Erfolglose Verfassungsbeschwerden von Betreibern von Erneuerbare Energien-Anlagen gegen die Abschöpfung der im Zuge des Ukraine-Krieges entstandenen „Überschusserlöse“

28. November 2024 -

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 28. November 2024 zum Aktenzeichen 1 BvR 460/23, 1 BvR 611/23 entschieden, dass der Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Berufsfreiheit durch die Umverteilung der „Überschusserlöse“ von bestimmten Stromerzeugern zugunsten der privaten und gewerblichen Stromverbraucher als Reaktion auf eine nach Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 entstandene Ausnahmesituation auf dem Strommarkt gerechtfertigt ist.

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 102/2024 vom 28. November 2024 ergibt sich:

Der enorme Anstieg des Strompreises infolge der kriegsbedingten Verknappung von Gas hat insbesondere bei den Betreibern von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu außerordentlichen, die typischen Investitionserwartungen weit übersteigenden Erlösen geführt; gleichzeitig wurden Stromverbraucher außergewöhnlich stark belastet. In dieser Ausnahmesituation stellt die Umverteilung der erzielten sogenannten Überschusserlöse einen angemessenen Ausgleich zwischen den begünstigten Stromerzeugern und den belasteten Stromverbrauchern her.

Sachverhalt:

Im Jahre 2022 stieg insbesondere der Erdgaspreis als Folge der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Gasverknappung enorm an. Dadurch kam es aufgrund des für den Strommarkt maßgeblichen Preisbildungsmechanismus zu einem massiven Anstieg der Strompreise. Bei diesem Mechanismus richten sich die Preise auf dem europäischen Strommarkt nach den Referenzpreisen, die auf dem sogenannten Day-Ahead-Markt im Rahmen einer börslichen Auktion für den Folgetag gebildet werden. Bei diesen Auktionen werden die Zuschläge nicht in der Reihenfolge der günstigsten Gebote erteilt, sondern in der Reihenfolge der ansteigenden, von den Betreibern angegebenen und insbesondere von den Brennstoffkosten abhängigen Grenzkosten ihrer Stromerzeugungsanlagen. Dabei bestimmen die höchsten Grenzkosten der zuletzt zur Deckung des Strombedarfs eingesetzten Anlagen den für alle Anbieter maßgeblichen Einheitspreis. Da zur Deckung des Strombedarfs nicht selten auch die teuren Gaskraftwerke eingesetzt werden mussten, führten deren kriegsbedingt enorm angestiegene Brennstoffkosten zu einem massiven Anstieg des einheitlichen Strompreises. Dieser Anstieg des einheitlichen Strompreises führte bei den Betreibern von Stromerzeugungsanlagen mit geringen Brennstoffkosten, zu denen insbesondere die Erneuerbare-Energien-Anlagen gehören, zu außerordentlich hohen Gewinnen.

Auf Seiten der Verbraucher lösten die massiv gestiegenen Strompreise einen unerwarteten Kostenschock für Unternehmen und private Haushalte aus. Die Unsicherheiten über eine bezahlbare Energieversorgung der Unternehmen und privaten Haushalte wurde als außergewöhnliche Notsituation eingestuft. Private und gewerbliche Stromverbraucher wurden dazu aufgerufen, jede mögliche Anstrengung zur Einsparung von Strom zu nutzen.

Vor diesem Hintergrund erging eine Notfallverordnung der Europäischen Union, die den Mitgliedstaaten eine Abschöpfung der über eine festgelegte Obergrenze hinausgehenden Erlöse und deren gezielte Verwendung zur Entlastung der Stromverbraucher von den hohen Stromkosten vorgab. Die außerordentlich hohen Erlöse aus dem Verkauf von Strom sollten angesichts der Belastung der Verbraucher durch die extrem hohen Preise nach Maßgabe der vor dem Ukraine-Krieg bestehenden Investitionserwartungen begrenzt werden. Deutschland hat diese Vorgabe mit dem Strompreisbremsegesetz umgesetzt. Dieses legt unterschiedliche Erlösobergrenzen fest, die sich an den Kostenstrukturen der verschiedenen Stromerzeugungsarten orientieren. Soweit die fiktiv am Markt erzielbaren oder die tatsächlich aufgrund von Verträgen erzielten Erlöse aus dem Verkauf von Strom diese Obergrenzen überschreiten, werden sie abgeschöpft und sollen im Wege eines privatwirtschaftlichen Wälzungsmechanismus über die Netzbetreiber, die Übertragungsnetzbetreiber und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen letztlich den Stromverbrauchern zugutekommen.

