Die Vergütung psychotherapeutischer Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 20. März 2023 zum Aktenzeichen 1 BvR 669/18 entschieden, dass die Vergütung psychotherapeutischer Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung verfassungswidrig ist.

Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Vergütung psychotherapeutischer Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Beschwerdeführerin ist Psychologische Psychotherapeutin, der Beschwerdeführer Facharzt für Psychotherapeutische Medizin. Sie sind zur Versorgung gesetzlich Versicherter zugelassen. Die für sie zuständige Kassenärztliche Vereinigung setzte ihr Honorar für die Quartale I/2013 und II/2013 mit Bescheiden jeweils vom 21. August 2013 und 20. November 2013 sowie Änderungsbescheiden vom 30. September 2014 und 10. Dezember 2014 fest. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wies sie jeweils unter dem 17. Dezember 2014 zurück.

Während der von den Beschwerdeführenden vor dem Sozialgericht gegen die Honorarfestsetzung jeweils angestrengten Klageverfahren änderte der Erweiterte Bewertungsausschuss (vgl. § 87 Abs. 4 SGB V) mit Beschluss vom 22. September 2015 rückwirkend ab dem 1. Januar 2012 den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) und führte den sogenannten Strukturzuschlag ein. Mit den insoweit maßgebenden Gebührenordnungspositionen (GOP 35251 und 35252) wurde die Geltendmachung von Personalkosten neu geregelt:

Nach der Begründung des Beschlusses soll es voll ausgelasteten Psychotherapeuten weiterhin möglich sein, über ihren Anteil an der Gesamtvergütung für vertragsärztliche Leistungen (vgl. § 85 Abs. 2 Satz 2 SGB V) eine angestellte Halbtagskraft zu refinanzieren. Künftig werde jedoch zwischen empirisch ermittelten und normativ festgelegten Personalkosten unterschieden, denn circa 75% der Psychotherapeuten hätten überhaupt keinen Personalbedarf. Die Personalkosten, die bislang vollständig in den technischen Leistungsanteil der einzelnen Gebührenordnungspositionen eingepreist waren, würden daher künftig nur in Höhe der empirisch ermittelten Personalkosten von 3.948 Euro pro Jahr bei der Bewertung der GOP 35200 bis 35225 berücksichtigt werden. Die verbleibende normative Differenz zu den Kosten für eine Halbtagskraft mit einem zu Grunde zu legenden jährlichen Tarifgehalt von 14.993 Euro fange der neue in den GOP 35251 und 35252 geregelte Strukturzuschlag auf. Bis zur Höhe der Differenz (11.045 Euro) könnten Psychotherapeuten eine zusätzliche Vergütung beanspruchen. Den vollen Betrag könnten allerdings nur voll ausgelastete Psychotherapeuten beanspruchen. Von einer Vollauslastung sei bei Erbringung von wöchentlich 36 antrags- und genehmigungspflichtigen Therapiestunden bei 43 Arbeitswochen im Jahr auszugehen. Sei ein Psychotherapeut demgegenüber gemessen an seinem Versorgungsauftrag jedenfalls hälftig, nicht aber voll ausgelastet, stehe ihm der Strukturzuschlag nur anteilig zu. Bei einer Auslastung unter 50% würden Psychotherapeuten bereits durch den in die GOP 35200 bis 35225 eingestellten empirischen Personalkostenanteil hinreichend unterstützt und ein weitergehender Zuschuss sei nicht angebracht. Ihnen stehe daher kein Zuschlag zu. Nur bei einem bestimmten Leistungsumfang erscheint es nämlich nach Auffassung des Erweiterten Bewertungsausschusses möglich und sinnvoll, Personal zu beschäftigen.

