familiengerichtliche Entscheidung zur Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil allein

29. Dezember 2023 -

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 17. November 2023 zum Aktenzeichen 1 BvR 1076/23 der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung zur Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil allein stattgegeben.

Die Beschwerdeführerin ist die Mutter von zwei 2012 und 2016 geborenen, aus der Ehe mit dem Vater hervorgegangenen Kindern. Die Eltern trennten sich im Februar 2020. Das Verhältnis der Eltern ist seitdem hochstrittig und durch eine Vielzahl von kindschaftsrechtlichen Verfahren geprägt. Der Vater behauptet, die Beschwerdeführerin leide an psychischen Problemen. Zudem macht er geltend, die Beschwerdeführerin habe ihm die Kinder entfremdet. Die Beschwerdeführerin wirft ihrerseits dem Vater Drogenmissbrauch vor sowie in der Vergangenheit ihr gegenüber gewalttätig gewesen zu sein.

Im Juni 2020 hatte das Familiengericht dem Vater im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder übertragen, weil die Beschwerdeführerin kein Wechselmodell wollte, die Kinder aber nach ihren damaligen Angaben gleichviel Zeit mit beiden Eltern verbringen wollten und der Vater erklärt habe, das Wechselmodell sicherzustellen. Zudem hatte es die vorläufige Herausgabe der Kinder an den Vater angeordnet. Diese Anordnung war anschließend noch im Juni 2020 unter Mitwirkung von Jugendamt, Gerichtsvollzieher und Polizei vollzogen worden, nachdem zuvor bereits zwei auf die Vollstreckung der Herausgabe gerichtete Polizeieinsätze erfolglos verlaufen waren.

In einem Hauptsacheverfahren zum Sorgerecht hatte das Familiengericht ein Gutachten eingeholt, das Ende Oktober 2020 zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Kinder ihren Lebensmittelpunkt bei der Beschwerdeführerin haben sollten, weil sie zu ihr die stärkere Bindung hätten und zu ihr strebten. Der Vater solle ein großzügiges Umgangsrecht erhalten, allerdings werde eine hälftige Aufteilung der Betreuung auf Dauer nicht für sinnvoll erachtet, solange das Konfliktniveau so hoch sei. Die Kinder hätten sich ganz klar geäußert, bei der Beschwerdeführerin leben und den Vater regelmäßig besuchen zu wollen.

Mit Beschluss vom 17. Februar 2021 hatte das Familiengericht, dem Gutachten insoweit folgend, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Beschwerdeführerin übertragen und Umgangskontakte des Vaters mit den Kindern nahezu paritätisch geregelt. Die dagegen gerichteten Beschwerden beider Eltern waren vor dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben.

Trotz der angeordneten Umgangsregelung ließ die Beschwerdeführerin jedenfalls seit dem 30. September 2022 keine Umgangskontakte des Vaters mit den Kindern mehr zu. Sie begründete dies damit, dass die Kinder mittlerweile keinen Kontakt mit dem Vater wünschten. Wegen der Weigerung wurden mehrere Ordnungsmittelverfahren gegen die Beschwerdeführerin geführt und es kam zu sechs Ordnungsmittelbeschlüssen gegen diese, nicht aber zu Umgangskontakten des Vaters.

Auf Anregung des Vaters wurde das der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegende einstweilige Anordnungsverfahren zum Sorgerecht eingeleitet, in dem der Vater anregte, ihm einstweilen das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen, weil die Kinder vor einer weiteren Entfremdung und kindeswohlabträglicher Beeinflussung durch die Beschwerdeführerin zu schützen seien. Die Beschwerdeführerin verweigere fortlaufend die Umgangskontakte mit den Kindern und sei nicht bereit, ihr Verhalten zu ändern.

In diesem Verfahren übertrug das Familiengericht mit Beschluss vom 15. November 2022 wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsrecht für beide Kinder auf den Vater. Eine Änderung der vorherigen Entscheidung sei aus dringenden, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Gründen angezeigt. Dadurch, dass die Beschwerdeführerin keinen Umgang der Kinder mit dem Vater ermögliche, sei das Wohl der Kinder nachhaltig beeinträchtigt. Auf weitere Anregung des Vaters verpflichtete das Familiengericht mit Beschluss vom 14. Dezember 2022 die Beschwerdeführerin, die Kinder unverzüglich an den Vater herauszugeben. Diese Anordnung wurde am 22. Dezember 2022 mit Hilfe von Gerichtsvollzieher, Polizei und Jugendamt vollstreckt, nach Angabe der Beschwerdeführerin gegen ihren Willen.

