Ein Versicherungsvertreter beendete nach fünf Jahren seine Tätigkeit für eine Versicherungsgesellschaft, um zu einem anderen Unternehmen zu wechseln. Bei Beendigung des Vertragsverhältnisses forderte er von seinem bisherigen Versicherungsunternehmen einen Buchauszug sowie Auskunft über bestimmte Nachfolgegeschäfte. Konkret verlangte er Informationen dazu, welche seiner früheren Kunden – die ihre ursprünglich von ihm vermittelten Versicherungsverträge später gekündigt oder beitragsreduziert hatten – anschließend während der Stornohaftungszeit einen Ersatz- oder Ergänzungsvertrag über dasselbe Risiko bei einem Unternehmen des selben Versicherungskonzerns abgeschlossen haben.
Stornohaftungszeit bezeichnet den Zeitraum nach Vertragsabschluss, in dem der Vermittler für ausgezahlte Abschlussprovisionen haftet, falls der Vertrag vorzeitig storniert wird. Typischerweise beträgt diese Stornohaftungszeit in der Lebens- und Krankenversicherung 60 Monate (5 Jahre) gemäß § 49 Abs. 1 VAG. Wird der Vertrag in dieser Zeit gekündigt und die Prämienzahlung eingestellt, muss der Vertreter die vorausgezahlte Provision ganz oder teilweise zurückzahlen. Die Provision gilt erst nach Ablauf dieses Zeitraums als vollständig verdient. (Ausgenommen sind Storni aus bestimmten besonderen Gründen, z.B. Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.)
Im vorliegenden Fall machte die Versicherungsgesellschaft von dieser Stornohaftung Gebrauch: Sie forderte vom ausgeschiedenen Vertreter rund 25.000 € an Provisionen zurück, mit der Begründung, diese Provisionen seien „zu Unrecht gezahlt“ worden, weil die Kunden die vermittelten Verträge innerhalb der Haftungszeit gekündigt hätten. Der Vertreter vermutete jedoch, dass manche dieser stornierten Verträge lediglich auf neue Verträge umgedeckt worden sein könnten – etwa indem Kunden statt des gekündigten Vertrags einen inhaltsgleichen oder ähnlichen Vertrag bei einer anderen Konzerngesellschaft abgeschlossen haben. Eine solche Umdeckung (d.h. das Ersetzen eines Vertrags durch einen neuen Vertrag über das gleiche Risiko) könnte unter Umständen unzulässig sein, wenn sie gezielt erfolgt, um die Provisionsansprüche des Vertreters zu umgehen. In solchen Fällen bliebe nämlich der Provisionsanspruch des Vertreters trotz der formalen Stornierung bestehen (§ 87a Abs. 3 HGB), da die Beendigung des ursprünglichen Geschäfts vom Unternehmer veranlasst oder zu vertreten wäre.
Der Vertreter verlangte also Auskunft, um zu prüfen, ob es sich bei den stornierten Verträgen um solche unzulässigen Umdeckungsfälle handelt – was bedeuten würde, dass die Provision eigentlich nicht hätte zurückgefordert werden dürfen. Das Landgericht und im Berufungsverfahren das Oberlandesgericht München gaben dem Vertreter den Auskunftsanspruch weitgehend statt (neben dem Anspruch auf den Buchauszug). Die Vorinstanz vertrat insbesondere die Auffassung, dass Informationen über entsprechende Ersatz- oder Ergänzungsverträge im Konzern dem Vertreter zu erteilen seien, um mögliche Umdeckungsfälle aufzudecken.
Rechtliche Grundlagen: Buchauszug und Auskunftsanspruch des Handelsvertreters
Handelsvertreter – zu denen Versicherungsvertreter in aller Regel zählen – haben nach Beendigung des Vertragsverhältnisses bestimmte gesetzliche Auskunftsansprüche gegenüber dem Unternehmer (hier: dem Versicherungsunternehmen). Zentral ist § 87c Handelsgesetzbuch (HGB), der dem Handelsvertreter zwei wichtige Informationsrechte einräumt:
- § 87c Abs. 2 HGB – Buchauszug: Der Handelsvertreter kann verlangen, dass der Unternehmer ihm einen schriftlichen Buchauszug erteilt. Dieser muss alle Geschäfte enthalten, für die dem Vertreter Provision zusteht, mit Angaben über diese Geschäfte, damit der Vertreter seine Provisionsansprüche überprüfen kann. In der Praxis umfasst der Buchauszug typischerweise eine Auflistung aller vom Vertreter vermittelten Verträge mit den wesentlichen Daten (Kunde, Vertragsdaten, Prämien, Provisionen etc.).
