Müssen Arbeitnehmer auf Anweisung des Arbeitgebers Überstunden leisten?

23. November 2025 -

Überstunden sind in der deutschen Arbeitswelt weit verbreitet – fast die Hälfte aller Beschäftigten leistet regelmäßig mehr Stunden als vereinbart. Dennoch herrscht oft Unsicherheit darüber, ob Arbeitnehmer auf Weisung ihres Arbeitgebers Überstunden erbringen müssen. Diese Frage ist sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber von großer Bedeutung. Im Folgenden werden die rechtlichen Grundlagen beleuchtet – von gesetzlichen Regelungen über Tarifverträge und Arbeitsverträge bis hin zu typischen Streitfragen und aktueller Gerichtsprechung. Ziel ist ein fundierter Rechtstipp, der Arbeitnehmer über ihre Rechte beim Thema Überstunden aufklärt und Arbeitgeber darüber informiert, unter welchen Voraussetzungen Mehrarbeit angeordnet werden darf.

Grundsatz: Keine Überstundenpflicht ohne Vereinbarung

Ohne ausdrückliche Vereinbarung sind Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet, Überstunden zu leisten. Weder das Gesetz noch ein allgemeines Direktionsrecht des Arbeitgebers begründen automatisch eine Überstundenpflicht. Der Arbeitsvertrag legt die regelmäßige Arbeitszeit fest – etwa 40 Stunden pro Woche – und dieser Vertrag kann vom Arbeitgeber nicht einseitig erweitert werden. Eine Anordnung von Überstunden würde eine nachträgliche Vertragsänderung darstellen, die Zustimmung des Arbeitnehmers erfordert.

Beispiel: Ist im Arbeitsvertrag eine 35-Stunden-Woche vereinbart und gibt es keine Überstundenklausel, darf der Arbeitnehmer “Nein” sagen, wenn der Chef ohne dringenden Anlass verlangt, länger zu bleiben. Eine Verweigerung zusätzlicher Stunden in diesem Fall stellt keine Arbeitsverweigerung dar, sondern die Wahrnehmung vertraglicher Rechte. Das regelmäßige Gehalt vergütet nur die vereinbarte Arbeitszeit; darüber hinaus gehende Stunden schuldet der Arbeitnehmer ohne besondere Abmachung nicht.

Auch das Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 Gewerbeordnung) ändert daran nichts: Zwar darf der Arbeitgeber Ort und Lage der Arbeitszeit festlegen (also z.B. Schichteinteilungen oder Verteilung der Stunden pro Tag), nicht jedoch einseitig die Anzahl der geschuldeten Stunden erhöhen. Anders ausgedrückt kann der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts bestimmen, wann gearbeitet wird – aber nicht ohne weiteres, dass länger gearbeitet wird als vereinbart. Fehlt also eine Überstundenklausel, dürfen Beschäftigte zusätzliche Arbeitszeit in der Regel ablehnen, ohne arbeitsrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen.

Gerichte haben diesen Grundsatz bestätigt. So entschied etwa das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, dass ein Arbeitnehmer mangels vertraglicher Überstundenvereinbarung nicht verpflichtet war, einer einseitigen Überstundenanordnung des Chefs nachzukommen. In dem Fall hatte ein Betrieb per Aushang Samstagsarbeit und einen vorgezogenen Arbeitsbeginn angeordnet. Der Arbeitnehmer verweigerte die Mehrarbeit und wurde daraufhin abgemahnt. Das LAG hob die Abmahnung auf: Ohne vertragliche Grundlage oder Notlage brauchte der Mitarbeiter nur während der regulären Arbeitszeit anwesend zu sein. Ein Pflichtverstoß lag nicht vor – Überstunden können nicht durch bloßen Arbeitgeberwunsch erzwungen werden.

Praxis-Tipp für Arbeitnehmer: Prüfen Sie zunächst Ihren Arbeitsvertrag. Steht dort nichts zu Überstunden, dürfen Sie zusätzliche Stunden im Normalfall ablehnen. Dennoch empfiehlt es sich aus praktischen Gründen oft, das Gespräch zu suchen, wenn Überstunden verlangt werden. In der Betriebspraxis werden einzelne überschaubare Überstunden oft freiwillig geleistet, um das Betriebsklima nicht zu belasten. Rechtlich zwingen lassen müssen Sie sich ohne Vereinbarung aber nicht.