Im weiteren Verlauf des einstweiligen Anordnungsverfahrens bestellte das Familiengericht den Kindern einen neuen Verfahrensbeistand. Dieser erstattete nach Gesprächen mit den Kindern Bericht. Er empfahl, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Beschwerdeführerin zurück zu übertragen, weil der trotz dramatischer Umstände der Herausnahme klar geäußerte Wille der Kinder Ausdruck ihrer Bindungspräferenzen und daher beachtlich sei. Nachdem das Familiengericht die Sache nach Maßgabe von § 54 Abs. 2 FamFG mündlich mit den Beteiligten erörtert hatte, hob es seine einstweilige Anordnung vom 15. November 2022 auf mit der Folge, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht wieder bei der Beschwerdeführerin lag.

Dagegen erhob der Vater Beschwerde. Im Beschwerdeverfahren berichtete der Verfahrensbeistand mit Schriftsatz vom 8. März 2023 und sah keine Grundlage für eine Abänderung des familiengerichtlichen Beschlusses. Die Bedürfnisse der Eltern stünden nicht über dem Kindeswohl. Auch die Umgangspflegerin teilte mit, dass beide Kinder nicht mehr zum Vater wollten und die Umgangskontakte so wie zwischenzeitlich in einem Parallelverfahren geregelt nicht durchführbar seien.

Mit angegriffenem Beschluss vom 8. Mai 2023 änderte des Oberlandesgericht den Beschluss des Familiengerichts vom 17. Februar 2021 ab und übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder auf den Vater zur alleinigen Ausübung. Es stützte seine Entscheidung auf § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB. Die Übertragung dieses Teilbereichs der elterlichen Sorge auf den Vater entspreche trotz der Ablehnung von Kontakten mit dem Vater durch die Kinder derzeit ihrem Wohl am besten. Die bereits zuvor befürchtete Entfremdung der Kinder vom Vater habe sich nunmehr bewahrheitet. Die Beschwerdeführerin sehe sich offensichtlich nicht dazu veranlasst, gerichtlichen Beschlüsse und Regelungen Folge zu leisten. Anders könne die Vielzahl von Ordnungsmitteln nicht erklärt werden. Selbst der im Parallelverfahren angeordnete Regelumgang mit dem Vater werde von der Beschwerdeführerin nicht gewährleistet. Für die nun geäußerte eklatante Ablehnung des Vaters durch die Kinder fänden sich in der familiengerichtlichen Anhörung vom 21. Januar 2023 keine Anhaltspunkte. Angesichts des fortdauernden Verhaltens der Beschwerdeführerin zu Lasten beider Kinder habe der Senat inzwischen erhebliche Zweifel an ihrer Erziehungsfähigkeit. Diese solle im Hauptsacheverfahren durch ein Gutachten geklärt werden, wobei die Beschwerdeführerin bereits erklärt habe, an einer Begutachtung nicht teilzunehmen und auch mit der Begutachtung der Kinder nicht einverstanden zu sein. Um einer weiteren beziehungsweise vollständigen Entfremdung der Kinder von dem Vater entgegenzuwirken, sei das Aufenthaltsbestimmungsrecht vorläufig auf den Vater zu übertragen. Bei seiner Entscheidung unterstelle der Senat, dass beide Kinder Kontakt zum Vater ablehnten, wie im Bericht des Verfahrensbeistands geschildert. Aus Kindeswohlgesichtspunkten sei in Kenntnis dieser Ablehnung jedoch abweichend zu entscheiden.

