Corona-Infektion kein Arbeitsunfall: LSG Berlin-Brandenburg bekräftigt hohe Hürden für Anerkennung

13. Juni 2025 -

Projektleiter scheitert mit Klage – Gerichte verlangen konkreten Nachweis der Ansteckung am Arbeitsplatz

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 27. Mai 2025 (Az. L 3 U 174/23) erneut klargestellt: Eine Corona-Infektion wird nur dann als Arbeitsunfall anerkannt, wenn der konkrete Nachweis erbracht werden kann, dass die Ansteckung ursächlich bei einer versicherten Tätigkeit, also insbesondere am Arbeitsplatz, erfolgt ist. Allgemeine Vermutungen oder ein erhöhtes Infektionsrisiko im beruflichen Umfeld reichen hierfür nicht aus.

Der Fall: Projektleiter nach Meeting an Corona erkrankt

Dem Verfahren lag die Klage eines damals 45-jährigen Projektleiters zugrunde, der im April 2021 an COVID-19 erkrankte. Unmittelbar vor Symptombeginn hatte er an einer etwa zweistündigen Besprechung mit mehreren Kolleginnen und Kollegen teilgenommen. Kurze Zeit später wurden mehrere Teilnehmende positiv getestet. Der Kläger selbst musste zwei Wochen stationär im Krankenhaus behandelt werden.

Er beantragte bei der zuständigen Berufsgenossenschaft, die Erkrankung als Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII anzuerkennen. Diese lehnte den Antrag mit der Begründung ab, es lasse sich nicht hinreichend sicher feststellen, dass die Infektion tatsächlich im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erfolgt sei. Der Projektleiter klagte gegen diese Entscheidung zunächst erfolglos vor dem Sozialgericht Potsdam und scheiterte nun auch in zweiter Instanz vor dem LSG Berlin-Brandenburg.

Entscheidung: Keine Anerkennung ohne konkreten Ursachennachweis

Die Richter des LSG führten in ihrer Entscheidung aus, dass eine Corona-Infektion grundsätzlich als Arbeitsunfall qualifiziert werden könne – aber nur, wenn ein Nachweis über den Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Infektion geführt wird. Im vorliegenden Fall sei dieser Nachweis nicht gelungen. Es sei zwar möglich, dass sich der Kläger während der Besprechung infiziert habe. Ebenso denkbar sei aber auch eine Ansteckung im privaten Bereich – etwa beim Einkaufen, Tanken oder durch den Kontakt mit Familienangehörigen.

Das bloße Vorliegen mehrerer Infektionen unter Kollegen reiche nicht aus, um eine konkrete Infektionsquelle zu identifizieren. Die Gerichte verlangen in solchen Fällen einen „besonderen intensiven Kontakt“ mit nachweislich infizierten Personen, bei denen der Zeitpunkt und die Umstände der Übertragung mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden können.

Hintergrund: Strenge Maßstäbe bei der Unfallversicherung

Nach der gesetzlichen Definition ist ein Arbeitsunfall ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden führt und in einem ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht (§ 8 Abs. 1 SGB VII).

Zwar stellt die Infektion mit einem Virus ein solches „von außen einwirkendes Ereignis“ dar, doch muss nachgewiesen werden, dass dieses Ereignis gerade bei der versicherten Tätigkeit eingetreten ist. Dies gelingt nur selten – insbesondere bei hochinfektiösen Erkrankungen wie COVID-19, bei denen sich die exakte Infektionsquelle meist nicht mehr rekonstruieren lässt.

Das LSG betont dabei, dass auch ein erhöhtes Risiko am Arbeitsplatz – etwa durch häufige Kundenkontakte oder Teilnahme an Besprechungen – allein nicht genügt. Es müsse vielmehr ein „besonderes Expositionsereignis“ vorliegen, etwa in Form eines dokumentierten Kontakts zu einem infektiösen Kollegen ohne Schutzmaßnahmen.

Vergleichbare Fälle und bundesweite Linie

Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg reiht sich ein in eine mittlerweile gefestigte Rechtsprechungslinie. So hatte das gleiche Gericht bereits 2024 die Klage einer Berliner Verkäuferin abgewiesen, die sich mutmaßlich im Supermarkt angesteckt hatte. Auch hier wurde das Vorliegen eines konkreten Infektionsgeschehens am Arbeitsplatz verneint.

Ähnlich urteilte auch das LSG Baden-Württemberg in einem Fall, bei dem ein Kläger sich nach eigenen Angaben durch einen „herumschnupfenden“ Kollegen infiziert haben wollte. Auch dort wurde der Nachweis als zu vage angesehen. Die Rechtsprechung zeigt deutlich: Spekulationen oder bloße Wahrscheinlichkeiten reichen nicht – verlangt wird ein gesicherter Nachweis.

Hohe Beweislast für Arbeitnehmer – Beratung durch Fachanwalt sinnvoll

Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg zeigt exemplarisch, wie hoch die Anforderungen für die Anerkennung einer COVID-19-Infektion als Arbeitsunfall sind. Für Arbeitnehmer bedeutet das: Ohne konkreten Nachweis einer berufsbedingten Ansteckung bleibt die gesetzliche Unfallversicherung außen vor.

Wer dennoch einen Antrag stellen oder sich gegen einen ablehnenden Bescheid wehren möchte, sollte frühzeitig rechtlichen Rat einholen. Ein Fachanwalt für Sozialrecht kann einschätzen, ob die Erfolgsaussichten realistisch sind und wie der Nachweis ggf. geführt werden kann – etwa durch Zeugenaussagen, Hygienekonzepte, Sitzpläne oder ärztliche Atteste.

Die Entscheidung ist derzeit noch nicht rechtskräftig. Ob eine Revision beim Bundessozialgericht zugelassen wird, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch: Die Rechtsprechung zur Anerkennung von Corona-Erkrankungen als Arbeitsunfall bleibt restriktiv.


Hinweis für Arbeitgeber und Arbeitnehmer:

  • Arbeitgeber sollten Wert auf eine sorgfältige Dokumentation von Besprechungen, Infektionsfällen und Schutzmaßnahmen legen – nicht zuletzt, um sich selbst gegen etwaige Vorwürfe abzusichern.
  • Arbeitnehmer sollten sich frühzeitig juristisch beraten lassen, wenn sie eine Anerkennung als Arbeitsunfall anstreben – und alle verfügbaren Nachweise sichern.

Bei weiteren Fragen zur gesetzlichen Unfallversicherung oder zum Umgang mit Corona-Folgen am Arbeitsplatz beraten wir Sie gerne.