Außerordentliche Kündigung: Anhörung des Arbeitnehmers auch während des Urlaubs erforderlich

17. August 2025 -

Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg vom 12. Dezember 2024 (Az. 12 Sa 25/24) betraf einen Zugchef, dem am Arbeitsplatz sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde. Der Arbeitgeber erfuhr am 27. April 2023 von den Vorwürfen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der betroffene Arbeitnehmer jedoch bereits im Urlaub – genauer gesagt in einer kurzen Ruhezeit gefolgt von einem genehmigten Erholungsurlaub, der insgesamt vom 25. April bis 21. Mai 2023 andauerte. Der Arbeitgeber wartete mit der Anhörung des Arbeitnehmers bis zu dessen Urlaubsrückkehr am 22. Mai 2023, um den Vorwurf aufzuklären. Erst an diesem Tag lud er den Mitarbeiter zu einem Personalgespräch am Folgetag ein, in dem der Mitarbeiter Stellung nehmen sollte. Anschließend – nach schriftlicher Stellungnahme des Arbeitnehmers und Anhörung des Betriebsrats – sprach der Arbeitgeber am 6. Juni 2023 die fristlose, hilfsweise fristlose Kündigung mit sozialer Auslauffrist aus.

Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und argumentierte unter anderem, dass die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt wurde, weil der Arbeitgeber mit der Anhörung bis nach seinem Urlaub gewartet hatte. Das Arbeitsgericht gab ihm in erster Instanz Recht und erklärte die Kündigung wegen Fristversäumnis für unwirksam. Dies bestätigte das LAG Baden-Württemberg in der Berufung. Der Arbeitgeber legte Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) ein (dazu unten mehr).

Kernaussage des LAG-Urteils: Auch bei abwesenden Mitarbeitern (z.B. im Urlaub) muss ein Arbeitgeber, der eine außerordentliche Kündigung wegen eines schweren Vorwurfs in Erwägung zieht, unverzüglich handeln und den Arbeitnehmer möglichst innerhalb einer Woche anhören. Andernfalls läuft die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ab – mit der Folge, dass eine anschließend ausgesprochene fristlose Kündigung unwirksam ist.

Rechtlicher Rahmen: Kündigungserklärungsfrist und Anhörung

Nach § 626 Abs. 2 BGB muss eine außerordentliche (fristlose) Kündigung innerhalb von zwei Wochen erfolgen, nachdem der Kündigungsberechtigte von den maßgeblichen Kündigungsgründen Kenntnis erlangt hat. Diese kurze Ausschlussfrist soll sicherstellen, dass ein Arbeitgeber zügig handelt, wenn ein wichtiger Grund vorliegt – dadurch wird verhindert, dass längst zurückliegende Vorfälle plötzlich als Kündigungsgrund herangezogen werden. Die Frist beginnt, sobald alle für die Kündigung wesentlichen Tatsachen bekannt sind, also auch etwaige entlastende Umstände.

Insbesondere bei Verdachtskündigungen – also wenn der Arbeitgeber einen dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung hat, aber den Sachverhalt noch nicht endgültig aufgeklärt – ist Eile geboten. Eine Verdachtskündigung ist nur wirksam, wenn der Arbeitnehmer vorher ordnungsgemäß angehört wurde; der Beschäftigte muss also die Gelegenheit erhalten, den Vorwurf aus seiner Sicht zu entkräften. Aber auch bei einer Tatkündigung (Kündigung wegen erwiesener Pflichtverletzung) hört ein vorsichtiger Arbeitgeber den Arbeitnehmer oft an, um ggf. entlastende Umstände zu erfahren.

Hemmung der Frist durch Ermittlungen: Die Zwei-Wochen-Frist kann während notwendiger interner Ermittlungen oder der Anhörung des Arbeitnehmers gewissermaßen „gehalten“ werden – allerdings nur, wenn diese Untersuchungen mit der gebotenen Eile durchgeführt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu klare Vorgaben gemacht: Soll ein Mitarbeiter vor Ausspruch der fristlosen Kündigung angehört werden, muss diese Anhörung im Regelfall innerhalb einer Woche erfolgen. Wird ohne rechtfertigenden Grund länger gewartet, zählt dies als Verzögerung, die zum Fristablauf führen kann. Nur in Ausnahmefällen darf die einwöchige Regelfrist für die Anhörung überschritten werden – und damit ausnahmsweise auch die Zwei-Wochen-Gesamtfrist des § 626 Abs. 2 BGB verlängert werden.

