EuGH-Generalanwalt: Erlass einer naturschutzrechtlich veranlassten Schutzgebietsverordnung auch ohne strategische Umweltprüfung?

16. September 2021 -

Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona hat am 16.09.2021 im Verfahren für den Europäischen Gerichtshof zum Aktenzeichen C-300/20 seine Schlussanträge zu der Frage vorgelegt, ob dem Erlass einer Regelung wie der Verordnung des Landkreises Rosenheim vom 10.04.2013 über das Landschaftsschutzgebiet „Inntal Süd“ eine Strategische Umweltprüfung vorausgehen muss.

Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 16.09.2021 ergibt sich:

Der bayerische Landkreis Rosenheim erließ am 10. April 2013 (mit Wirkung vom 27. April 2013) die Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet „Inntal Süd“ (LSG-Verordnung), ohne eine Strategische Umweltprüfung (SUP) im Sinne der EU-Richtlinie über „Strategische Umweltprüfung“ (SUP-Richtlinie) oder eine Vorprüfung für eine solche Prüfung durchgeführt zu haben.

Die Verordnung stellt ein etwa 4 021 ha großes Gebiet unter Schutz, das ca. 650 ha kleiner ist als das von früheren Rechtsvorschriften aus den Jahren 1952 und 1977, die teilweise oder vollständig außer Kraft getreten sind, geschützte Gebiet. Der Bund Naturschutz in Bayern e. V., der am Aufstellungsverfahren der LSG-Verordnung beteiligt, mit ihrem Inhalt aber nicht einverstanden war, focht sie beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof an, der seinen Antrag als unzulässig abwies. Der Bund Naturschutz legte daraufhin Revision beim deutschen Bundesverwaltungsgericht ein, das den EuGH um Auslegung der SUP-Richtlinie ersucht. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass die Revision gemäß nationalem Recht unzulässig sei. Für einen Normenkontrollantrag fehle die Antragsbefugnis, denn der Bund Naturschutz könne keine Rechtsverletzung geltend machen. Der Antrag sei nicht statthaft, da der Erlass der LSG-Verordnung nach nationalem Recht keiner Pflicht zur Durchführung einer SUP oder Vorprüfung unterlegen habe.

Die Beantwortung seiner Fragen könne aber, so das Bundesverwaltungsgericht, zum Erfolg der Anträge des Bund Naturschutz führen. So sollen die ersten beiden Fragen zur Klärung beitragen, ob für die streitige Verordnung nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a SUP-Richtlinie eine Pflicht zur Durchführung einer SUP bestanden habe. In diesem Fall sei der Rechtsbehelf zulässig und auch in der Sache erfolgreich: Das Bundesverwaltungsgericht müsste die LSG-Verordnung voraussichtlich für unwirksam erklären, weil ein für den Erlass der Verordnung zwingender Verfahrensschritt unterlassen worden sei. Die dritte Frage, die Art. 3 Abs. 4 SUP-Richtlinie betreffe, sei ebenfalls entscheidungserheblich. Sollte durch die LSG-Verordnung ein Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten im Sinne dieser Vorschrift gesetzt werden, hätte der Landkreis Rosenheim sie nach nationalem Recht einer Vorprüfung und damit einer Einzelfallprüfung im Sinne von Art. 3 Abs. 5 SUP-Richtlinie unterziehen müssen. Auch in diesem Fall wäre der Rechtsbehelf zulässig und begründet, und die Verordnung müsste für unwirksam erklärt werden.

Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona vertritt in seinen Schlussanträgen vom 16.09.2021 die Ansicht, dass eine Strategische Umweltprüfung vor dem Erlass einer Regelung wie der hier streitigen LSG-Verordnung des Landkreises Rosenheim nicht zwingend sei. Es sei jedoch Sache des Bundesverwaltungsgerichts, zu prüfen, ob diese Verordnung einen Referenzrahmen für die Annahme von Projekten setzt (und daher vor ihrem Erlass der Durchführung einer SUP bedurfte). In seinem Vorlagebeschluss gehe es offenbar davon aus, dass das nicht der Fall sei, da die Verordnung nicht die Zulassung von Projekten in einem spezifischen Bereich steuere, sondern vorrangig der Verhinderung oder jedenfalls der naturschutzgerechten Gestaltung von Projekten diene.

Der Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof vor, dem Bundesverwaltungsgericht wie folgt zu antworten:

  1. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme ist dahin auszulegen, dass eine Verordnung zum Schutz von Natur und Landschaft, die allgemeine Verbotstatbestände (mit Befreiungsmöglichkeit) sowie Erlaubnispflichten vorsieht, aber keine hinreichend detaillierten Bestimmungen über den Inhalt, die Ausarbeitung und die Umsetzung von in den Anhängen I und II der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten aufgeführten Projekten enthält, nicht in seinen Anwendungsbereich fällt, auch wenn sie einige Maßnahmen in Bezug auf Handlungen enthält, die in solchen Projekten geregelt werden.
  2. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/42 ist dahin auszulegen, dass er auf eine Verordnung zum Schutz von Natur und Landschaft, die kein Plan oder Programm mit erheblichen Umweltauswirkungen in anderen als den in Abs. 2 dieses Artikels geregelten Bereichen ist, weil sie keine hinreichend detaillierten Bestimmungen über den Inhalt, die Ausarbeitung und die Umsetzung von in den Anhängen I und II der Richtlinie 2011/92 aufgeführten Projekten enthält, nicht anwendbar ist.