DocMorris: Keine Ausgabe von Arzneimitteln über Videoterminal

11. November 2021 -

Der Verwaltungsgericht Baden-Württemberg in Mannheim hat am 21.10.2021 zum Aktenzeichen 9 S 527/20 entschieden, dass das gegenüber einer niederländischen Versandapotheke ausgesprochene Verbot, in den Räumen einer ehemaligen Apotheke apothekenpflichtige Arzneimittel mittels eines Automaten in den Verkehr zu bringen, rechtmäßig ist.

Aus der Pressemitteilungen des VGH BW vom 29.04.2021 und Nr. 51/2021 vom 11.11.2021 ergibt sich:

Die Klägerin, eine niederländische Versandapotheke, bot seit dem 19. April 2017 in der Gemeinde Hüffenhardt eine „pharmazeutische Videoberatung mit angegliederter Arzneimittelabgabe“ an. Dazu wurde der Kunde in den Räumen einer ehemaligen Apotheke in Hüffenhardt über ein Videoterminal mit einem in den Niederlanden befindlichen Apotheker bzw. Pharmazeutisch-Technischen-Assistenten verbunden. Dieser entschied dann unter anderem nach Kontrolle des eingescannten ärztlichen Rezepts über die Ausgabe des von dem Kunden gewünschten Medikaments durch den mit einem Medikamentenlager verbundenen Arzneimittelautomaten.

Mit Bescheid vom 21. April 2017 untersagte das Regierungspräsidium Karlsruhe der Klägerin die weitere Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel sowie mit sofortiger Wirkung die weitere Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel mittels des Automaten. Die Klägerin verstoße gegen das Arzneimittelgesetz, da sie apothekenpflichtige Arzneimittel außerhalb einer Apotheke und nicht im Rahmen ihres Versandhandels in den Verkehr bringe. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 26. April 2017 vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben. In der Begründung ihrer Klage vertrat die Klägerin insbesondere den Standpunkt, bei der Abgabe der Medikamente mittels Videochat handele es sich um eine Art des Versandhandels. Ihr Handeln sei deswegen von ihrer niederländischen Versandhandelserlaubnis gedeckt. Außerdem verstoße das behördliche Verbot gegen Europarecht.

Das Verwaltungsgericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom 4. April 2019 abgewiesen. Die von der Klägerin angebotene Videoberatung mit anschließender Arzneimittelausgabe verstoße insbesondere gegen die in § 43 des Arzneimittelgesetzes (AMG) normierte Apothekenpflicht. Denn die Klägerin bringe die Arzneimittel weder in einer Apotheke noch im Wege des Versands in den Verkehr. So betreibe die Klägerin, die keine deutsche Apothekenerlaubnis besitze, schon nach ihrem eigenen Vortrag in Hüffenhardt keine Apotheke. Das Inverkehrbringen der Arzneimittel mittels des Arzneimittelautomaten sei aber auch kein Fall des Versandhandels. Angesichts des in § 43 AMG normierten deutschen Apothekenmonopols liege ein Versandhandel jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn – wie im vorliegenden Fall – nach außen der Eindruck des Betriebs einer Präsenzapotheke erweckt werde. Die Untersagung der von der Klägerin angebotenen Arzneimittelabgabe verstoße auch nicht gegen das Recht der Klägerin auf Warenverkehrsfreiheit. Der mit dem Apothekenmonopol verbundene Eingriff in den in der Europäischen Union geltenden Grundsatz des freien Warenverkehrs sei gerechtfertigt. Auch nach Europarecht dürfe Personen, die über keine Apothekenbetriebserlaubnis verfügen, der Besitz und der Betrieb einer Apotheke inklusive der Abgabe von Arzneimitteln zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen verwehrt werden.

Der VGH Mannheim hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Zur Begründung seines Urteils führt der 9. Senat des VGH aus:

Die zulässigen Formen des Inverkehrbringens apotheken- bzw. verschreibungspflichtiger Arzneimittel für den Endverbrauch seien im Arzneimittelrecht abschließend normiert (numerus clausus). Danach dürften Arzneimittel nur in einer Apotheke oder im Wege des zulässigen Versandes in Verkehr gebracht werden. Da die Klägerin über keine Erlaubnis für den Betrieb einer Apotheke im Bundesgebiet verfüge, komme es darauf an, ob ihr Vertriebsmodell als zulässige Form des Versandhandels betrachtet werden könne, der von ihrer niederländischen Versandhandelserlaubnis gedeckt wäre. Dies sei indes nicht der Fall. Wesentliches Abgrenzungsmerkmal zwischen dem Versandhandel und der Abgabe von Arzneimitteln in einer Apotheke sei die Notwendigkeit der Beförderung bzw. des Transports und der Auslieferung der Ware (unmittelbar) an den Kunden. Danach könne das von der Klägerin praktizierte Vertriebsmodell nicht aufgrund des „antizipierten Medikamentenversands“ dem arzneimittelrechtlichen Versandbegriff zugeordnet werden. Denn der Versand der Arzneimittel aus den Geschäftsräumen der Klägerin in den Niederlanden an die Geschäftsräume in Hüffenhardt erfolge nicht unmittelbar an den Endverbraucher, sondern diene lediglich der Vorratshaltung. Der Sache nach stelle sich das Vertriebsmodell der Klägerin als eine durch die Einschaltung des „Videoberaters“ und des ferngesteuerten Ausgabeautomaten lediglich technisch modifizierte Abgabe apotheken- bzw. verschreibungspflichtiger Arzneimittel in einer (faktischen) Apotheke dar, für die sie über keine Erlaubnis verfüge und für die ihr eine Erlaubnis auch nicht erteilt werden könne.

Die Beschränkung der Abgabe apotheken- und rezeptpflichtiger Arzneimittel an Endverbraucher auf die Abgabe innerhalb einer Apotheke und den Versand aus einer in- bzw. ausländischen Apotheke sei auch mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Der damit verbundene Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) sei im Sinne des Art. 36 AEUV zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe bereits entschieden, dass die Mitgliedstaaten den Verkauf von Arzneimitteln im Einzelhandel grundsätzlich Apothekern vorbehalten könnten. Insoweit könne ein Mitgliedstaat im Rahmen des ihm eingeräumten Wertungsspielraums der Ansicht sein, dass der Betrieb einer Apotheke durch einen Nichtapotheker eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellen könne. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe ferner festgestellt, dass kein konkretes System ersichtlich geeignet sei, ebenso wirksam wie die Regel des Ausschlusses von Nichtapothekern zu gewährleisten, dass in der Praxis nicht gegen Rechtsvorschriften zur Sicherstellung der beruflichen Unabhängigkeit der Apotheker verstoßen werde würde. Ein solches alternatives System stelle auch das Vertriebsmodell der Klägerin nicht dar. Denn es vertraue die Einhaltung arzneimittelrechtlicher Einzelanforderungen zum Schutz einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung bzw. der Arzneimittelsicherheit abhängig beschäftigten – und damit weisungsabhängigen – Apothekern und pharmakologisch-technischen Assistenten an, die zudem regelmäßig mit der Betreuung einer Vielzahl von Abgabestationen betraut sein dürften.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum BVerwG eingelegt werden.