- § 87c Abs. 3 HGB – weiterer Auskunftsanspruch: Darüber hinaus kann der Vertreter Auskunft über alle weiteren Umstände verlangen, die für seinen Provisionsanspruch wesentlich sind. Dieser allgemeine Auskunftsanspruch geht über den reinen Buchauszug hinaus und deckt Informationen ab, die im Buchauszug nicht enthalten sind, aber nötig sein könnten, damit der Vertreter seine Ansprüche berechnen und prüfen kann.
Wichtig ist: Zwischen dem Anspruch auf Buchauszug und dem zusätzlichen Auskunftsanspruch besteht kein Rang- oder Stufenverhältnis. Der Vertreter muss also nicht erst den Buchauszug abwarten oder gesondert nachweisen, dass dieser unvollständig ist, um weitere Auskünfte verlangen zu dürfen. Beide Ansprüche stehen nebeneinander und können parallel geltend gemacht werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) betont den Zweck dieser Regelungen: Der Handelsvertreter soll zur Geltendmachung seiner Rechte alle Informationen erhalten können, die naturgemäß nur der Unternehmer besitzt. Damit soll das Informationsungleichgewicht zwischen Unternehmen und Vertreter ausgeglichen und der Vertreter in die Lage versetzt werden, seine Provisionsabrechnungen auf Richtigkeit zu kontrollieren.
In unserem Kontext – dem Versicherungsvertreter mit stornierten Verträgen – bedeutet das: Neben dem Buchauszug (der die ursprünglich vermittelten Verträge auflistet) kann der Vertreter zusätzliche Auskunft darüber verlangen, ob und welche Ersatzgeschäfte nach Stornierung dieser Verträge abgeschlossen wurden, sofern diese Informationen wesentlich für seine Provisionsansprüche sind.
Warum könnten Ersatz- oder Ergänzungsverträge wesentlich für den Provisionsanspruch sein? Hier kommt § 87a Abs. 3 HGB ins Spiel: Dieser regelt, dass der Provisionsanspruch des Handelsvertreters trotz einer Nichtausführung oder Stornierung eines Geschäfts fortbesteht, wenn und soweit der Unternehmer die Nichtausführung zu vertreten hat (bzw. die Stornierung in seinem Verantwortungsbereich liegt). Bei Versicherungsverträgen wird dies insbesondere relevant, wenn ein Vertrag zwar vom Kunden gekündigt wird, jedoch im unmittelbaren Anschluss durch einen neuen Vertrag ersetzt wird, den der Unternehmer (oder ein verbundenes Unternehmen) abschließt. Handelt es sich um einen solchen Umdeckungsfall, so wäre argumentierbar, dass der Versicherer den Verlust des Geschäfts selbst herbeigeführt oder zumindest aufgefangen hat – und daher dem Vertreter die Provision nicht entziehen darf. In der Vertriebspraxis wird in diesem Zusammenhang häufig auch die Nachbearbeitungspflicht des Versicherers relevant: Der Versicherer muss sich bei drohender Kündigung bemühen, den Vertrag zu erhalten; tut er das nicht oder betreibt stattdessen einen Neuabschluss auf anderem Wege, soll dies nicht zulasten des Vertreters gehen dürfen.
Entscheidung des BGH vom 24.07.2025 (Az. VII ZR 176/24)
Mit Urteil vom 24.07.2025 hat der Bundesgerichtshof die Rechte des ausgeschiedenen Versicherungsvertreters im Grundsatz bestätigt und zugleich präzisiert. Nach diesem Urteil kann ein ehemaliger Versicherungsvertreter von seinem früheren Versicherungsunternehmen Auskunft darüber verlangen, ob in der Stornohaftungszeit Ersatz- oder Ergänzungsverträge mit seinen ehemaligen Kunden abgeschlossen wurden, wenn seine dazugehörigen Provisionen gekürzt oder zurückgefordert wurden. Der BGH anerkannte damit, dass solche Informationen grundsätzlich vom Auskunftsanspruch nach § 87c Abs. 3 HGB umfasst sind. Allerdings hat er den von der Vorinstanz (OLG München) zugesprochenen Auskunftsanspruch etwas eingeschränkt: Auskunft muss nur insoweit erteilt werden, wie der Vertreter dies zur Überprüfung eigener Provisionsansprüche benötigt – sprich, nur für die Fälle, in denen tatsächlich Provisionszahlungen betroffen sind.
