Anwalt muss PDF-Datei vor beA-Versand inhaltlich prüfen

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.07.2025 – Az. VIII ZB 12/25 – Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass ein Rechtsanwalt, der eine Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift einfach signiert über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) einreicht, das Dokument vor dem Versand auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen muss. Insbesondere ist – wenn eine Word-Datei zum Zwecke des Versands in eine PDF-Datei umgewandelt wird – zu kontrollieren, ob der Inhalt der versendeten PDF-Datei dem Inhalt der Ausgangsdatei entspricht. Unterbleibt diese Inhaltskontrolle und wird dadurch etwa eine falsche oder unvollständige Datei eingereicht, geht ein daraus resultierender Fristversäumnis auf das Verschulden des Anwalts zurück und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.

Hintergrund: Berufungsbegründung in falscher Fassung versandt

Im zugrunde liegenden Fall hatte der Kläger gegen ein klageabweisendes Urteil fristgerecht Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung wurde bis zum 16. Dezember 2024 verlängert. Am Abend des 16.12.2024 – dem letzten Tag der Frist – versandte der Klägeranwalt um 22:29 Uhr über RA-Micro und sein beA einen Schriftsatz mit der Bezeichnung „Berufungsbegründung“ an das Oberlandesgericht. Zwar waren Aktenzeichen und Parteibezeichnungen korrekt, doch stellte sich heraus, dass dieser Schriftsatz inhaltlich nicht die fertig ausgearbeitete Berufungsbegründung war. Statt der erwarteten 19 Seiten umfasste das Dokument nur 3 Seiten, nannte ein falsches erstinstanzliches Urteil und enthielt weder Berufungsanträge noch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil. Zudem war der Schriftsatz nicht mit dem Namen des Anwalts versehen, es fehlte also die Signatur.

Erst nachdem das Gericht auf diese Unstimmigkeiten hingewiesen hatte, reichte der Anwalt am 23. Dezember 2024 eine vollständige 19-seitige Berufungsbegründung nach. Zugleich beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist und begründete dies mit einem technischen Fehler: Die Berufungsbegründung sei ursprünglich in Microsoft Word erstellt und in der elektronischen Akte gespeichert worden. Beim Versand über die Schnittstelle von RA-Micro zum beA sei jedoch offenbar nicht die zuletzt gespeicherte Version, sondern eine frühere Entwurfsfassung automatisiert in PDF umgewandelt und versendet worden. Möglicherweise habe ein Programmfehler vorgelegen oder die Akte sei vor dem Versand nicht aktualisiert gewesen. Von dieser potenziellen Fehlerquelle habe der Anwalt nichts gewusst. Er untermauerte seinen Vortrag damit, dass eine wenige Minuten zuvor an den Mandanten per E-Mail versandte PDF-Version (ebenfalls via RA-Micro aus derselben Word-Datei generiert) korrekt und vollständig war. Auch legte er Screenshots der beA-Versandplattform vor, welche in der Dateivorschau genau den drei Seiten umfassenden Inhalt der versendeten Datei zeigten – mithin die fehlerhafte, unvollständige Fassung.

Entscheidung des BGH: Keine Wiedereinsetzung bei Anwaltsverschulden

Sowohl das Oberlandesgericht Stuttgart als auch der BGH verneinten eine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist. Der Anwalt hat die Frist schuldhaft versäumt, so dass sein Verschulden dem Mandanten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Entscheidend war, dass der Prozessbevollmächtigte seine anwaltlichen Sorgfaltspflichten verletzt hat, indem er die Datei nicht noch einmal inhaltlich überprüfte, bevor er sie elektronisch an das Gericht übermittelte. Aus den vorgelegten Screenshots war ersichtlich, dass im beA-Versanddialog bereits auf den ersten Blick gravierende Abweichungen zu erkennen waren: falsches Gericht, falsches Urteil, falsches Aktenzeichen – und nur drei statt neunzehn Seiten Inhalt. Selbst bei kursorischem Durchblättern der Vorschau hätte einem sorgfältigen Leser auffallen müssen, dass hier nicht die fertige Berufungsbegründung versendet würde. Der BGH betonte, der Anwalt hätte den Fehler in der Dateivorschau erkennen und rechtzeitig korrigieren müssen. Hätte er die Diskrepanz bemerkt, hätte er die korrekte 19-seitige Fassung noch vor Fristablauf einreichen können.

Indem der Anwalt die Frist nahezu ausgeschöpft und erst um 22:29 Uhr versendet hat, fehlte zudem die Möglichkeit einer nachgelagerten Postausgangskontrolle am selben Abend, die den Fehler vielleicht noch entdeckt hätte. Nutzt ein Anwalt die volle Frist bis zum letzten Moment aus (was grundsätzlich erlaubt ist), fällt das damit verbundene Risiko ausschließlich in seinen Verantwortungsbereich. Technische Probleme oder Unwissenheit über Software-Eigenheiten entlasten in diesem Zusammenhang nicht: Auch wenn ein Konvertierungsfehler oder ein Versäumnis beim Aktualisieren der Datei vorlag – diese Risiken hat der Anwalt durch angemessene Endkontrollen abzufangen. Entscheidend ist, dass die automatisierte Umwandlung von Word zu PDF eine potenzielle Fehlerquelle darstellt, der der Rechtsanwalt durch manuelle Inhaltskontrolle begegnen muss. Ohne solche Prüfung kann die Vollständigkeit und inhaltliche Richtigkeit des eingereichten Schriftsatzes nicht sichergestellt werden.