Praxis-Tipp für Arbeitgeber: Fehlt eine Überstundenregelung, sollten Sie vorab das Einvernehmen mit Mitarbeitern herstellen, wenn Mehrarbeit notwendig wird. Warnung: Eine vorschnelle Sanktion (Abmahnung oder Kündigung) allein wegen verweigerter Überstunden kann unwirksam sein, wenn keine Verpflichtung des Arbeitnehmers bestand. Um Planungssicherheit zu haben, ist es besser, verbindliche Überstundenregeln im Arbeitsvertrag (oder über Tarifvertrag/Betriebsvereinbarung) zu schaffen – dazu unten mehr.

Ausnahmefall Notfälle: Überstunden aus Treuepflicht

Eine wichtige Ausnahme vom Grundsatz der Freiwilligkeit gilt in echten Notfällen oder Katastrophenfällen. In dringenden, unvorhersehbaren Ausnahmesituationen kann sich aus der arbeitsvertraglichen Treuepflicht des Arbeitnehmers ergeben, dass vorübergehend Überstunden geleistet werden müssen. Diese Pflicht ohne ausdrückliche Vereinbarung greift aber nur unter hohen Hürden: Es muss sich um eine akute, nicht selbstverschuldete Krisensituation handeln, in der Überstunden das einzige Mittel sind, um erheblichen Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Klassische Beispiele sind Naturkatastrophen, ein Brand oder Wasserschaden im Betrieb, ein plötzlicher massiver Maschinenausfall oder ein schwerer IT-Systemausfall. Betriebliche Engpässe wie bloßer Personalmangel, hoher Auftragseingang oder verspätete Lieferungen zählen nicht als Notfall – hier wird vorausgesetzt, dass der Arbeitgeber rechtzeitig vorplant (etwa durch Neueinstellungen oder Schichtmodelle).

Beispiel: Ein Unwetter verursacht Überflutung im Lager eines Betriebs. Um die Waren zu sichern und weiteren Schaden abzuwenden, ordnet der Arbeitgeber für diesen Abend Überstunden an. Hier sind Beschäftigte ausnahmsweise verpflichtet, mit anzupacken – die Situation war unvorhersehbar und gefährdet die Existenz des Unternehmens. Anders wäre es, wenn der Arbeitgeber Überstunden mit “plötzlich gestiegenen Bestellungen” begründet, die auf chronische Unterbesetzung zurückgehen – das ist kein unvorhersehbarer Notfall, sondern Planungsfehler.

Selbst in echten Notlagen gilt jedoch: Der Arbeitgeber muss bei der Anordnung von Mehrarbeit billiges Ermessen wahren und auf persönliche Umstände Rücksicht nehmen. Arbeitnehmer mit besonderen Schutzbedürfnissen – etwa Eltern kleiner Kinder oder gesundheitlich angeschlagene Mitarbeiter – dürfen nicht ohne Weiteres genauso zu Extra-Stunden herangezogen werden wie alle anderen. Eine Überstundenanordnung, die individuelle Härtefälle ignoriert, wäre unbillig und damit unverbindlich. Zudem darf selbst im Notfall die Mehrarbeit nicht völlig überraschend und ohne jede Ankündigung gefordert werden, sofern nicht „der Laden wirklich brennt“. Im Normalfall sind einige Tage Vorlauf zumutbar, damit sich Arbeitnehmer einrichten können.

Wichtig ist auch: Nach Bewältigung der akuten Krisensituation gilt wieder der Normalzustand. Dauerzustände rechtfertigen keine permanente Überstundenpflicht unter dem Deckmantel der Treuepflicht. Arbeitgeber dürfen eine ständig chronische Überlastung des Personals nicht als Notfall deklarieren – vielmehr müssten sie dann strukturelle Lösungen (Neueinstellungen, Umorganisation etc.) finden.

