Beweisaufnahme in Peru im Rechtsstreit Lliuya ./. RWE

Das Oberlandesgericht Hamm hat zum Aktenzeichen 5 U 15/17 in dem Rechtsstreit des peruanischen Landwirts und Bergführers Saúl Lliuya gegen die RWE AG mehrere Termine zur Beweisaufnahme in Peru durchgeführt.

Aus der Pressemitteilung des OLG Hamm vom 17.06.2022 ergibt sich:

Vom 24. bis 26. Mai 2022 haben zwei Mitglieder des zuständigen 5. Zivilsenats zusammen mit den gerichtlich bestellten Sachverständigen und Vertretern der Prozessparteien das Haus des Klägers in Huaraz und die Laguna Palcacocha besucht. Die großen organisatorischen Herausforderungen welche sich vor einer erfolgreichen Durchführung der Augenscheinseinnahme in Peru zwangsläufig stellten, konnten dabei dank der Unterstützung durch die deutsche Botschaft in Lima gemeistert werden. Die Beteiligten haben die Örtlichkeiten in Augenschein genommen und die Sachverständigen haben die für ihre Begutachtung notwendigen Untersuchungen und Messungen vorgenommen. Der Kläger hat nun Gelegenheit, dem Gericht bis zum 27. Juli 2022 eine Reihe von weiteren Daten und Unterlagen für die Begutachtung zur Verfügung zu stellen. Mit einer Erstellung des Sachverständigengutachtens ist bis zum Ende des Jahres 2022 zu rechnen. Der weitere Verlauf und damit auch die voraussichtliche Dauer des Prozesses hängen maßgeblich von den Ergebnissen der Sachverständigen ab.

Der Kläger ist Miteigentümer eines Wohnhauses in der Stadt Huaraz in der Region Ancash in Peru. Die Stadt liegt am Fuße der Anden unterhalb eines Gletschersees, der Laguna Palcacocha. Vor dem Landgericht Essen verlangte der Kläger unter anderem die Feststellung, dass die RWE AG sich aufgrund der von ihr verursachten Treibhausgasemissionen anteilig an den Kosten von Schutzmaßnahmen für das klägerische Hausgrundstück oder unmittelbar am Gletschersee beteiligen müsse, um dieses gegen eine Flutwelle oder Schlammlawine zu sichern, die dem Haus infolge des Abschmelzens des Gletschers drohe. Das Landgericht Essen hat die Klage mit Urteil vom 15. Dezember 2016 abgewiesen und dabei unter anderem angenommen, dass die vom Kläger behauptete Flutgefahr der Beklagten angesichts der Vielzahl an Emittenten von Treibhausgasen weltweit nicht – auch nicht anteilig – individuell zugeordnet werden könne.

Der für das Verfahren zuständige 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat über die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung am 13. November 2017 mündlich verhandelt und ist anschließend in eine Beweisaufnahme eingetreten. Nach Auffassung des Zivilsenats kommt ein Anspruch des Klägers auf anteilige Erstattung der bislang aufgewandten Kosten für Schutzmaßnahmen sowie die Feststellung der anteiligen Ersatzpflicht für weitere Schutzmaßnahmen grundsätzlich in Betracht, wenn der Kläger die von ihm behaupteten Tatsachen beweisen kann. Der Anspruch könnte sich aus einem Abwehrrecht, das jedem Eigentümer gegen unterschiedliche Beeinträchtigungen seines Eigentums gegen jeden Störer zusteht gem. § 1004 in Verbindung mit §§ 677 ff. beziehungsweise § 812 BGB ergeben. Der Zivilsenat hat daher eine Beweisaufnahme durch Einholung von Sachverständigengutachten zu zwei Fragenkomplexen angeordnet.

