BVerfG zur Verdachtsberichterstattung

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 07. Juli 2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 146/17 entschieden, dass die teilweise Zurückweisung eines Unterlassungsbegehrens gegenüber einem Online-Pressearchiv hinsichtlich einer Verdachtsberichterstattung verfassungsgemäß ist.

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen Unternehmensberater und unterstützte über ein von ihm gegründetes Beratungsunternehmen verschiedene Unternehmen bei der Erschließung ausländischer Märkte. In diesem Rahmen erhielt er für Beratungsleistungen unter anderem von der Firma Siemens Zahlungen im achtstelligen Bereich.

Im Jahr 2007 erschien in der Europaausgabe einer englischsprachigen US-amerikanischen Tageszeitung im Zuge damals öffentlich gewordener und diskutierter Korruptionsermittlungen gegen leitende Mitarbeiter der Firma Siemens ein Artikel, der hauptsächlich am Beispiel des in der Unterüberschrift namentlich genannten Beschwerdeführers speziell über den Fall Siemens und allgemein über die aus Sicht der Artikelautoren fragwürdige Rolle von Beratern bei der Beschaffung von Industrieaufträgen im Ausland berichtete. Seit einigen Jahren komme weltweit der Verteilung von Bestechungsgeldern über schwer zu durchschauende Kanäle durch externe Berater eine gesteigerte Bedeutung zu. Unter anderem berichtet der Artikel von den Beschwerdeführer belastenden Aussagen leitender Siemens-Mitarbeiter, gegen die zu dem Zeitpunkt strafrechtlich ermittelt wurde. Daneben erwähnt der Artikel, dass Siemens zu den Vorwürfen nicht Stellung genommen habe, dass die Staatsanwaltschaft erklärt habe, dass der Beschwerdeführer bisher weder befragt noch beschuldigt worden sei, dass er selbst die Vorwürfe abstreite und geltend mache, dass er mehrfach erfolglos Korruptionsfälle bei Siemens intern angezeigt habe und dass er einem etwaigen Anruf der Staatsanwaltschaft gelassen entgegenblicke.

Ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wurde nicht eröffnet. Der Artikel ist in teilweise abgeänderter Form infolge teilstattgebender Gerichtsentscheidungen weiterhin online verfügbar.

Nach vorheriger Abmahnung erwirkte der Beschwerdeführer Urteile des Landgerichts Hamburg und des Hanseatischen Oberlandesgerichts, die seinem Unterlassungsbegehren in Teilen stattgaben. Hinsichtlich des Verdachts, der Beschwerdeführer habe für Siemens Bestechungsgelder in großem Umfang an potentielle Siemens-Kunden gezahlt, wiesen beide Instanzen sein Unterlassungsbegehren ab. Es habe sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung um eine zulässige Verdachtsberichterstattung gehandelt. Auch das weitere Bereithalten des Berichts im Online-Archiv greife nicht rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers ein. Zwar erhalte die Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem Lauf der Zeit zusätzliches Gewicht. Dieser Eingriff sei jedoch in Anbetracht der Aufgabe der Presse, auch individualisierend über Ereignisse des Zeitgeschehens zu berichten, und des erheblichen öffentlichen Interesses an Bestechungsvorwürfen in Millionenhöhe gerechtfertigt, zumal einem sich aktiv informierenden Nutzer nicht entgehen werde, dass die Vorwürfe sich nicht erhärtet hätten. Der Beitrag sei nämlich auf den Zeitpunkt der Erstveröffentlichung datiert und nur bei einer aktiven Internetsuche auffindbar. Aus demselben Umstand folge auch eine eher geringe Breitenwirkung. Der erstmals in der Berufungsinstanz gestellte Hilfsantrag, die Mitteilung des Verdachts insoweit zu untersagen, als nicht gleichzeitig mitgeteilt werde, dass die Staatsanwaltschaft die Aufnahme von Ermittlungen mangels Anfangsverdachts abgelehnt hat, sei unzulässig, da prozessual verspätet. Im Übrigen sei er auch unbegründet, da ein Anspruch auf einen klarstellenden Nachtrag, wie er in manchen Fällen anerkannt worden sei, mangels Eröffnung eines sich inzwischen überholt habenden förmlichen Verfahrens der Presse nicht zumutbar sei.

Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wies der Bundesgerichtshof mangels grundsätzlicher Bedeutung zurück.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die gerichtliche Zurückweisung des Unterlassungsbegehrens gegenüber der ihn betreffenden, von den Gerichten als ursprünglich zulässig bewerteten Verdachtsberichterstattung im Pressearchiv der Beklagten des Ausgangsverfahrens den Beschwerdeführer nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit und bietet dabei insbesondere Schutz vor einer personenbezogenen Berichterstattung und Verbreitung von Informationen, die geeignet sind, die Persönlichkeitsentfaltung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Recht auf Vergessen I, Rn. 80). Die Reichweite von Schutzansprüchen gegenüber der Verbreitung und Vorhaltung von Presseberichten im Einzelfall richtet sich nach einer Abwägung der sich gegenüberstehenden grundrechtlich geschützten Interessen unter umfassender Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles, bei denen auch der Zeitablauf seit einem zu berichtenden Ereignis ein maßgeblicher Faktor sein kann.

Soweit nicht die ursprüngliche oder eine neuerliche Berichterstattung, sondern das öffentlich zugängliche Vorhalten eines Berichts, insbesondere in Pressearchiven, in Rede steht, ist dessen Zulässigkeit anhand einer neuerlichen Abwägung der im Zeitpunkt des jeweiligen Löschungsbegehrens bestehenden gegenläufigen grundrechtlich geschützten Interessen zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 115 f.). Dabei ist die ursprüngliche Zulässigkeit eines Berichts allerdings ein wesentlicher Faktor, der ein gesteigertes berechtigtes Interesse von Presseorganen begründet, diese Berichterstattung ohne erneute Prüfung oder Änderung der Öffentlichkeit dauerhaft verfügbar zu halten (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 112 f., 127, 130). Denn in diesem Fall hat die Presse bei der ursprünglichen Veröffentlichung bereits die für sie geltenden Maßgaben beachtet und kann daher im Grundsatz verlangen, sich nicht erneut mit dem Bericht und seinem Gegenstand befassen zu müssen (vgl. im Kontext eines Anspruchs auf Richtigstellung beziehungsweise auf Veröffentlichung eines klarstellenden Nachtrags BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Mai 2018 – 1 BvR 666/17 -, Rn. 20). Entsprechendes gilt vorliegend, da der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde nicht mehr die ursprüngliche Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung infrage stellt, sondern sein Unterlassungsbegehren auf das durch Zeitablauf veränderte Gewicht der Beeinträchtigung stützt, das von dem online vorgehaltenen Bericht für sein allgemeines Persönlichkeitsrecht ausgeht.

Angesichts solcher primär auf Veränderungen durch Zeitablauf gestützte Löschungsbegehren sind die Interessen des Betroffenen mit den Interessen der Presse und der Allgemeinheit an der dauerhaften Zugänglichkeit einer ursprünglich zulässigen Berichterstattung in Hinblick auf die veränderten Umstände angemessen in Ausgleich zu bringen. Insoweit haben die Gerichte insbesondere die Schwere der aus der trotz der verstrichenen Zeit andauernden Verfügbarkeit der Information drohenden Persönlichkeitsbeeinträchtigung (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 121), den Zeitablauf seit dem archivierten Bericht (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 101 ff.), das zwischenzeitliche Verhalten des Betroffenen einschließlich möglicher Reaktualisierungen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 107, 122 f.), die fortdauernde oder verblassende konkrete Breitenwirkung der beanstandeten Presseveröffentlichung (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 114, 125), die Priorität, mit der die Information bei einer Namenssuche im Internet kommuniziert wird (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 125), das generelle Interesse der Allgemeinheit an einer dauerhaften Verfügbarkeit einmal zulässig veröffentlichter Informationen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 112 f., 121, 130) und das grundrechtliche Interesse von Inhalteanbietern an einer grundsätzlich unveränderten Archivierung und Zurverfügungstellung ihrer Inhalte (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 – , Rn. 112 f., 130; EGMR, M. L. und W. W. v. Deutschland, Urteil vom 28. Juni 2018, Nr. 60798/10 und 65599/10, § 90) angemessen zu berücksichtigen. Zumutbar sind einschränkende Maßnahmen gegenüber der unbehinderten und unveränderten Bereitstellung von ursprünglich zulässigen Presseberichten in Onlinearchiven nur, wenn deren Folgen für die Betroffenen besonders gravierend sind (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 153) und sie damit eine solche Bereitstellung über Einzelfälle hinaus nicht schon grundsätzlich in Frage stellen.