Konkret stellte der BGH fest:
- Umfang des Auskunftsrechts: Der Handelsvertreter kann neben dem Buchauszug nach § 87c Abs. 2 HGB weitere Auskünfte nach § 87c Abs. 3 HGB verlangen über Umstände, die für seinen Provisionsanspruch erheblich sind. Informationen über etwaige Ersatz- oder Ergänzungsverträge ehemaliger Kunden zählen grundsätzlich dazu, wenn sie Einfluss auf den Provisionsanspruch haben könnten. Es gibt keine Pflicht, zuerst den Buchauszug abzuwarten oder darauf zu beschränken – beide Auskunftsansprüche bestehen gleichrangig.
- Zulässige Informationsverweigerung: Der BGH betonte, dass der Unternehmer nur solche Details weglassen darf, die für die Provisionsabrechnung offensichtlich irrelevant sind. Alle Informationen hingegen, die möglicherweise bedeutend für den Provisionsanspruch des Vertreters sein könnten, müssen auf Verlangen herausgegeben werden.
- Ersatz-/Ergänzungsverträge als Auskunftsgegenstand: Nach Auffassung des BGH fallen insbesondere Informationen über neu abgeschlossene Verträge der Kunden bei anderen Konzerngesellschaften in den potentiellen Auskunftsbereich. Denn solche Folgegeschäfte könnten Fälle einer unzulässigen Umdeckung darstellen – mit der Folge, dass der Provisionsanspruch des Vertreters unberührt bliebe. Mit anderen Worten: Wenn ein Kunde seinen Vertrag storniert, aber zeitnah bei einem Tochter- oder Schwesterversicherer einen inhaltsgleichen Vertrag abschließt, spricht vieles dafür, dass die ursprüngliche Stornierung für den Versicherer wirtschaftlich folgenlos war und ggf. vom Versicherer initiiert oder zumindest gefördert wurde. In solchen Fällen darf der Vertreter nach § 87a Abs. 3 HGB seine Provision behalten. Die Information über das Bestehen eines solchen Ersatzvertrags ist daher für den Vertreter wesentlich, um seine Rechtsposition zu prüfen und ggf. eine unberechtigte Provisionsrückforderung abzuwehren. Der BGH stellt klar, dass solche Auskünfte nicht bereits im Buchauszug enthalten wären (da der Buchauszug sich nur auf vom Vertreter vermittelte Geschäfte bezieht) – folglich können sie im Rahmen des § 87c Abs. 3 HGB gesondert verlangt werden.
- Beschränkung auf betroffene Provisionen: Wichtig ist die vom BGH eingeführte Einschränkung: Der Auskunftsanspruch besteht nur für die Fälle, in denen der Vertreter tatsächlich eine Provisionskürzung oder -rückforderung erlitten hat. Der VII. Zivilsenat hob hervor, dass das „Kontrollrecht“ des Vertreters – also sein Recht, die Berechnungen des Unternehmers nachzuvollziehen – nur soweit reicht, wie er die Informationen zur Berechnung seiner eigenen Ansprüche benötigt. Praxisbedeutung dieser Einschränkung: Der Vertreter darf nicht auf bloßen Verdacht flächendeckend Auskunft über alle möglichen Ersatzverträge verlangen. Er muss einen konkreten Bezug zu seinen Provisionsansprüchen darlegen, etwa indem er aufzeigt, dass für bestimmte Kunden Provisionen storniert wurden und er nun wissen möchte, ob genau bei diesen Kunden ein Ersatzvertrag existiert. Für Kunden, bei denen keine Provision zurückgefordert wurde, besteht dagegen kein Auskunftsbedarf und folglich kein Anspruch auf Auskunft über etwaige Neuverträge.
Zusammengefasst hat der BGH also entschieden: Ja, ein ausgeschiedener Versicherungsvertreter hat ein Auskunftsrecht dahingehend, ob seine ehemaligen Kunden in der Stornohaftungszeit neue Versicherungsverträge (Ersatz- oder Ergänzungsverträge) im Konzern abgeschlossen haben – aber nur insoweit, wie es zur Überprüfung einbehaltener oder zurückgeforderter Provisionen erforderlich ist. Die Vorinstanz, die dem Vertreter wohl eine weitergehende Auskunft auch ohne diese Einschränkung zugestanden hatte, wurde in diesem Punkt korrigiert.