In einem ersten Schritt sollen der vom Gericht bestellte Geowissenschaftler und Statiker Prof. Dr.Ing. Katzenbach sowie der Experte für alpine Naturgefahren Prof. Dipl.Ing. nat. techn. Hübel die zwischen den Parteien umstrittenen Fragen zu den Gefahren für das Haus des Klägers durch eine Flutwelle oder Schlammlawine und die Geeignetheit der vom Kläger an seinem Haus vorgenommenen und geplanten Schutzmaßnahmen beurteilen. Auf Einladung der Sachverständigen haben hierzu unter Leitung des 5. Zivilsenats am 24. Mai 2022 ein Ortstermin am Haus des Klägers und am 25. und 26. Mai 2022 Ortstermine am Gletschersee stattgefunden. An diesen

Ortsterminen haben im Einverständnis mit den Prozessparteien stellvertretend für den ganzen Zivilsenat in wechselnder Besetzung Herr Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Dr. Meyer und die für das Verfahren zuständige Berichterstatterin Frau Richterin am Oberlandesgericht Uelwer teilgenommen. Darüber hinaus waren die beiden vom Gericht bestellten Sachverständigen mit ihren Teams sowie Teams beider Prozessparteien mit ihren Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie den von ihnen beauftragten Experten zugegen. Die vom Gericht bestellten Sachverständigen haben vor Ort Messungen und Untersuchungen vorgenommen, darunter die Entnahme von Bodenproben und Aufnahmen mit Drohnen.

Bei der Organisation der Reise, der Herbeiführung der dazu erforderlichen Genehmigungen durch den peruanischen Staat und der Durchführung der Ortstermine wurde das Oberlandesgericht Hamm maßgeblich von der deutschen Botschaft in Lima unterstützt. Gericht und Botschaft arbeiteten eng und vertrauensvoll zusammen. Dem Einsatz der Leiterin der konsularischen Abteilung der deutschen Botschaft in Lima, Frau Guse, war es zu verdanken, dass die trotz sorgfältiger Vorbereitung und bereits in schriftlicher Form vorliegender Genehmigungen noch vor Ort aufgetretenen bürokratischen Schwierigkeiten ausgeräumt und die Termine am Gletschersee in der ursprünglich geplanten und genehmigten Form tatsächlich durchgeführt werden konnten.

Am 27. Mai 2022 hat ein Anhörungstermin im Corte Superior de Justicia Ancash stattgefunden, bei dem Vertreter verschiedener peruanischer Behörden den Zivilsenat und die Sachverständigen über ihre jeweiligen Erkenntnisse informiert haben.

Für die Kosten der Begutachtung einschließlich der Reisekosten des Gerichts und der gerichtlich bestellten Sachverständigen nebst Team hat der Kläger bislang auf Anordnung des Gerichts Vorschüsse in Höhe von 320.000 Euro eingezahlt. Das Gericht wird mit dem Urteil auch darüber entscheiden, wer diese Kosten trägt.

Da bei den Terminen in Peru einige Fragen der gerichtlichen Sachverständigen, welche im Kern die Historie des Gletschersees betreffen, nicht abschließend geklärt werden konnten, hat der Zivilsenat dem Kläger inzwischen aufgegeben, dem Gericht bis zum 27. Juli 2022 bestimmte Unterlagen, Daten und Bilder vorzulegen. Die Sachverständigen sind gehalten, ihr Gutachten unter Berücksichtigung der Erkenntnisse vor Ort und der noch einzureichenden Unterlagen schnellstmöglich zu erstatten. Das Gericht geht derzeit von einer Erstattung des Gutachtens bis zum Ende des Jahres 2022 aus. Eine mündliche Verhandlung über das Ergebnis des Gutachtens wird für die erste Jahreshälfte 2023 angestrebt.

Der weitere Verfahrensablauf hängt sodann wesentlich vom Ergebnis dieses Gutachtens ab. Die bereits vom Zivilsenat angeordnete sachverständige Begutachtung des zweiten Fragenkomplexes, der die Behauptungen des Klägers zur Mitverantwortung der Beklagten für einen Anstieg der globalen Temperatur und den hieraus folgenden Anstieg auch der lokalen Durchschnittstemperaturen verbunden mit einem Abschmelzen des Gletschers betrifft, soll nur dann in Auftrag gegeben werden, wenn das Gericht aufgrund der derzeit laufenden Begutachtung von einem rechtlich relevanten Risiko für das Haus des Klägers ausgeht.