Handelt es sich bei dem Gegenstand des Löschungsbegehrens nicht um einen Bericht feststehender Tatsachen, sondern – wie vorliegend – um eine Verdachtsberichterstattung, ist dies in der gebotenen Abwägung angemessen zu berücksichtigen.

Zugunsten des Interesses an einer fortgesetzten Verfügbarkeit auch von Verdachtsberichterstattung ist zunächst in Rechnung zu stellen, dass es zu den verfassungsrechtlich gesicherten Aufgaben der Presse gehört, investigativ – in den Grenzen des Zulässigen – auch über Verdächtigungen von hohem öffentlichen Interesse zu berichten (BVerfGE 7, 198 <208>; 12, 113 <125>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Mai 2018 – 1 BvR 666/17 -, Rn. 16; EGMR, Erla Hlynsdottir v. Island, Urteil vom 2. Juni 2015, Nr. 54145/10, §§ 62 f.; 68 f.). Denn auch Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten und Verdachtslagen gehören zur sozialen Wirklichkeit, die aufzubereiten und über die zu informieren Merkmal, Freiheit und Aufgabe der Presse ist. Auch unerwiesene Verdächtigungen können unter Umständen von berechtigtem öffentlichen Interesse sein und hierauf gründende Wahrscheinlichkeitswahrnehmungen langfristig individuelles, gesellschaftliches und politisches Handeln beeinflussen. Gerade der mangelnden Aufklärbarkeit von Verdachtslagen kann dabei – etwa wenn es um strukturelle Grenzen von Aufklärungsmöglichkeiten geht – öffentliche Bedeutung zukommen. Insoweit erübrigt sich ein Veröffentlichungs- und Bereithaltungsinteresse der Presse nicht grundsätzlich schon durch die Einstellung oder Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens.

Zur Freiheit der Presse gehört es dabei auch, individualisierend und identifizierend zu berichten (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 111; EGMR, M. L. und W. W. v. Deutschland, Urteil vom 28. Juni 2018, Nr. 60798/10 und 65599/10, §§ 104 f.). Insoweit darf sie nicht generell dazu verpflichtet oder mittelbar angehalten werden, im Bereich noch nicht erwiesener Tatsachen nur generische und abstrakte Aussagen zu machen (vgl. EGMR, M. L. und W. W. v. Deutschland, Urteil vom 28. Juni 2018, Nr. 60798/10 und 65599/10, §§ 104 f.).

Andererseits ist beim Vorhalten von Verdachtsberichterstattung in Pressearchiven zu beachten, dass die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts regelmäßig insoweit heraufgesetzt ist, als der Betroffene damit einem Verdacht ausgesetzt bleibt, der möglicherweise nicht den Tatsachen entspricht und der zwischenzeitlich sogar widerlegt oder ausgeräumt wurde. Betroffene können damit auf Dauer einer negativen Wertung aufgrund eines Verdachts ausgesetzt sein, den sie – anders als bei unstrittig wahrhafter Tatsachenberichterstattung – womöglich nicht durch ihr eigenes Handeln zu verantworten haben, dem sie dennoch nicht wirksam begegnen können und dem sie schlicht ohne eigenes Zutun ausgesetzt sind. Zu beachten ist dabei, dass das öffentliche Interesse an einem längerfristigen Vorhalten einer Verdachtsberichterstattung unter Umständen und je nach Inhalt des Verdachts geringfügiger als bei feststehenden Tatsachen sein kann. Ob und wieweit das der Fall ist, ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen.

