Kernaussagen des BGH-Urteils:
- Keine doppelte Bestrafung: Wer Cannabis gleichzeitig zum Verkauf und Eigenkonsum vorrätig hält, wird nicht zusätzlich wegen Besitzes bestraft, sofern die für den Eigenverbrauch bestimmte Teilmenge allein unter den strafbaren Grenzwerten bleibt.
- Einziehung der Gesamtmenge: Bei einer Verurteilung wegen Cannabis-Handels darf die gesamte sichergestellte Menge eingezogen werden – auch der Teil, den der Täter theoretisch legal zu Konsumzwecken besitzen durfte.
- Neue Cannabis-Grenzwerte: Das Konsumcannabisgesetz (KCanG) erlaubt Volljährigen den Besitz von bis zu 25 g Cannabis in der Öffentlichkeit und 50 g am Wohnort (Eigenbedarf). Erst bei mehr als 30 g in der Öffentlichkeit bzw. mehr als 60 g insgesamt macht man sich strafbar.
Hintergrund: Neues Cannabisgesetz und erlaubte Mengen
Zum 1. April 2024 trat in Deutschland das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis (Konsumcannabisgesetz, KCanG) in Kraft. Dadurch wurde der private Besitz geringer Cannabis-Mengen für Erwachsene in bestimmten Grenzen legalisiert bzw. sanktionslos gestellt. Bis zu 25 Gramm Cannabis in der Öffentlichkeit und bis zu 50 Gramm zuhause dürfen seitdem volljährige Personen zum Eigenkonsum besitzen. Außerdem sind bis zu 3 Cannabispflanzen im Eigenanbau erlaubt. Handel und gewinnorientierte Weitergabe von Cannabis bleiben jedoch verboten. Wer die erlaubten Mengen überschreitet oder ohne Erlaubnis mit Cannabis Handel treibt, macht sich strafbar gemäß § 34 KCanG.
Diese teilweise Legalisierung hat neue rechtliche Fragen aufgeworfen. Unter dem alten Betäubungsmittelgesetz (BtMG) war jeglicher Besitz ohne Ausnahmegenehmigung strafbar; nun gibt es Grauzonen: Welche Folgen hat es, wenn jemand Cannabis gleichzeitig für den eigenen Bedarf und für den Verkauf lagert? Wird in solchen Fällen doppelt bestraft – einmal wegen unerlaubten Handeltreibens und zusätzlich wegen Besitzes? Und muss die Polizei bei der Beschlagnahme den Eigenbedarfs-Anteil, der für sich genommen legal wäre, zurückgeben? Genau diese Fragen hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem aktuellen Grundsatzbeschluss vom 03.02.2025 (Az. GSSt 1/24) geklärt.
Der Fall: Cannabis zur Hälfte zum Verkauf, zur Hälfte zum Eigenkonsum
Symbolbild: Polizeikontrolle. In Frankfurt am Main geriet am 2. August 2023 ein Mann mit Cannabis in eine Polizeikontrolle. Die Beamten fanden bei ihm insgesamt rund 47 Gramm Cannabis, nämlich 27,5 g Marihuana und 19,8 g Haschisch. Der Mann gab an, etwa die Hälfte dieser Drogenmenge gewinnbringend verkaufen zu wollen; die andere Hälfte war für seinen persönlichen Konsum bestimmt. Die Polizei stellte das gesamte Cannabis sicher.
Das Landgericht Frankfurt am Main verurteilte den Angeklagten später wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (das Verfahren fiel noch in die Übergangszeit zum neuen Gesetz) und ordnete an, dass die gesamten sichergestellten Drogen eingezogen werden. In die Urteilsformel nahm das Landgericht keine gesonderte Verurteilung wegen Besitzes auf – offenbar weil der Eigenkonsumanteil an Cannabis im konkreten Fall für sich betrachtet unter den strafbaren Grenzwerten lag.
Der Fall ging in Revision zum BGH. Dort stellte sich die Frage erneut, ob der Angeklagte neben dem Handelsdelikt auch wegen Besitzes von Cannabis hätte verurteilt werden müssen. Unterschiedliche Senate des BGH hatten hierzu zunächst abweichende Auffassungen entwickelt: Einige Entscheidungen deuteten an, dass es für die Besitzstrafbarkeit nur auf den Eigenkonsumanteil ankommt, andere legten nahe, dass die Gesamtmenge maßgeblich sei und eine Freimenge ggf. auch nicht eingezogen werden dürfe. Aufgrund dieser Unsicherheit legte der 2. Strafsenat die Fragen dem Großen Senat für Strafsachen beim BGH zur Entscheidung vor.
Streitpunkt: Besitz- und Handelsmenge – zusammenrechnen oder trennen?
Im Kern musste der BGH zwei Fragen klären:
1. Strafbarkeit des Besitzes: Wenn jemand Cannabis gleichzeitig zum Eigenverbrauch und zum Verkauf besitzt, richtet sich die Strafbarkeit wegen Besitzes nach der Gesamtmenge oder nur nach dem Eigenkonsum-Anteil? Mit anderen Worten: Wird die eigentlich erlaubte persönliche Portion „mithinüber“ bestraft, wenn insgesamt zu viel Cannabis vorhanden ist?
