AGH NRW 2 AGH 8/25 (05.09.2025): Berufungserhebung und beA-Pflicht

24. November 2025 -

Im Urteil vom 5. September 2025 (2 AGH 8/25) klärte der 2. Senat des AnwGH NRW zwei wesentliche Fragen: Erstens die Form der Berufungseinlegung nach § 143 Abs. 2 BRAO, zweitens die Reichweite der beA-Pflicht (§ 31a Abs. 6 BRAO) eines faktisch nicht mehr praktizierenden Anwalts. Ein seit Jahren ohne Mandate tätiger Rechtsanwalt hatte sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) trotz Aufforderung der Rechtsanwaltskammer nicht registriert und zur Kenntnisnahme genutzt. Das Anwaltsgericht Hamm verurteilte ihn wegen Verstoßes gegen §§ 43, 31a Abs. 6 BRAO zu einer Geldbuße von 1.000 €. Der Rechtsanwalt legte binnen Frist schriftlich, nicht per beA, Berufung ein. Der AGH NRW hat nun entschieden, dass diese Berufung form- und fristgerecht ist und dass die beA-Pflicht eines Anwalts auch dann weiter besteht, wenn er faktisch keine Mandate mehr übernimmt.

Zulässigkeit der Berufung (§143 II BRAO)

Der AnwGH stellte klar, dass § 143 Abs. 2 BRAO explizit die Schriftform für die Berufung gegen Anwaltsgerichts-Urteile verlangt. Daraus folgt nach seiner verfassungskonformen Auslegung keine zwingende Übermittlung per beA. Vielmehr ist – im Gegensatz zu § 112e BRAO – keine elektronische Einreichungspflicht normiert. „Der AGH NRW bewertete die schriftliche Einlegung der Berufung als formwirksam“, so das Gericht. Entscheidend sei hier allein der gesetzlich geforderte Schriftformwille, nicht aber ein zusätzlicher Kanalzwang. Damit widersprach der Senat explizit einer entgegenstehenden Linie (AGH Berlin, 14 AGH 14/23), die eine elektronische Übermittlung über das beA als zwingend angesehen hatte. Nach Auffassung des AGH NRW genügt es demnach, die Berufung handschriftlich bzw. per Papier einzureichen, solange die Frist gewahrt ist.

Praktisch bedeutet dies: Zur Berufung reicht derzeit die formgerechte Schriftform aus. Wurde wie hier in der Rechtsmittelbelehrung nur auf die Schriftform hingewiesen, kann ein Rechtsanwalt die Berufung ohne beA-Einreichung einlegen. (Der Senat hat allerdings angemerkt, dass Gerichte nicht unnötig formale Hindernisse errichten dürfen – hätten also im Zweifel Wiedereinsetzung gewähren müssen, weil in der Belehrung kein Hinweis auf beA stand.) Es bleibt zu beachten, dass andere Gerichte (insb. AGH Berlin) eine strengere Auffassung vertreten; bis zu einer höchstrichterlichen Klärung sollte man deshalb im Zweifel beide Wege nutzen.

beA-Pflicht und passive Nutzungspflicht (§§ 43, 31a Abs. 6 BRAO)

Kern des Urteils ist die Bestätigung, dass jeder zugelassene Rechtsanwalt jederzeit für das beA verantwortlich bleibt – auch ohne aktive Mandatstätigkeit. Gemäß § 31a Abs. 6 BRAO ist der Anwalt verpflichtet, die für die Nutzung des beA erforderliche Hard‐ und Software bereitzuhalten und den Posteingang im beA regelmäßig zur Kenntnis zu nehmen. Der AGH betonte ausdrücklich: Diese Passive Nutzungspflicht ende erst mit Verlust der Zulassung. Selbst wenn ein Anwalt „faktisch nicht mehr tätig sei“ oder keine neuen Mandate mehr annehme, bleibe die Pflicht bestehen. Allein die fortbestehende Zulassung begründe sie (vgl. auch § 43 BRAO: Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung und zur Erhaltung des Ansehens des Berufsstandes).

Das Gericht verwahrte sich damit gegen die Argumentation des Beschuldigten, keine Anwaltstätigkeit mehr auszuüben und daher ein beA nicht zu brauchen. Auch der Hinweis, man nutze stattdessen ein DE-Mail-Postfach, half ihm nicht weiter – ein Bildschirm ist für beA wie für DE-Mail gleichermaßen erforderlich. Dem Verweis auf ein gesundheitliches Risiko (Bildschirmflackern) erteilte der Senat eine Absage: Ein solcher Einwand greife „nicht durch“, insbesondere weil der Anwalt selbst DE-Mail nutzte (ebenfalls über den Bildschirm).

