Darf ein verurteilter Doppelmörder seine Beamtenpension behalten?

02. September 2025 -

Hintergrund: Doppelmord und Ruhegehalt im Visier des Gerichts

Ein drastischer Fall sorgte für Schlagzeilen: Ein Beamter, der auf Teneriffa seine von ihm getrennt lebende Ehefrau und einen seiner Söhne getötet hatte, bezieht weiterhin ein Ruhegehalt. Der Mann, ein Beamter auf Lebenszeit (Besoldungsgruppe A11) bei der Bundesagentur für Arbeit, war bereits 2011 wegen Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Im Jahr 2019 – also während des Ruhestands – tötete er in Spanien seine Ehefrau und einen gemeinsamen Sohn; der zweite Sohn entkam schwer verletzt. Ein spanisches Gericht verurteilte den ehemaligen Familienvater wegen zweifachen Mordes und versuchten Mordes zu lebenslanger Haft sowie weiteren langjährigen Freiheitsstrafen.

Trotz seiner Inhaftierung erhielt der Ex-Beamte weiterhin monatlich sein staatliches Ruhegehalt. Dies veranlasste die Bundesagentur für Arbeit als Dienstherrn, ein Disziplinarverfahren gegen den Ruhestandsbeamten einzuleiten. Ziel der Disziplinarklage war es, dem Mann das Ruhegehalt abzuerkennen – denn darf der Staat jemanden, der ein derartiges Verbrechen begangen hat, weiter alimentieren? Diese Frage landete schließlich vor Gericht.

Disziplinarrechtliche Grundlagen: Wann kann ein Ruhegehalt aberkannt werden?

Beamte auf Lebenszeit haben im Ruhestand grundsätzlich Anspruch auf Versorgungsbezüge (Ruhegehalt). Dieses Ruhegehalt kann jedoch entzogen werden, wenn ein schweres Dienstvergehen vorliegt und die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Für aktive Beamte gilt: Begehen sie ein Dienstvergehen von gravierendem Ausmaß – etwa eine schwere Straftat – kann als disziplinarische Höchstmaßnahme die Entfernung aus dem Dienst erfolgen. Damit verlieren sie ihren Beamtenstatus und in der Regel auch ihre Pensionsansprüche. Zudem sieht das Gesetz für Bundesbeamte in § 41 Bundesbeamtengesetz (BBG) vor, dass der Beamte kraft Gesetzes aus dem Dienst scheidet (Verlust der Beamtenrechte), wenn er wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird. Ähnliches gilt im Versorgungsrecht für Ruhestandsbeamte: Nach § 59 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) i.V.m. § 41 BBG verliert ein Ruhestandsbeamter seine Versorgungsansprüche, wenn er wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat vor Beendigung des Dienstverhältnisses zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wird. Mit anderen Worten: Schwere Dienstvergehen aus der aktiven Dienstzeit führen automatisch zum Verlust des Ruhegehalts. Im vorliegenden Fall geschah die Tat jedoch nach der Versetzung in den Ruhestand – diese gesetzliche Verlustregelung griff hier also nicht.

Bleibt das Disziplinarrecht für Ruhestandsbeamte: Auch pensionierte Beamte können für bestimmtes Fehlverhalten disziplinarisch belangt werden. Allerdings unterliegen Ruhestandsbeamte nur noch einem eingeschränkten Pflichtenkreis. § 77 Abs. 2 BBG zählt abschließend einige Verhaltenspflichten auf, deren Verletzung auch im Ruhestand als Dienstvergehen gilt. Dazu gehören insbesondere schwere Verfehlungen gegen die staatliche Ordnung – etwa Verstöße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) oder die Teilnahme an Bestrebungen, die den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. Nur solche besonders gravierenden Pflichtverletzungen jenseits des aktiven Dienstes wollte der Gesetzgeber disziplinarrechtlich sanktionieren. Entsprechend sieht § 12 des Bundesdisziplinargesetzes (BDG) als schwerste Disziplinarmaßnahme für Ruhestandsbeamte die Aberkennung des Ruhegehalts vor – jedoch eben nur, wenn ein Dienstvergehen im Sinne der genannten Vorschriften vorliegt.