2. Einziehung (Beschlagnahme) der Drogen: Muss bei der Einziehung der sichergestellten Cannabisprodukte die Eigenbedarfs-Menge ausgenommen werden, falls diese Menge für sich allein unter den gesetzlichen Erlaubnisgrenzen liegt? Oder darf der Staat alles einziehen, auch den Teil, den der Betroffene eigentlich legal besitzen dürfte?
Diese Fragen wurden deshalb so bedeutsam, weil das KCanG – anders als früher das BtMG – Mengen-Grenzen festlegt, bis zu denen Besitz straffrei ist. Nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG macht sich beispielsweise nur strafbar, wer **„mehr als 30 g Cannabis“ außerhalb der eigenen Wohnung oder „insgesamt mehr als 60 g“ besitzt (die Formulierung „mehr als“ bedeutet, ab 30,01 g bzw. 60,01 g beginnt die Strafbarkeit). Kleinere Mengen sind zwar teils verwaltungswidrig, aber nicht strafbar. Die Meinungen gingen auseinander, ob bei Mischfällen die Verkaufs- und Eigenbedarfsmenge addiert werden muss oder separat zu beurteilen ist.
BGH-Entscheidung: Handel verdrängt Besitz der Eigenbedarfs-Menge
Der Große Senat des BGH hat diese Streitfragen nun entschieden – und zwar zugunsten einer getrennten Betrachtung der Mengen:
- Keine zusätzliche Besitzstrafe bei erlaubtem Eigenanteil: Trägt jemand sowohl zum Eigenkonsum als auch zum Handel Cannabis bei sich, kommt es für einen strafbaren Besitz darauf an, ob die hierfür vorgesehene Eigenkonsum-Menge die strafrechtlich relevanten 30 Gramm überschreitet. Ist das nicht der Fall, tritt der Besitzvorwurf hinter dem Strafdelikt des Handeltreibens zurück. Mit anderen Worten: Das Handelsdelikt „verdrängt“ den Besitz soweit es die zum Verkauf bestimmte Menge betrifft. Nur die zum Eigenkonsum bestimmte Teilmenge wird gesondert betrachtet – bleibt diese unter der Strafbarkeitsgrenze, entfällt ein eigener Besitz-Schuldspruch vollständig.
- Beispiel: Ein Dealer hat 50 g Cannabis zum Verkauf und getrennt davon 15 g für sich zuhause. Gesamtmenge 65 g – eigentlich über der 60 g-Grenze. Da aber die 15 g Eigenvorrat für sich betrachtet unter 60 g bleiben, würde er nicht wegen Besitzes verurteilt, sondern nur wegen des Handeltreibens. Der BGH betont, dass solch ein Ergebnis gesetzlich gewollt ist und keinen „Freispruch zweiter Klasse“ bedeutet. Schließlich ist der Unrechtsgehalt (das Unwerturteil) der Tat schon dadurch erfasst, dass die Person gegen das Handelsverbot verstoßen hat; eine zusätzliche Verurteilung wegen Besitzes wäre in diesen Fällen doppelt gemoppelt. Wichtig: Hätte die Eigenbedarfsmenge für sich genommen die erlaubte Grenze überschritten (z.B. 100 g Eigenvorrat), läge natürlich eine Besitzstraftat vor, die dann auch neben dem Handel geahndet würde.
Kurz gesagt: Das Handeltreiben mit Cannabis überlagert den Besitz der Handelsmenge als speziellerer Straftatbestand. Nur für die überschüssige Eigenbedarfs-Menge könnte es theoretisch noch eine Strafbarkeit wegen Besitzes geben – und nur, wenn diese Menge isoliert betrachtet die Strafbarkeitsgrenze überschreitet. Andernfalls bleibt es bei einer einzigen Verurteilung wegen Drogenhandels. Dadurch werden Doppelsanktionen vermieden, ohne dass echte Straflücken entstehen.
Einziehung: Gesamte Drogenmenge darf beschlagnahmt werden
Eine zweite wichtige Klarstellung betrifft die Einziehung (Beschlagnahme und Einbehaltung) des Cannabis durch den Staat. Hier entschied der BGH: Auch wenn ein Teil der sichergestellten Drogenmenge zum Eigenkonsum gedacht war und innerhalb der erlaubten Grenzen liegt, muss dieser Teil bei der Einziehung nicht ausgenommen werden. Die freigestellten Besitzmengen gelten nicht als einziehungsfest oder unantastbar. Vielmehr darf die gesamte sichergestellte Menge Cannabis als Tatobjekt eingezogen werden.
