Diskriminierungsverbot bei Kündigung wegen Kirchenaustritts

12. Juli 2025 -

Eine kirchliche Sozialeinrichtung wie die Caritas unterliegt dem besonderen kirchlichen Arbeitsrecht. Doch darf eine solche Einrichtung einer Mitarbeiterin kündigen, nur weil sie aus der Kirche austritt?

Hintergrund des Falls

Eine Sozialpädagogin arbeitete bei einer katholischen Schwangerschaftsberatungsstelle, die zum katholischen Wohlfahrtsverband Caritas gehört. In ihrem Team berieten sechs Personen zu Schwangerschaftsabbrüchen – zwei davon waren evangelisch, die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche war also keine zwingende Voraussetzung für diese Tätigkeit. Die Mitarbeiterin selbst war ursprünglich katholisch. Als sie 2019 aus der katholischen Kirche austrat, betrachtete die Caritas dies als schweren Verstoß gegen die loyale Verpflichtung gegenüber dem kirchlichen Arbeitgeber und kündigte das Arbeitsverhältnis. Die Kündigung stützte sich auf die kirchliche Arbeitsordnung („Grundordnung des kirchlichen Dienstes“), wonach der Kirchenaustritt eines katholischen Mitarbeiters als schwerwiegender Loyalitätsverstoß gilt, der eine Kündigung rechtfertigen kann.

Die Sozialpädagogin wehrte sich gerichtlich gegen die Kündigung – mit Erfolg in den ersten Instanzen. Sowohl das Arbeitsgericht Wiesbaden als auch das Landesarbeitsgericht Frankfurt erklärten die Kündigung für unwirksam. Daraufhin legte die Caritas Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein. Das BAG seinerseits hatte Zweifel, ob die Ungleichbehandlung wegen der Religion hier zulässig sein könnte, und rief den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens an. Konkret bat das BAG den EuGH um Auslegung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG, die u. a. Diskriminierungen aus religiösen Gründen im Arbeitsleben verbietet, aber für Kirchen und Religionsgemeinschaften unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen zulässt.

Rechtlicher Rahmen: Kirchenautonomie vs. Diskriminierungsverbot

Nach geltendem EU-Recht (Richtlinie 2000/78/EG zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf) ist eine Ungleichbehandlung wegen der Religion im Arbeitsverhältnis grundsätzlich verboten. Allerdings erlaubt Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie Kirchen und anderen religiösen Organisationen Ausnahmen, sofern die Religion aufgrund der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Vereinfacht gesagt dürfen kirchliche Arbeitgeber verlangen, dass gewisse Mitarbeiter ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft angehören, wenn dies für die Tätigkeit unverzichtbar ist und dem legitimen Ethos der Organisation entspricht. Dieses EU-Recht ist in Deutschland durch § 9 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) umgesetzt worden.

Die große Frage ist jedoch, wer prüft, ob eine religiöse Anforderung wirklich „wesentlich und gerechtfertigt“ ist. Die Kirchen pochen auf ihr verfassungsrechtlich geschütztes Selbstbestimmungsrecht. Traditionell gewährte die deutsche Rechtsprechung den Kirchen weiten Spielraum: Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sollten staatliche Gerichte nur eine Plausibilitätskontrolle kirchlicher Vorgaben vornehmen. Doch der EuGH hat in den letzten Jahren die Autonomie der Kirchen eingehegt und klargestellt, dass kirchliche Entscheidungen über Einstellung und Kündigung gerichtlich überprüfbar sein müssen. Insbesondere in den Fällen Egenberger (kein Kirchenmitglied wurde nicht eingestellt) und IR/JQ (katholischer Chefarzt nach Wiederheirat gekündigt) entschied der EuGH 2018, dass Gerichte die Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ voll überprüfen dürfen. Mit anderen Worten: Die Kirche kann nicht allein durch ihre eigenen Regeln bestimmen, was ein Loyalitätsverstoß ist, ohne dass dies vor staatlichen Gerichten auf Vereinbarkeit mit dem Diskriminierungsverbot geprüft werden könnte.

