Deutsche Syrien-Rückkehrerin u.a. wegen IS-Mitgliedschaft und grober Vernachlässigung ihrer Fürsorgepflichten gegenüber ihrer Tochter zu Freiheitsstrafe von über drei Jahren verurteilt

16. Juli 2021 -

Das Kammergericht hat zum Aktenzeichen 8 – 1/21 die mittlerweile 31-jährige deutsche Staatsangehörige Nadia B. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerer Entziehung Minderjähriger und mit Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe, sowie wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt.

Aus der Pressemitteilung des KG Nr. 28/2021 vom 16.07.2021 ergibt sich:

In Höhe eines Betrages von 8.233,92 Euro wurde die Einziehung von Wertersatz angeordnet. Die Angeklagte verbleibt in Untersuchungshaft.

Nach den Feststellungen des Senats reiste die im Jahr 2009 zum Islam konvertierte, tiefgläubige Angeklagte im Dezember 2014 gemeinsam mit ihrer damals dreijährigen Tochter nach Syrien und schloss sich dort der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) an. Dabei habe sie dem in Deutschland verbliebenen Kindsvater die Tochter trotz gemeinsamen Sorgerechts dauerhaft vorenthalten. In Syrien habe die Angeklagte nacheinander zwei IS-Kämpfer geheiratet und diesen jeweils den Haushalt geführt. Ihre Tochter sowie ihre zwei in Syrien geborenen Söhne habe sie im Sinne der IS-Ideologie erzogen und dabei auch schwere Entwicklungsstörungen in Kauf genommen. Zumindest die Tochter sei Zeugin von Kriegshandlungen und Bombenangriffen mit Todesopfern geworden, was bei dieser eine schwere posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst habe. Während ihrer Zeit im IS-Gebiet habe die Angeklagte zudem zeitweise unberechtigterweise weiterhin Sozialleistungen und Kindergeld bezogen; die so zu Unrecht erlangten Geldbeträge muss die Angeklagte nun im Rahmen des sog. Wertersatzes zurückzahlen. Weil sie darüber hinaus zur Eigensicherung im IS-Gebiet auch über eine sog. Kalaschnikow verfügt habe, wurde sie u.a. auch wegen der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe verurteilt.

Die Angeklagte war wegen der zunehmend erschwerten Lebensbedingungen in Syrien im April 2019 – inzwischen hochschwanger mit dem vierten Kind – nach Deutschland zurückgekehrt. Im August 2020 erfolgte ihre Festnahme.

Die Taten zum Nachteil ihrer Tochter wertete der Senat im Rahmen der Strafzumessung als besonders schwerwiegend. Das Mädchen sei durch die allgemeinen Lebensumstände im Kriegsgebiet sowie die teils drastischen Erziehungsmethoden ihres ersten Stiefvaters und ihrer IS-Erzieher zutiefst traumatisiert worden. Die Angeklagte habe aus ihrer radikalislamistischen Überzeugung heraus die Augen vor den Gefahren für ihre Kinder verschlossen, weil es ihr darauf angekommen sei, auf dem Gebiet des IS zu leben und dort – entsprechend der ihr in der Ideologie des IS zugeschriebenen Rolle – als Ehefrau eines Kämpfers und Mutter künftiger Kämpfer als Teil der terroristischen Organisation ihren Beitrag zu dem von ihr erhofften Sieg des IS zu leisten, so der Vorsitzende Richter heute in seiner mündlichen Urteilsbegründung. Die langfristigen Folgen für das inzwischen neunjährige, in einer Pflegefamilie lebende Mädchen seien nicht absehbar, ein normales Leben derzeit nicht möglich.

Zugunsten der Angeklagten wertete der Senat u.a., dass die Angeklagte sich inzwischen von ihrem extremistischen Gedankengut glaubhaft distanziert habe. Sie hatte zu Beginn der Hauptverhandlung im Rahmen einer sog. Verständigung ein Geständnis abgelegt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.