Rechtsfolgen bei Verweigerung in Notfällen: Verweigert ein Arbeitnehmer in einer echten, erkennbaren Notsituation die angeordnete Mehrarbeit, kann dies als Arbeitsverweigerung gewertet werden und im Extremfall arbeitsrechtliche Konsequenzen (Abmahnung, Kündigung) nach sich ziehen. Allerdings: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat klargestellt, dass ein irrtümliches, aber entschuldbares Verkennen der Notlage nicht sofort eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Wenn die Rechtssituation unklar war und der Arbeitnehmer plausibel annehmen durfte, zur Ablehnung berechtigt zu sein, kann daraus kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung konstruiert werden. Dennoch sollte man im Zweifel bei echter Gefahr zunächst kooperieren und die Rechtslage im Nachgang klären – in wirklichen Notfällen überwiegt regelmäßig das Unternehmensinteresse, akuten Schaden abzuwenden.

Vertragliche Überstundenklauseln im Arbeitsvertrag

In der Praxis werden Überstunden häufig bereits im Arbeitsvertrag geregelt. Eine typische Formulierung lautet etwa: “Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, bei Bedarf zumutbare Überstunden zu leisten.” Grundsätzlich dürfen Arbeitsverträge eine Überstundenpflicht vorsehen – aber nicht unbegrenzt und unwiderruflich. Nach deutschem Recht, insbesondere der AGB-Kontrolle (§§ 305ff. BGB) für vorformulierte Arbeitsverträge, muss eine Überstundenklausel klar, verständlich und zumutbar sein. Das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) verlangt, dass der Arbeitnehmer bereits bei Vertragsschluss erkennen kann, was maximal an Mehrarbeit auf ihn zukommen könnte.

Keine unbegrenzten Überstunden: Klauseln wie “Der Arbeitnehmer leistet erforderliche Überstunden nach Anweisung des Arbeitgebers” ohne jede Obergrenze sind unwirksam. Der Mitarbeiter wüsste in so einem Fall nicht, ob in Zukunft 5 oder 50 Überstunden von ihm verlangt werden könnten – ein solcher Blankoscheck benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen. Die Rechtsprechung des BAG hat wiederholt betont, dass jede Überstundenregelung eine zumutbare Höchstgrenze** enthalten muss.

Wirksame Klauseln mit Begrenzung: Zulässig sind hingegen Klauseln, die den Umfang möglicher Überstunden konkret begrenzen. Das kann eine absolute Zahl sein (z.B. “maximal 10 Überstunden im Monat”) oder ein Prozentsatz der Regelarbeitszeit (z.B. “bis zu 20 % der monatlichen Arbeitszeit als Überstunden”). Auch Formulierungen wie “… bis zu 15 Überstunden pro Quartal” sind ausreichend bestimmt. Wichtig ist, dass aus dem Vertrag hervorgeht, welche Mehrleistung maximal gefordert werden darf.

Die Gerichte liefern Anhaltspunkte, was als angemessene Grenze gilt. So hat das BAG in einem Urteil entschieden, dass vertraglich etwa bis zu 25 % der vereinbarten Arbeitszeit als Überstunden verlangt werden können, ohne den Arbeitnehmer unzumutbar zu belasten. In der juristischen Literatur werden Obergrenzen von 10–20 % diskutiert. Pauschale Abgeltungsklauseln, wonach “alle anfallenden Überstunden” mit dem Gehalt abgegolten sind, sind hingegen regelmäßig unwirksam – hierzu zählen insbesondere die früher verbreiteten Sätze wie “Überstunden sind mit dem Monatsgehalt abgegolten”, sofern keine Zahl oder Begrenzung genannt ist. Eine solche Klausel verstößt gegen das Transparenzgebot, weil der Arbeitnehmer nicht erfährt, welche Leistung er für sein Gehalt maximal schuldet. Das bestätigte das BAG z.B. in einem Urteil von 2011: Eine Klausel, die “notwendig werdende Über- oder Mehrarbeit” pauschal mit dem Gehalt abgalt, wurde für unwirksam erklärt.

Folge unwirksamer Klauseln: Ist eine Überstundenregel im Vertrag wegen Intransparenz unwirksam, gilt der Arbeitsvertrag so, als gäbe es diese Verpflichtung nicht. Der Arbeitgeber kann sich also im Streitfall nicht auf die ungültige Klausel berufen, um Überstunden einzufordern oder Mehrarbeit ohne Vergütung abzugelten. Arbeitnehmer hingegen behalten dann ihre vollen Rechte: Unzumutbare Mehrarbeit darf verweigert werden, und bereits geleistete Überstunden sind grundsätzlich zusätzlich zu vergüten (siehe dazu unten). Für leitende Angestellte und höherverdienende Positionen kann es freilich Ausnahmen geben – hier wird häufig erwartet, dass ein gewisses Maß an Überstunden mit dem hohen Gehalt abgegolten ist. Doch auch für solche Kräfte gelten die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes und das Verbot der Sittenwidrigkeit bei extremer Ausbeutung. Im Zweifel empfiehlt es sich, klare individuelle Absprachen zu treffen, was an Mehrarbeit erwartet wird und wie sie kompensiert wird.

Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen als Grundlage

Neben individuellen Verträgen können auch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen Überstundenpflichten und -rechte regeln. Ist ein Arbeitsverhältnis in einen Tarifvertrag einbezogen, gelten die dortigen (meist detaillierten) Bestimmungen zu Überstunden vorrangig. Tarifverträge enthalten häufig Vorgaben, wann und wie Überstunden angeordnet werden dürfen, in welchem Umfang sie zulässig sind und wie sie zu vergüten oder durch Freizeit auszugleichen sind. Beispielsweise begrenzen manche Tarifverträge Überstunden auf 2 Stunden pro Tag, sehen Zuschläge (etwa +25 % Lohnaufschlag) vor oder regeln einen Freizeitausgleich innerhalb bestimmter Fristen. Gilt ein Tarifvertrag, darf der Arbeitgeber Überstunden nur im Rahmen dieser Tarif-Vorgaben anordnen. Eine abweichende Absprache im Einzelarbeitsvertrag, die für den Arbeitnehmer nachteiliger ist (z.B. alle Überstunden ohne Zuschlag abzugelten), wäre unwirksam – der Tarif hat eine Sperrwirkung und das Günstigkeitsprinzip lässt nur Abweichungen zugunsten des Arbeitnehmers zu.

Beispiel: Im öffentlichen Dienst regelt der Tarifvertrag (TVöD) detailliert, wie viele Überstunden zulässig sind und wann Zuschläge (z.B. für Nachtarbeit oder Sonntagsarbeit) fällig werden. Ein Arbeitgeber im TVöD darf also nicht eigenmächtig mehr Überstunden verlangen, als der Tarif erlaubt, und muss die tariflichen Zuschläge oder Ausgleichszeiten gewähren. Eine entgegenstehende Klausel im Arbeitsvertrag hätte hier keine Wirkung.

In Betrieben mit Betriebsrat kommt zusätzlich die Betriebsvereinbarung ins Spiel. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) unterliegt die „vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit“ – also gerade Überstunden – der Mitbestimmung des Betriebsrats. Das bedeutet: Der Arbeitgeber kann Überstunden nicht einseitig anordnen, ohne vorher den Betriebsrat zu beteiligen und eine Einigung zu erzielen (es sei denn, es besteht bereits eine generelle Betriebsvereinbarung dazu). Häufig werden Rahmen-Betriebsvereinbarungen geschlossen, die Verfahren und Grenzen für Überstunden regeln: etwa dass zuerst Freiwillige gefragt werden, Überstunden gleichmäßig verteilt und gesundheitliche Belange berücksichtigt werden, dass Überstunden vorher angekündigt und begründet werden müssen und binnen eines gewissen Zeitraums durch Freizeit abzugelten sind. Verstößt der Arbeitgeber gegen das Mitbestimmungsrecht – ordnet er also Überstunden ohne Zustimmung des Betriebsrats an – ist diese Anordnung rechtlich unwirksam. Arbeitnehmer könnten die Mehrarbeit verweigern, ohne gegen Pflichten zu verstoßen (und der Betriebsrat könnte per Unterlassungsverfügung einschreiten).

In Betrieben ohne Betriebsrat fehlt dieses kollektive Korrektiv. Das ändert jedoch nichts daran, dass Überstunden vertraglich vereinbart sein müssen. Auch in kleinen Betrieben darf der Arbeitgeber also nicht einfach nach Gutdünken Mehrarbeit aufbürden – er ist ebenso an die Arbeitsvertragsbedingungen und an die allgemeinen Gesetze gebunden.