Ein solcher Ausnahmefall wurde in der Rechtsprechung beispielsweise für krankheitsbedingte Abwesenheit anerkannt. Bei einem erkrankten Arbeitnehmer darf der Arbeitgeber aus Rücksicht auf den Genesungsprozess eine gewisse Zeit zuwarten, bevor er Kontakt aufnimmt. Das BAG entschied 2020, dass eine Wartezeit von etwa drei Wochen bis zur Kontaktaufnahme bei Arbeitsunfähigkeit noch angemessen sein kann. Danach muss jedoch auch bei Krankheit der Versuch unternommen werden, den Mitarbeiter zur Sachverhaltsaufklärung anzusprechen (etwa durch Nachfrage, ob er trotz Krankheit auskunftsfähig ist). Wichtig: Diese Fristverlängerung bei Krankheit ist an die Bedingung geknüpft, dass der Arbeitgeber überhaupt versucht, den Mitarbeiter zu erreichen. Bleibt er völlig untätig, kann er sich nicht auf eine Hemmung der Frist berufen.

Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (12.12.2024)

Das LAG Baden-Württemberg stellte klar, dass Urlaub grundsätzlich keinen automatischen Stillstand für die Kündigungsfrist bewirkt. Auch wenn die Anhörung wegen der Abwesenheit des Arbeitnehmers erschwert ist, läuft die Zwei-Wochen-Frist weiter. Der Arbeitgeber darf also nicht einfach abwarten, bis der Mitarbeiter aus dem Urlaub zurückkehrt, wenn dadurch die Frist versäumt würde. Im konkreten Fall hatte die Arbeitgeberin über drei Wochen lang nichts unternommen, obwohl der Vorwurf einer sexuellen Belästigung einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen kann. Damit war die Ausschlussfrist bei Ausspruch der Kündigung bereits verstrichen.

Das LAG betonte folgende Punkte:

  • Anhörung auch während längerer Urlaubsabwesenheit: Befindet sich der Arbeitnehmer im Urlaub, muss der Arbeitgeber in Fällen eines schweren Vorwurfs trotzdem zeitnah versuchen, den Sachverhalt aufzuklären. Bei einer längeren Urlaubsabwesenheit (das LAG nannte hier ausdrücklich „mehr als drei Wochen“) darf der Arbeitgeber nicht untätig bleiben. Er ist vielmehr verpflichtet, den Mitarbeiter noch während des laufenden Urlaubs zu kontaktieren, um ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Andernfalls – so das LAG – versäumt der Arbeitgeber die Kündigungserklärungsfrist, was die außerordentliche Kündigung unwirksam macht.
  • Keine Rechtfertigung durch Urlaubsrücksichtnahme: Das Unternehmen argumentierte, man habe dem Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers Rechnung tragen wollen – schließlich solle der Urlaub der Entspannung dienen, ohne berufliche Störungen. Doch das LAG ließ diesen Einwand nicht gelten. Der besondere Erholungszweck des Urlaubs ändert nichts daran, dass bei gravierenden Vorwürfen die Aufklärung dringend ist. Selbstverständlich ist eine Konfrontation mit einem Kündigungsvorwurf im Urlaub für den Mitarbeiter belastend. Allerdings hat derselbe Mitarbeiter im Ernstfall auch ein eigenes Interesse an schneller Aufklärung, gerade um seine Entlastung zu ermöglichen. Das LAG argumentierte, ein betroffener Arbeitnehmer könne sich durchaus entscheiden, freiwillig seinen Urlaub kurz zu unterbrechen, um durch eine zeitnahe Stellungnahme seine Position zu klären – zumal die Erinnerungen aller Beteiligten an den Vorfall dann noch frisch sind. Diese Chance auf schnelle Klärung und eventuelle Entlastung überwiegt das Interesse des Arbeitnehmers an völliger Unberührtheit im Urlaub. Mit anderen Worten: Ob der Urlaub zur Aufklärung unterbrochen wird, soll der Arbeitnehmer selbst entscheiden dürfen – nicht der Arbeitgeber, indem er einfach untätig wartet.
  • Kurzurlaube vs. lange Abwesenheiten: Das LAG deutete an, dass bei sehr kurzen Urlauben oder einer “zeitnahen” Rückkehr vielleicht anderes gelten könnte. Bei einem nur wenige Tage dauernden Urlaub mag es vertretbar sein, die Rückkehr abzuwarten. Eine feste Grenze zog das Gericht zwar nicht, aber in der Praxis nennt die Rechtsprechung oft ungefähr zwei bis drei Wochen als Richtwert. Im besagten Fall war der Urlaubszeitraum mit knapp drei Wochen jedenfalls so lang, dass Abwarten nicht entschuldbar war. Der Arbeitgeber hätte spätestens binnen einer Woche nach Kenntnis des Vorwurfs eine Anhörung einleiten müssen, z.B. durch ein Schreiben noch in der ersten Urlaubswoche, mit der Bitte um Stellungnahme binnen kurzer Frist. Tatsächlich merkte das LAG an, die Arbeitgeberin hätte am 28. April 2023 ein Anhörungsschreiben in den Briefkasten des Arbeitnehmers werfen können, mit einer Woche Frist zur Äußerung. Nichts dergleichen geschah.

