Fremdunterbringung der Kinder einer inhaftierten IS-Rückkehrerin rechtmäßig

06. Juli 2020 -

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat am 19.05.2020 zum Aktenzeichen 4 UF 82/20, und 4 UF 85/20 entschieden, dass der Entzug der elterlichen Sorge im Eilverfahren zum Zweck der Fremdunterbringung rechtmäßig ist, wenn die Mutter selbst infolge Inhaftierung die Sorge nicht ausüben kann und die von ihr gewünschte Betreuung durch die Großmutter eine Kindeswohlgefährdung birgt.

Aus der Pressemitteilung des OLG Frankfurt Nr. 55/2020 vom 06.07.2020 ergibt sich:

Die Aufnahme von vier der Großmutter zuvor nicht bekannten Kindern im Alter zwischen einem und vier Jahren setze umfangreiche vorherige Klärungen und Vorbereitungen voraus. Zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung sei solange eine Fremdunterbringung erforderlich, so das Oberlandesgericht.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den vorläufigen Entzug der elterlichen Sorge für ihre vier Kinder im Alter zwischen einem und vier Jahren. Sie lebte von 1999 bis Ende 2014 überwiegend in Deutschland und besitzt die deutsche und die syrische Staatsangehörigkeit. Ende 2014 reiste sie nach Syrien aus, um sich dort dem sog. Islamischen Staat anzuschließen. In Syrien schloss sie eine islamische Ehe, aus der zwei Kinder hervorgingen. Der Vater der Kinder soll bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen sein. Anschließend siedelte die Beschwerdeführerin nach Idlib über und schloss dort eine islamische Ehe, aus der Zwillinge hervorgegangen sind. Kurze Zeit nach der Geburt floh sie ohne ihren Ehemann mit ihren vier Kindern zu Verwandten ihrer Mutter in der Türkei. Dort befand sie sich ab September 2019 in Abschiebehaft. Im Zuge ihrer Abschiebung nach Deutschland im Dezember 2019 wurde sie bei ihrer Einreise auf dem Flughafen Frankfurt am Main festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Ihre vier Kinder wurden in Obhut genommen und in Bereitschaftspflegefamilien untergebracht.
Das Amtsgericht hatte der Mutter im Wege der einstweiligen Anordnung die vollständige elterliche Sorge entzogen und sie auf das Jugendamt übertragen.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Mutter, die eine Unterbringung ihrer Kinder bei ihrer – unter Betreuung stehenden – Mutter, der Großmutter der Kinder, in Deutschland anstrebt.

Das OLG Frankfurt hat die Beschwerden zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kann in die elterliche Sorge nur gerichtlich eingegriffen werden, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Im Eilverfahren – wie hier – müsse zudem ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden bestehen. Hier sei gegenwärtig ein solcher Eingriff durch eine sofortige Fremdunterbringung der Kinder erforderlich.

Unerheblich für diese Entscheidung sei dabei jedoch, ob die Mutter weiterhin noch islamistischem Gedankengut anhänge und nicht bereit sei, ihre Kinder in einer den Vorgaben der deutschen Rechtsordnung genügenden Art und Weise zu erziehen. Infolge ihrer Inhaftierung stehe sie für die Erziehung, Betreuung und Versorgung derzeit ohnehin nicht zur Verfügung.

Die von der Mutter angestrebte Unterbringung der Kinder bei der Großmutter sei jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch mit einer erheblichen Gefährdung des Kindeswohls verbunden. Dass die Großmutter selbst unter Betreuung stehe, reiche allerdings für die Feststellung der Kindeswohlgefährdung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht aus. Anhaltspunkte für eine islamistische Gesinnung der Großmutter lägen ebenfalls nicht vor. Die Aufnahme der vier Kinder im Alter zwischen einem und vier Jahren in den Haushalt der den Kindern bislang nicht persönlich bekannten, selbst auf Unterstützung angewiesenen Großmutter setze aber jedenfalls umfangreiche Vorbereitungen voraus.

Es sei davon auszugehen, dass alle Kinder nicht nur aufgrund ihres geringen Alters, sondern auch aufgrund des Erlebens von Krieg und Flucht einen erhöhten Bedarf an Zuwendung und Aufmerksamkeit hätten. Bei einem Wechsel der Kinder in den Haushalt der Großmutter seien eine Überforderung der Kinder und der Großmutter sowie daraus drohende schwere Schäden für die seelische Entwicklung der Kinder zu vermeiden.

Es bedürfe deshalb einer Vorbereitung der Kinder im Sinne einer umsichtigen Anbahnung des Umzugs zur Großmutter als auch eine Vorbereitung der zur Unterstützung der Großmutter erforderlichen Hilfen. Insbesondere sei vorab zu klären, wie die Kinder in der Wohnung untergebracht würden, welche Kinderausstattung dort benötigt werde, wie die Kontaktanbahnung zu der Großmutter erfolgen solle und welche konkrete Unterstützung durch Familienangehörige und durch öffentliche Hilfen bzw. Einrichtungen die Großmutter bei der Betreuung und Versorgung der Kinder erhalte.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.