Im vorliegenden Fall war strittig, ob der Austritt aus der Kirche als solcher einen Kündigungsgrund darstellen darf. Nach katholischem Selbstverständnis gilt der formelle Kirchenaustritt (der beim Standesamt bzw. der Behörde erklärt wird) als schweres kirchliches Vergehen gegen Glaube und Gemeinschaft. Die kirchlichen Arbeitsvertragsregeln (Grundordnung von 2015) stuften ihn als gravierenden Loyalitätsverstoß ein – und selbst in der neuen Grundordnung von 2022 bleibt ein Kirchenaustritt in der Regel ein Kündigungsgrund für katholische Mitarbeiter. Allerdings zeigt der Fall der Sozialpädagogin eine Inkonsistenz auf: Hätte sie von Anfang an nicht der katholischen Kirche angehört (etwa evangelisch oder konfessionslos), hätte sie die gleiche Arbeit weiterhin tun dürfen. Paradoxerweise stand sie also durch ihre ehemalige Kirchenmitgliedschaft schlechter da als ein konfessionsfremder Kollege. Dieses Spannungsverhältnis zwischen kirchlichem Loyalitätsrecht und staatlichem Diskriminierungsschutz bildet den Kern des Falles.

Schlussanträge der Generalanwältin Medina

Die Generalanwältin am EuGH, Laila Medina, hat in ihren Schlussanträgen vom 10.07.2025 deutlich Position bezogen. Ihrer Auffassung nach verstößt eine Kündigung wie in diesem Fall gegen das Verbot der Diskriminierung aus Religionsgründen, weil die Voraussetzungen für die kirchliche Ausnahmeklausel hier nicht erfüllt sind. Medina betont zwei entscheidende Punkte:

  • Keine wesentliche berufliche Anforderung: Wenn die Arbeitgeberin – wie hier die Caritas – die Tätigkeit selbst nicht von der Religionszugehörigkeit abhängig macht und sogar Personen anderer Konfession (Evangelische) die gleiche Aufgabe ausüben lässt, dann ist die kontinuierliche Zugehörigkeit zur katholischen Kirche keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne der Richtlinie. Mit anderen Worten: Es geht auch ohne Kirchenmitgliedschaft. In so einem Umfeld kann der Austritt aus der Kirche allein kein legitimer Kündigungsgrund sein.
  • Kein automatischer Loyalitätsverstoß: Der formelle Kirchenaustritt – erklärt gegenüber der staatlichen Behörde – ist für sich genommen noch kein öffentlicher Akt der Feindseligkeit gegenüber der Kirche. Nach Medinas Ansicht lässt dieser Schritt nicht automatisch den Schluss zu, dass der betreffende Arbeitnehmer nun sämtliche Grundsätze und Werte der Kirche missachten werde. Solange die Arbeitnehmerin nicht öffentlich erkennbar gegen den kirchlichen Ethos verstößt, darf ihr der Austritt nicht ohne Weiteres als Kündigungsgrund ausgelegt werden. Im vorliegenden Fall hatte die Frau betont, sie lebe auch nach dem Austritt weiterhin nach christlichen Werten; ihr Austritt hing mit kircheninternen Gründen (Sonderkirchensteuer im Bistum Limburg und Umgang der Kirche mit Skandalen) zusammen, nicht mit einer Abkehr vom Glauben.

Weiter argumentiert Generalanwältin Medina, dass die EU-Richtlinie 2000/78/EG einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht der Kirchen auf Selbstbestimmung und dem Diskriminierungsschutz der Arbeitnehmer schaffen soll. Dieses Gleichgewicht werde überschritten, wenn man der Kirche erlaubte, unter solchen Umständen zu kündigen, denn dann würde das kirchliche Selbstbestimmungsrecht faktisch jede gerichtliche Kontrolle der genannten Kriterien aushebeln. Eine solche Auslegung liefe nach Medinas Auffassung auch der Religionsfreiheit des Einzelnen zuwider – schließlich beinhaltet die Religionsfreiheit auch das Recht, einer Kirche anzugehören oder nicht anzugehören, ohne deswegen den Arbeitsplatz zu verlieren. Die Kirchenautonomie dürfe nicht so weit gehen, dass sie das weltliche Diskriminierungsverbot aushebelt.