Begründung des BGH
Der Bundesgerichtshof stützte seine Entscheidung vor allem auf eine teleologische Auslegung der §§ 87c Abs. 2 und 3 HGB, also auf den Sinn und Zweck der Vorschriften. Diese sollen dem Handelsvertreter – und speziell dem Versicherungsvertreter – ermöglichen, seine Provisionsabrechnungen nach Vertragsende umfassend zu überprüfen. Dabei gilt:
- Umfassender Informationszugang: Alle Informationen, die im Einflussbereich des Unternehmens liegen und den Provisionsstatus beeinflussen, müssen dem Vertreter zugänglich gemacht werden. Der Vertreter soll nicht deshalb auf Provisionsansprüche verzichten (müssen), weil ihm relevante Tatsachen verborgen bleiben, die nur der Unternehmer kennt. Hierzu zählt im Versicherungsbereich insbesondere das Wissen des Versicherers darüber, ob ein gekündigter Vertrag durch einen anderen Vertrag ersetzt wurde. Solches Wissen hat nur das Unternehmen, nicht aber der Vertreter – folglich begründet der Zweck des § 87c Abs. 3 HGB einen Auskunftsanspruch, damit der Vertreter seine vertraglichen Rechte wahren kann.
- Kein formalistisches Abwarten: Der BGH erteilte etwaigen Versuchen eine Absage, das Auskunftsrecht durch ein Stufenmodell einzuschränken. Es wäre mit dem Schutzzweck der Norm nicht vereinbar, wenn der Vertreter zunächst einen (möglicherweise unvollständigen) Buchauszug entgegennehmen müsste und erst danach – mühsam – versuchen dürfte, über separate Klagen weitere Informationen zu erhalten. Stattdessen kann er parallel und ohne Rangfolge alle nötigen Auskünfte verlangen.
- Relevanzfilter: Gleichzeitig erkennt der BGH an, dass das Informationsverlangen nicht zum „Fischzug“ ins Blaue ausarten darf. Der Versicherer muss nur solche Angaben machen, die möglicherweise provisionsrelevant sind; offenkundig irrelevante Details dürfen weggelassen werden. Diese Einschränkung dient dem Schutz des Unternehmens vor überbordenden Auskunftspflichten zu völlig unerheblichen Punkten.
- Ersatzverträge = mögliches Indiz für Provisionsanspruch: Die zentrale Überlegung war, dass ein nachfolgender Ersatz- oder Ergänzungsvertrag ein gewichtiges Indiz für eine unzulässige Umdeckung sein kann. Wenn ein solcher neuer Vertrag existiert, könnte das bedeuten, dass der Versicherer den ursprünglichen Vertrag quasi nur umgehängt hat – somit wäre der Tatbestand des § 87a Abs. 3 HGB erfüllt und der Vertreter hätte trotz der Kündigung Anspruch auf seine Provision. Die bloße Existenz eines Ersatzvertrages ist daher eine entscheidende Information. Ohne diese Auskunft kann der Vertreter nicht erkennen, ob er in einem Provisionsrückforderungsfall ggf. Einwände erheben kann. Der BGH folgte hier der Auffassung, die bereits in der Literatur und Rechtsprechung (z.B. OLG Hamm) vertreten wurde, wonach gerade im Versicherungsbereich Ersatzabschlüsse innerhalb desselben Konzerns sorgfältig daraufhin geprüft werden müssen, ob sie nicht eine Umgehung der Provisionszahlung darstellen.
- Konzerngesellschaften einbezogen: Bemerkenswert ist, dass sich der Auskunftsanspruch nicht nur auf Verträge beim selben Versicherer, sondern auch auf Verträge bei anderen Versicherungsunternehmen der gleichen Unternehmensgruppe erstreckt. Der BGH berücksichtigt damit die Praxis, dass Versicherungsgruppen mehrere rechtlich eigenständige Gesellschaften haben (etwa Lebensversicherer, Krankenversicherer, Schadenversicherer unter einem Dach) und Kunden im Zuge von Umdeckungen möglicherweise in eine andere Konzerngesellschaft „mitgenommen“ werden. Aus Sicht des Handelsvertreters und auch wirtschaftlich für den Konzern ist dies aber oft ein Fortbestand des vermittelten Geschäfts – daher sollen solche Konzernumdeckungen dem Auskunftsanspruch nicht entzogen sein. Nur wirklich externe Umdeckungen – also der Wechsel des Kunden zu einem fremden Versicherer außerhalb der Unternehmensgruppe – wären für den ursprünglichen Vertreter provisionsrechtlich endgültig verloren und müssen vom ehemaligen Unternehmen nicht berichtet werden (denn darüber hat das Unternehmen oft auch gar keine Informationen).
