OLG Hamburg: Keine Kostenerstattung für privates Rechtsgutachten

18. November 2025 -

In einem Verfahren vor dem Landgericht Hamburg ging es um einen Verkehrsunfall in Frankreich. Die Klägerin – ein Mietwagenunternehmen aus Hamburg – verlangte von der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung Schadensersatz in Höhe von rund 13.430 €. Nachdem die Klage zugestellt worden war, zahlte die Versicherung den geforderten Betrag und erklärte das Verfahren für erledigt. Allerdings entbrannte ein Streit über die Kosten des Rechtsstreits, insbesondere über die Kosten eines von der Klägerin eingeholten privaten Rechtsgutachtens.

Die Versicherung (Beklagte) bestritt nämlich die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg. Sie argumentierte, die Klägerin sei als international tätiges Unternehmen in der Lage, ihre Ansprüche in Frankreich geltend zu machen. Zwar dürfe nach der Rechtsprechung des EuGH ein Geschädigter auch im Inland gegen einen ausländischen Haftpflichtversicherer klagen, jedoch nur, wenn der Geschädigte wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren sei – was bei der klagenden Autovermietung nicht zutreffe.

Das Landgericht Hamburg äußerte in einem Hinweis ebenfalls Zweifel an seiner Zuständigkeit. Daraufhin ließ die Klägerin durch ihre Anwälte ein privates Rechtsgutachten zum unionsrechtlichen Begriff des „Geschädigten“ in Art. 13 Abs. 2 Brüssel-Ia-VO (EuGVVO) erstellen und reichte dieses Gutachten im Februar 2025 bei Gericht ein. Ergebnis: Das Landgericht änderte seine Rechtsauffassung, bejahte nun doch die internationale Zuständigkeit und legte der Beklagten mit Beschluss vom 21.05.2025 die Kosten des Rechtsstreits auf (vgl. § 91a ZPO).

Streit um die Erstattung der Gutachterkosten nach § 91 ZPO

Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren beantragte die Klägerin, auch die 2.000 € Kosten für das private Gutachten der Gegenseite aufzuerlegen. Die Rechtspflegerin des Landgerichts gab dem statt und stufte diese Auslage als notwendige Kosten des Rechtsstreits ein. Zur Begründung führte das Landgericht sinngemäß aus, dass bei der Anwendung ausländischen Rechts nicht ohne Weiteres erwartet werden könne, dass sich ein Rechtsanwalt selbständig in fremde Rechtsquellen einarbeite; dies gelte nach § 293 ZPO auch für das Gericht. Eine Partei müsse nicht abwarten, ob das Gericht von sich aus ausländisches Recht würdigt oder einen Sachverständigen dazu anhört. Folglich hielt das Landgericht die Beiziehung eines Privatgutachtens hier für erstattungsfähig (so die Argumentation im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06.06.2025, Az. 306 O 394/24).

Die Beklagte legte dagegen sofortige Beschwerde zum Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG Hamburg) ein – mit Erfolg. Das OLG Hamburg änderte den Kostenfestsetzungsbeschluss und versagte der Klägerin die Erstattung der Gutachterkosten. Die zentrale Frage war, unter welchen Voraussetzungen die Kosten eines privat beauftragten Gutachtens im Prozess nach § 91 ZPO vom Gegner zu erstatten sind.

Entscheidung des OLG Hamburg: Anwalt muss Rechtsfragen selbst klären

Der 4. Zivilsenat des OLG Hamburg betonte zunächst den allgemeinen Grundsatz des Kostenrechts: Erstattungsfähig sind nur solche Kosten, „die prozessbezogen und notwendig sind“. Ob eine Ausgabe notwendig (und damit sachdienlich) war, ist danach zu beurteilen, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die Maßnahme ex ante als sinnvoll ansehen durfte. Dies entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Die Einholung eines Privatgutachtens kann ausnahmsweise erstattungsfähig sein, wenn sie unmittelbar prozessbezogen ist und der Partei mangels eigener Sachkenntnis einen substantiierten Vortrag überhaupt erst ermöglicht. Beispiel: In technisch oder medizinisch komplizierten Fällen darf eine Partei sich durch ein Privatgutachten das nötige Spezialwissen verschaffen, um ihren Standpunkt im Prozess sachgerecht darzulegen.

Anders liegt der Fall jedoch bei einem Rechtsgutachten, so das OLG Hamburg. Die Richter stellten klar, dass die Beurteilung von Rechtsfragen grundsätzlich zur originären Aufgabe von Rechtsanwälten und Gerichten gehört. Entsprechend sind Kosten für ein privates Gutachten zu Rechtsfragen nicht notwendig im Sinne des § 91 ZPO. Mit anderen Worten: „Kenntnis und Auslegung des Rechts“ ist Sache der juristischen Prozessbeteiligten selbst – hierfür ein externes Gutachten einzuholen, ist kostenrechtlich nicht sachdienlich.