Infolge der Beschlussfassung des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 22. September 2015 erließ die Kassenärztliche Vereinigung gegenüber den Beschwerdeführenden Änderungsbescheide vom 4. Juli 2016 und setzte – unter Berücksichtigung des Strukturzuschlags und einer in diesem Beschluss ebenfalls vorgesehenen allgemeinen Vergütungserhöhung für antrags- und genehmigungspflichtige Leistungen – eine Nachvergütung für die beiden verfahrensgegenständlichen Quartale fest.

Das Sozialgericht hob mit seinen Urteilen vom 22. März 2017 sämtliche die Honorarfestsetzung betreffenden Bescheide auf und verpflichtete die beklagte Kassenärztliche Vereinigung, über die Vergütung nach Neuregelung durch den Bewertungsausschuss erneut zu entscheiden. Der Erweiterte Bewertungsausschuss habe durch seinen Beschluss vom 22. September 2015 rechtswidrig die normativen Personalkosten aus der Leistungsbewertung herausgenommen und in eine separate Zuschlagsregelung überführt.

Auf die jeweils beiderseits eingelegten Sprungrevisionen änderte das Bundessozialgericht mit Urteilen vom 11. Oktober 2017 die erstinstanzlichen Urteile ab und stellte hierbei insbesondere fest, dass der Erweiterte Bewertungsausschuss zwar Änderungen in dem von ihm zugrunde gelegten Tarifvertrag nicht berücksichtigt habe. Im Übrigen und in seinem grundsätzlichen Regelungsmodell sei der Strukturzuschlag aber nicht zu beanstanden.

Die vom Erweiterten Bewertungsausschuss gewählte Ausgestaltung des Strukturzuschlages führt innerhalb der Gruppe der Psychotherapeuten zu verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlungen in Abhängigkeit von der Menge und der Art der erbrachten Leistungen. Zunächst werden Psychotherapeuten unterschiedlich behandelt, die weniger als die erforderliche Mindestpunktzahl pro Quartal ansammeln, mithin durch die Versorgung gesetzlich Versicherter gemessen an ihren Versorgungsaufträgen zu weniger als 50% ausgelastet sind. Anders als Psychotherapeuten, die diese Mindestpunktzahl überschreiten, haben sie überhaupt keinen Anspruch auf einen Zuschlag. Daneben erfolgt eine unterschiedliche Behandlung von Psychotherapeuten, die die Mindestpunktzahl überschritten haben, in Abhängigkeit der von ihnen angesammelten Gesamtpunktemenge. Denn je mehr Punkte sie sich durch ihre abrechenbaren Leistungen verdienen, umso höher fällt der Strukturzuschlag grundsätzlich aus. Die Zuschlagsregelungen führen schließlich aber auch zu einer Besserstellung von Psychotherapeuten, die nur oder überwiegend antrags- und genehmigungspflichtige Leistungen erbringen, gegenüber denjenigen, die häufiger auch andere Leistungen erbringen, ohne dabei als voll ausgelastet zu gelten (s. dazu Rn. 4). Denn nur antrags- und genehmigungspflichtige Leistungen werden bei der Punktemenge berücksichtigt, anhand derer der Strukturzuschlag festgesetzt wird.

Diese Ungleichbehandlungen bedürfen verfassungsrechtlicher Rechtfertigung.

Insoweit unterliegt der Erweiterte Bewertungsausschuss als Normgeber denselben verfassungsrechtlichen Bindungen wie jedes andere zur Normsetzung befugte Gremium. Ausgehend von seinen Aufgaben und den mit den Bestimmungen des EBM verfolgten Zwecken verfügt er zwar über einen grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraum. Die gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen des Bewertungsausschusses ist daher im Wesentlichen auf die Prüfung beschränkt, ob die Grenzen dieses Gestaltungsspielraums eingehalten sind. Eine insoweit strengere Bindung des Normgebers folgt hier insbesondere nicht aus der Betroffenheit der Berufsfreiheit.