Folglich stand für das Gericht fest, dass die am 6. Juni 2023 erklärte fristlose Kündigung verfristet und unwirksam war. Der zuvor ordentlich unkündbare Arbeitnehmer musste weiterbeschäftigt werden. Das LAG ließ die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu, und tatsächlich ist ein Verfahren unter dem Aktenzeichen 2 AZR 55/25 beim BAG anhängig. Das letzte Wort in dieser Rechtsfrage ist also noch nicht gesprochen – die höchstrichterliche Entscheidung bleibt abzuwarten.

Praxistipps für Arbeitgeber

  1. Zwei-Wochen-Frist strikt im Blick behalten: Bei jedem Verdacht auf einen wichtigen Kündigungsgrund sollten Arbeitgeber sofort den Kalender prüfen. Ab dem Tag der Kenntnis vom möglichen Kündigungssachverhalt tickt die 14-Tage-Frist des § 626 Abs. 2 BGB. Insbesondere bei schweren Vorwürfen (wie Straftaten, sexuelle Belästigung, Diebstahl etc.) gilt: Zeit ist ein kritischer Faktor.
  2. Anhörung unverzüglich durchführen: Planen Sie – sei es aus Fairness oder wegen einer Verdachtskündigungspflicht – den Arbeitnehmer anzuhören, dann organisieren Sie dies so schnell wie möglich. Die Rechtsprechung verlangt in der Regel eine Anhörung innerhalb von etwa einer Woche ab Kenntnis des Vorwurfs. Stimmen Sie ggf. Termine ab oder verfassen Sie umgehend ein Schreiben mit den Vorwürfen und fordern Sie eine schriftliche Stellungnahme innerhalb kurzer Frist. Warten Sie nicht ab, bis „günstigere“ Umstände eintreten, wenn dadurch wertvolle Zeit verstreicht.
  3. Abwesende Mitarbeiter kontaktieren – auch im Urlaub: So unangenehm es sein mag, scheuen Sie sich in ernsten Fällen nicht, einen Mitarbeiter während seines Urlaubs zu kontaktieren. Natürlich sollte dies nur in dringenden Fällen geschehen. Doch wenn der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wegen gravierender Pflichtverstöße infrage steht, muss der Arbeitgeber aktiv werden, um die Frist zu wahren. Eine kurze schriftliche oder telefonische Mitteilung mit Schilderung des Sachverhalts und der Bitte um Stellungnahme ist ratsam. Dabei sollte man dem Mitarbeiter freistellen, ob er für ein persönliches Gespräch zur Verfügung steht oder sich (vorerst) schriftlich äußern möchte. Wichtig ist, nachweisbar den Kontakt gesucht zu haben, etwa per Einschreiben oder E-Mail, um im Zweifel belegen zu können, dass man die Anhörung zeitnah eingeleitet hat.
  4. Angemessene Fristen und Rücksichtnahme: Auch wenn Eile geboten ist, setzen Sie dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Rückmeldung. Üblich sind ein paar Tage bis zu einer Woche, je nach Schwere des Vorwurfs und Kommunikationsweg Fragen Sie auch explizit, ob der Mitarbeiter gesundheitlich und tatsächlich in der Lage ist, sich trotz Urlaub zu äußern bzw. an einem Gespräch teilzunehmen. Sollte der Arbeitnehmer erklären, dass ihm dies im Urlaub nicht möglich oder nicht zumutbar ist, haben Sie zumindest Ihrer Pflicht Genüge getan – in einem solchen Fall dürfte die Frist bis zur Rückkehr gehemmt sein, da besondere Umstände vorliegen. Wichtig: Tätig werden müssen Sie aber in jedem Fall. Untätigkeit lässt die Frist weiterlaufen.
  5. Betriebsrat und weitere Formalien berücksichtigen: Denken Sie daran, dass bei einer fristlosen Kündigung innerhalb derselben Zwei-Wochen-Frist auch die Betriebsratsanhörung abgeschlossen sein muss (sofern ein Betriebsrat existiert). Planen Sie also genügend Zeit ein, um nach der Stellungnahme des Arbeitnehmers noch den Betriebsrat ordnungsgemäß zu hören. All dies muss vor Ablauf der 14 Tage erledigt sein – ein sportliches Timing, das nur mit konsequenter, schneller Reaktion zu schaffen ist.

