Kernaussagen des BFH-Beschlusses vom 30.07.2025 (V B 63/23)
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem aktuellen Beschluss klargestellt, dass ein Gericht gründlich ermitteln muss, ob ein fristwahrender Schriftsatz per Fax rechtzeitig eingegangen ist, wenn Anhaltspunkte für den Faxzugang vorliegen. Im Streitfall behauptete eine Steuerzahlerin, ihre 14-seitige Klageschrift am letzten Tag der Klagefrist per Telefax ans Finanzgericht (FG) gesendet zu haben. Der Sendebericht ihres Faxgeräts wies die korrekte Empfängernummer des Gerichts, eine vollständige Seitenzahl, eine Übertragungsdauer von „00:00:00“ und den Status „ÜBERTR OK“ aus. Das FG ging jedoch – ohne den technischen Vorgang näher zu untersuchen – davon aus, dass die Klageschrift erst eine Woche später per Post eingegangen und somit verspätet war. Erst nach fast drei Jahren fragte das FG seinen Systemadministrator, der mitteilte, dass ein Fax-Eingangsjournal vom 08.10.2020 nicht mehr abrufbar sei – weitere Nachforschungen zur Bedeutung des OK-Vermerks oder der angezeigten Übertragungsdauer unterließ das Gericht jedoch.
Der BFH sah hierin einen schweren Verfahrensfehler. Das FG habe seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verletzt. Nach Auffassung des BFH belegt ein Fax-Sendeprotokoll mit „OK“-Vermerk zumindest, dass eine Verbindung zwischen dem Faxgerät des Absenders und dem des Empfängers zustande gekommen ist – es stellt zumindest ein Indiz dafür dar, dass das Fax beim Gericht eingegangen sein könnte. Solche Beweisanzeichen für einen fristgerechten Faxeingang dürfen nicht ignoriert werden. Im vorliegenden Fall sprachen die vorliegenden Sendeberichte gerade dafür, dass die Klageschrift bereits am 08.10.2020 per Fax beim FG eingegangen war, wie von der Klägerin vorgetragen. Indem das FG diese Indizien unberücksichtigt ließ und die Klage ohne nähere Prüfung als verspätet verwarf, hat es seinen Amtsermittlungsgrundsatz verfehlt.
Besonders hervorgehoben hat der BFH auch die Verteilung der Beweislast in solchen Situationen: Zwar muss grundsätzlich der Kläger bzw. dessen Vertreter nachweisen, dass die Klage rechtzeitig erhoben wurde, jedoch darf dem Kläger nicht die Beweislast für Vorgänge aufgebürdet werden, die sich im gerichtsinternen Bereich abspielen und deren Aufklärung alleine in die Sphäre des Gerichts fällt. Mit anderen Worten: Technische Unklarheiten oder Pannen auf Seiten des Gerichts dürfen nicht zu Lasten der Bürger gehen, wenn diese alles ihnen Zumutbare für die fristgerechte Übermittlung getan haben. Im Beschluss heißt es sinngemäß, dass die Unaufklärbarkeit solcher Vorgänge im Verantwortungsbereich des Gerichts liegt und nicht einfach dem Kläger angelastet werden darf. Der BFH betont in diesem Zusammenhang den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz**: Ein Kläger darf nicht allein deshalb seine Rechte verlieren, weil im Gericht interne technische Probleme nicht nachvollzogen werden können.
Folgerichtig hat der BFH das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Das FG erhält somit die Gelegenheit, die versäumten Ermittlungen nachzuholen und den Sachverhalt vollständig aufzuklären. Für die Klägerin bedeutet dies eine neue Chance: Sollte sich im zweiten Durchgang herausstellen, dass das Fax tatsächlich rechtzeitig eingegangen ist, wird ihre Klage als zulässig behandelt und inhaltlich verhandelt werden.