Anderseits ist bei einer Verdachtsberichterstattung in Rechnung zu stellen, dass bereits deren ursprüngliche Zulässigkeit strengen fachrechtlichen Maßstäben unterliegt (vgl. zu den Kriterien der Verdachtsberichterstattung BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99 -, Rn. 18). Diese Maßstäbe sind gerade in Hinblick auf die Möglichkeit formuliert, dass sich der Verdacht später nicht erhärten wird und es dennoch hinzunehmen ist, dass in den Augen des durchschnittlichen Publikums ein Makel an den Betroffenen haften bleiben kann (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99 -, Rn. 17). Dementsprechend hat eine zulässige Verdachtsberichterstattung im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung immer einen Vorgang von gravierendem Gewicht, also ein besonders gesteigertes Berichterstattungsinteresse, zur Voraussetzung. Außerdem wird durch das grundsätzliche Erfordernis einer Stellungnahmemöglichkeit und das Verbot vorverurteilender Berichterstattung sichergestellt, dass die Betroffenen selbst zu Wort kommen können und der Bericht lediglich den Eindruck eines offenen, noch nicht geklärten Verdachts vermittelt. Dementsprechend ist auch die in der Zukunft liegende, die Betroffenen belastende Wirkung der Berichterstattung insoweit geringer, als der vorgehaltene Bericht gerade nicht eine feststehende Tatsache, sondern lediglich einen offenen Verdacht mitteilt. Die hiervon Betroffenen sind also nicht in derselben Weise für die Zukunft in den Augen ihres sozialen Umfelds auf einen Umstand festgelegt, wie es bei einer dauerhaft vorgehaltenen Mitteilung von unstrittig wahrer Tatsachenberichterstattung der Fall wäre. Die negativen Folgen für die Möglichkeit einer selbstbestimmten Persönlichkeitsentfaltung sind somit bei einem Vorhalten von zulässiger Verdachtsberichterstattung nicht zwingend schwerer als bei einer Tatsachenberichterstattung.

Bei der von den Fachgerichten geforderten abwägenden Berücksichtigung der durch ein weiteres Vorhalten von Presseberichten berührten grundrechtlich geschützten Interessen sind im Sinne praktischer Konkordanz auch vermittelnde Lösungen zu erwägen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 128 ff.). Hierzu kann unter Umständen auch ein klarstellender Nachtrag über den Ausgang rechtlich formalisierter Verfahren wie Disziplinarverfahren, strafrechtlicher Ermittlungs- oder Hauptsacheverfahren gehören, solange dies auf besondere Fälle begrenzt bleibt und der Presse hierbei nur eine sachlich-distanzierte Mitteilung geänderter Umstände abverlangt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Mai 2018 – 1 BvR 666/17 -, Rn. 20 f.). Die Zuerkennung solcher Nachtragsansprüche als besondere Form der Folgenbeseitigung muss allerdings die grundlegende Freiheit der Presse, ihre Berichterstattungsgegenstände selbst zu wählen und nicht zu neuerlichen Nachforschungen und Bewertungen vergangener Berichterstattungsgegenstände verpflichtet zu werden, unangetastet lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. April 1997 – 1 BvR 765/97 -, Rn. 16; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Mai 2018 – 1 BvR 666/17 -, Rn. 20 f.). Hiervon kann etwa dann ausgegangen werden, wenn es um die Mitteilung einer vom Betroffenen der Presse gegenüber erfolgten nachprüfbaren Bekanntgabe eines Freispruchs, der Einstellung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen eines nicht hinreichenden Tatverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Mai 2018 – 1 BvR 666/17 -, Rn. 20) oder auch einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft geht, kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten, weil es an zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Straftat fehlt. Die Bekanntgabe allein des Umstands der Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens oder der Nichteinleitung eines solchen Verfahrens vermag jedoch einen Nachtragsanspruch nicht auszulösen. Diese Entscheidungen können auf Gründen (zum Beispiel Verjährung, Beweisnot, Priorisierungsentscheidung der Staatsanwaltschaft) beruhen, die den Verdacht selbst nicht in Frage stellen. Von der Presse kann auch nicht verlangt werden, hierzu Nachforschungen anzustellen.

Die vorliegend angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Maßstäben und halten sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen.

Die Gerichte haben zutreffend erkannt, dass die Zulässigkeit des weiteren Vorhaltens eines Presseberichts durch die ursprüngliche Zulässigkeit einer Veröffentlichung nicht abschließend bestimmt wird. Sie sind vielmehr in Übereinstimmung mit den jüngsten Senatsentscheidungen zum Recht auf Vergessen davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit des Verbreitens im Lauf der Zeit Veränderungen unterliegen kann und im Zeitpunkt des Unterlassungsbegehrens durch Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich erheblichen Belange, insbesondere der Persönlichkeitsinteressen des Betroffenen, des öffentlichen Informationsinteresses und den Interessen der Presse an einer unveränderten Verfügbarhaltung, zu beurteilen ist.