Die Beschwerdeführerin legte gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Anhörungsrüge ein, die dieses mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 17. Mai 2023 zurückwies. Das Gericht habe das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin nicht verletzt. Bei Beschlussfassung seien sämtliche bis zu diesem Zeitpunkt vorliegende Umstände, insbesondere auch der umfassende Vortrag der Beschwerdeführerin, gewürdigt worden. Soweit der Senat eine andere Auffassung eingenommen habe, als die Beschwerdeführerin dies wünsche, stelle dies keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör dar.

Das Familiengericht verpflichtete mit Beschluss vom 12. Juni 2023 im Wege der einstweiligen Anordnung die Beschwerdeführerin, die Kinder an den Vater herauszugeben. Es stützt seine Entscheidung auf § 1632 Abs. 1 BGB. Die Beschwerdeführerin halte dem Vater die Kinder entgegen dem Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Mai 2023 widerrechtlich vor.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Mai 2023 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

Das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen. Im Verhältnis zum Kind bildet allerdings das Kindeswohl die maßgebliche Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung. Der Schutz des Elternrechts, das dem Vater und der Mutter gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann. Die Einbeziehung beider Elternteile in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG bedeutet jedoch nicht, dass diesen jeweils die gleichen Rechte im Verhältnis zum Kind einzuräumen sind, vielmehr bedarf das Elternrecht der am Kindeswohl ausgerichteten Ausgestaltung durch den Gesetzgeber, die von den Gerichten im Einzelfall umzusetzen ist. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB in verfassungsgemäßer Weise bestimmt, dass die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil erfolgt, wenn zu erwarten ist, dass dies dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Die Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB beziehungsweise die Voraussetzungen des § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Abänderung einer Sorgerechtsentscheidung erfüllt sind, obliegt den Fachgerichten. Die von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen und die von ihnen im Einzelnen vorgenommene Abwägung werden vom Bundesverfassungsgericht im Grundsatz nicht vollumfänglich kontrolliert. Der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterliegt jedoch, ob fachgerichtliche Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruhen. Die Intensität dieser Prüfung hängt davon ab, in welchem Maße von der Entscheidung Grundrechte beeinträchtigt werden.

Prüfungsmaßstab und -intensität des Bundesverfassungsgerichts sind bei der Prüfung der Vereinbarkeit des Ausschlusses eines Elternteils von der gemeinsamen Sorge mit dem Elterngrundrecht im Verhältnis zur Konstellation des Art. 6 Abs. 3 GG zurückgenommen. Der in der vollständigen oder teilweisen Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge auf der Grundlage von § 1671 BGB liegende Eingriff in das Elternrecht des einen Elternteils ist letztlich nur die Kehrseite davon, dass die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl nicht gleichermaßen entspräche und dass es sich deswegen nicht vermeiden lässt, dass nicht beide Elternteile einen gleichen Kontakt und eine gleiche Zuwendung zu ihrem Kind entfalten können.

Bei der Entscheidung über die Aufrechterhaltung oder (ggf. auch lediglich teilweise) Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 1 oder 2 BGB ist der Wille des Kindes zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist. Mit der Kundgabe seines Willens macht das Kind zum einen von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch. Ein vom Kind kundgetaner Wille kann Ausdruck von Bindungen zu einem Elternteil sein, die es geboten erscheinen lassen können, ihn in dieser Hinsicht zu berücksichtigen. Denn jede gerichtliche Lösung eines Konflikts zwischen den Eltern, die sich auf die Zukunft des Kindes auswirkt, muss nicht nur auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein, sondern das Kind auch in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen, weil die sorgerechtliche Regelung entscheidenden Einfluss auf das weitere Leben des Kindes nimmt und es daher unmittelbar betrifft. Hat der unter diesem Aspekt gesehene Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringeres Gewicht, so kommt ihm im zunehmenden Alter des Kindes vermehrt Bedeutung zu. Die Nichtberücksichtigung des Kindeswillens kann dann gerechtfertigt sein, wenn die Äußerungen des Kindes dessen wirkliche Bindungsverhältnisse, etwa aufgrund Manipulation eines Elternteils, nicht zutreffend bezeichnen oder, wenn dessen Befolgung seinerseits mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist und zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde.