Ermittlungspflicht des Gerichts bei zweifelhaftem Faxeingang
Der BFH-Beschluss unterstreicht, welche konkreten Ermittlungspflichten ein Gericht hat, wenn der rechtzeitige Zugang einer per Fax eingereichten Klage zweifelhaft ist. Das Finanzgericht darf sich nicht mit pauschalen Feststellungen begnügen, sondern muss allen greifbaren Hinweisen nachgehen. Im entschiedenen Fall hatte sich das FG lediglich auf eine Anfrage beim Systemadministrator beschränkt, der jedoch aus technischen Gründen kein Fax-Eingangsprotokoll vom fraglichen Datum mehr abrufen konnte. Dies genügt nicht: Das Gericht hätte weitere Aufklärungsmaßnahmen ergreifen müssen, um den tatsächlichen Geschehensablauf zu ermitteln.
Zu den vom BFH eingeforderten Schritten gehört beispielsweise, dienstliche Erklärungen des Gerichtspersonals einzuholen. Das FG hätte die Mitarbeiter befragen müssen, die am 08.10.2020 mit dem Faxgerät und der Posteingangsbearbeitung betraut waren. So hätte ermittelt werden können, ob an diesem Tag am empfangenden Telefaxgerät des Gerichts eine Störung auftrat und wie eingehende Faxschreiben damals registriert und verteilt wurden. Auch die Organisation der Weiterleitung eingegangener Fax-Klagen an die zuständigen Geschäftstellen und die Ablage in den Verfahrensakten hätte rekonstruiert werden müssen. Auf diese Weise ließe sich klären, ob ein Fax zwar einging, aber möglicherweise im Gerichtsablauf unterging.
Darüber hinaus hätte das FG – so der BFH – nicht an der Oberfläche bleiben dürfen, sondern technische Fragen vertieft untersuchen müssen. Konkret war hier die ungewöhnliche Kombination auf dem Sendebericht („ÜBERTR OK“ bei gleichzeitiger Übertragungsdauer „00:00:00“) auffällig. Das Gericht hätte prüfen müssen, was diese Anzeige auf dem verwendeten Faxgerät bedeutet. Der BFH regt an, hierzu etwa das vom Kläger vorgelegte Benutzerhandbuch des Faxgeräts heranzuziehen oder einen Sachverständigen hinzuzuziehen. So hätte geklärt werden können, ob das konkrete Faxgerät trotz Anzeige „00:00:00“ eine vollständige Übertragung anzeigte und ob eventuell **Leitungsstörungen einen Abbruch verursachen konnten, obwohl „OK“ gemeldet wurde.
All diese Maßnahmen fallen unter die amtliche Aufklärungspflicht des Gerichts. Gerade wenn – wie hier – signifikante Indizien für einen fristgerechten Eingang vorliegen (OK-Vermerk, vollständige Seitenzahl etc.), müssen diese Zweifel von Amts wegen aufgegriffen werden. Der BFH macht klar, dass ein Gericht proaktiv und sorgfältig forschen muss, ohne dass es unbedingt eines ausdrücklichen Beweisantrags der klagenden Partei bedarf. Im Streitfall hätte sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen geradezu aufdrängen müssen, selbst wenn die Klägerin keine Beweisanträge gestellt hätte. Versäumt das Gericht solche naheliegenden Schritte, verletzt es die Rechte der Kläger auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren.
Sorgfaltspflicht des Gerichts und effektiver Rechtsschutz
Die Entscheidung des BFH hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung für den effektiven Rechtsschutz der Bürger. Jeder Steuerpflichtige oder Kläger muss sich darauf verlassen können, dass Gerichte sorgfältig prüfen, ob ein fristwahrender Schriftsatz rechtzeitig eingegangen ist, bevor sie ihn als unzulässig verwerfen. Gerade in Steuer- und Verwaltungsverfahren hängt viel vom fristgerechten Zugang einer Klage oder eines Rechtsbehelfs ab – wird eine Frist versäumt, droht der endgültige Rechtsverlust. Umso wichtiger ist es, dass Gerichte bei technischen Problemen gründlich aufklären, statt vorschnell von einer Fristversäumnis auszugehen.