Begründung: Das KCanG (§ 37) erlaubt die Einziehung von Gegenständen, auf die sich eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit bezieht. Wenn jemand eine Straftat mit Cannabis begeht (etwa Handel treibt), dann bezieht sich diese Tat auf alle Cannabispflanzenteile und Produkte, die dabei eine Rolle spielen – also in unserem Beispiel auf die vollständigen 47 g, die der Täter mit sich führte. Juristisch betrachtet bilden die Drogen eine einheitliche Sache bzw. Gesamtheit, die in Zusammenhang mit dem Delikt steht. Anders ausgedrückt: Es gibt keinen „geschützten Kern“ in einer Menge illegaler Drogen, den der Täter trotz Straftat behalten dürfte. Selbst wenn die Eigenkonsumportion getrennt aufbewahrt wurde, darf sie einbezogen werden, weil sie Teil des Gesamtbesitzes ist, der mit der Straftat verknüpft ist.
Der BGH zog einen Vergleich zur Geldwäsche: Wenn jemand mit vermischten legalen und illegalen Geldern einen Gegenstand kauft, wird bei einer Verurteilung auch der gesamte Gegenstand eingezogen, nicht nur anteilig entsprechend dem „kriminellen“ Geldanteil. Ebenso verfährt man z.B. beim Fahren ohne Führerschein: Hier kann das gesamte benutzte Kraftfahrzeug beschlagnahmt werden, obwohl Autofahren an sich legal ist – der konkrete Einsatz des Fahrzeugs war eben Teil der unerlaubten Tat. Genauso konsequent ist es laut BGH im Cannabis-Fall: Wer Cannabis in erlaubter Menge besitzt, macht das in dem Moment „unerlaubt“, wo diese Menge in eine Straftat (Handel) mit eingebunden wird. Dann darf der Staat das volle Tatmittel abschöpfen.
Natürlich bleibt die Verhältnismäßigkeit ein Prüfkriterium. In Extremfällen könnte ein Gericht entscheiden, nicht die komplette Menge einzuziehen – etwa wenn dies unbillig hart wäre (§ 74f StGB, der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Im Normalfall aber, so der BGH, bestehen keine durchgreifenden Bedenken, dem Verurteilten alles abzunehmen, was im Zusammenhang mit der Tat steht. Dies soll Strafbeteiligte nicht besser stellen, nur weil sie nebenbei etwas legal Besitzbares dabeihatten. Anders formuliert: Wer mit 1 kg Cannabis dealt, kann sich nicht darauf berufen, dass 50 g davon ja legal für Eigenkonsum wären – diese 50 g sind Teil der Beute bzw. Tatmittel und werden nicht zurückgegeben.
Bedeutung für Praxis und Verbraucher
Diese Grundsatzentscheidung schafft Klarheit im noch jungen Cannabisrecht. Für Konsumenten und Kleindealer bedeutet sie:
- Keine „zweite Anklage“ wegen Besitzes, wenn man beim Dealen zusätzlich Eigenbedarf mitführt – solange der Eigenbedarf klein genug bleibt. Man wird also nicht doppelt bestraft für ein und denselben Vorrat. Allerdings führt der Handelstatbestand (auch ohne zusätzlichen Besitzvorwurf) bereits zu empfindlichen Strafen – bis zu 3 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe in normalen Fällen, in schweren Fällen (z.B. große Mengen) auch mehr.
- Kein Schutz der Eigenbedarfs-Drogen vor Beschlagnahme: Wer gehofft hat, bei einer Festnahme zumindest die erlaubte Menge zurückzuerhalten, irrt. Die Polizei bzw. Gerichte dürfen alles einziehen, selbst den Anteil, der an sich legal gewesen wäre. Man bleibt also nach der Tat nicht auf einem „legalen Rest“ sitzen.
- Grenzwerte genau beachten: Das Urteil unterstreicht, wie wichtig die Mengenlimits im KCanG sind. Bis 25 g (öffentlich) bzw. 50 g (privat) bleibt Besitz legal, darüber (bis 30/60 g) allenfalls Ordnungswidrigkeit, aber ab 30+ g bzw. 60+ g macht man sich strafbar. Wer verkauft, wird schon ab kleinsten Mengen wegen Handelsdelikts belangt. Und sobald man Handel und Eigenkonsum mischt, sollte man zumindest darauf achten, dass der Eigenanteil im Rahmen bleibt – andernfalls drohen doch wieder zusätzliche Strafanzeigen.
Der BGH stellt klar, dass das neue Cannabisrecht keine Straflücke für geschickte Mischkalkulationen bietet. Handeltreiben bleibt Handeltreiben, auch wenn man sich selbst etwas abzweigt – der schwerere Vorwurf verdrängt den leichteren. Das bedeutet eine Anklage weniger in solchen Fällen, aber keinesfalls Straffreiheit. Im Gegenteil: Die Justiz kann zugreifen und alles sicherstellen, was im Umfeld der Tat gefunden wird. Für den Alltag heißt das: Die persönliche Eigenbedarfs-Freimenge schützt einen nicht, wenn man gleichzeitig gegen das Cannabis-Handelsverbot verstößt. Der Rechtsrahmen ist nun klar abgesteckt – das Risiko, ihn zu überschreiten, trägt jeder Einzelne selbst.