Ein angehobener, sich stufenlos an Verhältnismäßigkeitserfordernissen orientierender Überprüfungsmaßstab ergibt sich hier aber, soweit der Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 22. September 2015 rückwirkend gilt, denn insoweit sind die der Ungleichbehandlung zu Grunde liegenden Differenzierungskriterien für die Betroffenen nicht mehr verfügbar. So schließt der Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 22. September 2015 für die betroffenen Psychotherapeuten jede Einflussnahme auf die Festsetzung des Strukturzuschlags aus, soweit er auch abgeschlossene Abrechnungsquartale ab dem 1. Januar 2012 erfasst. Welche und wie viele abrechenbare Leistungen Psychotherapeuten in der Vergangenheit erbracht haben, können sie nicht mehr beeinflussen und damit zugleich keinen Einfluss darauf nehmen, ob und in welcher Höhe ihnen der neu eingeführte Strukturzuschlag für die vergangenen Abrechnungsquartale zufällt.

Danach bestehen gegen den Strukturzuschlag als solchen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Soweit er jedoch rückwirkend nach der Menge und der Art der erbrachten psychotherapeutischen Leistungen unterscheidet, genügt er den Anforderungen aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur in Bezug auf die Menge der erbrachten Leistungen, nicht jedoch in Bezug auf ihre Art.

Soweit die Zuschlagsregelungen an den Umfang erbrachter Leistungen anknüpfen, bestehen keine Bedenken gegen ihre Verfassungsmäßigkeit. Bereits der verfolgte Refinanzierungszweck stellt einen sachlich einleuchtenden, die darin liegende Ungleichbehandlung rechtfertigenden Grund dar (1), der sich auch im Hinblick auf die rückwirkende Geltung des mit Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 22. September 2015 eingeführten Strukturzuschlags als verhältnismäßig erweist (2).

Für die Differenzierung nach dem Umfang der erbrachten Leistungen besteht ein sachlich einleuchtender Grund. Der neu eingeführte Strukturzuschlag dient der Refinanzierung einer Halbtagskraft für voll ausgelastete Psychotherapeuten, denen die Beschäftigung von Personal – unter ergänzender Berücksichtigung der empirisch ermittelten Personalkosten im technischen Leistungsteil – finanziell ermöglicht werden soll (vgl. Entscheidungserhebliche Gründe zum Beschluss vom 22. September 2015, S. 3). In von Verfassung wegen nicht zu beanstandender Weise hat der Erweiterte Bewertungsausschuss danach gefragt, ab welcher Praxisauslastung die Beschäftigung von Personal sinnvoll und zweckmäßig ist und deshalb über die begrenzte Gesamtvergütung berechtigterweise refinanzierbar sein soll. Die Beantwortung dieser Frage ist in weitem Umfang der freien Gestaltung des Erweiterten Bewertungsausschusses überlassen. Es liegt nicht außerhalb dieses Spielraums, dass Praxen, die durch die Versorgung gesetzlich Versicherter nur teilweise ausgelastet sind, über die Gesamtvergütung letztlich auch nur teilweise die Kosten für eine Praxishilfe refinanzieren können, weil mit einer Teilauslastung typischerweise ein nur reduzierter Personalbedarf einhergeht. Vielmehr hat der Erweiterte Bewertungsausschuss dadurch einen objektiven, nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen der Praxisauslastung und der Refinanzierbarkeit von Personal geschaffen, auf die es mit ansteigender Praxisauslastung für professionalisierte Praxisabläufe umso mehr ankommt.

Es stellt auch eine sachlich nachvollziehbare und realitätsgerechte Wertung des Erweiterten Bewertungsausschusses dar, die Beschäftigung von Personal überhaupt erst für möglich und sinnvoll zu halten, wenn eine bestimmte Mindestauslastung erreicht ist. Dass der Erweiterte Bewertungsausschuss hierfür eine hälftige Auslastung verlangt hat (vgl. auch Entscheidungserhebliche Gründe zum Beschluss vom 22. September 2015, S. 4), lässt ebenfalls keine übermäßig belastende Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Psychotherapeuten erkennen, zumal unabhängig davon jedenfalls die Berücksichtigung der empirisch ermittelten Personalkosten in den GOP 35200 bis 35225 allen Psychotherapeuten zu Gute kommt, die zu Gunsten gesetzlich Versicherter entsprechende Leistungen erbringen.