Medinas Schlussanträge sind keine endgültige Entscheidung, aber in vielen Fällen folgt der EuGH den Empfehlungen seiner Generalanwälte. Sollte der EuGH im Sinne der Generalanwältin urteilen, wird das Bundesarbeitsgericht diese Vorgaben im nationalen Urteil umzusetzen haben. Die Tendenz ist klar: Eine pauschale Kündigung allein wegen Kirchenaustritt wird voraussichtlich unzulässig sein, sofern die Tätigkeit an sich keine zwingende Kirchenzugehörigkeit erfordert und kein aktiver Verstoß gegen Glaubensgrundsätze vorliegt.

Bedeutung für die Praxis

Die rechtliche Auseinandersetzung in diesem Fall ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber im kirchlichen Sektor von großer Bedeutung. Sie signalisiert, wie weit das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Arbeitsrecht geht – und wo die Grenze zugunsten des Diskriminierungsschutzes verläuft. Im Folgenden einige Hinweise, was dieses (noch ausstehende) EuGH-Urteil bedeuten könnte:

Für Arbeitnehmer (Beschäftigte im kirchlichen Dienst)

  • Kündigung nicht schutzlos hinnehmen: Arbeitnehmer, die bei kirchlichen Arbeitgebern beschäftigt sind, müssen eine Kündigung wegen Kirchenaustritts nicht einfach hinnehmen. Wenn in Ihrer Einrichtung auch andersgläubige oder konfessionslose Kollegen dieselbe Tätigkeit ausüben, spricht viel dafür, dass die Kirchenmitgliedschaft keine wesentliche berufliche Anforderung ist – eine Kündigung allein wegen Ihres Austritts könnte dann unwirksam sein. Dies wäre eine unzulässige Ungleichbehandlung aufgrund der Religion.
  • Diskriminierungsschutz geltend machen: Betroffene können sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und EU-Recht berufen, das Diskriminierung aus Religionsgründen verbietet. Eine Kündigung, die überwiegend mit Ihrem Glauben oder Nicht-Glauben begründet wird, lässt sich vor den Arbeitsgerichten anfechten. In diesem Fall hatte die Klägerin vor den deutschen Gerichten bereits Erfolg – ein wichtiges Signal, dass die Gerichte kirchliche Kündigungen prüfen und gegebenenfalls kassieren.
  • Loyalitätspflichten genau prüfen: Natürlich gibt es Positionen in Kirche und Caritas, bei denen Loyalitätspflichten eine größere Rolle spielen (z. B. pastoral-theologische Tätigkeiten oder offentliche Verkündigung). Handeln Sie offen gegen tragende Grundsätze der Kirche, kann das arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Doch ein stiller Kirchenaustritt aus persönlichen Gründen ist – folgt man der Sicht der Generalanwältin – für sich genommen kein ausreichender Loyalitätsverstoß. Wichtig ist, dass Sie weiterhin die Kernaufgaben und Werte, die Ihr Arbeitsvertrag verlangt, erfüllen.
  • Rechtsberatung frühzeitig suchen: Wenn Ihnen als kirchlichem Mitarbeiter wegen Kirchenaustritt oder eines ähnlichen Loyalitätsthemas Konsequenzen drohen, zögern Sie nicht, fachkundigen Rat einzuholen. Die Rechtslage entwickelt sich weiter (EuGH-Urteil steht noch aus), und eine Beratung kann klären, wie Ihre Chancen stehen. Oftmals lohnt es sich, gegen eine solche Kündigung vorzugehen, wie der vorliegende Fall zeigt.

Für Arbeitgeber (kirchliche Träger und Einrichtungen)