Auf dieser Grundlage haben die angegriffenen Entscheidungen eine umfassende Abwägung vorgenommen und sind dabei zutreffend davon ausgegangen, dass die ursprüngliche Zulässigkeit einer Veröffentlichung ein maßgeblicher Faktor der Beurteilung ist. Dies gilt umso mehr, wenn – wie bei einer Verdachtsberichterstattung – an die ursprüngliche Zulässigkeit einer Veröffentlichung strenge Anforderungen gestellt werden. Auch davon abgesehen haben die Gerichte die besonders gesteigerte gesellschaftliche Bedeutung der in dem Artikel beschriebenen Vorgänge und des darin geäußerten Verdachts zurecht hervorgehoben, die es auch rechtfertigten, den anlassgebenden Missstand an einem konkreten Beispiel fassbar und plastisch zu machen.

Ebenfalls zutreffend haben die Gerichte die begrenzte Breitenwirkung des archivierten Berichts berücksichtigt. Zwar ist die Auffindbarkeit von Presseberichten durch den Einsatz von Suchmaschinen zumeist ohne Schwierigkeit gewährleistet. Der beanstandete Bericht wird aber auch bei einer Suche anhand des vollständigen Namens des Beschwerdeführers nicht mit hoher Priorität kommuniziert. Vielmehr wird der Artikel bei einer erstmaligen Namenssuche in mehreren gängigen Suchmaschinen überhaupt nicht unter den ersten 50 Suchnachweisen geführt und erscheint er auch mittels der wohl gängigsten Suchmaschine erst auf der zweiten Seite der gelisteten Nachweise. Es ist daher nicht erkennbar, dass Dritte bei einer unvoreingenommenen Namenssuche im Internet in unzumutbarer Weise auf den Bericht gestoßen und der Beschwerdeführer in seinem sozialen Umfeld in vergleichbar gravierender Weise auf die hier geäußerten Verdächtigungen festgelegt würde, wie der Beschwerdeführer in dem Verfahren „ Recht auf Vergessen I“ . Diesem Umstand kommt in der Abwägung erhebliches Gewicht zu (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 -, Rn. 125, 149, 153).

Das Oberlandesgericht hat schließlich auch den auf einen klarstellenden Nachtrag gerichteten Hilfsantrag des Beschwerdeführers in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zurückgewiesen. Die Feststellung des Gerichts, wonach es sich hierbei um ein verspätet erst mit der Berufung geltend gemachtes Angriffsmittel handelt, lässt verfassungsrechtliche Mängel nicht erkennen, sodass der Beschwerdeführer insoweit den Anforderungen der Subsidiarität nicht gerecht geworden ist.

Auch in der Sache ist das Oberlandesgericht zurecht davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf einen klarstellenden Nachtrag mangels einer klar feststellbaren zwischenzeitlichen Veränderung der Sachlage, etwa eines Freispruchs oder einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, nicht bestand. Aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Schreiben der Staatsanwaltschaft ergab sich lediglich, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren nicht eingeleitet wurde, nicht aber, dass der Verdacht gegen ihn zwischenzeitlich ausgeräumt wurde oder dass sich andere den Verdacht widerlegende Umstände ergeben hätten. Damit bestand in der Angelegenheit noch immer im Wesentlichen derselbe Wissens- und Sachstand wie im Zeitpunkt der zulässigen Erstveröffentlichung. Somit gab es auch keine objektiv und ohne eigene Recherchen feststellbare Veränderung der Sachlage, über die die Beklagte des Ausgangsverfahrens in Gestalt des Nachtrags in sachlich-distanzierter Weise – ohne Revidierung des ursprünglich zulässig geäußerten Verdachts – hätte berichten können. Insbesondere hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt, dass und inwieweit die konkreten Verdachtsmomente und Anknüpfungstatsachen, auf die sich die ursprüngliche Berichterstattung stützte – etwa durch Widerruf der den Beschwerdeführer belastenden Zeugenaussagen – zwischenzeitlich ausgeräumt wurden oder weggefallen sind. Der Umstand allein, dass es nie zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kam, reicht hierzu nicht aus (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Mai 2018 – 1 BvR 666/17 -, Rn. 19 f.). Andernfalls käme im Bereich strafrechtlich erheblicher Sachverhalte der Nichteröffnung staatsanwaltlicher Verfahren die Wirkung zu, das unveränderte Vorhalten zulässiger Verdachtsberichterstattung regelmäßig auszuschließen.