Die insgesamt 22 Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer betreiben Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Solarenergie, aus Windenergie oder aus fester Biomasse. Sie wenden sich unmittelbar gegen die gesetzlich vorgeschriebene Abschöpfung ihrer über die festgelegten Obergrenzen hinausgehenden „Überschusserlöse“ sowie gegen die mit administrativen Lasten einhergehenden Pflichten zur Mitwirkung bei dieser Abschöpfung (§§ 13, 14, 15, 16, 17, 18, 29 Strompreisbremsegesetz). Dieser Eingriff in ihre Berufsfreiheit sei nicht gerechtfertigt. Die Erlösabschöpfung sei als Sonderabgabe zur Finanzierung der Verbraucherentlastung zu beurteilen, die die für solche Abgaben geltenden finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen nicht erfülle. Ihre Stromerzeugungsanlagen hätten im Unterschied zu den Gaskraftwerken nicht zu den hohen Strompreisen beigetragen, sondern im Gegenteil preisdämpfend gewirkt. Auch sonst komme ihnen keine besondere Verantwortung für die Entlastung der Stromverbraucher zu. Hierbei handele es sich um eine Maßnahme, die im allgemeinen sozial- und konjunkturpolitischen Interesse liege und daher allein aus Steuermitteln zu finanzieren sei.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die nur teilweise zulässigen Verfassungsbeschwerden sind unbegründet.

Die angegriffenen Regelungen sind am Maßstab des Grundgesetzes zu prüfen. Sie sind durch die Notfallverordnung der Europäischen Union nicht vollständig unionsrechtlich vorgegeben, sondern bewegen sich innerhalb des durch die Verordnung eröffneten Umsetzungsspielraums.

Allerdings greift die Abschöpfung der Überschusserlöse in die nach Art. 12 Abs. 1 GG als Ausprägung der Berufsfreiheit geschützte Unternehmensfreiheit ein. Das gilt auch für die mit erheblichen administrativen Lasten einhergehenden Mitwirkungspflichten der betroffenen Anlagenbetreiber. Diese Eingriffe sind jedoch sowohl formell als auch materiell verfassungsgemäß.

Die Erlösabschöpfung ist durch die Sachgesetzgebungskompetenz des Bundes für das Energiewirtschaftsrecht gedeckt. Einer Steuergesetzgebungskompetenz bedarf es nicht.

Bei der Maßnahme handelt es sich mangels Aufkommenswirkung zugunsten des Bundes weder um eine Steuer noch um eine nichtsteuerliche Abgabe.

Die von den betroffenen Anlagenbetreibern zu leistenden Abschöpfungsbeträge verschaffen dem Bund keine Einnahmen. Die Abschöpfungsbeträge werden vielmehr auf der Grundlage privater Rechtsbeziehungen von den Betreibern von Stromerzeugungsanlagen über die Netzbetreiber, Übertragungsnetzbetreiber und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen bis zu den Stromverbrauchern „gewälzt“. Regelungsgegenstand ist also eine Umverteilung unter Privaten, die darin besteht, dass den Stromerzeugern ein Teil ihrer Erlöse aus dem Verkauf von Strom entzogen und letztlich auf die Stromverbraucher übertragen wird. Dem Bund kommt nur die Rolle einer darlehensähnlichen Vorfinanzierung der im Rahmen des Wälzungsmechanismus von den Elektrizitätsversorgungsunternehmen gegenüber den Verbrauchern zu erbringenden Entlastung zu.

Die Erlösabschöpfung begründet daher eine Zahlungspflicht zwischen Privaten ohne Aufkommenswirkung zugunsten der öffentlichen Hand und muss mangels Konkurrenz zur Steuer keinen besonderen finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Der Bund kann sich hierfür auf seine Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Energiewirtschaft berufen.

Die Maßnahme ist auch materiell verfassungsgemäß. Sie verfolgt ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel und ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen.

Die Abschöpfung der über die festgelegten Obergrenzen hinausgehenden Erlöse dient dem Ziel, einen Ausgleich zwischen den durch die kriegsbedingten Verwerfungen auf dem Energiemarkt außerordentlich begünstigten Betreibern von Stromerzeugungsanlagen und den wegen desselben Ereignisses außerordentlich belasteten Stromverbrauchern dadurch herzustellen, dass die über die Investitionserwartungen vor dem Ukraine-Krieg hinausgehenden Erlöse zur Entlastung der Verbraucher verwendet werden. Dieses Ziel ist legitim.

Die Erlösabschöpfung ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich. Insbesondere stellt die Verwendung von Haushaltsmitteln anstelle einer Erlösabschöpfung kein milderes Mittel dar, weil dadurch nur die Kostenlast auf die Allgemeinheit verschoben würde und das Ziel eines Interessenausgleichs zwischen Anlagenbetreibern und Stromverbrauchern nur durch eine Abschöpfung der Überschusserlöse der Betreiber erreicht werden kann. Auch eine Umstellung der Strompreisbildung auf ein Verfahren, bei dem der Zuschlag nach den günstigsten Geboten und nicht zu einem Einheitspreis erteilt wird, ist keine die betroffenen Stromerzeuger weniger belastende, aber gleich wirksame Alternative zur Zielerreichung. Das Einheitspreisverfahren sichert die günstigsten Strompreise, weil stets nur die Anlagen mit den geringsten Grenzkosten zur Deckung des aktuellen Strombedarfs zum Einsatz kommen. Daher hätte dem massiven Anstieg des Strompreises im Zuge des Ukraine-Krieges auch durch ein Gebotspreisverfahren nicht besser begegnet werden können.