Der BFH-Beschluss bestätigt den Grundsatz, dass die Gerichte Verfahrenshindernisse nicht durch unterlassene Aufklärung selbst schaffen dürfen. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz (verankert in Art. 19 Abs. 4 GG) verlangt, dass ein Bürger nicht deshalb scheitert, weil im Verantwortungsbereich des Gerichts etwas schiefgelaufen ist, das er von außen gar nicht beeinflussen konnte. Im Klartext: Wenn ein Fax beim Gericht aufgrund gerichtsinterner Umstände nicht auffindbar ist, obwohl der Bürger alles richtig gemacht hat, muss das Gericht diese Umstände aufdecken – oder im Zweifel zugunsten des Bürgers entscheiden. Die obersten Finanzrichter betonen damit auch die Vertrauensgrundlage des elektronischen und fernmündlichen Rechtsverkehrs: Bürger und ihre Berater sollen darauf vertrauen dürfen, dass ein übermitteltes Fax nicht „einfach verschwindet“, ohne dass das Gericht zumindest versucht, die Ursache zu klären.
Letztlich dient diese strenge Aufklärungspflicht dem Fairnessgebot und der Waffengleichheit im Verfahren. Effektiver Rechtsschutz bedeutet, dass formale Hürden nicht über Gebühr hochgezogen werden dürfen, wenn der Rechtssuchende seinerseits alles Zumutbare getan hat, um die Frist einzuhalten. Der BFH schafft hier Klarheit und sorgt dafür, dass technische Tücken – sei es bei Fax oder moderner elektronischer Übermittlung – nicht zum unbegründeten Rechtsverlust führen.
Praxistipps: So wahren Sie Fristen per Fax zuverlässig
Für die Praxis – sei es für Steuerpflichtige, ihre Berater oder auch Gerichte – lassen sich aus dem Fall folgende praktische Hinweise mitnehmen:
- Fristen nicht bis zur letzten Sekunde ausreizen: Zwar darf man eine Frist rechtlich bis Mitternacht des Fristtages ausschöpfen, doch in der Praxis sollte man Zeitpuffer einplanen. Faxübertragungen können je nach Seitenzahl und Leitungsverbindung einige Zeit dauern oder verzögert starten (besetzte Leitung etc.). Planen Sie genügend Vorlauf, damit der Schriftsatz vor 24 Uhr vollständig beim Gericht ankommt. Beispiel: Bei etwa 20 Seiten sollte der Faxversand spätestens gegen 23:30 Uhr begonnen werden, damit alles bis 23:59 Uhr übertragen ist. Je früher, desto besser – so bleibt Zeit für Reaktionen, falls es technische Probleme gibt.
- Sendebericht prüfen und aufbewahren: Lassen Sie sich vom Faxgerät immer einen Sendebericht (Übertragungsprotokoll) ausdrucken. Kontrollieren Sie diesen sorgfältig: Steht die richtige Faxnummer des Gerichts auf dem Protokoll? Stimmt die Anzahl der gesendeten Seiten mit Ihrem Schriftsatz überein? Idealerweise findet sich auf dem Sendebericht der Vermerk „ÜBERTR OK„, was auf eine erfolgreiche Übermittlung hindeutet. Bewahren Sie den Sendebericht unbedingt auf – er ist im Streitfall Ihr wichtigster Nachweis dafür, dass Sie fristgerecht gefaxt haben.
- Bei Fax-Problemen nicht aufgeben: Sollten beim Faxversand Störungen auftreten – z.B. dauernd besetzte Leitung oder Abbrüche – dürfen Sie nicht sofort resignieren. Versuchen Sie es erneut und mehrfach, solange die Frist läuft. Die Gerichte erwarten, dass man bis zum Fristablauf alles Zumutbare unternimmt, um den Schriftsatz doch noch zu übermitteln. Dokumentieren Sie ggf. die Uhrzeiten mehrerer Sendeversuche. Dieses Protokollieren kann im Ernstfall helfen zu zeigen, dass Sie hartnäckig versucht haben, das Fax rechtzeitig zu senden.