Beispiel: Ein Ruhestandsbeamter, der sich offen gegen die Verfassung stellt, muss mit dem Verlust seiner Pension rechnen. So hat das OVG Sachsen-Anhalt 2023 entschieden, dass einem pensionierten Beamten das Ruhegehalt aberkannt wird, weil er für die extremistische NPD kandidierte und rechtsextreme Inhalte veröffentlichte – ein klarer Verstoß gegen die beamtenrechtliche Kernpflicht zur Verfassungstreue. In einem solchen Fall wäre der Betroffene, wäre er noch im Dienst, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen gewesen; die Aberkennung des Ruhegehalts spiegelt dies im Ruhestand wider.

Die Entscheidung des OVG Magdeburg: Kein Ruhegehaltsentzug trotz Doppelmord

Im Magdeburger Fall des wegen Doppelmordes verurteilten Beamten stand nun die Frage im Raum, ob dessen außerdienstliche Straftat ein Dienstvergehen im Ruhestand darstellt und damit eine Aberkennung der Pension rechtfertigt. Das Verwaltungsgericht Magdeburg verneinte dies und lehnte die Aberkennung ab – ebenso in zweiter Instanz das Oberverwaltungsgericht (OVG) Magdeburg. Beide Gerichte stellten klar, dass die einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften einen Entzug des Ruhegehalts in diesem Fall nicht erlauben. § 77 Abs. 2 BBG enthalte eine abschließende Liste von Gründen für eine Ruhegehaltsaberkennung. Der einzig in Betracht kommende Tatbestand – ein Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung – war hier nicht erfüllt.

Zur Begründung führte das OVG aus, der Doppelmord (und der versuchte Mord am zweiten Kind) seien nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Staat gerichtet gewesen, sondern beruhten auf „rein privaten Motiven“ – es handelte sich um ein rein privates Tötungsdelikt ohne jeglichen politischen Bezug. Zwar schützt die freiheitlich demokratische Grundordnung auch die fundamentalen Menschenrechte – und damit jedes menschliche Recht auf Leben. Doch die Verletzung der Grundrechte einzelner Menschen genügt für sich genommen nicht, um einen Angriff auf die gesamte Verfassungsordnung anzunehmen. Selbst dann, wenn es sich um eine besonders verwerfliche Straftat handelt – wie hier einen grausamen Tötungsdelikt innerhalb der Familie (einen Femizid) – liegt darin noch kein Verstoß gegen die politische Grundordnung im Sinne des Beamtengesetzes. Mit anderen Worten: So abscheulich die Tat ist, sie bleibt in der rechtlichen Wertung ein außerdienstliches Privatverbrechen, das vom Beamtenstatusrecht nicht als Dienstvergehen erfasst ist.

Rechtliche Grenzen und Wertungen: Warum schwere Verbrechen nicht immer zum Pensionsverlust führen

Die Entscheidung mag auf den ersten Blick befremdlich wirken. Wie kann es sein, dass ein zweifacher Mörder weiter vom Staat Pension erhält? Das OVG Magdeburg hat diese scheinbare Wertungslücke jedoch anhand der geltenden Gesetze nachvollziehbar begründet. Entscheidend ist der Wille des Gesetzgebers: Nach derzeitiger Rechtslage sollen Ruhestandsbeamte nur für bestimmte, exakt definierte Verhaltensweisen disziplinarisch belangt werden – nämlich vor allem für solche, die sich gegen den Staat, die Verfassung oder die dienstliche Treuepflicht richten. Andere schwere Straftaten ohne Dienstbezug fallen hingegen nicht unter den Begriff des Dienstvergehens im Ruhestand.

Der Vertreter des Dienstherrn hatte im Verfahren argumentiert, es „könne wertungsmäßig nicht sein“, dass ein Ruhestandsbeamter zwar ein Dienstvergehen begehe, wenn er die Existenz der Bundesrepublik leugnet, aber nicht, wenn er Menschen ermorde. Dieses Argument ließen die Gerichte jedoch nicht gelten. Sie verwiesen darauf, dass das Beamtenrecht ganz bewusst nicht auf das Strafmaß oder die Strafart abstellt, sondern auf die Art der Pflichtverletzung. Eine an der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe orientierte Regelung existiert – wie oben dargelegt – nur für bestimmte Konstellationen: für aktive Beamte (§ 41 BBG) und für Straftaten aus der Dienstzeit in Bezug auf die Versorgungsbezüge von Pensionären (§ 59 BeamtVG). Eine unbewusste Gesetzeslücke sah das OVG nicht. Vielmehr habe der Gesetzgeber bewusst entschieden, das disziplinarrechtliche Risiko für Ruhestandsbeamte auf bestimmte schwere Verfehlungen zu beschränken. Ein privates Kapitalverbrechen – so schockierend es ist – zählt eben nicht zu diesen ausdrücklich normierten Verfehlungen.

