Immer mehr Beschäftigte klagen über Dauerstress und permanente Erreichbarkeit – der Job wird zum Gesundheitsrisiko. Arbeitnehmer, die dauerhaft an ihrer Leistungsgrenze arbeiten, spüren oft, dass Körper und Psyche früher streiken als sich die Arbeitsbedingungen ändern. Studien des Bundesarbeitsministeriums zeigen, dass psychische Erkrankungen die Fehlzeiten mit den höchsten Zuwachsraten anführen. Kommt dann die Erschöpfung, wünschen sich viele Betroffene „einen sauberen, finanziell abgefederten Ausstieg“. Die gute Nachricht: Selbst in scheinbar aussichtslosen Situationen lässt sich häufig noch eine Abfindung erreichen – vorausgesetzt, man geht strategisch vor. Unsere Tipps zeigen, wie Arbeitnehmer und Arbeitgeber in dieser Situation am besten handeln.
Überlastungsanzeige: Ihr rechtliches Schutzschild
Ein wichtiges Instrument ist die Überlastungsanzeige. Dabei informiert der Mitarbeiter den Arbeitgeber schriftlich über seine überhöhte Arbeitsbelastung. Zwar gibt es im Gesetz keine explizite Vorschrift dafür, doch die Anzeige beruht auf der Fürsorgepflicht im Arbeitsverhältnis. Wird die steigende Last dokumentiert, kann man später „nicht zum Sündenbock gemacht werden“. Arbeitnehmer nutzen die Anzeige als Selbstschutz: Sie beweist, dass sie ihre Leistungsgrenzen frühzeitig offengelegt haben. Arbeitgeber müssen prüfen, ob sie ihre Pflichten verletzt haben und geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen.
- Inhalt der Anzeige: Beschreiben Sie konkret und sachlich Ihre Überlastung (Aufgabenumfang, Arbeitszeit, körperliche oder psychische Symptome). Vermeiden Sie Schuldzuweisungen, betonen Sie, dass objektive Umstände (z.B. Personalmangel, ständige Erreichbarkeit) Sie überfordern.
- Form: Reichen Sie die Anzeige schriftlich ein (E-Mail oder Brief, mit Empfangsbestätigung). Bewahren Sie Kopien auf. Geben Sie dem Arbeitgeber eine angemessene Frist, auf Ihre Belastung zu reagieren.
- Notieren Sie Beweise: Dokumentieren Sie Fehlzeiten, Arztbesuche oder akute Stresssymptome sowie relevante E-Mails oder Protokolle. Das stärkt Ihre Glaubwürdigkeit.
- Frühzeitige juristische Beratung: Holen Sie rechtliche Hilfe, sobald Überlastungsanzeignungen angedacht sind. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht formuliert die Anzeige rechtssicher und erhöht ihre Wirkung. Ein Schreiben auf Kanzleibogen lässt Arbeitgeber meist aufhorchen.
Praxis-Tipp: Wenn ein Anwalt die Überlastungsanzeige übermittelt, nehmen viele Vorgesetzte die Lage ernster. Sie können dann nicht mehr behaupten, nichts gewusst zu haben, und müssen über Entlastungsmaßnahmen nachdenken. Ohne Anzeige riskieren Betroffene, im Streitfall als Verursacher von Fehlern dastehen zu müssen.
Geplanter Ausstieg: Aufhebungsvertrag und Abfindung aushandeln
Oft ist das Ziel, das belastende Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit finanzieller Abfederung zu beenden. Hier lohnt sich strategisches Verhandeln. So gehen Sie vor: Übergeben Sie die Überlastungsanzeige gemeinsam mit einem Anwalt an die Geschäftsführung. Gleichzeitig fordern Sie in einem höflichen Schreiben Entlastung oder eine vernünftige Lösung (z.B. Reduzierung der Aufgaben). Reagiert der Arbeitgeber nicht umgehend, kündigt Ihr Anwalt arbeitsgerichtliche Schritte an.
