Besetzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums in Bayern verfassungsgemäß?

26. August 2021 -

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof in München hat am 26.08.2021 zum Aktenzeichen Vf. 60-VIII-20 zu entscheiden, ob die Bestimmungen zur Zusammensetzung und Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums in Art. 2 Abs. 1 des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes (PKGG) mit der Bayerischen Verfassung vereinbar sind.

Aus der Pressemitteilung des Bay. VerfGH vom 26.08.2021 ergibt sich:

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat mit einer am 26. August 2021 verkündeten Entscheidung einen gegen den Landtag und die übrigen Fraktionen gestellten Antrag der AfD-Landtagsfraktion und zweier Abgeordneter dieser Fraktion als unzulässig abgewiesen. Die Antragsteller wollten im Verfahren der Meinungsverschiedenheit gemäß Art. 75 Abs. 3 BV die korrekte Auslegung der gesetzlichen Regelungen zur Zusammensetzung und zum Wahlverfahren des Parlamentarischen Kontrollgremiums klären lassen. Dieses ist derzeit mit sechs anstatt den gesetzlich vorgesehenen sieben Mitgliedern besetzt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs hätte die Meinungsverschiedenheit für ihre Zulässigkeit jedoch bereits im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens entstanden und erkennbar geworden sein müssen. Das war hier nicht der Fall. Wie die Vorschrift in den konkreten Anwendungssituationen auszulegen ist, in denen die Antragsteller die Handhabung beanstanden, und ob diese Handhabung verfassungsgemäß war, war aufgrund der Unzulässigkeit des Antrags nicht zu entscheiden.

Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Zusammensetzung und das Wahlverfahren des Parlamentarischen Kontrollgremiums, dem die Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz obliegt, sind seit der Reform durch das Parlamentarische Kontrollgremium-Gesetz vom 8. November 2010 (unverändert) in Art. 2 Abs. 1 PKGG geregelt.

Danach besteht das Gremium aus sieben Mitgliedern (Satz 1), die zu Beginn jeder neuen Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte gewählt werden (Satz 2). Das Vorschlagsrecht für die Mitglieder (sowie je ein stellvertretendes Mitglied) steht den Fraktionen im Verhältnis ihrer Stärke zu (Satz 3). Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Landtags auf sich vereint (Satz 6). In der laufenden 18. Wahlperiode sind im Landtag sechs Fraktionen vertreten. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse steht das Vorschlagsrecht für drei Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums der CSU-Fraktion zu und das für je ein Mitglied den Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FREIEN WÄHLER, der SPD und der AfD; die FDP-Fraktion hat kein Vorschlagsrecht. Das Gremium ist derzeit mit sechs anstatt den gesetzlich vorgesehenen sieben Mitgliedern besetzt, da weder die von der AfD-Fraktion zu Beginn der Wahlperiode im Dezember 2018 als Mitglied oder Stellvertreter vorgeschlagenen Kandidaten noch die nachfolgenden Wahlvorschläge dieser Fraktion in drei weiteren Wahlgängen im Jahr 2019 in je geheimer Wahl die gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 6 PKGG erforderliche Stimmenmehrheit erreicht haben.

Die Antragsteller verfolgen im Verfahren der Meinungsverschiedenheit (Art. 75 Abs. 3 BV) mit ihrem Hauptantrag in Form eines „positiven Normbestätigungsantrags“ das Ziel, die Vereinbarkeit der Regelungen zur Mitgliederzahl und zum Vorschlagsrecht der Fraktionen in Art. 2 Abs. 1 PKGG mit der Bayerischen Verfassung festzustellen. Sie wollen mit diesem Hauptantrag, ebenso wie mit dem ausdrücklich auf eine bestimmte verfassungskonforme Auslegung gerichteten Hilfsantrag, eine objektive Klärung der korrekten Auslegung von Art. 2 Abs. 1 PKGG erreichen. Die Vorschrift sei mit der Bayerischen Verfassung nur in der Auslegung vereinbar, dass eine (kontinuierliche) Nichtwahl von Bewerbern einer Fraktion nur dann ausnahmsweise zulässig ist, wenn einzelfallspezifische Gründe hinsichtlich der jeweiligen Bewerber vorliegen und von den jeweils anderen Fraktionen solche Gründe hinreichend sowie auf eine Weise dargelegt werden, die eine effektive gerichtliche Überprüfung ermöglicht, bzw. wenn durch geeignete verfahrensmäßige Vorkehrungen sichergestellt ist, dass Wahlvorschläge einer Fraktion nicht aus sachwidrigen Gründen abgelehnt werden.

Die Antragsgegner halten ebenso wie die Bayerische Staatsregierung sowohl den Hauptantrag als auch den Hilfsantrag für unzulässig und jedenfalls für unbegründet.

