Bundesjagdgesetz-Novelle zwischen Wildhege und Waldpflege

02. März 2021 -

Die geplante Reform des Bundesjagdgesetzes ist unter Sachverständigen nicht unumstritten.

Aus hib – heute im bundestag Nr. 265 vom 01.03.2021 ergibt sich:

Im Spannungsfeld zwischen Wildhege und Waldpflege gebe es eine Reihe von Interessenkonflikten, die eine „Diskussion über die fällige Novelle des Bundesjagdgesetzes unausweichlich macht“, sagte der Ausschussvorsitzende Alois Gerig (CDU), am Montag in einer öffentliche Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Grundlage der Anhörung war eine Vorlage der Bundesregierung zur Änderung des Bundesjagdgesetzes, des Bundesnaturschutzgesetzes und des Waffengesetzes (BT-Drs. 19/26024 – PDF, 725 KB) sowie ein Antrag der FDP mit dem Titel „Wald geht nur mit Wild – Ideologiefreie Reform des Bundesjagdgesetzes“ (BT-Drs. 19/26179 – PDF, 241 KB). Mit dem Gesetzentwurf soll das Bundesjagdgesetz seit 1976 erstmals umfassend novelliert werden. Ziel sei es unter anderem, einen angemessenen Ausgleich zwischen Wald und Wild herzustellen, die Jägerprüfungsordnung zu vereinheitlichen sowie die Bleiabgabe von Büchsenmunition an die Umwelt zu verringern, so die Bundesregierung.

Aus seiner Erfahrung als Jäger heraus lehnte der Sachverständige Helmut Dammann-Tamke die den Jagdberechtigungsausübenden zugedachte Verantwortung für die Kalamitätsflächen und die Monokulturen ab. Natürlich sollten Jäger beim Wiederaufbau von Waldschadensflächen (Kalamitäten) und dem Umbau der Nadelholzflächen eine Aufgabe wahrnehmen, aber das Pferd dürfe dabei nicht von hinten aufgezäumt werden. Dammann-Tamke kritisierte eine in der Reform angelegte einseitige Verschiebung der Verantwortung zulasten der Jägerschaft. Denn darin sei das Ziel einer Verjüngung des Waldes im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen formuliert. Damit würde im Ergebnis das wirtschaftliche Risiko auf die Jagdgenossenschaften abgeladen und eine wesentliche Verantwortung auf die Jäger abgewälzt.

Der Sachverständige Sven Herzog problematisierte, dass seit Jahrzehnten immer mehr gejagt werde und die Schonzeiten verkürzt worden seien. Doch nach seiner Ansicht scheine es dabei einen Denkfehler zu geben, wenn zusätzliche Bejagung bei den Tieren mehr Stress verursache und dabei mehr Schäden produziere. Wenn versucht werde, die nicht geringer werdenden Probleme mit immer mehr Jagd zu lösen, „macht man etwas falsch“, so Herzog. Der Wissenschaftler forderte ein forstliches Umdenken. Er plädierte unter anderem für positive Maßnahmen wie die Einrichtung von Ruhezonen für Wild. Herzog sprach sich für eine Rückbesinnung auf originäre forstliche Aufgaben aus, denn das Jagdgesetz könne die Probleme nicht lösen.

Der Experte Jens Jacob begrüßte, dass mit der Novellierung das Bundesjagdgesetz an die heutigen Herausforderungen nach langer Zeit angepasst werde. Aus seiner Sicht wünschenswert sei eine begriffliche Ergänzung für eine artenreiche und standortgerechte Waldverjüngung, die zur Präzisierung der Ziele beitragen würde. Darüber hinaus plädierte der Sachverständige dafür, die Regelung im Bereich gesetzlicher Vorgaben für Höchstabschüsse für Rehwild zu vereinfachen. Diese sollten den Standorten entsprechend angepasst erfolgen.