Im konkreten Fall hätte der Klägervertreter die Frage der internationalen Zuständigkeit auch ohne fremde Hilfe klären können. Insbesondere sind die maßgeblichen Vorschriften der Brüssel-Ia-Verordnung und die hierzu ergangenen Urteile des Europäischen Gerichtshofs in deutscher Sprache verfügbar und gehören zum Handwerkszeug eines Ziviljuristen. Das OLG Hamburg führte aus, dem Klägeranwalt sei es zuzumuten gewesen, die EuGH-Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Zuständigkeitsregime selbst zu recherchieren und den Begriff des „Geschädigten“ eigenständig unter Heranziehung von Literatur auszulegen. Die umfangreichen Ausführungen der Klägerseite im Prozess zeigten im Übrigen, dass sie auch ohne Gutachten durchaus in der Lage war, juristisch fundiert vorzutragen.

Auch der Umstand, dass das Landgericht zunächst einen ablehnenden Hinweis zur Zuständigkeit gegeben hatte, rechtfertigte nach Auffassung des OLG nicht die Gutachtenskosten. Gerade bei Zweifelsfragen des Unionsrechts sind die Gerichte gehalten, den Europäischen Gerichtshof anzurufen (Art. 267 AEUV) – eines Parteigutachtens bedarf es hierfür nicht[8]. Die Partei darf also nicht allein deswegen ein Privatgutachten auf Kosten des Gegners beauftragen, weil das Gericht anfänglich eine andere Rechtsmeinung andeutet.

Ergebnis und Praxishinweis für Rechtsanwälte

Mit Beschluss vom 18.07.2025 (Az. 4 W 87/25) entschied das OLG Hamburg, dass die Kosten für das private Rechtsgutachten (2.000 €) von der Klägerin selbst zu tragen sind. Die sofortige Beschwerde der Beklagten hatte insoweit Erfolg, und der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde entsprechend abgeändert. Die Klägerin muss also ihren Gutachter aus der eigenen Tasche bezahlen.

Praxistipp: Anwältinnen und Anwälte sollten sehr zurückhaltend sein, wenn es darum geht, im laufenden Prozess ein privates Gutachten zu Rechtsfragen einzuholen. Die Kosten dafür bekommt man in der Regel nicht vom Gegner erstattet. Das gilt selbst dann, wenn die Rechtsmaterie komplex oder – wie hier diskutiert – international ist. Auch ausländisches Recht oder EU-Recht muss vom Gericht und den Parteivertretern grundsätzlich selbst erarbeitet werden. Nur in echten Ausnahmefällen, etwa bei hochspezialisierten technischen oder wissenschaftlichen Sachfragen, ist ein Privatgutachten als notwendige Vorbereitung des Parteivortrags anerkannt und damit erstattungsfähig.

Die Entscheidung des OLG Hamburg steht in einer Reihe mit früheren Urteilen, die den Anspruch auf Kostenerstattung für Privatgutachten strikt begrenzen. Bereits 2018 und 2017 hatte der Bundesgerichtshof klargestellt, dass Privatgutachterkosten nur unter engen Voraussetzungen vom Gegner zu tragen sind (BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – VII ZB 18/14, NJW 2017, 1397; BGH, Beschl. v. 12.09.2018 – VII ZB 56/15, NZBau 2018, 738). Auch das OLG Hamburg selbst verneinte schon 2023 die Erstattungsfähigkeit eines Gutachtens zum ausländischen Recht (Schweizer Recht).

Die Bewertung und Auslegung der Rechtslage ist die ureigene Aufgabe von Anwältinnen und Anwälten. Wird hierfür externes Know-how eingekauft, so lautet das Motto des OLG Hamburg: „Selbst ist der Anwalt!“ – zahlen muss man den Rechtsgelehrten im Zweifel aus der eigenen Tasche. Die unterlegene Partei hat solche Kosten nicht zu erstatten. Rechtsanwälte tun daher gut daran, eigene Recherche und Expertise in Rechtsfragen nicht durch kostspielige Privatgutachten zu ersetzen – zumindest nicht in der Erwartung, diese Auslagen später vom Gegner ersetzt zu bekommen. Bei prozessrechtlichen Zweifelsfragen (gerade im Europarecht) ist es oft sinnvoller, auf einen gerichtlichen Hinweis zu reagieren, indem man selbst ausführlich rechtlich argumentiert oder ggf. eine Vorlage zum EuGH anregt, anstatt ein Privatgutachten vorzulegen. Dadurch spart man dem Mandanten im Erfolgsfall unnötige Kosten und vermeidet im Misserfolgsfall ein Haftungsrisiko für nicht erstattungsfähige Auslagen.