Ab jetzt wird pokert: Beide Seiten bewerten die Chancen und Risiken eines Kündigungsschutzprozesses. Liegt Ihr Unternehmen unter dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) – in der Regel also bei mehr als 6 Monaten Betriebszugehörigkeit und über zehn Mitarbeitern –, weiß Ihr Arbeitgeber: Eine Kündigung ist vor Gericht kaum durchsetzbar. „Kommt es zur Kündigungsschutzklage, drohen langwierige und kostenintensive Verfahren – mit ungewissem Ausgang. Eine vergleichsweise hohe Abfindung kann da das kleinere Übel sein“. Viele Betriebe entscheiden sich daher lieber für einen Aufhebungsvertrag mit Abfindung als für einen teuren Rechtsstreit.
Wichtige Faktoren: Die Höhe der Abfindung orientiert sich typischerweise an Dauer und Alter des Mitarbeiters sowie an seinem Familienstand und der Verhandlungsstärke. Online-Rechner können grobe Werte liefern, ersetzen aber nicht die individuelle Strategie. Ein geschickter Anwalt prüft alle Details (z.B. Sonderurlaub, Weihnachtsgeld) und weiß, bei welcher Summe Ihr Arbeitgeber ernsthaft verhandeln wird.
Anwaltliche Verhandlungsschritte:
- Der Anwalt übermittelt die Überlastungsanzeige an den Arbeitgeber.
- Kommt keine sofortige Verbesserung (Entlastung) vom Arbeitgeber, folgt die Ankündigung rechtlicher Schritte (z.B. Kündigungsschutzklage).
- Ab jetzt beginnen die Gespräche über einen Aufhebungsvertrag. Ziel ist, die beste Abfindung zu erzielen und gesundheitliche Ruhe für den Mitarbeiter sicherzustellen. Arbeitnehmer sollten dabei klar sagen, was ihnen wichtig ist (Enddatum, Abfindungsbetrag, Zeugnis, Freistellung etc.).
Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer
- Handeln Sie frühzeitig: Reagieren Sie nicht erst, wenn die Erschöpfung akut wird. Wer zu lange wartet, riskiert Fehler, Konflikte oder sogar eine verhaltensbedingte Kündigung. Dokumentieren Sie Belastungsschritte – das hilft vor Gericht oder in Verhandlungen.
- Ärztliche Hilfe: Nehmen Sie Ihre Gesundheit ernst! Lassen Sie sich von einem Arzt untersuchen und holen Sie ggf. ein Attest ein (z.B. zu Erkrankungen durch Stress). Bei Burnout-Symptomen kann auch eine psychotherapeutische Behandlung nötig sein.
- Koordination mit Betriebsrat: Beteiligen Sie gegebenenfalls Ihren Betriebs- oder Personalrat. Er kann vermitteln oder helfen, die richtigen Maßnahmen anzustoßen (Betriebsvereinbarungen, BEM etc.).
- Überlastungsanzeige vorbereiten: Schreiben Sie klar und sachlich, wie sich Ihre Arbeitsbelastung darstellt. Lassen Sie die Anzeige, wie oben beschrieben, idealerweise von einem Anwalt begleiten.
- Verhalten: Bleiben Sie professionell und höflich. Ausfälle wie Wutausbrüche, Beleidigungen oder ungerechtfertigtes Fernbleiben schwächen Ihre Position und können sogar eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Lassen Sie beim Gespräch und in Verhandlungen den Anwalt sprechen, wenn nötig.
- Sperrzeit beim Arbeitslosengeld beachten: Planen Sie ggf. eine Kündigung oder einen Aufhebungsvertrag, sprechen Sie rechtzeitig mit der Agentur für Arbeit. Beachten Sie, dass Sie nach einem eigenemverursachten Ausstieg mit einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld I rechnen müssen. Klären Sie früh, welche Fristen und Voraussetzungen gelten.