- Beschränkung auf betroffene Fälle: Die vom BGH vorgenommene Eingrenzung auf Fälle mit Provisionskürzungen beruht auf dem Prinzip der Erforderlichkeit. Der BGH argumentiert, das Kontrollinteresse des Vertreters gehe nur so weit, wie es um seine eigenen finanziellen Ansprüche geht. Wurden dem Vertreter aus bestimmten stornierten Verträgen keine Provisionen abgezogen oder zurückgefordert (etwa weil der Storno außerhalb der Haftungszeit stattfand oder aus Kulanz nicht belastet wurde), fehlt es an einem konkreten Anspruch, den der Vertreter geltend machen könnte – folglich besteht insoweit kein berechtigtes Interesse an Auskunft. Anders gesagt: Wo kein Provisionsschaden droht, muss der Versicherer auch keine Nachforschungen für den Vertreter anstellen. Dieses Kriterium stellt sicher, dass der Auskunftsanspruch gezielt und angemessen begrenzt bleibt.
Der BGH untermauerte seine Entscheidung zudem mit Verweisen auf die bisherige Rechtsprechung. Dabei hob er Unterschiede zu anderen Gerichtsentscheidungen hervor: So hatte etwa das OLG Düsseldorf in der Vergangenheit einen engeren Ansatz vertreten und einen Auskunftsanspruch über Ersatzverträge eher abgelehnt. Dem erteilt der BGH nun eine Absage und stellt klar, dass die prozessuale Verteilung der Beweislast in einem späteren Provisionsprozess nicht ausschlaggebend für das Auskunftsrecht ist. Es komme allein auf die materielle Berechtigung des Informationsbegehrens an – und diese ist gegeben, wenn ein Ersatzabschluss ein Indiz für den Fortbestand des Provisionsanspruchs sein kann.
Praktische Folgen und Tipps für Versicherungsvertreter
Die Entscheidung des BGH vom 24.07.2025 stärkt die Position von Versicherungsvertretern, die nach Ende ihres Vertragsverhältnisses mit Provisionsrückforderungen konfrontiert werden. Hier die wichtigsten Takeaways und Handlungsempfehlungen:
- Auskunftsrecht gezielt nutzen: Ehemalige Versicherungsvertreter sollten wissen, dass sie nicht hilflos zusehen müssen, wenn der Ex-Arbeitgeber Provisionen zurückfordert. Besteht der Verdacht, dass ein gekündigter Vertrag durch einen anderen Vertrag im Konzern ersetzt wurde, kann und sollte Auskunft verlangt werden. Stützen Sie Ihr Verlangen auf § 87c Abs. 3 HGB und benennen Sie möglichst konkret die stornierten Verträge, für die Sie Provision zurückzahlen sollen. Gerade in Fällen, in denen mehrere Kunden kurz nacheinander gekündigt haben, lohnt sich der Blick, ob diese Kunden eventuell bei einer Konzernschwester neu abgeschlossen haben.
- Begrenzung auf betroffene Kunden: Fokussieren Sie Ihr Auskunftsbegehren auf genau die Kundenverträge, für die man Ihnen die Provision gekürzt oder entzogen hat. Für diese Fälle hat der BGH das Auskunftsrecht ausdrücklich anerkannt. Eine solche Eingrenzung erhöht auch die Durchsetzbarkeit Ihres Anspruchs, da Sie ein konkretes berechtigtes Interesse darlegen. Fragen Sie also beispielsweise: „Kunde X hat seinen Vertrag Y zum [Datum] gekündigt, wofür meine Provision storniert wurde. Ich verlange Auskunft, ob Kunde X innerhalb der Stornohaftungszeit einen Ersatz- oder Ergänzungsvertrag über die gleiche Risikoart bei einem Unternehmen der Versicherungsgesellschaft abgeschlossen hat.“
- Keine Pflicht, im Dunkeln zu tappen: Lassen Sie sich nicht vom Versicherer darauf verweisen, dass der Buchauszug genüge oder dass Sie erst im Rahmen einer späteren Abrechnungsklage solche Fragen stellen dürften. Der BGH hat klargestellt, dass Buchauszug und zusätzlicher Auskunftsanspruch nebeneinander bestehen. Sie dürfen also proaktiv alle erforderlichen Informationen anfordern, ohne ein „Stufenverfahren“ durchlaufen zu müssen.