Zusammenfassend: Tarifvertragliche und betriebsvereinbarungsrechtliche Regelungen können eine Überstundenpflicht vorsehen und konkretisieren. Arbeitnehmer sollten wissen, ob für sie ein Tarifvertrag gilt oder ein Betriebsrat existiert – denn dort finden sich oft verbindliche Spielregeln zu Überstunden (inklusive etwaiger Zuschläge und Ausgleichsansprüche). Arbeitgeber müssen bei Überstunden immer prüfen, ob Mitbestimmungsrechte oder Tarifnormen zu beachten sind, um keine unwirksamen Anweisungen zu erteilen.

Gesetzliche Grenzen und besondere Fälle

Unabhängig von Verträgen und Vereinbarungen setzt das öffentliche Arbeitsrecht klare Grenzen für Überstunden. Das wichtigste Regelwerk ist das Arbeitszeitgesetz (ArbZG), das der Gesundheit der Arbeitnehmer dient und Höchstgrenzen für die Arbeitszeit festlegt. Wesentliche Punkte sind:

  • Tägliche Höchstarbeitszeit: Im Regelfall maximal 8 Stunden pro Werktag (§ 3 S.1 ArbZG). Eine vorübergehende Ausweitung auf bis zu 10 Stunden täglich ist erlaubt, aber nur, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt nicht mehr als 8 Stunden pro Tag gearbeitet wird. Praktisch heißt das: Über einen Ausgleichszeitraum muss der Wochenschnitt wieder auf 48 Stunden sinken. Dauerhaft 10 Stunden jeden Tag wären illegal. Mehr als 10 Stunden/Tag sind nur in äußersten Ausnahmefällen statthaft – etwa in echten Katastrophenfällen nach § 14 ArbZG, vergleichbar den oben genannten Notfällen.
  • Ruhezeiten: Nach § 5 ArbZG sind mindestens 11 Stunden ununterbrochene Ruhezeit zwischen zwei Arbeitstagen vorgeschrieben. Überstunden dürfen also nicht dazu führen, dass diese Erholungszeit unterschritten wird.
  • Wochenenden und Nachtarbeit: Sonntage und gesetzliche Feiertage sind grundsätzlich arbeitsfrei (§ 9 ArbZG), mit branchenbedingten Ausnahmen (z.B. Notdienste, Gastronomie), die aber einen Ersatzruhetag erfordern. Nachtarbeit (23–6 Uhr) zieht besondere Schutzregeln nach sich, u.a. das Recht auf einen angemessenen Zuschlag oder früheren Freizeitausgleich (§ 6 Abs.5 ArbZG). Das BAG hält z.B. einen Nachtarbeitszuschlag von 25 % für angemessen.

Diese gesetzlichen Vorgaben sind zwingend. Kein Arbeitgeber – und kein Betriebsrat via Vereinbarung – kann z.B. 12-Stunden-Schichten anordnen oder die Ruhezeiten verkürzen, da hier Arbeitnehmerschutz über dispositivem Recht steht. Überstunden dürfen also nie dazu führen, dass die ArbZG-Grenzen überschritten werden. Arbeitnehmer können sich bei systematischen Verstößen (z.B. chronisch überlange Arbeitszeiten) an die Aufsichtsbehörden wenden. Zudem hat das BAG im September 2022 entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System zur Erfassung der Arbeitszeit einzuführen. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit müssen – einschließlich geleisteter Überstunden – dokumentiert werden. Dies dient letztlich auch der Kontrolle, dass Überstunden nicht ins Uferlose gehen.

Besondere Personengruppen: Einige Arbeitnehmer genießen Sonderschutz in Bezug auf Überstunden. Jugendliche unter 18 Jahren dürfen gemäß Jugendarbeitsschutzgesetz grundsätzlich keine Überstunden leisten; Ausnahmen gibt es nur in engen Notfällen oder bestimmten Ausbildungszwecken. Schwangere und stillende Frauen unterliegen nach dem Mutterschutzgesetz strikten Arbeitszeitgrenzen (in der Regel max. 8½ Stunden täglich, § 4 MuSchG). Schwerbehinderte Menschen haben ein Recht, Überstunden abzulehnen – sie können beim Arbeitgeber beantragen, von Mehrarbeit freigestellt zu werden (§ 207 SGB IX). Auszubildende schließlich müssen laut Berufsbildungsgesetz für angeordnete Überstunden besondere Vergütung oder Freizeitausgleich erhalten (§ 17 Abs. 3 BBiG). Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten diese Sondervorschriften kennen, da Verstöße (z.B. Überstunden von Azubis ohne Ausgleich) sogar ordnungswidrig sein können.