Anwaltliche Sorgfaltspflichten im elektronischen Rechtsverkehr

Der BGH stellt klar, dass die Sorgfaltspflichten bei elektronischer Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per beA denjenigen bei einer Faxübersendung entsprechen. Genauso wie beim Unterschreiben und Versenden eines Schriftstücks per Post oder Fax muss der Anwalt sicherstellen, dass das Dokument vollständig, richtig und formwirksam ist, bevor es das Haus verlässt. Insbesondere ersetzt im elektronischen Rechtsverkehr die Kombination aus einfacher Signatur und sicherem Übermittlungsweg (persönlicher beA-Versand) die handschriftliche Unterschrift. Daher muss der Anwalt auch hier persönlich die volle Verantwortung für den Inhalt übernehmen. Die Einhaltung der Form des § 130a ZPO – entweder qualifizierte elektronische Signatur oder bei einfacher Signatur der eigenhändige Versand über das persönliche Anwaltspostfach – liegt in der Verantwortung des Rechtsanwalts. Dazu gehört, zu überprüfen, dass der Schriftsatz überhaupt vom Anwalt (durch Namenswiedergabe am Ende) einfach signiert wurde.

Darüber hinaus genügt es nicht, bei der elektronischen Einreichung lediglich auf Dateinamen oder Versandbestätigungen zu vertrauen. Eine inhaltliche Prüfung des Dokuments selbst ist unerlässlich. Anders als beim Fax, wo das Original direkt versendet wird, kann es beim Hochladen einer Datei zu Verwechslungen oder technischen Fehlern kommen. Ein Datei-Upload über beA erfordert daher, die richtige Datei auszuwählen und deren Inhalt vor dem Absenden zu kontrollieren – etwa durch Öffnen der PDF oder Nutzung der beA-Vorschaufunktion. Der Versand einer unvollständigen oder falschen Datei ist voll beherrschbarer Einflussbereich des Anwalts. Versäumt er die Endkontrolle, handelt er fahrlässig. Diese Pflicht zur Endkontrolle wurde vom BGH bereits in einem Beschluss aus 2024 hervorgehoben: Eine aus einem anderen Format erzeugte PDF-Rechtsmittelschrift muss vom Anwalt vor der Übermittlung darauf geprüft werden, ob ihr Inhalt mit dem der Ausgangsdatei übereinstimmt. Im jetzt entschiedenen Fall 2025 hat der VIII. Zivilsenat diese Linie bestätigt und konsequent angewandt.

Praxishinweise für Anwälte

  • PDF vor dem Senden öffnen und prüfen: Bei fristgebundenen Schriftsätzen, die elektronisch über das beA eingereicht werden, sollte der/die Rechtsanwalt/Rechtsanwältin stets die finale PDF-Datei öffnen oder in der Vorschau überprüfen. Kontrollieren Sie, ob alle Seiten vollständig sind, der Inhalt zum konkreten Fall passt, die richtigen Parteien und Aktenzeichen genannt sind und ob die Signaturzeile (Name) am Ende vorhanden ist. So lassen sich Abweichungen – z. B. eine falsche Version oder ein Konvertierungsfehler – rechtzeitig erkennen.
  • Nicht blind auf Dateinamen vertrauen: Der Dateiname allein (etwa „Berufungsbegründung.pdf“) bietet keine Gewähr, dass sich dahinter tatsächlich der richtige Schriftsatz verbirgt. Nur durch einen Blick in das Dokument selbst kann man sicherstellen, dass kein falsches Dokument angehängt wurde. Vermeiden Sie daher, Dateien ungesehen zu versenden – gerade wenn mehrere Entwürfe existieren.
  • Vorsicht bei Software-Schnittstellen: Wenn Sie Kanzleisoftware (z. B. RA-Micro) verwenden, die im Hintergrund Word-Dokumente in PDFs umwandelt und ans beA überträgt, seien Sie besonders aufmerksam. Aktualisieren Sie die elektronische Akte vor dem Versand und vergewissern Sie sich nach der automatischen Umwandlung, dass die richtige Version konvertiert wurde. Technische Automatismen entbinden nicht von der Pflicht zur Kontrolle – im Gegenteil, hier sind häufige Fehlerquellen bekannt.
  • Fristenende nicht bis zur letzten Minute ausreizen: Planen Sie bei fristgebundenen Schriftsätzen einen kleinen Puffer ein, um eine abschließende Qualitätskontrolle durchführen zu können. Wenn Sie erst kurz vor Mitternacht senden, fehlt die Möglichkeit, im Team oder durch Kanzleipersonal eine Postausgangskontrolle durchführen zu lassen. Jede Verspätung oder Korrekturversuch nach Fristablauf bleibt dann ohne Wirkung. Nutzen Sie die elektronischen Übermittlungswege lieber etwas früher, um im Notfall bei technischen Problemen noch reagieren zu können.

Der BGH macht deutlich, dass im elektronischen Rechtsverkehr dieselben hohen Sorgfaltsmaßstäbe gelten wie im Papierverfahren. Anwältinnen und Anwälte müssen persönlich die Verantwortung dafür übernehmen, dass fristwahrende Schriftsätze inhaltlich korrekt, vollständig und formgerecht bei Gericht eingehen. Eine versäumte Frist aufgrund eines „falschen PDFs“ ist in der Regel selbst verschuldet – Wiedereinsetzung wird dann nicht gewährt. Die sichere Beherrschung der Technik und gewissenhafte Endkontrolle elektronischer Schriftsätze gehören somit zur anwaltlichen Kernpflicht im modernen Prozessrecht.