Dienstverbot für Polizisten nach Teilnahme an „Lebenderklärung“ bestätigt

Ein langjähriger Polizeibeamter aus Mecklenburg-Vorpommern wurde vorläufig vom Dienst suspendiert, nachdem er an einem sogenannten „Lebenderklärung“-Ritual für einen ehemaligen Kollegen mitgewirkt hatte. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Greifswald bestätigte nun mit Beschluss vom 09.07.2025 (Az. 2 M 29/25 OVG) diese Suspendierung. Das Gericht wertete die Teilnahme des Polizisten an der „Lebenderklärung“ als schwerwiegenden Hinweis auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung und hielt das vorläufige Dienstverbot aufrecht. Nachfolgend beleuchten wir Hintergründe der Reichsbürger-Ideologie, den Sachverhalt des Falls, die gerichtliche Entscheidung sowie die rechtlichen Grundlagen und Konsequenzen.

Hintergrund: Reichsbürger-Ideologie und „Lebenderklärung“

Die Reichsbürgerbewegung besteht aus Personen, die die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Rechtsordnung ablehnen. Sie verbreiten abstruse Thesen, etwa dass das Deutsche Reich fortbestehe oder die BRD lediglich eine Firma („BRD GmbH“) sei. Durch allerlei Pseudo-Dokumente versuchen sie, sich vermeintlich aus dem Geltungsbereich der deutschen Gesetze zu lösen. Ein zentrales Instrument in diesen Kreisen ist die „Lebenderklärung“. Dabei handelt es sich um ein selbstverfasstes, oft aufwändig gestaltetes Dokument, in dem Reichsbürger oder sogenannte Selbstverwalter feierlich erklären, sie seien „lebendige und freie Menschen“, meist untermalt von hochtrabenden, pseudojuristischen Zitaten aus Gesetzen, päpstlichen Bullen oder sogar der Bibel. Häufig wird die Urkunde symbolisch mit Blut oder Haaren des Unterzeichnenden versehen und von mehreren Zeugen unterschrieben und mit Fingerabdrücken „beglaubigt“.

Hinter dieser bizarren Prozedur steht der Glaube, man könne durch eine „Lebenderklärung“ tatsächlich aus der staatlichen Rechtsordnung austreten. In der Vorstellungswelt der Reichsbürger existiert neben der natürlichen Person eines Menschen eine künstliche „juristische Person“, die dem Bürger bei Geburt angeblich „heimlich aufgenötigt“ werde und die Grundlage aller amtlichen Register und Pflichten bilde. Durch das Abgeben der Lebenderklärung – so die irrige Annahme – streift man diese juristische Person ab und steht fortan als „natürliche Person“ außerhalb der BRD-Gesetze. Behördliche Forderungen wie Steuern, Bußgelder oder Gerichtsurteile hätten dann aus Sicht der Szene keine Gültigkeit mehr, da sie sich nur an die fiktive juristische Person richten würden, von der sich der „lebendig erklärte“ Mensch losgesagt habe. In Reichsbürger-Kreisen wird die Lebenderklärung folglich als formeller „Austritt aus der BRD“ gefeiert.

Der Fall: Polizist als Zeuge einer „Lebenderklärung“

Vor diesem Hintergrund ereignete sich der aktuelle Fall in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Polizeihauptkommissar mit jahrzehntelanger Dienstzeit hatte im Jahr 2023 an der Lebenderklärung eines ehemaligen Polizei-Kollegen teilgenommen. Konkret unterschrieb er als Zeuge eine schriftliche Erklärung des Ex-Beamten, die mit dem Titel „Lebenderklärung“ überschrieben war, und bestätigte dies durch einen persönlichen Daumenabdruck auf dem Dokument. Damit stellte der aktive Polizist quasi amtlich fest, dass sein ehemaliger Kollege „lebe“ – in den Augen der Reichsbürger also, dass dieser sich als „lebender Mensch“ außerhalb der Bundesrepublik gestellt habe.

Als der Dienstherr des Polizisten (das Landesinnenministerium bzw. die Polizei-Führung) von diesem Vorgang erfuhr, wurden disziplinarrechtliche Schritte eingeleitet. Zunächst erhielt der Beamte ein einstweiliges Verbot der Führung der Dienstgeschäfte (auch kurz Dienstverbot genannt). Das bedeutet, dass er bis auf Weiteres seinen Dienst als Polizist nicht mehr ausüben durfte. Gegen diese vorläufige Suspendierung wehrte sich der Beamte mit rechtlichen Mitteln. Der Fall gelangte schließlich vor das OVG Greifswald, das als Oberverwaltungsgericht für Mecklenburg-Vorpommern über die Rechtmäßigkeit des vorläufigen Dienstverbots zu entscheiden hatte.