Vergütung und Ausgleich: Müssen Überstunden bezahlt werden?

Die Frage der Vergütung von Überstunden stellt sich meist erst, wenn klar ist, dass Überstunden geleistet werden durften. Grundsätzlich gilt: Vergütungspflichtig ist eine Überstunde immer dann, wenn der Arbeitnehmer sie auf Veranlassung des Arbeitgebers erbringt und über seine regelmäßige Arbeitszeit hinaus arbeitet. Das folgt aus § 612 Abs. 1 BGB: Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Mehrleistung den Umständen nach nur gegen Vergütung zu erwarten ist. In aller Regel wird niemand freiwillig dauerhaft unbezahlt mehr arbeiten – daher sind angeordnete oder vom Arbeitgeber geduldete Überstunden grundsätzlich entweder in Geld zu bezahlen oder durch Freizeitausgleich abzugelten.

Allerdings gibt es keinen gesetzlichen Automatismus, wonach jede Überstunde zwingend mit einem Zuschlag vergütet sein muss. Anders als in manchen Ländern kennt das deutsche Gesetz keinen generellen Überstundenzuschlag. Zuschläge und genaue Vergütungshöhen beruhen meist auf Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen. Viele Tarifverträge sehen z.B. ab einer bestimmten Stundenzahl Zuschläge von 25 % oder mehr vor. Fehlt eine besondere Regelung, erhält der Arbeitnehmer pro Überstunde zunächst seinen üblichen Stundenlohn (bzw. errechnet aus dem Gehalt). Nacht-, Sonn- und Feiertagsstunden lösen oft gesetzliche oder tarifliche Zuschläge aus, normale Werktagsüberstunden hingegen nur, wenn vereinbart.

Wichtig: Nur tatsächlich angeordnete oder vom Arbeitgeber gebilligte Überstunden müssen vergütet werden. Wer eigenmächtig länger bleibt, ohne dass Mehrarbeit erforderlich war oder vom Vorgesetzten zumindest stillschweigend hingenommen wurde, läuft Gefahr, leer auszugehen. Die Beweislast für geleistete und angeordnete Überstunden liegt beim Arbeitnehmer – er muss im Streitfall detailliert darlegen, an welchen Tagen er wie lange über die Norm gearbeitet hat und dass dies betrieblich notwendig bzw. vom Chef veranlasst war. Das BAG hält an dieser Beweisführungspflicht fest, auch nach Einführung der Arbeitszeiterfassung. Ein aktuelles Beispiel: Trotz einer EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung entschied das BAG 2023, dass Arbeitnehmer weiter den Nachweis jeder Überstunde erbringen müssen, um Vergütung einzuklagen (der EuGH hatte nicht die Vergütungs-, sondern die Arbeitszeiterfassungspflicht betroffen).

Pauschale Abgeltung: Wie oben erwähnt, sind Klauseln, die Überstunden mit dem Gehalt abgelten, nur wirksam, wenn sie eine konkrete Obergrenze nennen. Ist eine solche Klausel wirksam (etwa “10 Überstunden pro Monat sind mit dem Gehalt abgegolten”), erhält der Arbeitnehmer für Überstunden bis zu dieser Grenze kein zusätzliches Entgelt. Alle darüber hinaus gehenden Stunden wären dann wiederum zu vergüten. Enthält der Vertrag hingegen eine unwirksame Pauschalklausel (“alle nötigen Überstunden sind abgegolten”), kann der Arbeitnehmer jede geleistete Überstunde zusätzlich bezahlt verlangen – jedenfalls sofern nach den Umständen eine Vergütung zu erwarten war. Das BAG urteilte 2011 genau dies: Eine undurchsichtige Überstunden-Abgeltungsklausel wurde gestrichen, und mangels anderweitiger Regelung konnte der Kläger grundsätzlich Bezahlung seiner Mehrstunden nach § 612 BGB verlangen. (Im konkreten Fall scheiterte der Anspruch nur daran, dass der Arbeitnehmer nicht beweisen konnte, dass die Überstunden angeordnet oder erforderlich waren – ein Lehrbeispiel dafür, wie wichtig die vorherige Abstimmung und Dokumentation von Überstunden ist.)