Der Verfassungsgerichtshof hat den Antrag als unzulässig abgewiesen.

Der im Verfahren der Meinungsverschiedenheit zur Entscheidung gestellte Hauptantrag auf Feststellung der Vereinbarkeit des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 3 PKGG mit der Bayerischen Verfassung ist verfassungsprozessual nicht zulässig.

Nach Art. 75 Abs. 3 BV entscheidet der Verfassungsgerichtshof Meinungsverschiedenheiten darüber, ob durch ein Gesetz die Verfassung geändert wird oder ob ein Antrag auf unzulässige Verfassungsänderung vorliegt. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Meinungsverschiedenheit darüber besteht, ob durch ein Gesetz die Verfassung verletzt wird. Die Meinungsverschiedenheit muss nach ständiger Rechtsprechung zwischen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen oder Teilen derselben entstanden sein, denen Fraktionen gleichstehen, die sich mit gegenteiligen Auffassungen gegenüberstehen.

Die Meinungsverschiedenheit muss bereits im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens entstanden und erkennbar geworden sein; daher muss zwischen dem Gegenstand der Verfassungsstreitigkeit und den während der Gesetzesberatungen im Landtag erhobenen Rügen grundsätzlich Identität bestehen.

An einer Meinungsverschiedenheit im beschriebenen Sinn fehlt es hier. Zwar bestand hinsichtlich der Vorläuferregelung zu Zahl und Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums aus dem Jahr 2000 (Art. 1 Abs. 2 PKGG 2000) in den Gesetzesberatungen Streit über die (damals) vorgesehene Mitgliederzahl von fünf Abgeordneten und die Forderung nach einem Grundmandat für alle Fraktionen. An diesen Streit schloss sich ein Verfahren der Meinungsverschiedenheit gemäß Art. 75 Abs. 3 BV zwischen der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Antragstellerin und der CSU-Landtagsfraktion als Antragsgegnerin an. Darüber hat der Verfassungsgerichtshof aber bereits am 21. Februar 2002 (Vf. 13-VIII-00) entschieden und keinen Verfassungsverstoß der betroffenen Regelungen festgestellt.

In den Gesetzesberatungen der 16. Legislaturperiode, die zur aktuellen inhaltlichen Fassung des Art. 2 Abs. 1 PKGG geführt haben, bestanden hingegen zwischen den Fraktionen keine derartigen unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Der Gesetzentwurf wurde vielmehr konsensual von Abgeordneten aller fünf damaligen Landtagsfraktionen erarbeitet; die AfD-Fraktion war damals noch nicht im Landtag.

Durch den Vortrag der Antragsteller zum Normvollzug wird dieses Zulässigkeitserfordernis weder erfüllt noch ersetzt. Die Antragsteller haben lediglich unterschiedliche Rechtsauffassungen der Verfahrensbeteiligten über die Auslegung einer bestehenden (einfach-)gesetzlichen Vorschrift in der Anwendungspraxis bzw. in einer bestimmten Anwendungssituation im Gesetzesvollzug behauptet. An der im Verfahren nach Art. 75 Abs. 3 BV erforderlichen Darlegung einer im Gesetzgebungsverfahren aufgetretenen Meinungsverschiedenheit fehlt es hingegen.

Es besteht kein Anlass, diese seit langem anerkannte und aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte und verfassungsrechtlicher Systematik heraus entwickelte Zulässigkeitsvoraussetzung grundsätzlich zu überdenken.

Der Antrag ist auch nicht als sogenannter positiver Normbestätigungsantrag in Analogie zur abstrakten Normenkontrolle des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG zulässig. Für die von den Antragstellern befürwortete Analogie ist schon mangels vergleichbarer verfassungsrechtlicher Ausgangslage kein Raum.

Auch der auf eine bestimmte verfassungskonforme Auslegung gerichtete Hilfsantrag ist entsprechend den Erwägungen zum Hauptantrag schon deswegen unzulässig, weil es im Gesetzgebungsverfahren keinen Streit um die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift gab. Es fehlt auch insoweit an einer Grundvoraussetzung für die von den Antragstellern gewählte Verfahrensart. Der Hilfsantrag wäre im Übrigen mit seiner speziellen Zielrichtung auch inhaltlich unzulässig. Denn Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung in Normenkontrollverfahren ist auch bei etwaigen Vorfragen zur Auslegung stets die Rechtsvorschrift, wie sie sich in ihrem objektiven Sinn darstellt, nicht hingegen die Auslegung, die sie beim Vollzug im Einzelfall gefunden hat; es geht gerade nicht darum, eine angegriffene Rechtsnorm einfachrechtlich verbindlich auszulegen. Auch darf der normative Gehalt einer Vorschrift nicht erst durch die Auslegung festgesetzt oder grundlegend neu bestimmt werden.