Abberufung des NPD-Ortsvorstehers von Waldsiedlung rechtmäßig

Das Verwaltungsgericht Gießen hat am 26.02.2021 zum Aktenzeichen 8 K 695/20.GI die Klage des vormaligen NPD-Ortsvorstehers von Altenstadt-Waldsiedlung im Wetteraukreis abgewiesen, mit der dieser sowohl die gerichtliche Feststellung der Ungültigkeit seiner Abberufung aus diesem Amt als auch der Wahl seiner Nachfolgerin durch den Ortsbeirat begehrte.

Aus der Pressemitteilung des VG Gießen vom 10.03.2021 ergibt sich:

Der Kläger wurde am 05.09.2019 einstimmig durch den Ortsbeirat Waldsiedlung, den Beklagten im Verfahren, zum Ortsvorsteher gewählt. Aufgrund der Parteimitgliedschaft des Klägers führte diese Wahl zu politischen Diskussionen bis auf Bundes- und Landesebene, in denen auch die Forderung erhoben wurde, die Wahl des Klägers rückgängig zu machen. Mit Schreiben vom 09.09.2019 wandten sich daraufhin Mitglieder des Ortsbeirates Waldsiedlung an den Kläger als Ortsvorsteher und beantragten die unverzügliche Einberufung einer Ortsbeiratssitzung zum Zwecke der Beratung und Beschlussfassung über eine Abwahl des Ortsvorstehers und Wahl einer Ortsvorsteherin/eines Ortsvorstehers. Diese Sitzung fand am 22.10.2019 statt und wurde zunächst durch den Kläger geleitet, der sodann durch offene Abstimmung mit einem Stimmenergebnis von sieben zu eins als Ortsvorsteher abberufen wurde. Anschließend übernahm der Bürgermeister die Sitzungsleitung – ein stellvertretender Ortsvorsteher war nicht bestellt -, der das lebensälteste Ortsbeiratsmitglied ermittelte und diesem die Sitzungsleitung übertrug. Sodann wurde durch geheime Wahl, bei der auch der Kläger kandidierte, eine neue Ortsvorsteherin mit sieben Stimmen gewählt; auf den Kläger entfiel eine Stimme.
Der Kläger ist der Auffassung, sowohl seine Abberufung als auch die Neuwahl seien verfahrensfehlerhaft erfolgt und deshalb ungültig. Zum einen sei er nicht durch eine geheime Abwahl, sondern durch offene Beschlussfassung abberufen worden. Zum anderen sei seine Abberufung deshalb ungültig, weil er, der Kläger, nach den Regelungen der Hessischen Gemeindeordnung (§ 25 HGO) wegen Interessenwiderstreits rechtlich sowohl von der Beratung hierüber als auch von der Sitzungsleitung ausgeschlossen gewesen sei, aber dennoch mitgewirkt habe. Zudem seien die Ortsbeiratsmitglieder durch Einflussnahmen genötigt gewesen, für seine Abberufung zu stimmen. Da er nicht wirksam abgewählt worden sei, habe ein neuer Ortsvorsteher noch nicht gewählt werden dürfen.

Das Verwaltungsgericht ist dieser Ansicht nicht gefolgt.

Bei dem vom Kläger angegriffenen Vorgang der von ihm und dem Ortsbeirat so bezeichneten „Abwahl“ vom Amt des Ortsvorstehers handele es sich nicht um einen Wahlakt im Sinne der Hessischen Gemeindeordnung, sondern um eine Abberufung, die durch Beschluss des Ortsbeirates, der hierfür mindestens eine 2/3-Mehrheit benötige, erfolgen könne. Die Abberufung eines Ortsvorstehers sei ein Akt politischen Ermessens, dessen Gründe verwaltungsgerichtlich nicht nachprüfbar seien. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abberufung beschränke sich deshalb auf mögliche Verfahrensmängel. Solche lägen durchgreifend nicht vor. Eine offene Abstimmung über die Abberufung sei möglich gewesen, da geheime Abstimmungen in Ortsbeiräten (mit Ausnahme der Wahl des Ortsvorstehers) gesetzlich nicht vorgesehen seien. Die Kammer sei auch davon überzeugt, dass der angegriffene Beschluss nicht mit unzulässigen oder sogar strafbaren Mitteln erwirkt wurde und deshalb rechtswidrig wäre. Der ob der Wahl des Klägers entstandene politische und mediale Druck sei für einen Ortsbeirat sicher sehr ungewöhnlich, aber im politischen Diskurs allgegenwärtig und gehöre zum Wesen der Demokratie hinzu. Es handele sich um die Ausübung erlaubten politischen Drucks mit zulässigen und durch das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsäußerungen. Jedes Ortsbeiratsmitglied sei frei gewesen, nach seinem Gewissen und seiner Überzeugung abzustimmen.

Verfahrensfehlerhaft sei indes, dass der Kläger sowohl die Sitzungsleitung innegehabt und an der Beratung über die ihn betreffende Abberufung teilgenommen habe, obwohl er durch die Beschlussfassung einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil habe erlangen können. Auf diesen Interessenwiderstreit könne sich der Kläger aber nicht mehr berufen und die Ungültigkeit des Beschlusses reklamieren. Denn er habe es treuwidrig unterlassen, bereits in der Sitzung des Ortsbeirates auf seine Befangenheit hinzuweisen und eine Abstimmung des Ortsbeirates hierüber herbeizuführen. Aus dem Grundsatz der Organtreue folge die Pflicht, die klageweise geltend gemachte Rechtsverletzung zunächst und in der betreffenden Sitzung gegenüber dem zuständigen Gremium, hier dem Ortsbeirat, zu rügen.

Schließlich sei auch die Wahl der neuen Ortsvorsteherin rechtmäßig erfolgt. Die kurzfristige Sitzungsleitung durch den Bürgermeister zur Feststellung des an Jahren ältesten Mitglied des Ortsbeirates, welches sodann die Sitzungsleitung übernommen hat, stehe dem nicht entgegen, sondern entspreche den Vorgaben der Gemeindeordnung.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils die Zulassung der Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel beantragen.