Eine übermäßige Belastung ist auch nicht ersichtlich, soweit der Erweiterte Bewertungsausschuss zwischen einer mindestens hälftig und einer voll ausgelasteten Praxis eine anteilige Gewährung des Strukturzuschlags vorgesehen hat. Geht man davon aus, dass die Menge der erbrachten Leistungen ein taugliches und sogar naheliegendes Kriterium zur Bestimmung der Praxisauslastung ist und somit Auskunft darüber gibt, ob die Beschäftigung von Personal sinnvoll und zweckmäßig ist, wird dieser Regelungsansatz durch einen bis zur Vollauslastung anwachsenden Strukturzuschlag konsequent umgesetzt.

Auch die rückwirkende Geltung der nach dem Umfang der erbrachten Leistungen differenzierenden Regelungen zum Strukturzuschlag im EBM ist von dem Refinanzierungszweck gedeckt. Denn insoweit ging es dem Erweiterten Bewertungsausschuss um die Festlegung, unter welchen Voraussetzungen einem Psychotherapeuten die Refinanzierung einer Praxishilfe für die vor diesem Beschlussdatum liegenden Abrechnungsquartale ermöglicht werden soll. Es ist verhältnismäßig, auch insoweit anknüpfend an die Praxisauslastung eine volle Refinanzierung nur voll ausgelasteten Psychotherapeuten zu erlauben und im Übrigen den Zuschlag bei einer geringeren Auslastung (gegebenenfalls vollständig) zu kürzen.

Das der Ungleichbehandlung zu Grunde liegende Kriterium des Umfangs der erbrachten Leistungen ist insbesondere angemessen. Vertragsärzte und -psychotherapeuten sind berechtigt, durch an gesetzliche Versicherte erbrachte Leistungen an der begrenzten, auf alle Leistungserbringer zu verteilenden Gesamtvergütung zu partizipieren. Bei der Aufteilung dieser begrenzten Mittel einen relevanten Verteilungsschlüssel in der Menge der erbrachten Leistungen zu erblicken, lässt eine übermäßige Belastung der Leistungserbringer nicht erkennen. Denn wer „mehr“ leistet, darf grundsätzlich auch erwarten, „mehr“ als Ausgleich hierfür zu erhalten. Wird demgegenüber ein Leistungserbringer geringer vergütet, weil er (gemessenen an seinem Versorgungsauftrag) weniger Leistungen zu Gunsten gesetzlich Versicherter erbracht hat, ist dies Folge einer konsequenten und damit letztlich gerade gleichheitsgerechten Anwendung eines Leistungsprinzips.

Schließlich sind auch die durch den Erweiterten Bewertungsausschuss vorgenommenen Grenzziehungen, wonach nur eine volle Auslastung in vollem Umfang zur Geltendmachung des normativen Personalkostenanteils berechtigt und bei nicht voller, aber mindestens hälftiger Auslastung dieser Anteil lediglich anteilig gewährt wird, angesichts des dem Erweiterten Bewertungsausschuss zukommenden Gestaltungsspielraums (dazu Rn. 19) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

