Chemnitzer Oberbürgermeisterwahl: Altersgrenze von 18 Jahren für Wahlberechtigte rechtmäßig

Das Verwaltungsgericht Chemnitz hat am 19.01.2021 zum Aktenzeichen 5 K 1698/20 entschieden, dass die Oberbürgermeisterwahl in Chemnitz vom 11.10.2020 trotz einer Altersgrenze von 18 Jahren für das aktive Wahlrecht rechtmäßig war.

Aus der Pressemitteilung des VG Chemnitz vom 29.01.2021 ergibt sich:

Die Eltern von zwei minderjährigen Kläger erhoben zunächst Einspruch gegen die Wahl. Sie trugen vor, die durch § 15 Abs. 1 Satz 1 und § 16 Abs. 1 Sächsische Gemeindeordnung (SächsGemO) vorgenommene Beschränkung des aktiven Wahlrechts auf als Bürger bezeichnete Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, verstoße gegen das Grundrecht der Allgemeinheit der Wahl. Die Festlegung dieser Altersgrenze sei willkürlich, weil zumindest 16- und 17-Jährige über die nötige Kommunikationsfähigkeit im Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten verfügten und diesen daher in der Mehrzahl der Bundesländer das Wahlrecht bei Kommunalwahlen zuerkannt sei, während andererseits Personen ab 18 Jahren dieses Recht in Sachsen auch dann innehätten, wenn ihnen die geistigen Kräfte für eine Wahlentscheidung fehlten. Die nach der Sächsischen Verfassung für Landtags- und Gemeinderatswahlen geltende Altersgrenze von 18 Jahren sei auf die Wahl des Oberbürgermeisters nicht übertragbar. Der Ausschluss junger Menschen von der Wahl verletze diese auch in ihrer Menschenwürde. Rechtstechnisch lasse sich ihr Wahlrecht stellvertretend durch ihre Eltern ausüben.
Nachdem der Einspruch durch die Landesdirektion Chemnitz zurückgewiesen wurde, erhoben die Kläger Klage und tragen vor, bei der Auslegung des Begriffs des Bürgers sei Art. 115 der Verfassung des Freistaates Sachsen (SächsVerf) zugrunde zu legen, der keine Altersbeschränkung enthalte. Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie und die Generationengerechtigkeit als Grundrecht bzw. Staatsziel hinderten den Entzug des Wahlrechts für Personen unter 18 Jahren.

Das VG Chemnitz hat entschieden, dass die Beschränkung des aktiven Wahlrechts bei Gemeindewahlen und damit auch bei Bürgermeisterwahlen auf Personen mit mindestens 18 Jahren die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Erwägung der Kläger, minderjährige Kinder könnten beim Wahlakt durch ihre Eltern vertreten werden, verfehlt. Eine solche Konstruktion liefe auf eine verkappte Erhöhung der Stimmenzahl für die Eltern hinaus, die gegen den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Wahl (Art. 4 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 1 SächsVerf) verstoßen würde. Dieser Grundsatz verbiete Differenzierungen beim Umfang der Stimmberechtigung und schließe die Zuerkennung eines gesteigerten oder gestaffelten Wahlrechts je nach dem Umfang an Vermögen oder an Bildung oder aber nach dem Vorhandensein und der Anzahl von Kindern aus.

  • 15 Abs. 1 Satz 1 und § 16 Abs. 1 SächsGemO knüpften das Wahlrecht bei Kommunalwahlen an den Begriff des Bürgers und schließen Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, von diesem Recht aus. Eine Auslegung des Begriffs des Bürgers wie in Art. 115 SächsVerf – also ohne Altersbeschränkung – sei nicht möglich. § 15 Abs. 1 Satz 1 und § 16 Abs. 1 SächsGemO seien gemessen an Art. 115 SächsVerf, am Grundrecht der Allgemeinheit der Wahl (Art. 4 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 1 SächsVerf), am Grundrecht der Familie (Art. 22 SächsVerf) oder am Staatsziel der Generationengerechtigkeit (Art. 10 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf) auch nicht verfassungswidrig, was die Nichtigkeit der Normen zur Folge hätte. Das Verfassungsrecht beschränke in Art. 4 Abs. 2 SächsVerf das aktive Wahlrecht auf Personen, die am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben. Dabei handele es sich im Verhältnis zu den vorgenannten Bestimmungen um die speziellere und damit vorrangige Regelung.

Zwar sei Art. 4 Abs. 2 SächsVerf nach dem Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 1 SächsVerf ausdrücklich nur auf die „nach der Verfassung“ durch das Volk vorzunehmenden Wahlen, d.h. auf die Landtagswahl und auf die Wahl des Gemeinde- bzw. Stadtrates sowie des Kreistages, bezogen. Doch auch für die Wahl des (Ober-) Bürgermeisters durch das Volk gelte die in Art. 4 Abs. 2 SächsVerf geregelte Altersgrenze. Dieser Norm sei der allgemeine Verfassungsgrundsatz zu entnehmen, dass das Wahlrecht insgesamt auf Personen ab 18 Jahren beschränkt sei. Es würde dem Verfassungsprinzip der Systemgerechtigkeit zuwiderlaufen, wenn für die Bürgermeisterwahl im Gegensatz zur Landtags-, Gemeinderats- und Kreistagswahl mit ihrem festen Mindestalter nur eine schwächere oder gar keine Altersgrenze gelten würde. Da Bürgermeister und Gemeinderat Organe ein und derselben kommunalen Körperschaft sind, sind unterschiedliche Altersgrenzen für die jeweilige Wahl undenkbar.

Das Grundgesetz sehe in Art. 38 Abs. 2 GG vor, dass bei der Bundestagswahl nur Personen wählen dürfen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Dies sei nach dem Grundsatz dass die verfassungsmäßige Ordnung der deutschen Bundesländer den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen müsse, auch für die Landes- und Kommunalebene beachtlich. Jedenfalls bestünde aber keine Pflicht zur Auflockerung der Altersgrenze für die Wahl des (Ober-) Bürgermeisters.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.