Moritz Klose forderte, das Jagdrecht deutlich stärker auf die gesamtgesellschaftlichen Erfordernisse auszurichten. Damit einhergehend müsse ein aktiver Beitrag für zukunftsfähige, artenreiche Wälder geleistet werden, um strukturreiche, artenreiche Kulturlandschaften mitzugestalten und den Verlust an biologischer Vielfalt zu stoppen. Den Jägern falle durch die Jagd und die Hege eine große Verantwortung für die Waldökosysteme zu. Deshalb sollte die Hegedefinition im Gegensatz zum Entwurf noch konkreter gefasst werden.

Der Experte Gert Neidhardt störte sich daran, dass „immer von zu viel Wild gesprochen“ werde. Neidhardt stellte zuvor fest, dass die Schäden in den Wäldern hauptsächlich auf die Trockenheit zurückzuführen seien. Hingegen werde in den Diskussionen immer wieder pauschal behauptet, dass es in Deutschland zu viel Wild gebe. Der Sachverständige führte aus, dass es zwar zweifellos Regionen gebe, in denen zu viel Wild existiere, aber das gelte nicht für ganz Deutschland. Deshalb brauche es Lösungen auf lokaler Ebene, die auf Basis eines Konsenses und Konzepten eine sinnvolle Bejagung gewährleisten.

Ulrich Schraml setzte sich in seinem Beitrag für eine Weiterentwicklung des Hegegedanken ein. Ziel müsse es sein, in der jetzigen Generation Schäden zu vermeiden, um die Nutzungsmöglichkeiten der nächsten Generation zu erhalten. Dafür brauche es einen Dialog. Die Vielfalt der unterschiedlichen Herausforderungen und Verhältnisse vor Ort sei so groß, dass man dies nicht mit vielfältigen Regelungen administrativ bewältigen könne. Die Akteure vor Ort sollten stattdessen aktiv unterstützt werden. So schlug Schraml vor, dass Experten ein regelmäßiges Feedback geben sollten. Auf Grundlage solcher fachlicher Rückmeldungen könnte dann der Situation angepasst gehandelt werden.

Dass der Waldumbau im Wesentlichen nur durch künstliche Verjüngung erfolgen könne, stellte Andreas Bolte vom Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut, Institut für Waldökosysteme, fest. So hätten die aktuellen Waldschäden der Jahre 2018 bis 2020 die Wiederbewaldung einer Fläche von 285.000 Hektar erforderlich gemacht. Darüber hinaus sah der Wissenschaftler die Notwendigkeit eines Waldumbaus von Risikobeständen auf eine Fläche von bis 2,85 Millionen Hektar in den nächsten 30 Jahren. Die dafür anfallenden Kosten schätze Bolte auf 13 bis 43 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050. Angesichts dieser zu erwartenden Kosten und des in vielerlei Hinsicht damit verbundenen Risikos sprach sich Bolte für eine faire Teilung der Verantwortung zwischen Jagdpächtern und Waldeigentümern aus.

Dietrich Mehl von der Landeswaldoberförsterei Reiersdorf betrachtete die hohen Wildbestände als ein durch Menschen verursachtes Problem. Deshalb sei es falsch, daraus ein Problem zwischen dem Wald und dem Wild zu konstruieren. In seiner Stellungnahme sah der Experte die Gründe unter anderem in einer Überbetonung des Hegebegriffes, in zweifelhaften Abschussplanungen sowie der Entkoppelung des Jagdrechts, gebunden an das Eigentum, von dem über Pacht erkauften Jagdausübungsrecht. Durch das erzwungene Abtreten der Jagdausübung hätten sich zwangsläufig Konflikte zwischen den Zielen der Grundeigentümer für einen natürlich verjüngten gemischten Wald und den Interessen vieler Jäger an hohen Wildbeständen ergeben.

