Antisemitisches Relief: „Judensau“-Plastik in Wittenberg darf hängenbleiben

Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt in Naumburg hat mit Urteil vom 04.02.2020 zum Aktenzeichen 9 U 54/19 entschieden, dass das mittelalterliche „Judensau“-Relief an der Außenfassade der Wittenberger Stadtkirche hängen bleiben darf.

Aus der Pressemitteilung des OLG Sachsen-Anhalt Nr. 2/2020 vom 04.02.2020 ergibt sich:

Der Kläger hat die beklagte Kirchengemeinde auf die Beseitigung der Skulptur von der Fassade der Kirche in Anspruch genommen. Er hat die Ansicht vertreten, die Beseitigung verlangen zu können, weil die Skulptur eine Beleidigung der Angehörigen des jüdischen Glaubens und damit auch des Klägers selbst darstelle. Zusätzlich hat er den geltend gemachten Beseitigungsanspruch auf die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gestützt.

Das OLG Naumburg hat die Berufung zurückgewiesen und das klageabweisende Urteil des LG Dessau-Roßlau bestätigt.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts steht dem Kläger ein Beseitigungsanspruch nicht zu, weil die Skulptur in ihrem aktuellen Kontext weder beleidigenden Charakter aufweise noch das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletze. Allerdings habe das Relief ursprünglich unstreitig den Zweck verfolgt, die Juden verächtlich zu machen.

Gleichwohl verletze die Beklagte mit seiner Ausstellung an der Fassade der Stadtkirche die Ehre der Juden und des Klägers nicht. Das Relief sei Teil eines Ensembles, das eine andere Zielrichtung der Beklagten erkennen lasse. Eine Informationstafel bringe unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Beklagte sich von den Judenverfolgungen, den antijudaistischen Schriften Martin Luthers und der verhöhnenden Zielrichtung der Schmähplastik distanziere. Dies werde durch das im Jahr 1988 enthüllte Mahnmal unterhalb der Schmähplastik bekräftigt. Der vom Kläger zur Unterstützung seiner Argumentation herangezogene Gedanke, wonach eine Beleidigung auch dann eine Beleidigung bleibe, wenn man sie kommentiere, könne nicht allgemein und ausnahmslos Geltung beanspruchen. Konsequent angewendet stünde dieser Gedanke auch der vom Kläger befürworteten Ausstellung der Schmähplastik in einem Museum entgegen.

Auch der Gefahr, die Plastik könne als Element der religiösen Verkündigung wahrgenommen werden, sei durch ihre Einbindung in das Ensemble aus Mahnmal, Informationstafel und Relief entgegengewirkt. Die Präsentation eines ursprünglich beleidigend gemeinten Gebäudeteiles im originalen Bauzustand sei nicht notwendigerweise beleidigend. Vielmehr könne eine Kommentierung des historischen Kontextes die ursprüngliche Wirkung neutralisieren. Dies sei bei der Wittenberger Schmähplastik der Fall.

Das Oberlandesgericht hat die Revision zugelassen. Das Urteil kann vom Kläger vor dem BGH angefochten werden und ist nicht rechtskräftig.