In dem Zweck der Refinanzierung einer Halbtagskraft kann kein sachlich einleuchtender, die Differenzierung nach der Art der erbrachten Leistung innerhalb des Strukturzuschlags tragender Grund erkannt werden. Auch wenn antrags- und genehmigungspflichtige Leistungen ausweislich der vom Bundessozialgericht in seinen angegriffenen Urteilen getroffenen Feststellungen und der eingeholten Stellungnahmen den faktischen Schwerpunkt der psychotherapeutischen, gegenüber den gesetzlich Versicherten erbrachten Leistungen ausmachen, musste sich der Erweiterte Bewertungsausschuss gedrängt sehen, auch einzubeziehen, dass sich das psychotherapeutische Tätigkeitsspektrum offensichtlich nicht in der Erbringung solcher Leistungen erschöpft. Dies ergibt sich schon aus dem Abschnitt 35.1 im EBM 1/2013 und 2/2013, der nicht antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen (wie etwa probatorische Sitzungen und Berichte an Gutachter) gewidmet ist. Daneben erbringen Psychotherapeuten weitere nicht antrags- und genehmigungspflichtige Leistungen etwa nach Kapitel 22 und 23 des EBM. Nach Mitteilung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat sich der Anteil der antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen im Zeitraum von 2013 bis 2017 von 77,6% auf 72,3% reduziert, sodass die Arbeitsbelastung von Psychotherapeuten im Rahmen ihres vertragsärztlichen beziehungsweise -psychotherapeutischen Versorgungsauftrags mit anderen Leistungen jedenfalls in einem – erheblichen – Bereich von über 20% liegt. Es ist nicht erkennbar, dass die Art der zu Gunsten der gesetzlich Versicherten erbrachten Leistungen den – empirisch ermittelten oder normativ festgelegten – Personalbedarf beeinflussen könnte. Denn erbringt ein Psychotherapeut Leistungen, trägt dies zur Praxisauslastung bei. Indem der Strukturzuschlag gleichwohl bestimmte Leistungen ausklammert, wird gerade im Widerspruch zu dem mit diesem Zuschlag verfolgten Refinanzierungszweck fingiert, dass diese Leistungen die Praxisauslastung nicht beeinflussten. Stattdessen hat der Bewertungsausschuss eine Verknüpfung zwischen Praxisauslastung und Art der erbrachten Leistung in die neuen Zuschlagsnummern implementiert, die objektiv nicht nachvollziehbar ist und die die Refinanzierbarkeit einer Halbtagskraft in Abhängigkeit von der Praxisauslastung nicht fördert, sondern eher erschwert. Dadurch stellt sich letztlich eine unangemessene Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Psychotherapeuten ein.

Es stellt jedoch einen sachlich einleuchtenden, die Ungleichbehandlung nach Art der erbrachten Leistung rechtfertigenden Grund dar, das Leistungsverhalten von Psychotherapeuten in einem bestimmten Sinn steuern zu wollen (Steuerungszweck).

Dass der Erweiterte Bewertungsausschuss in den Entscheidungserheblichen Gründen zu seinem Beschluss vom 22. September 2015 nicht ausdrücklich einen Steuerungszweck angesprochen hat, hindert nicht, einen solchen bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung einzubeziehen.

Das Bundesverfassungsgericht ist bei der Überprüfung, ob ein Normgeber legitime Zwecke verfolgt hat, nicht darauf beschränkt, nur diejenigen einzubeziehen, die dieser selbst ausdrücklich benannt oder etwa in den Gesetzesmaterialien zumindest angedeutet hat. Es gilt insoweit ein rein objektiver Maßstab, der es insbesondere ermöglicht, auch solche Zwecke bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung zu berücksichtigen, die nach dem gesetzgeberischen Willen naheliegen oder aber im Verfassungsbeschwerdeverfahren von den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen vorgebracht wurden.

Danach ist als Zweck des nach der Art erbrachter Leistungen differenzierenden Strukturzuschlags auch die Steuerung des ärztlichen Leistungsverhaltens zu berücksichtigen. So hat der Bewertungsausschuss selbst bei späteren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass es mit dem Strukturzuschlag zugleich um die Steuerung ärztlichen Leistungsverhaltens geht. Entsprechend haben in ihren Stellungnahmen in diesen Verfahren das Bundessozialgericht – wie entsprechend in den angegriffenen Urteilen – sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und der GKV-Spitzenverband auf die mit dem Strukturzuschlag verfolgten Steuerungsziele hingewiesen.