  • Überprüfung interner Regelungen: Kirchliche Arbeitgeber – etwa Einrichtungen von Caritas und Diakonie – sollten ihre Arbeitsvertragsordnungen und Loyalitätsanforderungen im Lichte des EU-Rechts überprüfen. Wenn in einer Tätigkeit Mitarbeitende anderer oder keiner Konfession beschäftigt werden können, darf von katholischen (oder evangelischen) Beschäftigten nicht strengeres Verhalten verlangt werden als von anderen. Eine Kündigung, die nur katholische Mitarbeiter trifft (weil sie austreten), während Nicht-Katholiken diese Tätigkeit unbehelligt ausüben, wirkt widersprüchlich und diskriminierend.
  • Wesentlichkeit der Kirchenzugehörigkeit hinterfragen: Fragen Sie bei jeder Stellenausschreibung und jeder Personalentscheidung: Ist die Zugehörigkeit zur eigenen Kirche wirklich unverzichtbar für diese Stelle? Nur bei eindeutig kirchlich geprägten Aufgaben (etwa in Liturgie, Verkündigung, Seelsorge) wird man diese Frage klar bejahen können. In allen anderen Fällen ist Vorsicht geboten. Die Generalanwältin betont, dass die Religionszugehörigkeit kein Essentials ist, wenn die gleiche Tätigkeit von Andersgläubigen verrichtet werden kann. Treffen Sie Personalentscheidungen entsprechend umsichtig, um nicht gegen das Diskriminierungsverbot zu verstoßen.
  • Kirchenaustritt differenziert behandeln: Gerät ein loyaler Mitarbeiter in einen Konflikt mit der formalen Kirchenzugehörigkeit (z. B. Austritt aus persönlichen Gewissensgründen), sollte der Arbeitgeber den Einzelfall differenziert betrachten. Ein pauschales „Automatismus“-Vorgehen – Austritt gleich Kündigung – ist rechtlich riskant. Überlegen Sie, ob der Mitarbeiter tatsächlich gegen den Ethos der Einrichtung verstößt oder ob er seine Arbeit weiterhin nach den Werten der Einrichtung ausführen kann. Ein stiller Austritt ohne öffentliches Aufsehen ist nach Ansicht der Generalanwältin noch kein Grund, automatisch an der Loyalität zu zweifeln. Gegebenenfalls können Gespräche oder mildere Mittel (Versetzung, klärende Gespräche über Erwartungen) angemessen sein, statt sofort zur Kündigung zu schreiten.
  • Zukünftige EuGH-Entscheidung beachten: Halten Sie Ausschau nach dem endgültigen Urteil des EuGH in der Rechtssache C-258/24. Es ist wahrscheinlich, dass der EuGH den Schlussanträgen folgt, was bedeuten würde, dass deutsche Gerichte Kündigungen wegen Kirchenaustritts noch kritischer prüfen werden. Kirchliche Arbeitgeber müssten sich dann an diese Vorgaben halten. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bleibt wichtig, hat aber Grenzen dort, wo allgemeine arbeitsrechtliche Schutzrechte greifen. Im Zweifel sollte der Schutz vor Diskriminierung schwerer wiegen als eine starre Anwendung interner Kirchenregeln – jedenfalls in Tätigkeiten, die nicht genuin verkündigungsnah sind.

Der Fall zeigt exemplarisch, dass „Glaubensfragen“ im Arbeitsrecht immer auch Rechtsfragen sind. Kirchen und ihre Einrichtungen genießen zwar Sonderrechte, aber diese stoßen an Schranken des staatlichen Rechts. Arbeitnehmer in kirchlichen Diensten sind nicht rechtlos gestellt – sie können sich auf Gerichte und Gesetze berufen, wenn sie wegen persönlicher Gewissensentscheidungen benachteiligt werden. Arbeitgeber auf kirchlicher Seite sind gut beraten, ihre Loyalitätsobliegenheiten praxisgerecht und rechtskonform auszugestalten, um einen fairen Ausgleich zwischen ihrem Selbstverständnis und den Rechten der Beschäftigten zu finden. Die Schlussanträge der EuGH-Generalanwältin liefern hierfür eine deutliche Leitlinie: Eine Kündigung allein wegen Kirchenaustritt ist diskriminierend, solange der Mitarbeiter seine Arbeit weiterhin im Sinne der grundlegenden Werte der Kirche verrichtet und die Zugehörigkeit zur Kirche keine unverzichtbare berufliche Anforderung darstellt. Dies dürfte zukünftig sowohl von europäischen Gerichten als auch von deutschen Arbeitsgerichten berücksichtigt werden. Somit stärkt sich der rechtliche Schutz vor Diskriminierung – auch und gerade im kirchlichen Arbeitsrecht.