Ein sachverständiger Arzt haftet nicht für in seiner Fachdisziplin verkannten Erkrankung

Das Oberlandesgericht Köln hat mit Urteil vom 23.09.2020 zum Aktenzeichen 5 U 162/19 in einem von Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. der Kölner Rechtsanwaltskanzlei JURA.CC vertretenen Fall entschieden, dass ein gerichtlicher, ärztlicher Sachverständige nicht haftet, wenn er eine Erkrankung seiner Fachdisziplin beim Untersuchten nicht erkennt.

Der Kläger leidet seit dem Jahr 2020 unter wiederholten Infekten der oberen Atemwege und Durchfallerkrankungen.

In einem sozialgerichtlichen Verfahren wurde der Arzt als Sachverständiger auf dem Gebiet der Inneren Medizin (Internistik) tätig.

Der ärztliche Sachverständige untersuchte den Kläger und veranlasste eine Blutuntersuchung. Dabei offenbarte sich ein IgG-Wert von 462 mg7dl bei einem Referenzbereich von 700 bis 1600 mg/dl.

Im Gutachten wird dazu nichts ausgeführt; das Laborblatt wird lediglich dem Gutachten beigefügt.

Eine internistische Erkrankung des Klägers wird vom sachverständigen Arzt nicht in Betracht gezogen.

Als sich der weiterhin dauerhaft erkrankte Kläger im Jahr 2016 einem Internisten im Wege eines Behandlungsvertrages vorstellte wurde bei einer Blutuntersuchung erneut am 25.07.2016 ein IgG-Wert von 460 mg/dl festgestellt. Der Internist überdies den Kläger zu einem Hämatologen wo sodann die Diagnose eines variablen Immundefektsyndroms (common variable immuno deficiency – SVIC) gestellt wurde. Aufgrund der verstärkten Infektneigung des Klägers empfahlen der Hämatologe eine intravenöse regelmäßige Immunglobulin-Substitution, der sich der Kläger auch seit dem unterzieht und die IgG-Werte des Klägers deutlich stiegen und die Infektneigung deutlich zurückging.

Die Schmerzensgeld- und Schadensersatz-Klage wies das Landgericht Köln zurück und auch auf die Berufung des Klägers lehnt das Oberlandesgericht Köln die Ansprüche ab.

Die Richter wiesen zunächst einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 630a BGB aufgrund eines Behandlungsvertrages zurück, da der sachverständige Arzt nicht im Auftrag des Klägers tätig geworden ist, sondern auf Veranlassung des Sozialgerichts ein Gutachten erstattete.

Auch einen Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte oder einer drittschützenden Sonderrechtsverbindung zwischen dem Sozialgericht und dem Sachverständigen lehnten die Richter ab, da keine privatrechtliche oder öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis zwischen dem Sozialgericht und dem sachverständigen Arzt bestand. Der Arzt ist gemäß § 404 Abs. 1 ZPO als Sachverständiger ausgewählt und beauftragt worden und war nach § 407 Abs. 1 ZPO, weil er den Beruf als Arzt zum Erwerb ausübte, zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet. Die Rechtsfigur einer drittschützenden Sonderrechtsverbindung zwischen Gericht und Sachverständigem lehnt der Bundesgerichtshof ab. Außerdem ist der Kläger nicht in den Schutzbereich einbezogen, da das Sozialgericht dem Kläger keinen Schutz und Fürsorge schuldete.

Auch einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ZPO bestehen nicht, da keine Vertragsverhandlungen aufgenommen, noch ein Vertrag angebahnt wurde.

Auch aus § 839a BGB besteht keine Haftung als gerichtlicher Sachverständiger, da diese Haftung nur besteht, wenn der gerichtliche Sachverständige vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet.

Auch aus § 823 Abs. 1 BGB lehnt das Oberlandesgericht Köln Haftungsansprüche ab, da der sachverständige Arzt nicht vorsätzlich oder fahrlässig die Gesundheit des Klägers widerrechtlich verletzte. Zwar ist § 823 Abs. 1 BGB anwendbar, da die Haftung als gerichtlicher Sachverständiger aus § 839a BGB ausscheidet und die Versperrung eines Rückgriffs auf § 823 BGB nur bei einer Anwendung von § 839a BGB besteht. Der sachverständige Arzt hat aber weder durch aktives Handeln noch durch ein diesem gleich stehendes Unterlassen eine Gesundheitsverletzung verursacht, da das Nichterkennen der Erkrankung des Klägers kein aktives Tun darstellt. Ein Unterlassen führt nur dann zur Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB, wenn eine Pflicht zum Handeln zur Verhütung der Rechtsgutsverletzung besteht (Garantenstellung). Ein gerichtlicher ärztlicher Sachverständiger ist nicht verpflichtet, Maßnahmen vorzunehmen, die der Gesundheitsvorsorge und der Heilung einer Erkrankung der von ihm begutachteten Partei dienen.

Der Kläger kann vom sachverständigen Arzt auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 223, 229 oder 323c StGB keinen Ersatz fordern, da der Tatbestand der vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung nach §§ 223, 229 StGB nicht verwirklicht ist, weil keine Pflicht des sachverständigen Arztes bestand einen gesundheitlichen Nachteil des Klägers zu verhüten oder abzuwenden. Und auch eine unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB ist nicht erfüllt, da es sich bei dem variablen Immundefektsyndrom (CVID) um eine lebenslang bestehende Erkrankung handelt.

Und auch aus § 826 BGB haftet der sachverständige Arzt nicht, da keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorliegt.

Ebenso haftet der sachverständige Arzt nicht aus § 829 BGB, da keine Regelungslücke besteht.