Bayerns Grenzpolizei teilweise verfassungswidrig

28. August 2020 -

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof in München hat am 28.08.2020 zu den Aktenzeichen Vf. 10-VIII-19 und Vf. 12-VII-19 entschieden, dass die im Jahr 2018 wiedereingeführte bayerische Grenzpolizei teilweise nicht mit der Verfassung vereinbar ist.

Aus der Pressemitteilung des Bay. VerfGH vom 28.08.2020 ergibt sich:

Die generelle Wiedererrichtung der Bayerischen Grenzpolizei (Art. 5 POG) sei zwar verfassungsgemäß, dagegen sei die Zuweisung von grenzpolizeilichen Befugnissen (Art. 29 PAG) verfassungswidrig, so der VerfGH München.

Im Juli 2018 hat der Bayerische Landtag auf Initiative der Bayerischen Staatsregierung das Gesetz zur Errichtung der Bayerischen Grenzpolizei verabschiedet. Art. 5 POG sieht deren Wiedererrichtung vor, nachdem sie infolge des Wegfalls der EU-Binnengrenzkontrollen im Schengenraum mit Wirkung zum 01.04.1998 als eigenständiger Verband aufgelöst worden war. Art. 29 PAG enthält Befugnisse für die Wahrnehmung grenzpolizeilicher Aufgaben. Im Mai 2018 hat der Bayerische Landtag auf Initiative der Bayerischen Staatsregierung das PAG-Neuordnungsgesetz verabschiedet; darin wurde Art. 29 PAG um einen Absatz 3 ergänzt. Diese Regelung bestimmt, dass der Bayerischen Polizei, wenn sie grenzpolizeiliche Aufgaben des Bundes wahrnimmt, neben den bestehenden landesrechtlichen Befugnissen auch die speziellen bundesrechtlichen Befugnisse bei der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zustehen. Gegenstand der Verfahren ist die Frage, ob Art. 5 POG und Art. 29 PAG mit der Bayerischen Verfassung vereinbar sind.

Die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen macht als Antragstellerin in einer Meinungsverschiedenheit geltend, beide Vorschriften verletzten das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Verfassung – BV) sowie das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 101 BV), weil sie gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstießen. Dem Freistaat Bayern stehe keine Gesetzgebungskompetenz zum Erlass des Art. 29 PAG zu. Dabei handle es sich um materielles Grenzschutzrecht i.S.d. Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG, für das der Bund ausschließlich zuständig sei. Im Hinblick auf Art. 5 POG verfüge der Freistaat Bayern nicht über die erforderliche Verwaltungskompetenz. Mit dem Bundespolizeigesetz habe der Bund von der in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Grenzschutz in bundeseigener Verwaltung wahrzunehmen. Vergleichbare Rügen werden von der Vorsitzenden der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen mit einer Popularklage erhoben.

Die CSU-Landtagsfraktion und die Bayerische Staatsregierung als Antragsgegnerinnen der Meinungsverschiedenheit haben Bedenken gegen die Zulässigkeit der Anträge, da die geltend gemachten Verfassungsverstöße allein auf die Nichteinhaltung bundesrechtlicher Kompetenznormen gestützt seien. Jedenfalls seien die Anträge unbegründet, da gegen die bundesrechtliche Kompetenzordnung nicht verstoßen werde. Soweit die Länder im Einklang mit den Regelungen des Bundespolizeigesetzes und mit Zustimmung des Bundes grenzpolizeiliche Aufgaben wahrnähmen, stehe ihnen auch die Kompetenz zu, die hierzu nötigen organisatorischen Regelungen und Befugnisnormen zu schaffen. Art. 5 POG stelle lediglich eine Organisationsnorm dar, die intern festlege, welche von der Landespolizei zulässigerweise wahrgenommenen Aufgaben von welchen Einheiten zu erfüllen seien. Auch Art. 29 PAG weise der Landespolizei keine grenzpolizeilichen Aufgaben zu, sondern sehe polizeiliche Befugnisse nur für den Fall vor, dass die Landespolizei auf der Grundlage des Bundespolizeigesetzes grenzpolizeiliche Aufgaben wahrnehme. Der Bayerische Landtag hält mehrheitlich die Anträge ebenfalls für unbegründet.

Der VerfGH München hat der Popularklage der Vorsitzenden der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen teilweise stattgegeben.

Sie ist im Hinblick auf die Zuweisung von Befugnissen an die Bayerische Grenzpolizei in Art. 29 PAG erfolgreich; dagegen wird die Wiedererrichtung der Bayerischen Grenzpolizei als solche (Art. 5 POG) vom Verfassungsgerichtshof nicht beanstandet. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Verfahren der Meinungsverschiedenheit ist insgesamt erfolglos geblieben.

Zu der Entscheidung im Einzelnen:

Zur Zulässigkeit der Anträge

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Verfahren der Meinungsverschiedenheit ist nur zulässig, soweit er sich gegen Art. 5 POG richtet.

Die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen kann grundsätzlich beim VerfGH München gegenüber der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag und der Bayerischen Staatsregierung als ebenfalls am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten beanstanden, dass Art. 5 POG (Wiedererrichtung der Bayerischen Grenzpolizei) und Art. 29 PAG (Zuweisung grenzpolizeilicher Befugnisse) gegen die Bayerische Verfassung verstoßen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Meinungsverschiedenheit bereits während des Gesetzgebungsverfahrens hinreichend erkennbar geworden ist.