Die Zuschlagsregelungen setzen demnach zum einen den Anreiz, im Interesse gesetzlich Versicherter vermehrt antrags- und genehmigungspflichtige Leistungen zu erbringen, da Psychotherapeuten dadurch Punkte ansammeln, die bei der Berechnung des Strukturzuschlags berücksichtigungsfähig sind. Eingedenk des dem Erweiterten Bewertungsausschuss zukommenden weiten Gestaltungsspielraums kann darin keine Unsachlichkeit erkannt werden. Die Funktion des EBM erschöpft sich auch nicht in der Bewertung ärztlicher Leistungen, sondern ihm kommt auch Steuerungsfunktion insoweit zu, dass er auf die Leistungserbringung, also auf das Leistungsverhalten des Arztes einwirken soll. Dies gilt auch, soweit die mit der Differenzierung nach der Art der Leistungen verfolgte Steuerung vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Verhaltens veranlassen soll, einen nicht ausgeschöpften Versorgungsauftrag bei gleichbleibendem Arbeitspensum zu reduzieren, um so den Zuschlag mit einer geringeren Mindestpunktzahl zu erreichen. Dadurch können neue Psychotherapeuten zugelassen werden, was die Versorgungssituation zu Gunsten gesetzlich Versicherter verbessert. Von zwei Ärzten mit jeweils einem halben, aber ausgeschöpften Versorgungsauftrag werden mehr Leistungen erbracht, als von einem Arzt mit einem vollen, aber nicht ausgeschöpften Versorgungsauftrag.

Der Steuerungszweck hält allerdings einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand, soweit der Erweiterte Bewertungsausschuss vergangene Abrechnungsquartale rückwirkend geregelt hat. Es fehlt bereits an der Geeignetheit zur Zweckförderung.

Das verfassungsrechtliche Geeignetheitsgebot verlangt keine vollständige Zielerreichung durch die in Frage stehende Regelung, die zu der beanstandeten Ungleichbehandlung führt, sondern lediglich eine Eignung zur Förderung des Ziels. Die bloße Möglichkeit der Zweckerreichung genügt. Ein Gesetz ist damit zur Zweckerreichung geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg zumindest gefördert werden kann. Eine Regelung ist erst dann nicht mehr geeignet, wenn sie die Erreichung des Gesetzeszwecks in keiner Weise fördern kann oder sich sogar gegenläufig auswirkt.

Eine Steuerung vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Verhaltens kann nur für die künftige Regelungswirkung gelten, die von einer Änderung des EBM ausgeht. Die in zurückliegenden Quartalen erbrachten Leistungen stehen unabänderlich fest, sodass durch eine rückwirkende Änderung des EBM von vornherein für diese Zeiträume kein Anreiz gesetzt werden kann, bestimmte, als förderungswürdig angesehene Leistungen (vermehrt) zu erbringen oder jedenfalls den eigenen Versorgungsauftrag zu reduzieren, um bereits bei einer geringeren Mindestpunktzahl zur Geltendmachung des Strukturzuschlags berechtigt zu sein.

Die mittelbar angegriffenen Zuschlagsregelungen sind für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Der Erweiterte Bewertungsausschuss hat verschiedene Möglichkeiten, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Die Unvereinbarkeit ist bei erfolgreichen Verfassungsbeschwerden grundsätzlich nur in dem Umfang festzustellen, in dem ein Beschwerdeführer betroffen ist und mit seinen verfassungsrechtlichen Angriffen Erfolg hat. Da sich das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nur auf nachkonstitutionelle Gesetze im formellen Sinn, nicht aber auf untergesetzliche Normen bezieht und insoweit auch eine eigene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz der Fachgerichte besteht, bedurfte es einer Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf weitere Zeiträume nicht.