- Nach Möglichkeit Alternativen nutzen: Wenn es die Umstände erlauben, nutzen Sie parallele Übermittlungswege, um auf Nummer sicher zu gehen. Rechtsanwälte und Steuerberater sind inzwischen verpflichtet, den elektronischen Rechtsverkehr zu nutzen (etwa über das besondere Anwaltspostfach beA), der eine automatische Eingangsbestätigung erzeugt. Wo immer verfügbar, sollte dieser sichere elektronische Weg dem Fax vorgezogen werden, da hier der Zugang beim Gericht elektronisch protokolliert wird. Auch juristische Laien können – soweit machbar – Alternativen erwägen: Etwa die persönliche Abgabe des Schriftsatzes bei der Gerichtsgeschäftsstelle oder der Einwurf in den amtlichen Nachtbriefkasten des Gerichts am letzten Tag. Ein dort eingeworfener Brief gilt mit Ablauf des Tages als fristgerecht eingegangen, ohne die Unsicherheiten eines Faxversands. Wichtig ist jedoch, die Öffnungs- oder Leerungszeiten zu kennen – der Nachtbriefkasten wird um Mitternacht geleert bzw. zeitautomatisiert abgeschlossen, sodass Dokumente bis 24:00 Uhr eingegangen sein müssen.
- Wiedereinsetzung beantragen, falls nötig: Wenn trotz aller Sorgfalt Unklarheit über den fristgerechten Eingang besteht (etwa weil das Gericht keinen Faxeingang feststellen kann), zögern Sie nicht, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen. Dieser Rechtsbehelf gibt Ihnen die Möglichkeit, die versäumte Frist nachträglich als eingehalten gelten zu lassen, sofern Sie unverschuldet an der Fristwahrung gehindert waren. Legen Sie dem Wiedereinsetzungsantrag alle Belege bei – insbesondere den Fax-Sendebericht mit OK-Vermerk, Uhrzeit, Seitenzahl etc. – und schildern Sie genau, was Sie wann unternommen haben. Ein solcher Antrag muss innerhalb von zwei Wochen gestellt werden, nachdem Sie von der Fristversäumung Kenntnis erlangt haben. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin z.B. bereits am 23.10.2020 (kurz nach dem Bescheid des Gerichts über die vermeintliche Verspätung) Wiedereinsetzung beantragt und dabei ihren Sendebericht als Nachweis vorgelegt. So signalisieren Sie dem Gericht sofort, dass Sie die Frist eigentlich gewahrt haben und nur technische Umstände zum Problem führten.
Der BFH-Beschluss vom 30.07.2025 stärkt die Rechte der Bürger und die Sorgfaltspflichten der Gerichte. Für Kläger und ihre Berater bedeutet er Ermutigung: Wer Faxnachweise in der Hand hat und fristgerecht gehandelt hat, darf auf gründliche Prüfung durch das Gericht vertrauen. Und für die Gerichte ist es ein Weckruf, technische Indizien ernst zu nehmen und im Zweifel eher zugunsten des Rechtsschutzes zu entscheiden, anstatt strikte Formalitäten ohne Sachaufklärung walten zu lassen. Die Tücken alter Technik dürfen nicht dazu führen, dass ein Bürger sein Recht verliert – dafür haben die obersten Finanzrichter mit diesem Beschluss ein deutliches Zeichen gesetzt. Fristsachen sind für alle Verfahrensbeteiligten brisant; umso mehr kommt es darauf an, mit größter Sorgfalt – und notfalls Hartnäckigkeit – vorzugehen, damit formelle Fristfragen nicht den materiellen Rechtsschutz aushebeln.