Klaus Hackländer vom Institut für Waldbiologie und Jagdwirtschaft (IWJ) warnte in seiner Stellungnahmen ebenfalls davor, dass der „Irrglaube, dass alleine ein erhöhter Jagddruck den Waldumbau ermöglichen wird“, nicht in ein Gesetz Eingang finden dürfe. Der Waldumbau könne nur in einem integralen Prozess geschehen, „bei dem die Büchse und die Motorsäge abgestimmt aufeinander zum Einsatz kommen“. Im Hinblick auf die Novellierung als sinnvoll erachtete Hackländer die Verwendung bleiminimierter Munition sowie die Vereinheitlichung der Jagd- und Falknereiausbildung. Ablehnung fand beim Wissenschaftler hingegen die Reduktion der Hege auf eine jagdliche Dienstleistung für die Forstwirtschaft, die Vorstellung, dass hoher Jagddruck dazu beitragen werde, den Wildeinfluss im Wald zu reduzieren sowie die Zielsetzung, dass eine Verjüngung des Waldes ohne Schutzmaßnahmen ermöglicht werden könne.

Konkret sieht die Novelle der Bundesregierung bundeseinheitliche Regelungen für eine Zertifizierung von Büchsenmunition mit optimaler Tötungswirkung vor, damit kein Tier unnötig lange leiden muss, bei gleichzeitiger Bleiminimierung. Zudem soll es künftig zur Verbesserung von Tierschutz und Jagdsicherheit erforderlich sein, einen Schießübungsnachweis vorzuweisen. Dies solle verbindlich werden, um an einer Gesellschaftsjagd teilnehmen zu können. Auch sind bundeseinheitliche Vorgaben für höhere und umfassendere Anforderungen bei der Jäger- und Falknerausbildung und -prüfung vorgesehen. Auch sollen mit dem Entwurf Ergebnisse des Waldgipfels umgesetzt werden: Wichtigste Neuerung ist die Abschaffung der bisher verpflichtenden Abschusspläne für Rehwild. Stattdessen sollen sich Waldbesitzer und Jäger künftig auf einen jährlichen Mindestabschuss pro Revier verständigen. Eine Obergrenze soll es nicht mehr geben. Einigen sie sich nicht, soll die Jagdbehörde entscheiden, wie viele Rehe erlegt werden müssen. Dabei ist sie gehalten, sich an die neue Zielvorgabe des Jagdgesetzes zu halten, die Waldverjüngung zu fördern. Bei der Entscheidung solle sich die Behörde künftig auch auf eigens angefertigte Gutachten zum Wildverbiss stützen können. Um den Waldschutz zu stärken, wird in der Novelle erstmals „eine Naturverjüngung des Waldes im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen“ neben dem Erhalt eines artenreichen Wildbestandes als Ziel vorgegeben. Unter dem Schlagwort eines „angemessenen Ausgleichs zwischen Wald und Wild“ wird damit ein Paradigmenwechsel weg vom Einzäunen großer Flächen zum Schutz vor Wildverbiss hin zu einer stärkeren Bejagung vollzogen.

Die FDP fordert in ihrem Antrag eine „ideologiefreie Reform des Bundesjagdgesetzes“ (BT-Drs. 19/26179 – PDF, 241 KB). So gelte es etwa anzuerkennen, dass Waldumbau und Wiederaufforstung unabhängig vom Wildbestand mit Schutz- und Pflegemaßnahmen zu begleiten seien. Das Bundesjagdgesetz verpflichte Jägerinnen und Jäger in Deutschland zur Hege, schreiben die Abgeordneten. „Pauschal formulierte forstwirtschaftliche Ziele lassen sich damit nicht in Einklang bringen“, heißt es weiter. Ein Ausgleich zwischen Wald und Wild müsse realitätsnah vor Ort praktiziert werden. Eine Pflicht zur Vereinbarung von Mindestabschussquoten lehnt die FDP ab. Damit ließe sich kein Ausgleich herstellen, schreibt sie.