Praxisfolgen: Jeder Anwalt muss sein beA einrichten, aktiv halten und die eingehenden Nachrichten prüfen, solange er noch zugelassen ist. Ein faktischer „Ruhestand“ oder Verzicht auf Mandate ändert nichts an dieser Pflicht. Verstößt man dagegen beharrlich (wie hier über mehrere Jahre hinweg trotz mehrfacher Aufforderung), ist dies eine Berufspflichtverletzung nach §§ 43, 31a Abs. 6 BRAO, die anwaltsgerichtlich sanktioniert werden kann.

Maßnahmen und Sanktionen (§§ 113, 114 BRAO)

Das Anwaltsgericht hatte den Berufspflichtverstoß mit einer Geldbuße von 1.000 € geahndet. Der AGH hat diese Sanktion überprüft und aufgrund mildernder Umstände auf 600 € herabgesetzt. Bei der Bemessung berücksichtigte der Senat insbesondere das hohe Alter (75 Jahre), die gesundheitlichen Einschränkungen und die bislang untadelige Berufsausübung des Anwalts. Außerdem war sein beA inzwischen – im Berufungsverfahren – endlich eingerichtet worden. Für die Praxis gilt: Zwar kann die Geldbuße nach § 114 Abs. 1 Nr. 3 BRAO notwendig und ausreichend sein, um Pflichtverletzungen wie die Nichtbenutzung des beA zu ahnden. Die konkrete Höhe hängt aber stets von den Umständen ab (Bestrafungszweck, Integrität des Anwaltsstandes, Einsicht des Beschuldigten).

Wichtig ist ferner: Hat der Anwalt seine Berufung wirksam auf den Maßnahmenausspruch beschränkt (so wie hier), kann das Berufungsgericht nur diesen Teil prüfen. Neue Pflichtverletzungen, die im erstinstanzlichen Urteil nicht behandelt wurden (etwa Aufgabe von Kanzleiräumen oder Verletzung der Kanzleipflicht), können in der Berufung nicht mehr festgestellt werden. (Im vorliegenden Fall ging es ausschließlich um die Geldbuße wegen beA-Verstoß.)

Praxistipps für Rechtsanwälte

  • BeA-Einrichtung: Stellen Sie sicher, dass Ihr beA von Anfang an einsatzbereit ist und bleibt. Die Erstregistrierung hätte spätestens bis 01.01.2018 erfolgen müssen. Halten Sie die notwendige Hardware/Software bereit und loggen Sie sich regelmäßig ein. Die Pflicht zur passiven Nutzung endet erst mit Aufhebung der Zulassung.
  • Alternativsysteme: Ein DE-Mail- oder sonstiges E-Mail-Postfach ersetzt das beA nicht. Die BRAO legt ein einheitliches System fest – es ist nicht zulässig, die beA-Nutzung durch andere technische Lösungen zu „umgehen“. Gesundheitliche Einwände gegen Bildschirmarbeit gelten nur im Ausnahmefall (ärztliches Attest nötig) und wurden hier nicht anerkannt.
  • Berufung einlegen: Bei berufsgerichtlichen Entscheidungen genügt derzeit die formgerechte Schriftform der Berufung (§ 143 II BRAO). Das bedeutet: Sie können die Berufung per Papier oder Fax einreichen. Eine reine Einreichung über das beA ist nach dieser Entscheidung nicht zwingend erforderlich. Achten Sie aber auf korrekte Fristen und Inhalt der Berufungsschrift. (Hinweis: In der Rechtsmittelbelehrung ist oft nur die Schriftform erwähnt – diese Entscheidung legt nahe, in Zweifelsfällen auch den Postweg zu nutzen.)
  • Folgen beachten: Versäumen Sie die beA-Anmeldung oder -Nutzung, müssen Sie mit berufsrechtlichen Konsequenzen rechnen (§§ 113, 114 BRAO). Im Extremfall kann eine Verletzung der beA-Pflicht eine Geldbuße nach sich ziehen (im vorliegenden Fall letztlich 600 €). Auch wenn Sie keine Mandate betreuen: Halten Sie Ihre Zulassungspflichten ein, um Sanktionen zu vermeiden.

2 AGH 8/25 verdeutlicht, dass die beA-Pflicht unabhängig vom Mandantenbestand gilt. Rechtsanwälte dürfen sich nicht allein darauf berufen, faktisch „ruhiggestellt“ zu sein oder einen anderen elektronischen Kommunikationskanal zu benutzen. Gleichzeitig räumt das Gericht ein, dass in Disziplinarverfahren die Berufungserhebung nach § 143 II BRAO per einfacher Schriftform zulässig ist. Anwälte sollten daher weiterhin ihr beA aktiv halten und wissen, dass ihnen – zumindest nach dieser Entscheidung – bei Berufungen keine beA-Verfahrensfalle droht.