Wichtig für Arbeitgeber: Bis zur höchstrichterlichen Klärung durch das BAG sollten Sie im Zweifel lieber proaktiv handeln und den Urlaub nicht als Schonraum betrachten. Die Entscheidung aus Baden-Württemberg mahnt, dass übertriebene Rücksichtnahme auf den „Urlaubsfrieden“ des Mitarbeiters ein fataler Fehler sein kann. Im Ergebnis ist es besser, einen Mitarbeiter kurzfristig zu stören, als das Recht zur fristlosen Kündigung zu verlieren.

Hinweise für Arbeitnehmer

Für Arbeitnehmer bedeutet dieses Urteil, dass ein Urlaub nicht völligen Schutz vor beruflichen Konsequenzen bietet. Grundsätzlich sind Beschäftigte während genehmigter Urlaubszeit nicht verpflichtet, für den Arbeitgeber erreichbar zu sein – viele Arbeitsverträge oder Betriebsvereinbarungen stellen klar, dass keine Arbeitspflicht oder Rufbereitschaft im Urlaub besteht. Aber: In wirklich dringenden Ausnahmefällen (etwa bei gravierenden Vorwürfen, die eine fristlose Kündigung nach sich ziehen könnten) darf der Arbeitgeber Kontakt aufnehmen.

Was sollten Sie tun, wenn Sie im Urlaub mit einem schweren Anschuldigungs- oder Kündigungsvorwurf konfrontiert werden?

  • Bewahren Sie Ruhe und prüfen Sie die Kontaktaufnahme: Meldet sich der Arbeitgeber im Urlaub mit einem ernsten Anliegen, sollten Sie zunächst klären, worum es geht. Oft geht eine schriftliche Mitteilung voraus, in der die Vorwürfe skizziert sind und um Ihre Stellungnahme gebeten wird. Nehmen Sie solche Schreiben ernst. Der Arbeitgeber handelt nicht willkürlich, sondern weil das Gesetz ihn zu schnellem Vorgehen zwingt.
  • Keine Pflicht zur Aussage im Urlaub, aber Chance zur Entlastung: Sie sind nicht verpflichtet, Ihren Urlaub abzubrechen oder sofort zu antworten. Es besteht kein gesetzlicher Zwang, im Urlaub berufliche Termine wahrzunehmen oder E-Mails zu beantworten. Allerdings hat das LAG betont, dass es im eigenen Interesse des Arbeitnehmers liegen kann, frühzeitig Stellung zu nehmen. Wenn Sie unschuldig sind oder entlastende Informationen haben, können Sie diese umso effektiver vorbringen, je schneller reagiert wird – denn Ihre Erinnerung und die möglicher Zeugen ist noch frisch. Überlegen Sie also, ob Sie die Möglichkeit nutzen, Ihre Sicht der Dinge darzulegen. Sie dürfen Ihren Urlaub unterbrechen, müssen es aber nicht.
  • Kommunikation ist key: Sollten Sie im Urlaub nicht sofort ausführlich reagieren können oder wollen, ist es ratsam, zumindest kurz dem Arbeitgeber Rückmeldung zu geben. Teilen Sie mit, ob und wann Sie zu einer Anhörung bereit wären. Eventuell reicht zunächst eine schriftliche Stellungnahme per E-Mail, falls Sie kein persönliches Gespräch führen möchten. Signalisieren Sie, falls nötig, dass Sie aus bestimmten Gründen (z.B. Auslandaufenthalt ohne zeitnahe Rückreisemöglichkeit, Krankheit im Urlaub) derzeit nicht erscheinen können – so hat der Arbeitgeber dies dokumentiert und kann die weitere Vorgehensweise darauf einstellen. Wichtig: Schweigen Sie komplett und ignorieren den Kontaktversuch, könnte der Arbeitgeber nach Ihrer Rückkehr argumentieren, Sie hätten die Aufklärung verzögert; dann wäre die Kündigung womöglich dennoch fristgerecht, weil er den Versuch unternommen hat, Sie anzuhören.
  • Kenntnis Ihrer Rechte: Auch wenn der Arbeitgeber Sie im Urlaub kontaktiert, bleiben Ihre arbeitsrechtlichen Schutzrechte bestehen. Eine Anhörung ist keine Vorverurteilung. Sie haben das Recht, einen Betriebsrat oder Vertrauensperson zum Gespräch hinzuzuziehen (falls vorhanden), und Sie müssen sich nicht zu Vorwürfen äußern, ohne diese geprüft zu haben. Im Zweifel können Sie um eine kurze Verlängerung der Äußerungsfrist bitten – im geschilderten Fall gestand der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch einige Tage Aufschub bis zum 30. Mai 2023 zu, um schriftlich Stellung zu nehmen.
  • Nach dem Urlaub – keine bösen Überraschungen: Ein positiver Aspekt der gesetzlichen Frist ist, dass nach zwei Wochen grundsätzlich Klarheit herrschen soll. Hat der Arbeitgeber bis dahin keine außerordentliche Kündigung erklärt, müssen Sie nach dem Urlaub keine fristlose Kündigung mehr befürchten. In der Praxis bedeutet dies: Wenn Ihr Arbeitgeber wirklich ernst machen will, muss er sich sputen – tut er nichts und wartet Ihren Urlaub ab, kann Ihnen das in die Karten spielen. So war es im besprochenen Urteil: Weil die Firma bis nach dem Urlaub wartete, war die Kündigung hinfällig. Diese Sicherheit besteht jedoch nur, wenn der Arbeitgeber tatsächlich untätig blieb. Versucht er hingegen, Sie zu erreichen, und scheitert nicht durch sein Verschulden, kann die Frist verlängert werden.

