung muss das konkrete Fehlverhalten klar benennen – was genau, wann, wo ist vorgefallen? Nur wenn der Arbeitnehmer genau weiß, was ihm vorgeworfen wird, kann er sein Verhalten ändern. Pauschale Anschuldigungen reichen nicht aus. Datum, Uhrzeit, Ort und Beschreibung der Pflichtverletzung sollten möglichst präzise enthalten sein. Beispiel: Statt bloß „Sie arbeiten schlecht“ muss es heißen: „Am 12.10.2025 haben Sie entgegen der Anweisung vom 10.10. eigenmächtig die Maschine XY abgestellt und dadurch die Produktion 30 Minuten verzögert.“
  • Ermahnungsfunktion: Der Arbeitnehmer muss eindeutig dazu aufgefordert werden, dieses Verhalten zukünftig zu unterlassen und seine vertraglichen Pflichten einzuhalten. Die Abmahnung soll unmissverständlich klarstellen: „Ihr Verhalten verstößt gegen Ihre Pflichten. Ich erwarte, dass Sie ab sofort pünktlich zur Arbeit erscheinen/keine privaten Telefonate während der Arbeitszeit führen/etc.“ Damit wird dem Arbeitnehmer die Chance zur Korrektur gegeben.
  • Warnfunktion: Schließlich muss die Abmahnung eine klare Warnung vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen Üblich ist die Formulierung, dass im Wiederholungsfall der Bestand des Arbeitsverhältnisses in Gefahr ist oder eine Kündigung droht. Fehlt dieser Hinweis auf die Kündigung, kann der Arbeitgeber beim nächsten Verstoß nicht ohne Weiteres kündigen, sondern müsste den Mitarbeiter erst erneut – diesmal ausdrücklich mit Kündigungsandrohung – abmahnen. Die Warnung ist das Kernstück: Sie macht die Abmahnung zum „letzten Hinweis“.

Form: Eine Abmahnung sollte schriftlich erfolgen und dem Arbeitnehmer nachweislich zugehen (persönliche Übergabe gegen Empfangsbestätigung oder Zustellung per Einschreiben). Theoretisch sind zwar auch mündliche Abmahnungen gültig, aber aus Beweisgründen sind sie riskant. Wer darf abmahnen? In der Regel der Arbeitgeber selbst oder bevollmächtigte Vorgesetzte. Eine Abmahnung durch einen Kollegen ohne Weisungsbefugnis wäre unwirksam.

Inhaltlich unwirksam ist eine Abmahnung, die unzureichend konkret ist oder einen unberechtigten Vorwurf enthält. Der Arbeitgeber muss das Fehlverhalten im Streitfall beweisen können. Enthält die Abmahnung falsche Tatsachen, überzogene Behauptungen oder generalisiert mehrere Vorfälle, kann sie angegriffen werden. Ebenso unzulässig ist eine Abmahnung wegen Sachverhalten, die der Arbeitnehmer nicht steuern kann (z.B. Krankheit, behördlich angeordnete Quarantäne – dafür darf nicht abgemahnt werden).

Verhältnis von Abmahnung und Personalakte: Abmahnungen werden in der Personalakte des Arbeitnehmers dokumentiert. Eine zu alte Abmahnung (Faustregel: über 2 Jahre ohne vergleichbaren Vorfall) verliert an Bedeutung – der Arbeitgeber darf sich darauf im Kündigungsfall meist nicht mehr stützen. Arbeitnehmer können unter Umständen verlangen, dass eine unberechtigte Abmahnung aus der Personalakte entfernt wird, oder sie können zumindest eine Gegendarstellung hinzufügen, um ihre Sicht der Dinge festzuhalten.

Typische Irrtümer rund um Abmahnung und Kündigung

Es kursieren – neben dem „Drei-Abmahnungen“-Mythos – einige weitere Irrtümer bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Hier die wichtigsten Klarstellungen:

  • „Ohne meine Unterschrift ist die Abmahnung ungültig.“ Eine Abmahnung ist keine Vertragsänderung, die der Zustimmung des Arbeitnehmers bedarf, sondern eine einseitige Rüge. Sie gilt auch ohne Unterschrift des Arbeitnehmers. Die Unterschrift dient meist nur dem Empfangsnachweis. Der Arbeitnehmer sollte nicht inhaltlich „einverstanden“ unterschreiben, sondern höchstens den Erhalt bestätigen – und auch das nur, wenn ihm eine Kopie der Abmahnung vorliegt. Weigert er sich, kann der Arbeitgeber die Abmahnung z.B. vor Zeugen übergeben oder per Einschreiben schicken.
  • „Abmahnungen müssen drei Jahre nach Erhalt gelöscht werden.“ Nicht unbedingt. Es gibt kein Gesetz, das eine starre Frist für die „Gültigkeit“ oder Aufbewahrung von Abmahnungen vorschreibt. Allerdings haben Arbeitsgerichte entschieden, dass sehr alte Abmahnungen im Kündigungsfall an Beweiskraft verlieren. Viele Arbeitgeber entfernen Abmahnungen auf freiwilliger Basis nach 2–3 Jahren aus der Personalakte, sofern seitdem keine weiteren Vorfälle aufgetreten sind – ein Zeichen der Bewährung. Ein rechtlicher Anspruch auf Löschung besteht aber nur, wenn die Abmahnung unberechtigt war oder ihr Zweck (Warnung) durch Zeitablauf hinfällig ist.
  • „Nach der Abmahnung muss der Arbeitgeber innerhalb von X Tagen kündigen, sonst verfällt die Abmahnung.“ So pauschal nicht richtig. Zwar sollte eine Kündigung aus bekanntem Fehlverhalten nicht zu lange hinausgezögert werden, da sonst der Vorwurf an Gewicht verliert. Aber eine Abmahnung hat nicht etwa nur wochenlange „Haltbarkeit“. Sie bleibt grundsätzlich in der Personalakte, bis der Arbeitgeber sie entfernt oder sie durch längeren Zeitablauf an Relevanz verliert. Es gibt keinen festen Verfallszeitpunkt außer dem, was Gerichte im Einzelfall als nicht mehr einschlägig betrachten (siehe oben).
  • „Ohne Abmahnung kann man nie kündigen.“ Nicht absolut. Wie oben erläutert, gibt es Ausnahmefälle (schweres Fehlverhalten wie Diebstahl, Gewalt etc.), in denen eine Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung wirksam sein kann. Außerdem gilt die Abmahnpflicht nur im Kündigungsschutz-Kontext: Befindet sich ein Arbeitnehmer z.B. noch in der Probezeit oder arbeitet in einem Kleinbetrieb (weniger als 10 Mitarbeiter) und genießt kein Kündigungsschutz nach KSchG, kann der Arbeitgeber rechtlich gesehen auch ohne Abmahnung ordentlich kündigen (hier ist keine soziale Rechtfertigung nötig). Dennoch achten viele Arbeitgeber auch in solchen Fällen auf faires Vorgehen und nutzen Abmahnungen, um Konflikte ggf. ohne Kündigung zu lösen.
  • „Drei Abmahnungen bedeuten automatisch die Kündigung.“ Wie bereits dargestellt, berechtigen drei Abmahnungen nicht automatisch zur Kündigung. Wenn die Abmahnungen für unterschiedliche oder geringfügige Verstöße erteilt wurden, kann eine Kündigung unverhältnismäßig sein. Der Arbeitgeber muss immer prüfen, ob der letzte Vorfall für sich genommen kündigungsrelevant ist und ob die Abmahnungen als deutliche Warnung für dieses Verhalten ausreichen. Genauso wenig muss ein Arbeitgeber drei Abmahnungen abwarten, wenn schon nach der ersten oder zweiten Abmahnung klar wird, dass keine Besserung eintritt und der Verstoß weiterhin erheblich ist.

Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber

  • Abmahnungen gezielt und angemessen einsetzen: Als Arbeitgeber sollten Sie eine Abmahnung nicht leichtfertig aussprechen, aber wenn ein abmahnfähiges Fehlverhalten vorliegt, zögern Sie nicht, das Instrument auch zu nutzen. Dokumentieren Sie Pflichtverstöße genau und sprechen Sie die Abmahnung zeitnah nach dem Vorfall aus – so bleibt der Zusammenhang klar. Warten Sie nicht erst drei ähnliche Vorfälle ab, wenn schon früher erkennbar ist, dass eine Warnung nötig ist. Beachten Sie aber die Verhältnismäßigkeit: bei kleineren Verstößen ggf. zunächst das Gespräch suchen oder eine Verwarnung (ohne Kündigungsandrohung) in Betracht ziehen, bevor gleich die formale Abmahnung folgt.
  • Inhaltlich korrekte Abmahnung formulieren: Stellen Sie sicher, dass Ihre Abmahnung die oben genannten Anforderungen erfüllt: konkrete Schilderung des Fehlverhaltens (mit Datum/Uhrzeit), Aufforderung zur Vertragstreue in Zukunft und klare Warnung vor Kündigung im Wiederholungsfall. Bleiben Sie sachlich und präzise. Verzichten Sie auf abfällige Formulierungen oder übertriebene Vorwürfe – die Abmahnung sollte zwar unmissverständlich, aber möglichst „konstruktiv“ bleibe. Ihr Ziel ist die Verhaltensänderung, nicht die Bloßstellung.
  • Passende Reaktion auf erneuten Verstoß: Verstößt der Arbeitnehmer nach einer Abmahnung erneut gegen dieselbe Pflicht, müssen Sie als Arbeitgeber abwägen: Ist jetzt der Punkt für eine Kündigung erreicht? Prüfen Sie die Schwere des erneuten Vorfalls. Handelt es sich um genau das Verhalten, vor dem gewarnt wurde? Wenn ja und der Verstoß ist erheblich, kann eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein. Lassen Sie sich idealerweise anwaltlich beraten, bevor Sie die Kündigung aussprechen, um keine Formfehler zu machen – insbesondere, wenn der Arbeitnehmer Kündigungsschutz genießt (Betrieb >10 Mitarbeiter, >6 Monate Betriebszugehörigkeit). Manchmal mag eine zweite Abmahnung sinnvoll sein, wenn der erneute Verstoß noch milde war oder Zweifel bestehen, ob ein Gericht die Kündigung halten würde. Vermeiden Sie es aber, endlos abzumahnen (siehe oben), damit Ihre Warnungen ernst genommen werden.
  • Dokumentation und Fairness: Halten Sie sämtliche Abmahnungen und Vorfälle schriftlich fest. Sollte es zu einer Kündigungsschutzklage kommen, benötigen Sie Belege für die Pflichtverletzungen und die ausgesprochenen Abmahnungen. Informieren Sie ggf. den Betriebsrat (sofern vorhanden) über schwere Pflichtverstöße – bei einer späteren Kündigung muss der Betriebsrat ohnehin angehört werden. Bewahren Sie auch in der Abmahn-Situation einen professionellen Ton: Persönliche Angriffe oder überzogene Härte schaden oft mehr, als sie nutzen. Zeigen Sie, dass die Abmahnung nicht willkürlich ist, sondern dass Sie zuvor Gespräche geführt oder mildere Mittel versucht haben, falls zutreffend. So untermauern Sie, dass die Kündigung (falls letztlich nötig) wirklich das letzte Mittel war.

Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer

  • Abmahnung ernst nehmen: Wenn Sie eine Abmahnung erhalten, betrachten Sie sie als letzte Warnung. Auch wenn Sie die Abmahnung subjektiv als unfair empfinden – ignorieren Sie sie nicht. Ein gleichartiger Verstoß in Zukunft wird sehr wahrscheinlich den Arbeitsplatz kosten, da Sie bereits gewarnt wurden. Überlegen Sie selbstkritisch, ob ein Fehlverhalten vorlag und wie Sie es abstellen können. Zeigen Sie sich gewillt, die Kritik anzunehmen (sofern berechtigt) – z.B. indem Sie Ihrem Vorgesetzten signalisieren, dass Sie verstanden haben und künftig darauf achten werden. Das kann im Zweifelsfall auch vor Gericht positiv aussehen, wenn es um die Verhältnismäßigkeit einer Kündigung geht.
  • Nichts vorschnell unterschreiben: Unterschreiben Sie nicht vorschnell irgendwelche Erklärungen im Zusammenhang mit der Abmahnung. Insbesondere sollten Sie keine Unterlassungserklärungen oder Schuldeingeständnisse unterschreiben, die der Arbeitgeber Ihnen eventuell vorlegt. Sie sind nicht verpflichtet, die Abmahnung zu „akzeptieren“. Häufig wird lediglich Ihre Unterschrift als Empfangsbestätigung unter der Abmahnung erbeten – das können Sie tun, aber nur mit dem Zusatz „Empfangen am [Datum], Unterschrift“. So bestätigen Sie lediglich den Erhalt, nicht die inhaltliche Richtigkeit. Weigern Sie sich, etwas zu unterschreiben, wenn Sie unsicher sind. Sie haben das Recht, sich Bedenkzeit zu nehmen oder rechtlichen Rat einzuholen, bevor Sie etwas quittieren.
  • Abmahnung prüfen und Beweise sichern: Lesen Sie die Abmahnung sehr genau durch. Welche Vorwürfe werden erhoben? Stimmen diese mit der Realität überein? Dokumentieren Sie Ihre Sicht der Dinge: Notieren Sie sofort ein Gedächtnisprotokoll der Geschehnisse, sammeln Sie Beweise oder Zeugen, die Ihre Darstellung stützen – insbesondere wenn Sie glauben, dass die Abmahnung ungerechtfertigt oder sachlich falsch ist. Diese Unterlagen sind wichtig, falls Sie sich später dagegen wehren möchten. Tipp: Sie können schriftlich Gegendarstellung zur Personalakte einreichen, in der Sie zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Bleiben Sie darin sachlich und entkräften Sie konkrete Punkte, falls möglich.
  • Rechtsrat einholen, bevor Sie handeln: Ob Sie gegen eine Abmahnung formal vorgehen (z.B. Klage auf Entfernen der Abmahnung aus der Personalakte) sollten, ist eine taktische Frage. Nicht immer ist es klug, sofort zu klagen – eine Kündigungsschutzklage im Ernstfall ist oft wichtiger als ein isolierter Abmahnungsprozess. Konsultieren Sie am besten einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, um Ihre Optionen zu besprechen. Dieser kann einschätzen, wie gravierend die Abmahnung in Ihrem Fall ist, ob Aussicht besteht, sie aus der Akte zu entfernen, oder ob Sie besser abwarten und im Kündigungsfall reagieren. In jedem Fall hilft ein Anwalt Ihnen, typische Fehler zu vermeiden – etwa unüberlegte schriftliche Reaktionen, die ein Schuldeingeständnis darstellen könnten. Oft kann ein anwaltliches Schreiben an den Arbeitgeber bewirken, dass eine unberechtigte Abmahnung zurückgenommen oder abgemildert wird, ohne gleich vor Gericht zu ziehen.
  • Weiterarbeiten und professionell bleiben: Trotz der belastenden Situation ist es wichtig, normal weiterzuarbeiten und sich nichts zuschulden kommen zu lassen. Lassen Sie sich nicht provozieren. Eine Abmahnung ist noch keine Kündigung – zeigen Sie, dass Sie aus dem „Warnschuss“ gelernt haben. Sollte die Abmahnung wirklich nur Teil einer Strategie sein, Sie loszuwerden, verschlechtern Sie nicht Ihre Position durch weiteres Fehlverhalten. Tun Sie Ihre Arbeit ordentlich und halten Sie alle Regeln ein. So nehmen Sie dem Arbeitgeber ggf. die Grundlage für weitere Abmahnungen oder eine Kündigung. Falls doch gekündigt wird, haben Sie bessere Chancen, im Prozess darzulegen, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist.

Keine starre „Drei-Abmahnungen“-Regel

Weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber sollten sich von der Mär der „drei Abmahnungen“ in falscher Sicherheit wiegen lassen. Richtig ist: Vor einer verhaltensbedingten Kündigung muss in der Regel mindestens einmal deutlich abgemahnt werden. Falsch ist: dass es immer drei Abmahnungen sein müssen oder dass drei Abmahnungen automatisch das „Aus“ bedeuten. Wie viele Abmahnungen sinnvoll oder nötig sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab – insbesondere vom Gewicht des Fehlverhaltens und dem Verhalten nach der Abmahnung. Letztlich bleibt die Kündigung eine Einzelfallentscheidung: Sie muss verhältnismäßig sein und ist immer das letzte Mittel. Arbeitgeber tun gut daran, Abmahnungen gezielt und korrekt einzusetzen, und Arbeitnehmer sollten jede Abmahnung als ernsten Weckruf verstehen. Bei Unsicherheit gilt für beide Seiten: frühzeitig fachkundigen Rat einholen, um teure Fehler oder Missverständnisse zu vermeiden. Dann lässt sich der Arbeitsplatzkonflikt vielleicht entschärfen, bevor er in die Kündigung mündet – und wenn nicht, ist man zumindest gut vorbereitet.