Diese enge Auslegung hat zur Konsequenz, dass schwere Kriminalität im privaten Bereich nach geltendem Recht nicht automatisch zum Verlust des Ruhegehalts führt. Der Staat bleibt hier an seine Alimentationspflicht gebunden, solange kein dienstrechtlich relevanter Pflichtenverstoß (etwa gegen die Verfassungstreue) vorliegt. Das OVG Magdeburg ordnete den Doppelmord als außerhalb des beamtenrechtlichen Pflichtenkreises liegend ein – juristisch gesehen also als eine Privatsache, so hart dies klingen mag.

Ausblick und Folgen für ähnliche Fälle

Das Urteil des OVG Magdeburg vom 23.01.2024 (Az. OVG 11 L 1/23) ist juristisch bemerkenswert, da es die Grenzen der disziplinarrechtlichen Sanktionen im Beamtenrecht deutlich aufzeigt. Für vergleichbare Fälle bedeutet es: Begeht ein Beamter im Ruhestand ein schweres Verbrechen ohne Bezug zu seinen dienstlichen Pflichten oder zum Staat, behält er nach aktueller Gesetzeslage seine Versorgungsbezüge. Weder das Disziplinarrecht noch die automatischen Verlusttatbestände des Versorgungsrechts greifen hier, wenn die Tat erst nach Dienstende begangen wurde und keinen der in § 77 Abs. 2 BBG genannten Verstöße darstellt. Die Schwelle für einen Ruhegehaltsentzug ist also extrem hoch – manche mögen sagen: zu hoch im Lichte solch extremer Fälle.

Gleichzeitig zeigt das Urteil, dass Gerichte an den geltenden Rechtsrahmen gebunden sind. Eine moralische Bewertung („Verdient so jemand noch Pension?“) darf nicht die klaren gesetzlichen Vorgaben überschatten. Sollte der Gesetzgeber diese Rechtslage als unbefriedigend empfinden, wäre es seine Aufgabe, das Beamtenversorgungs- oder Disziplinarrecht entsprechend zu ändern. Bis dahin gilt jedoch: Solange das Verhalten des Ruhestandsbeamten nicht die im Gesetz verankerten Kernpflichten wie die Verfassungstreue verletzt, bleibt der Anspruch auf das Ruhegehalt bestehen, selbst bei schwersten Straftaten im privaten Bereich.

Der vorliegende Fall wird nun noch vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) überprüft werden, da die Bundesagentur für Arbeit Revision eingelegt hat. Es bleibt abzuwarten, ob das BVerwG die enge Auslegung des OVG bestätigt. Sollte das höchste Verwaltungsgericht die Sichtweise der Vorinstanzen teilen, würde dies die aktuelle Rechtslage untermauern – mit der Konsequenz, dass auch zukünftig ähnlich gelagerte Fälle keinen Ruhegehaltsentzug nach sich ziehen, sofern kein Bezug zur amtlichen Stellung oder zur politischen Loyalität besteht. Juristisch fundiert, aber für viele Laien überraschend, steht damit vorerst fest: Ein rechtskräftig verurteilter Doppelmörder kann unter Umständen Beamter im Ruhestand bleiben – zumindest in dem Sinne, dass ihm seine Pension nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage entzogen werden darf.

Das OVG Magdeburg hat mit seinem Urteil aufgezeigt, dass auch für extreme Einzelfälle der Grundsatz “kein Ruhegehaltsentzug ohne klare gesetzliche Grundlage” gilt. Ein Beamter verliert seine erworbenen Versorgungsansprüche nur dann, wenn ein gesetzlich geregelter Versagungsgrund vorliegt. Schwerste Straftaten erschüttern zwar das moralische Empfinden, reichen aber allein nicht aus, um einen ehemaligen Beamten auch rechtlich alle Pensionsansprüche abzuerkennen – so lange der Gesetzgeber dies nicht anders bestimmt. Die Entscheidung mahnt somit zur Klarheit: Beamtenversorgung ist kein Gnadenakt, sondern an rechtliche Bedingungen geknüpft. Und diese Bedingungen waren im Fall des Wittenberger Doppelmörders nicht erfüllt – weshalb der Mann trotz allem (vorerst) Anspruch auf sein Ruhegehalt behält.