Die mit der Erlösabschöpfung verbundene Beeinträchtigung der Berufsfreiheit ist angemessen.

Zwar kann eine Umverteilung unter Privaten, mit der außerhalb der betroffenen Privatrechtsverhältnisse liegende Gemeinwohlaufgaben verfolgt werden, den zahlungspflichtigen Privaten jedenfalls dann nicht zugemutet werden, wenn sie in keinem spezifischen Näheverhältnis zu solchen Aufgaben stehen. Hier geht es jedoch um die Herstellung eines Ausgleichs zwischen den durch den massiven Anstieg der Strompreise außergewöhnlich begünstigten Stromerzeugern und den dadurch ebenfalls außergewöhnlich belasteten Stromverbraucherinnen und -verbrauchern. Dieses auf einen Interessenausgleich unter Privaten bezogene Ziel kann nicht durch die Verwendung von Haushaltsmitteln erreicht werden.

Auch sonst genügt die Maßnahme insgesamt dem Gebot der Angemessenheit.

Die Abschöpfung der Überschusserlöse greift mit erheblichem Gewicht in die Berufsfreiheit der betroffenen Stromerzeuger ein. Dies folgt vor allem aus dem Umstand, dass auf Erlöse zugegriffen wird, die das Ergebnis einer freien wettbewerblichen Preisbildung sind.  Zudem kann gerade den von der Abschöpfung betroffenen Stromerzeugern der massive Anstieg der Strompreise nicht zugerechnet werden. Hinzu kommen die auch mit finanziellem Aufwand verbundenen Erschwernisse der beruflichen Tätigkeit durch umfangreiche Mitwirkungspflichten bei der Selbstveranlagung der Überschusserlöse. Deutlich eingriffsmindernd wirken hingegen die kurze Befristung der Erlösabschöpfung auf die Zeit nach dem 30. November 2022 und vor dem 1. Juli 2023 sowie der Umstand, dass auf einen wesentlichen Teil der seit Beginn des Ukraine-Krieges angefallenen außergewöhnlichen Erlöse nicht zugegriffen wird.

Dem bezweckten Ausgleich zwischen den krisenbedingten Begünstigungen und den krisenbedingten Belastungen kommt schon angesichts der außergewöhnlichen Dimension dieses Ungleichgewichts ebenfalls erhebliches Gewicht zu.

Die Umverteilung zwischen Unternehmen und Verbrauchern in einem Markt mit freier wettbewerblicher Preisbildung, die Angebot und Nachfrage in ein Gleichgewicht bringt, ist mit Blick auf die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit rechtfertigungsbedürftig. Allein der Umstand, dass bei einer wettbewerblichen Preisbildung in Knappheitssituationen besonders hohe Gewinne oder Erlöse anfallen, kann deren Abschöpfung zugunsten der Verbraucher nicht rechtfertigen.

Hier war die Abschöpfung von aus dem Stromverkauf erzielten Überschusserlösen zugunsten der Stromverbraucher jedenfalls angesichts der Spezifika der Ausnahmesituation, der die Strompreisbremse begegnen sollte, angemessen. Strom ist ein zur Deckung existenzieller Bedarfe unverzichtbares Gebrauchsgut. Die hohen Preise haben bei den Stromverbrauchern in erheblichem Umfang unvermeidbare außergewöhnliche Belastungen ausgelöst und die Erlöse der in Anspruch genommenen Stromerzeuger haben die typischen Investitionserwartungen weit überstiegen, ohne dass diese Erlöse auf Dauer preisdämpfende Investitionsanreize setzen konnten.

Der danach gegebenen Rechtfertigung steht schließlich auch nicht entgegen, dass die Mitwirkungspflichten der von der Abschöpfung betroffenen Stromerzeuger, aber auch der Netzbetreiber, Übertragungsnetzbetreiber und Elektrizitätsversorgungsunternehmen bei der Wälzung der Abschöpfungsbeträge zu den Verbrauchern einen hohen administrativen Aufwand auslösen. Zwar sind hier die verschiedenen administrativen Lasten in ihrer Größenordnung gemessen an den nach Angaben der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung tatsächlich erzielten Abschöpfungsbeträgen erheblich. Der Gesetzgeber ist aber zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Verabschiedung des Strompreisbremsegesetzes von deutlich höheren Abschöpfungsbeträgen ausgegangen und dabei im Rahmen des ihm zustehenden Prognose- und Beurteilungsspielraums geblieben.