Tipp für Arbeitnehmer: Ein Urlaub ist zur Erholung da, und Arbeitgeber sollen ihn respektieren. Dennoch ist es realistisch, dass in Notfällen – etwa drohenden erheblichen Pflichtverletzungen – eine Kontaktaufnahme erfolgt. Nehmen Sie solche Situationen ernst, informieren Sie sich (notfalls bei einem Anwalt oder beim Betriebsrat) über Ihre Rechte, und entscheiden Sie dann, wie Sie reagieren. Ihr Arbeitgeber darf den Urlaub nicht „kapern“, um Routineanliegen zu klären, aber bei möglichen Kündigungsgründen geht es um viel – nämlich Ihren Job. Hier ist es klug, strategisch vorzugehen: Kooperieren Sie soweit möglich, um keine Angriffsfläche zu bieten, aber achten Sie auch darauf, sich nicht unnötig unter Druck setzen zu lassen.

Dieses Urteil des LAG Baden-Württemberg verdeutlicht die strenge Handhabung der Kündigungserklärungsfrist bei außerordentlichen Kündigungen. Arbeitgeber sind gut beraten, auch während eines laufenden Urlaubs nicht untätig zu bleiben, wenn ihnen schwere Vorwürfe gegen einen Mitarbeiter bekannt werden. Die Pflicht zur raschen Anhörung des Arbeitnehmers kann in solchen Fällen sogar die Urlaubspause durchbrechen, um den Zweck des § 626 Abs. 2 BGB – nämlich Schnelligkeit und Rechtsklarheit – zu erfüllen. Gelingt dem Arbeitgeber die fristgerechte Aufklärung nicht, ist die fristlose Kündigung vom Tisch.

Für Arbeitnehmer bietet die Entscheidung einerseits Schutz: Ein Arbeitgeber, der die Frist versäumt, zieht den Kürzeren – die Kündigung ist unwirksam. Andererseits zeigt sie, dass man sich nicht darauf verlassen kann, im Urlaub von allen unternehmensseitigen Konsequenzen verschont zu bleiben. Im Ernstfall geht Schnelligkeit vor Schonung. Beide Seiten – Arbeitgeber wie Arbeitnehmer – sollten sich daher der Bedeutung dieser Zwei-Wochen-Frist bewusst sein und im Anlassfall entsprechend handeln.

Abschließend ist zu beachten, dass die endgültige Klärung durch das Bundesarbeitsgericht noch aussteht. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG die Linie des LAG bestätigt oder eventuell modifiziert. Bis dahin gilt jedoch: Lieber auf Nummer sicher gehen und schnell reagieren, als eine Kündigungschance oder Verteidigungschance ungenutzt verstreichen zu lassen. So wird im Ergebnis Rechtsklarheit hergestellt – entweder durch eine zeitnahe berechtigte Kündigung oder durch das Weiterbeschäftigen eines zu Unrecht beschuldigten Arbeitnehmers. In jedem Fall steht fest: Das Zeitfenster von 14 Tagen ist eng und lässt im Zweifel keinen Aufschub zu, selbst wenn die Sonne am Urlaubsort scheint.