DNA-Identifizierungsmuster: Wann ist die Entnahme von Körperzellen verfassungsmäßig?

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 14. Mai 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 1336/20 entschieden, wann die Entnahme von Körperzellen verfassungsmäßig ist.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anordnung der Entnahme von Körperzellen zu deren molekulargenetischen Untersuchung mit dem Ziel der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters. Seine Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die auf § 81g Abs. 1 Satz 1 StPO gestützte Anordnungsentscheidung. Er macht geltend, die Entscheidungen beruhten auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Schutzbereichsumfang des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Die Feststellung, Speicherung und (künftige) Verwendung eines DNA-Identifizierungsmusters greift in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, denn diese Maßnahmen berühren die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährt Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe der auf die Grundrechtsträger bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten. Diese Verbürgung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist.

Dem Schrankenvorbehalt für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt die gesetzliche Regelung des § 81g StPO ausreichend Rechnung. Sie bezweckt die Erleichterung der Aufklärung künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung und dient einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege. Die Gerichte sind bei der Auslegung und Anwendung des § 81g StPO aber gehalten, die Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts angemessen zu berücksichtigen.

Notwendig für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81g StPO ist, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Vorausgesetzt ist als Anlass für die Maßnahme im Vorfeld eines konkreten Strafverfahrens eine Straftat von erheblicher Bedeutung. Bei milden Strafen oder einer Strafaussetzung zur Bewährung muss sich die Entscheidung in einer einzelfallbezogenen Prüfung damit auseinandersetzen, weshalb die Anlasstat erheblich ist.

Die bedeutsamen Umstände für die Prognose, gegen den Betroffenen würden erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein, müssen auf einer zureichenden Sachaufklärung beruhen und sind in der Anordnungsentscheidung nachvollziehbar darzustellen und abzuwägen. Einfachrechtlich umgesetzt sind diese verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Begründungstiefe von Anordnungsentscheidungen durch § 81g Abs. 3 Satz 5 StPO. Es bedarf einer auf den Einzelfall bezogenen Entscheidung, die auf schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen beruht und die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung belegt; die bloße Bezugnahme auf den Gesetzeswortlaut reicht nicht. Der alleinige Hinweis auf einschlägige Vorverurteilungen eines Betroffenen genügt den an eine Gefahrenprognose von Verfassungs wegen zu stellenden Anforderungen ebenso wenig.

In den Abwägungsvorgang mit einzubeziehen sind auch Umstände, die gleichermaßen bei einer Sozialprognose für die Strafaussetzung zur Bewährung oder einer Gefahrenprognose bei der Verhängung einer Maßregel bestimmend sein können, etwa ein straffreies Vorleben, die Rückfallgeschwindigkeit, der Zeitablauf seit der früheren Tatbegehung, das Verhalten des Betroffenen in der Bewährungszeit oder ein Straferlass, die Motivationslage bei der früheren Tatbegehung und die Lebensumstände und die Persönlichkeit des. Da dabei allerdings der nach dem Gesetzeszweck zwischen § 56 StGB und § 81g StPO unterschiedliche Prognosemaßstab nicht aus den Augen verloren werden darf, besteht keine rechtliche Bindung an eine von einem anderen Gericht zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung getroffene Sozialprognose. Bei gegenläufigen Prognosen verschiedener Gerichte bedarf es jedoch regelmäßig einer erhöhten Begründungstiefe für die nachfolgende gerichtliche Entscheidung, mit der eine Maßnahme nach § 81g StPO angeordnet wird.

Die Ausführungen der Beschwerdekammer zur Prognose, gegen den Beschwerdeführer würden erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein, dürften den Anforderungen an die Begründungstiefe von Anordnungsentscheidungen nach § 81g Abs. 1 Satz 1 StPO allerdings nicht genügen. Hier bestehen erhöhte Begründungsanforderungen, weil die erkennende Strafkammer die Vollstreckung der gegen den Beschwerdeführer ausgesprochenen Strafe zur Bewährung ausgesetzt und dem Beschwerdeführer damit eine positive Sozialprognose ausgestellt hat.