EuGH zur Leiharbeit

16. Dezember 2022 -

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 15.12.2022 zum Aktenzeichen C‑311/21 entschieden, dass Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung durch ihre Bezugnahme auf den Begriff „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ nicht erfordert, ein den Leiharbeitnehmern eigenes Schutzniveau zu berücksichtigen, das über dasjenige hinausgeht, das durch nationales Recht und Unionsrecht betreffend die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für die Arbeitnehmer im Allgemeinen festgelegt ist. Lassen die Sozialpartner jedoch durch einen Tarifvertrag Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zum Nachteil von Leiharbeitnehmern zu, muss dieser Tarifvertrag, um den Gesamtschutz der betroffenen Leiharbeitnehmer zu achten, ihnen Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewähren, die geeignet sind, ihre Ungleichbehandlung auszugleichen.

Die Frage, ob die Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern erfüllt ist, ist konkret zu beurteilen, indem für einen bestimmten Arbeitsplatz die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die für die von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar eingestellten Arbeitnehmer gelten, mit denen verglichen werden, die für Leiharbeitnehmer gelten, um so feststellen zu können, ob die in Bezug auf diese wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewährten Ausgleichsvorteile es ermöglichen, die Auswirkungen der Ungleichbehandlung auszugleichen.

Die Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern verlangt nicht, dass der betreffende Leiharbeitnehmer durch einen unbefristeten Arbeitsvertrag an das Leiharbeitsunternehmen gebunden ist.

Der nationale Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, die Voraussetzungen und Kriterien für die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern im Sinne dieser Bestimmung vorzusehen, wenn der betreffende Mitgliedstaat den Sozialpartnern die Möglichkeit einräumt, Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zum Nachteil der Leiharbeitnehmer zulassen.

Tarifverträge, die Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zum Nachteil von Leiharbeitnehmern zulassen, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen können müssen, um zu überprüfen, ob die Sozialpartner ihrer Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes dieser Arbeitnehmer nachkommen.