- Unternehmensgruppe im Blick haben: Beachten Sie, dass Ihr Auskunftsanspruch konzernweit greift. Fragen Sie ausdrücklich nach Verträgen bei anderen Gesellschaften der Versicherungsgruppe. Unternehmen könnten sonst versucht sein, nur Angaben zum gleichen Rechtsträger zu machen. Da laut BGH auch Verträge bei Schwester- oder Tochtergesellschaften relevant sind (Stichwort: Konzernumdeckung), sollten Sie diese explizit mit einbeziehen.
- Beweissicherung und weitere Schritte: Wenn der Versicherer die Auskunft erteilt und sich herausstellt, dass tatsächlich ein Ersatzvertrag existiert, haben Sie einen wichtigen Ansatzpunkt, um die Provisionsrückforderung anzufechten. In einem solchen Fall können Sie argumentieren, dass gemäß § 87a Abs. 3 HGB Ihr Provisionsanspruch fortbesteht, da der Nichtabschluss des ursprünglichen Geschäfts vom Unternehmer zu vertreten ist (bzw. der wirtschaftliche Erfolg durch den Ersatzvertrag doch eingetreten ist). Dokumentieren Sie die erhaltenen Informationen sorgfältig. Sollte der Versicherer die Auskunft verweigern oder unvollständig erteilen, können Sie Ihren Anspruch notfalls gerichtlich durchsetzen – das BGH-Urteil dient dabei als starke Grundlage.
- Für Versicherungsunternehmen: Auf Seiten der Versicherer bzw. Vertriebsorganisationen bedeutet dieses Urteil, dass man Transparenz gegenüber ausgeschiedenen Vertretern walten lassen muss, sofern Provisionsangelegenheiten im Raum stehen. Unternehmen sollten ihre Vorgänge bei Stornierungen und Neuabschlüssen konzernintern koordinieren. Wird von einem Vertreter Provision zurückverlangt, muss geprüft werden, ob der Kunde vielleicht im selben Zuge einen anderen Vertrag im Haus abgeschlossen hat. Diese Information darf dem Vertreter dann nicht vorenthalten werden. Es empfiehlt sich, standardisierte Prozesse vorzusehen, um Auskunftsersuchen zügig und vollständig beantworten zu können, um weiteren Rechtsstreit zu vermeiden.
Der BGH hat mit dem Urteil VII ZR 176/24 vom 24.07.2025 die Auskunftsrechte von Handelsvertretern (insbesondere Versicherungsvertretern) gestärkt und konkretisiert. Ein Vertreter darf vom ehemaligen Versicherungsunternehmen Informationen über mögliche Ersatz- oder Folgegeschäfte seiner Kunden in der Stornohaftungszeit verlangen, wenn diese Geschäfte für seine Provisionsabrechnung relevant sein könnten – insbesondere wenn er aufgrund der ursprünglichen Geschäfte Provisionen zurückzahlen soll. Damit wird sichergestellt, dass Unklarheiten bei Provisionskürzungen im Nachhinein aufgeklärt werden können und kein Vertreter auf ihm zustehende Provision verzichten muss, nur weil ihm wichtige Informationen fehlen.
Versicherungsvertreter tun gut daran, dieses Urteil zu kennen. Es bietet ihnen ein wirksames Werkzeug, um sich gegen ungerechtfertigte Provisionsrückforderungen zu wehren. Gleichzeitig mahnt die Entscheidung die Versicherungsunternehmen, fair mit ihren (ehemaligen) Vertriebspartnern umzugehen und Transparenz herzustellen, wo Provisionsansprüche auf dem Spiel stehen. Das Urteil präzisiert die bisherigen Rechtsgrundsätze und schafft Klarheit darüber, bis wohin das „Kontrollrecht“ des Handelsvertreters reicht – nämlich genau bis zu der Grenze, wo die Informationen für die Durchsetzung seiner eigenen Ansprüche nicht mehr erforderlich sind. Insgesamt ist dies ein begrüßenswertes Signal für die Vertriebspraxis: Es stärkt das Vertrauen in vertragliche Ausgleichsmechanismen und sorgt für einen gewissen Schutz des Handelsvertreters vor konzerninternen Umdeckungsmanövern zu seinen Lasten.