- Ihre Ziele definieren: Entscheiden Sie, was Ihnen wichtig ist (z.B. maximaler Gesundheitsschutz, Jobwechsel, Abfindungssumme) und besprechen Sie diese mit dem Anwalt. Eine klare Strategie verbessert Ihre Verhandlungsposition.
Empfehlungen für Arbeitgeber
- Überlastungsanzeige ernst nehmen: Wenn ein Mitarbeiter anmerkt, überlastet zu sein, prüfen Sie umgehend die Arbeitsbedingungen. Kann die Aufgabe tatsächlich nicht anders verteilt oder entschärft werden? Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen (z.B. Pausenregelungen, Home-Office-Optionen) sollte geprüft werden.
- Pflichten beachten: Nehmen Sie Ihre Fürsorgepflicht (insbesondere nach dem Arbeitsschutzgesetz) wahr. Versuchen Sie, die gesundheitlichen Risiken abzumildern. Keine voreiligen Abmahnungen oder Kündigungen aussprechen – das könnte sonst als Verletzung Ihrer Fürsorgepflicht gewertet werden.
- Gesprächsbereitschaft zeigen: Führen Sie ein offenes Gespräch mit dem betroffenen Mitarbeiter. Oft lassen sich Konflikte mit flexiblen Lösungen mildern (etwa Wiedereingliederungsgespräche, Arbeitszeitverkürzung oder medizinische Hilfe). Bieten Sie Unterstützung an, statt die Situation eskalieren zu lassen.
- Betriebliches Gesundheitsmanagement: Fördern Sie ein betriebliches Gesundheitsmanagement oder Employee Assistance Programme. Early-Access- oder Coaching-Angebote können helfen, Belastungssituationen zu verhindern.
- Rechtsrisiken abwägen: Beachten Sie, dass eine Kündigungsschutzklage teuer werden kann. Verliert der Arbeitgeber vor Gericht, muss er rückwirkend Löhne nachzahlen und trägt die Gerichts- und Anwaltskosten. Deshalb schließen viele Arbeitgeber lieber einen Aufhebungsvertrag mit Abfindung, um unsichere Prozesse zu vermeiden.
- Rechtliche Beratung: Ziehen Sie selbst frühzeitig einen Fachanwalt für Arbeitsrecht hinzu. So können Sie einen klärenden Ausweg finden, ohne das Arbeitsverhältnis unnötig zu belasten. Ein Aufhebungsvertrag kann für beide Seiten fair sein, wenn er gut vorbereitet ist.
Nach dem Ausstieg: Erholung und Neustart
Sollte es zum Aufhebungsvertrag kommen, ermöglicht die Abfindung eine Verschnaufpause. Nutzen Sie diese Zeit zum Gesundwerden und zur beruflichen Neuorientierung. Fachärzte empfehlen, den finanziellen Spielraum gezielt für Rehabilitation, Therapie und Weiterbildung zu nutzen. Planen Sie Ihre Zukunftsschritte, aber behalten Sie dabei Formalitäten im Blick. Melden Sie sich etwa sofort arbeitssuchend, um eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld zu vermeiden.
Ein Ausstieg aus einer toxischen Arbeitssituation ist kein Scheitern, sondern oft ein notwendiger Schritt in ein gesünderes Leben. Mit der richtigen Strategie (dokumentieren, anwaltliche Begleitung, Verhandlung) haben Sie gute Chancen, nicht nur Ihren Job, sondern auch Ihre finanzielle Zukunft selbstbestimmt zu gestalten.
Bei chronischer Überlastung sollten Sie früh und entschlossen handeln – am besten mit rechtlicher Unterstützung. Die Überlastungsanzeige schützt Sie, und ein erfahrener Anwalt hilft dabei, aus der Not einen Vorteil zu machen. Arbeitgeber ihrerseits tun gut daran, Arbeitsbelastungen ernst zu nehmen und mit kluger Vermittlung einen teuren Rechtsstreit zu vermeiden. Auf diesem Weg kann am Ende für beide Seiten eine faire Lösung stehen – inklusive Abfindung für den Arbeitnehmer und Rechtsfrieden im Betrieb.