Dies war nur im Hinblick auf Art. 5 POG der Fall; insoweit hat eine der Antragstellerin angehörende Abgeordnete im Landtagsausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen sinngemäß erklärt, der Freistaat Bayern verfüge über keine Kompetenzen im Bereich des Grenzschutzes. Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass damit die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift auf eine Unvereinbarkeit mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes gestützt wird; denn hieraus kann sich eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips der Bayerischen Verfassung (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) ergeben.

Demgegenüber ist der Äußerung der Vorsitzenden der Antragstellerin im selben Ausschuss nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass ein verfassungsrechtlicher Einwand gegen Art. 29 PAG erhoben werden sollte.

Die Popularklage ist nur zulässig, soweit Art. 29 PAG angegriffen wird. Diese Vorschrift regelt polizeiliche Befugnisse bzw. Inpflichtnahmen und bildet somit eine Grundlage für Maßnahmen, die in Grundrechte eingreifen können. Es reicht aus, dass die Antragstellerin ihre Rüge einer Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) darauf stützt, Art. 29 PAG sei wegen Verstoßes gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes und damit gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV unwirksam.

Dagegen lässt die Popularklage nicht erkennen, ob und inwieweit durch Art. 5 POG über seinen vorwiegend organisatorischen Regelungsgehalt hinaus Eingriffsmöglichkeiten gegenüber Grundrechtsträgern geschaffen werden sollen. Insoweit fehlt es daher an der Darlegung einer möglichen Grundrechtsverletzung.

Zur Begründetheit der Anträge

Der Antrag im Verfahren der Meinungsverschiedenheit ist – soweit seine Zulässigkeit bejaht wurde – unbegründet. Art. 5 POG verstößt nicht wegen einer Verletzung der in Art. 83, 87 Abs. 1 Satz 2 GG normierten Kompetenzverteilung im Bereich der Exekutive (Bundesgrenzschutz) gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV).

Zwar hat der Bundesgesetzgeber im Bundespolizeigesetz von der im Grundgesetz vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, Bundesgrenzschutzbehörden einzurichten. Die Aufgabe des grenzpolizeilichen Fahndungsdienstes (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 POG, Art.13 Abs. 1 Nr. 5 PAG, sog. Schleierfahndung) ist aber unbestritten eine Aufgabe des Landes. Es unterliegt daher keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln, dass der Freistaat Bayern zur Erfüllung dieser Aufgabe eine Bayerische Grenzpolizei als Teil der Landespolizei errichten kann.

Auch die Zuweisung der in Art. 5 Abs. 2 POG genannten grenzpolizeilichen Aufgaben gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 POG an die Bayerische Grenzpolizei lässt eine Verletzung der Bayerischen Verfassung nicht erkennen. Diese Regelung des Polizeiorganisationsgesetzes wirkt rein binnenrechtlich im Sinn einer polizeiinternen Zuständigkeitsverteilung; sie eröffnet der Bayerischen Landespolizei keinen neuen Tätigkeitsbereich. Denn Aufgaben werden nur insoweit zugewiesen, als der Bayerischen Grenzpolizei aufgrund einer Vereinbarung nach § 2 Abs. 1, 3 Bundespolizeigesetz (BPolG) oder auf der Grundlage des § 64 BPolG eine Zuständigkeit eröffnet ist. Ein Widerspruch zur Wahrnehmung des Grenzschutzes durch die Bundespolizei in bundeseigener Verwaltung ist daher nicht ersichtlich.

Im Hinblick auf Art. 29 PAG ist die Popularklage begründet, da unter Verletzung der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG materielles Grenzschutzrecht geregelt wird.

In diesem Bereich haben die Länder keine Befugnis zur Gesetzgebung. Es besteht die Sperrwirkung des Art. 71 GG, die durch die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das allgemeine Polizeirecht weder überlagert noch außer Kraft gesetzt wird. Der Bund hat den Freistaat Bayern auch nicht durch Bundesgesetz ermächtigt, Grenzschutzrecht zu erlassen. § 2 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 BPolG, wonach die Länder im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnehmen können und sich die Durchführung dann nach dem für die Polizei des Landes geltenden Recht richtet, enthält nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Delegation der Gesetzgebungsbefugnis an die Länder.

Die Argumentation der Antragsgegnerinnen, es könne nicht sein, dass durch § 2 BPolG einerseits eine Übertragung von Grenzschutzaufgaben auf die Bayerische Polizei ermöglicht, andererseits aber die Schaffung der erforderlichen landesrechtlichen Eingriffsnormen nicht zugelassen werde, ändert nichts an diesem Ergebnis. Der Bundesgesetzgeber konnte bei der Verabschiedung des Bundespolizeigesetzes davon ausgehen, dass das bestehende allgemeine Polizeirecht der Länder für die Wahrnehmung übertragener grenzpolizeilicher Aufgaben ausreichen, die Schaffung spezieller landesrechtlicher Befugnisnormen für den Grenzschutz also nicht erforderlich sein werde. Selbst wenn sich diese Annahme als unzutreffend erweisen würde, hätte dies nicht zur Folge, dass eine Delegation der Gesetzgebungsbefugnis (nachträglich) in § 2 Abs. 4 BPolG hineingelesen werden könnte.

Da es sich seit der Entscheidung des BVerfG vom 18.12.2018 (1 BvR 142/15) um einen offensichtlichen und zudem um einen schwerwiegenden Eingriff in die Kompetenzordnung des Grundgesetzes handelt, wird hierdurch gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) und das Grundrecht der Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) verstoßen.