Aus der grundrechtlichen Gewährleistung des Elternrechts wie auch aus der Verpflichtung des Staates, über dessen Ausübung im Interesse des Kindeswohls zu wachen, ergeben sich Folgerungen für das Prozessrecht und seine Handhabung in Sorgerechtsverfahren; das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein, um der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen (vgl. BVerfGE 84, 34 <49>). Diesen Anforderungen werden die Gerichte nur gerecht, wenn sie sich mit den Besonderheiten des Einzelfalls auseinandersetzen, die Interessen der Eltern sowie deren Einstellung und Persönlichkeit würdigen und auf die Belange des Kindes eingehen. Die Gerichte müssen ihr Verfahren so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können.

Eine dem Elternrecht genügende Entscheidung kann nur aufgrund der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen werden, bei der allerdings auch zu berücksichtigen ist, dass die Abwägung nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren ist. Denn Maßstab und Ziel einer Sorgerechtsentscheidung ist nicht der Ausgleich persönlicher Defizite zwischen den Eltern, sondern allein das Kindeswohl.

Mit den vorgenannten materiell- und verfahrensrechtlichen Maßgaben des Grundgesetzes gehen außerdem Anforderungen an die Begründung der fachgerichtlichen Entscheidung einher. Betreffen diese das Sorgerecht, ohne aber dem strengen, aus Art. 6 Abs. 3 GG folgenden Prüfungsmaßstab zu unterliegen, sind die Anforderungen an die Begründungsintensität geringer. Während beispielsweise bei Geltung des strengen Kontrollmaßstabs zu verlangen ist, dass für ein Abweichen von den Feststellungen und Wertungen des Gutachtens neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen und das Gericht sich damit intensiv auseinandersetzen muss, ist bei dem eingeschränkten Maßstab grundsätzlich eine nachvollziehbare, plausible Auseinandersetzung ausreichend. Einer näheren Begründung bedarf es regelmäßig aber insbesondere dann, wenn das Gericht der Einschätzung der Sachverständigen oder der beteiligten Fachkräfte (insbesondere Verfahrensbeistand, Jugendamt, Familienhilfe, Vormund) nicht folgt.

Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Mai 2023 aus mehreren Gründen nicht. Er trägt dem Elternrecht der Beschwerdeführerin sowohl materiell als auch in seiner Anwendung auf die Verfahrensgestaltung und die Begründungsanforderungen nicht hinreichend Rechnung.

Die Begründung des angegriffenen Beschlusses lässt nicht erkennen, dass das Oberlandesgericht seine Entscheidung unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen hat. So ist es jedenfalls nicht ausdrücklich auf das im Oktober 2020 in einem Vorverfahren ebenfalls zur elterlichen Sorge eingeholte Sachverständigengutachten eingegangen. Dieses war von einer stärkeren Bindung der Kinder zur Beschwerdeführerin als zum Vater ausgegangen sowie davon, dass diese zur Beschwerdeführerin strebten. Es hatte deshalb eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Beschwerdeführerin empfohlen. Das Oberlandesgericht war zwar von Verfassungs wegen nicht gehalten, der überdies bereits länger zurückliegenden sachverständigen Einschätzung zu folgen. Unter Berücksichtigung der im Übrigen von dem Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen bedurfte es hier jedoch näherer Darlegungen dazu, warum das Gericht der Einschätzung des Gutachtens nicht folgt.

Eine nähere Auseinandersetzung mit dem Gutachten aus dem Vorverfahren war hier wegen des Gebots einer möglichst tragfähigen Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung angezeigt, weil im zugrunde liegenden Ausgangsverfahren der Verfahrensbeistand sich in einer ausführlichen Stellungnahme ebenfalls für eine (vorläufige) Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Beschwerdeführerin ausgesprochen hatte. Auch unter Geltung des zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs muss das Fachgericht die fachlichen Stellungnahmen jedenfalls erkennbar in seine Abwägung einbeziehen und bei einer Abweichung davon plausibel machen, warum es abweicht. Hier ist bereits eine erkennbare Einbeziehung der Stellungnahme des Verfahrensbeistands durch das Oberlandesgericht nicht erfolgt. Es stellt nicht einmal dar, was der Verfahrensbeistand berichtet hat und dass diese fachliche Einschätzung von seiner eigenen Beurteilung abweicht. Das Oberlandesgericht war zwar nicht — ebenso wenig in Bezug auf das Gutachten aus dem Vorverfahren — verfassungsrechtlich gehalten, der Einschätzung des Verfahrensbeistandes zu folgen, zumal sich aus dem Verhalten der Beschwerdeführerin unter anderem im Zusammenhang mit der Durchführung des Umgangs mit dem Vater Anhaltspunkte dafür ergeben können, dass die vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Beschwerdeführerin dem Kindeswohl nicht am besten entspricht. Das näher darzulegen, war allerdings unter Berücksichtigung abweichender Einschätzungen des Verfahrensbeistandes und des früheren Sachverständigengutachtens hier geboten.