Freizeitausgleich: Anstelle von Bezahlung kann Überstundenabbau in Form von Freizeit erfolgen, wenn eine Vereinbarung dies so vorsieht oder der Arbeitnehmer einverstanden ist. Viele Arbeitszeitkonten-Modelle sehen vor, dass Plusstunden durch freie Tage ausgeglichen werden. Ein solcher Freizeitausgleich muss gleichwertig sein – pro geleisteter Überstundenstunde ist in der Regel eine bezahlte Freizeitstunde zu gewähren (ggf. mit Zuschlag, falls vereinbart). Wichtig: Ohne Absprache kann der Arbeitgeber nicht einseitig bestimmen, dass Überstunden nur durch Freizeit statt durch Geld abgegolten werden – es sei denn, ein Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung schreiben dies verbindlich vor. Umgekehrt dürfen Arbeitnehmer nicht einfach eigenmächtig “Überstunden abfeiern”, sondern brauchen die Abstimmung mit dem Arbeitgeber. Gibt es keine ausdrückliche Regelung zum Zeitpunkt des Überstundenabbaus, kann der Arbeitgeber diesen allerdings im Rahmen seines Direktionsrechts anordnen (etwa in auftragsärmeren Zeiten). Hierbei sind wiederum die Interessen des Mitarbeiters nach billigen Ermessen zu berücksichtigen.

Rechte und Pflichten rund um Überstunden

Arbeitnehmer sind nur dann zur Leistung von Überstunden verpflichtet, wenn hierfür eine rechtliche Grundlage besteht – sei es im Arbeitsvertrag, im Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung, oder ausnahmsweise in einer akuten Notfallsituation aus Treuepflicht. Eine einseitige Anordnung von Mehrarbeit „nach Belieben“ des Arbeitgebers ist unzulässig. Ohne vertragliche oder kollektivrechtliche Absprache können Arbeitnehmer eine Überstundenweisung daher grundsätzlich ablehnen, ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Lediglich in seltenen Ausnahmefällen echter Gefahrenlage darf der Arbeitgeber Überstunden vorübergehend einseitig verlangen – dann aber auch nur im Rahmen des Zumutbaren und unter Beachtung der gesetzlichen Höchstgrenzen.

Arbeitgeber sollten frühzeitig für klare Regelungen sorgen, wenn betriebliche Erfordernisse gelegentlich Überstunden nötig machen. Transparente Vertragsklauseln (mit Obergrenzen) oder tarifliche/betriebliche Vereinbarungen schaffen Rechtsklarheit und vermeiden Streit. Wichtig ist, den Betriebsrat einzubeziehen, wo vorhanden, da Überstunden mitbestimmungspflichtig sind (§ 87 BetrVG). Jede Überstundenanordnung muss zudem die Schutzgesetze (Arbeitszeitgesetz, Mutterschutz etc.) einhalten – andernfalls macht sich der Arbeitgeber angreifbar.

Treten Streitigkeiten auf – etwa weil ein Arbeitnehmer Überstunden verweigert oder im Nachhinein Vergütung dafür fordert – kommt es auf die vorhandenen Vereinbarungen und die Beweislage an. Die Rechtsprechung zeigt: Gerichte neigen dazu, Arbeitnehmer vor unzumutbarer Ausbeutung zu schützen (Ungültigkeit von All-inclusive-Klauseln; Unwirksamkeit einer Kündigung bei entschuldbarer Überstundenverweigerung). Umgekehrt müssen Arbeitnehmer ihre Ansprüche gut dokumentieren (Arbeitszeiterfassung!) und im Zweifel darlegen können, dass Überstunden angeordnet oder notwendig waren, um sie bezahlt zu bekommen.

Am Ende gilt: Fairness und klare Absprachen zum Thema Überstunden liegen im Interesse beider Seiten. Arbeitgeber erhalten Planungssicherheit und Mitarbeitermotivation, wenn Überstunden gerecht verteilt und vergütet werden. Arbeitnehmer wissen, woran sie sind, und laufen nicht Gefahr, überrumpelt zu werden oder unbezahlt zu schuften. Ein offener Dialog und rechtskonforme Regeln sind der beste Weg, Konflikte um Überstunden gar nicht erst entstehen zu lassen. Überstunden sollten die Ausnahme bleiben – aber wenn sie unvermeidlich sind, dann auf einer transparenten und rechtlich sicheren Grundlage.