Entscheidung des OVG Greifswald: Verdacht verfassungsfeindlicher Gesinnung

Das OVG Greifswald bestätigte die Suspendierung des Polizeihauptkommissars im Eilverfahren. Nach Auffassung des Gerichts rechtfertigt bereits die Mitwirkung an einer solchen „Lebenderklärung“ den dringenden Verdacht, dass der betroffene Beamte der Reichsbürger-Szene angehört oder zumindest deren Gedankengut teilt und die staatliche Rechtsordnung ablehnt. Diese eindeutigen Hinweise auf eine mögliche antiverfassungsrechtliche Gesinnung des Beamten wiegen so schwer, dass der Dienstherr ihn vorläufig von seinem Dienstposten fernhalten durfte, um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu schützen.

Die Greifswalder Richter stellten klar, dass Verfassungstreue eine Grundbedingung für den Polizeidienst ist. Bereits eine symbolträchtige Handlung wie die Teilnahme an der Erstellung einer pseudo-amtlichen Lebenderklärung – inklusive des quasi-rituellen Akts, ein Dokument mit dem eigenen Daumenabdruck zu unterzeichnen – genüge, um erhebliche Zweifel an der Verfassungstreue eines Beamten zu begründen, so das Gericht. Solche Zweifel können unmittelbare disziplinarische Konsequenzen nach sich ziehen. Im vorliegenden Fall sah das OVG den Verdacht bestätigt, dass der Polizist durch sein Handeln die Ziele des früheren Kollegen – nämlich das Verlassen der staatlichen Rechtsordnung – bewusst unterstützte, „weil er an deren Wirksamkeit glaubte“.

Der Beamte hatte im Verfahren zwar beteuert, er erkenne die deutsche Verfassung voll an und distanziere sich von der Reichsbürgerbewegung. Dieses Lippenbekenntnis wertete das Gericht jedoch als bloße Schutzbehauptung, die durch das objektive Verhalten widerlegt werde. Die Gestaltung und Symbolik der unterzeichneten Erklärung sowie die aktive Rolle des Polizisten als Zeuge sprächen vielmehr eine deutliche Sprache: Hier habe ein Staatsbediensteter an einem Akt mitgewirkt, der in der Szene als Lossagung von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gefeiert wird – ein inakzeptabler Vorgang aus Sicht des Dienstherrn.

Folgerichtig stellte das OVG fest, dass die weitere Beschäftigung eines Beamten, der im Verdacht steht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzulehnen, untragbar sei. Ein Verbleib im Dienst – selbst in eingeschränkter Form oder auf einem weniger sensiblen Posten – komme als milderes Mittel nicht in Betracht. Die sofortige vollständige Suspendierung sei daher gerechtfertigt, um Schaden von der öffentlichen Verwaltung (und letztlich der Allgemeinheit) abzuwenden.

Rechtliche Einordnung: Verfassungstreue als Dienstpflicht und Dienstverbot als Maßnahme

Beamte in Deutschland sind zur Verfassungstreue verpflichtet. Diese Pflicht ist gesetzlich verankert: § 33 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) schreibt vor, dass Beamtinnen und Beamte sich „durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten“ müssen. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) bezeichnet die grundlegenden verfassungsmäßigen Prinzipien, insbesondere die im Grundgesetz verankerte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Polizeibeamte stehen als Garanten der öffentlichen Sicherheit in einer besonderen Treuepflicht gegenüber der Verfassung und dem geltenden Recht.

