Anspruch auf Witwerrente bei Vermutung einer sog. Versorgungsehe

05. August 2021 -

Das Sozialgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 17.11.2020 zum Aktenzeichen S 23 R 487/20 entschieden, dass bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Absatz 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt ist. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungewissen Verlaufsprognose entsprechend der Erkenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren Umstände), die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist.

Aus der Pressemitteilung des SG Stuttgart vom 02.08.2021 ergibt sich:

Der 1957 geborene Kläger war der Ehemann der 1953 geborenen und am 20.04.2019 verstorbenen Versicherten. Im Oktober 2018 war bei dieser die Erstdiagnose eines inoperablen Pankreaskorpuskarzinoms mit Leber- und Lungenmetastasierung gestellt und im November 2018 eine palliative Chemotherapie aufgenommen worden.

Am dem 14.05.2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Witwerrente. In der Anlage zum Antragsformular gab er an, die Ehe zwischen ihm und der Versicherten sei am 29.11.2018 geschlossen worden.

Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Ein Anspruch auf Witwerrente bestehe gemäß § 46 Abs. 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht, da die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert habe und die Vermutung einer sogenannten Versorgungsehe greife. Dafür spreche die bereits die im Zeitpunkt der Eheschließung bestehende schwere, offenkundig lebensbedrohliche Erkrankung des Versicherten mit ungünstiger Verlaufsprognose. Es sei davon auszugehen, dass sowohl dem Versicherten als auch der Klägerin das Ausmaß der Erkrankung und deren Lebensbedrohlichkeit bei Eheschließung bewusst gewesen sei.

Die Kammer hat die Klage nach Befragung der die Versicherte zuletzt behandelnden Ärzte abgewiesen, der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbs. 2 SGB 6 sei nicht erfüllt.

Bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr sei die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer Versorgungsehe nur dann widerlegt, wenn es nachweislich nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe bzw. dem Witwer eine Versorgung zu verschaffen. Sei – wie vorliegend – beiden Eheleuten bei der Eheschließung die Schwere einer bestehenden Erkrankung und die eingeschränkte Lebenserwartung des verstorbenen Versicherten bekannt gewesen, so sei regelmäßig die Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht widerlegt. Dies gelte umso mehr, als der Kläger und die Versicherte fast zwei Jahrzehnte lang in eheähnlichen Lebensgemeinschaft ohne Trauschein gelebt, den Entschluss zur Heirat aber erst kurz nach Bekanntwerden der Erkrankung der Versicherten gefasst hatten.

Es wurde Berufung zum LSG eingelegt.