Die angegriffene Entscheidung genügt auch insoweit nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Berücksichtigung des von den beiden Kindern geäußerten Willens. Anders als bezüglich der Einschätzung des Verfahrensbeistands erkennt und benennt das Oberlandesgericht hier zwar, dass es gegen den deutlich geäußerten Kindeswillen entscheidet. Da das ältere der Kinder mittlerweile knapp zwölf Jahre alt ist, kommt dem von ihm geäußerten Willen grundsätzlich nicht unerhebliche Bedeutung zu. Hier lässt die Entscheidung nicht erkennen, worauf das Oberlandesgericht die für sich in Anspruch genommene fachliche Expertise stützt, dass der Wille der Kinder ihren wahren Bindungen oder ihrem Wohl nicht entspreche, zumal die Kinder diesen Willen schon längere Zeit äußern und der Wille ernsthaft, stabil und zielorientiert erscheint.

Insoweit lässt sich unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens der Beschwerdeführerin keineswegs ausschließen, bei näherer Begründung und gegebenenfalls — im Hauptsacheverfahren ohnehin bereits beauftragter — sachverständiger Beratung die Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Kinder zu treffen. Das setzt aber voraus, sich mit der Bedeutung des Kindeswillens und den Voraussetzungen eines Abweichens vom geäußerten Willen eingehend zu befassen. Daran fehlt es in dem angegriffenen Beschluss. Sollte die Beschwerdeführerin auch weiterhin ihre Mitwirkung an dem in Auftrag gegebenen Gutachten im Hauptsacheverfahren verweigern und ihre Zustimmung zur Exploration der Kinder verweigern, wird dies innerhalb des fach- und verfassungsrechtlich geltenden Rahmen sowohl bei der erneuten Entscheidung über die vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts als auch im Hauptsacheverfahren zur elterlichen Sorge zu berücksichtigen sein.

Das Oberlandesgericht hat bei der vorläufigen Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater allein auch insoweit die Bedeutung des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) grundlegend verkannt, als es in seiner Begründung maßgeblich darauf abstellt, die Beschwerdeführerin entfremde dem Vater die Kinder. Dies lässt nicht hinreichend deutlich werden, dass es sich gemäß den verfassungsrechtlichen Vorgaben vorrangig am Wohl des Kindes orientiert und nicht — wenn auch insoweit nicht ohne Anhaltspunkte — das als Fehlverhalten bewertete Agieren der Beschwerdeführerin sanktionieren wolle. Das schließt nicht aus, im Rahmen der gebotenen Kindeswohlorientierung das bisherige Verhalten der Beschwerdeführerin, unter anderem die zahlreichen wegen der Verweigerung angeordneten Umgangs gegen sie angeordneten Ordnungsmittel, zu berücksichtigen.

Die Entscheidung stellt sich derzeit auch nicht aus anderen Gründen einfachrechtlich als zutreffend dar. Mit der vom Oberlandesgericht herangezogenen Eltern-Kind-Entfremdung wird auf das überkommene und fachwissenschaftlich als widerlegt geltende Konzept des sogenannten Parental Alienation Syndrom (kurz PAS) zurückgegriffen. Das genügt als hinreichend tragfähige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung nicht. Soweit ersichtlich besteht nach derzeitigem Stand der Fachwissenschaft kein empirischer Beleg für eine elterliche Manipulation bei kindlicher Ablehnung des anderen Elternteils oder für die Wirksamkeit einer Herausnahme des Kindes aus dem Haushalt des angeblich manipulierenden Elternteils.