Wenn Zweifel an der Verfassungstreue eines Beamten aufkommen – etwa durch Hinweise auf eine Nähe zur Reichsbürger-Ideologie – dürfen Dienstherren schnell und entschlossen handeln. Neben einem förmlichen Disziplinarverfahren, das zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen kann, kennt das Beamtenrecht auch präventive Sofortmaßnahmen. Eine solche Maßnahme ist das vorläufige Verbot der Führung der Dienstgeschäfte (umgangssprachlich: vorläufiges Dienstverbot). Dieses Instrument erlaubt es der Behörde, einen Beamten sofort von seinen Amtsgeschäften zu entbinden, wenn zwingende dienstliche Gründe dies erfordern – zum Beispiel um Schaden von der Behörde oder der Allgemeinheit abzuwenden. Die Rechtsgrundlage dafür findet sich in § 39 Beamtenstatusgesetz in Verbindung mit den jeweiligen Landesbeamtengesetzen (hier § 49 Abs. 1 LBG M-V für Mecklenburg-Vorpommern). Zwingende dienstliche Gründe liegen insbesondere vor, wenn der Verdacht eines schweren Dienstvergehens besteht, der das Vertrauensverhältnis so erschüttert, dass der Beamte nicht mehr im Dienst belassen werden kann. Im vorliegenden Fall war genau dies gegeben – der Verdacht der Verfassungsuntreue wiegt für einen Beamten so schwer, dass ein weiteres Dienstverrichten untragbar erscheint.

Bemerkenswert an der Entscheidung des OVG Greifswald ist, dass sie klarstellt: Ein laufendes Disziplinarverfahren schließt ein zusätzliches sofortiges Dienstverbot nicht aus. Beide Maßnahmen können parallel zueinander ergriffen werden. Konkret war gegen den Polizisten bereits ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden, das letztlich über dauerhafte disziplinarische Maßnahmen (bis hin zur Entfernung aus dem Dienst) entscheiden wird. Das hinderte den Dienstherrn jedoch nicht daran, vorsorglich sofort ein Dienstverbot zu verhängen, um bis zur Entscheidung im Disziplinarverfahren die dienstlichen Abläufe und die Integrität der Polizei zu schützen. Das OVG billigte dieses Vorgehen und verwies darauf, dass die einschlägigen Normen (§ 49 LBG M-V und § 39 BeamtStG) in einem Spezialitätsverhältnis stehen – das heißt, sie regeln unterschiedliche Aspekte und greifen ineinander, ohne sich gegenseitig auszuschließen.

Klare Kante gegen Verfassungsfeinde im Staatsdienst

Der Beschluss des OVG Greifswald sendet ein deutliches Signal: Staatsbedienstete, die mit reichsbürgerlichem Gedankengut sympathisieren oder an entsprechenden Aktionen teilnehmen, müssen mit harten Konsequenzen rechnen. Die Verfassungstreue ist keine bloße Formalität, sondern eine Kernpflicht für Beamte, insbesondere im Polizeidienst. Schon geringste Anzeichen für eine Illoyalität gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – wie hier die Mitwirkung an einem Reichsbürger-Ritual – reichen aus, um Zweifel an der Dienstpflichtstreue zu begründen. In solchen Fällen darf und muss der Dienstherr zum Schutz des öffentlichen Interesses einschneidende Schritte unternehmen.

Wesentliche Aspekte des Beschlusses:

  • Die Teilnahme an einer „Lebenderklärung“ wurde vom Gericht als ausreichender Hinweis auf mangelnde Verfassungstreue gewertet. Ein solcher symbolischer Akt kann ein schweres Dienstvergehen darstellen.
  • Verfassungstreue ist eine Grundvoraussetzung für Beamte. Sie müssen mit ihrem gesamten Verhalten zur FDGO stehen und dürfen diese nicht in Frage stellen.
  • Die sofortige Suspendierung (Dienstverbot) eines Beamten bei Verdacht extremer Verfehlungen ist rechtlich zulässig, um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu sichern.
  • Ein anhängiges Disziplinarverfahren hindert nicht daran, zusätzlich ein vorläufiges Dienstverbot auszusprechen. Beide Verfahren können nebeneinander laufen, um kurzfristig und langfristig angemessen zu reagieren.
  • Beteuerungen des Beamten, er stehe zur Verfassung, schützen nicht, wenn sein Verhalten objektiv auf das Gegenteil hindeutet. Die Glaubwürdigkeit eines Beamten misst sich an seinen Taten, nicht an nachträglichen Erklärungen.

Für die Praxis bedeutet dies: Behörden sind gehalten, bei Verdachtsmomenten auf verfassungsfeindliche Umtriebe von Bediensteten konsequent einzuschreiten. Beamte wiederum sollten sich darüber im Klaren sein, dass jede Nähe zu verfassungsfeindlichen Organisationen oder Symbolhandlungen massive Konsequenzen für ihre Karriere haben kann. Das hohe Gut der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlangt unbedingte Loyalität – wer daran rüttelt, dem droht zu Recht der Verlust von Amt und Würden.