Fristlose Kündigung: Anhörung auch im Urlaub erforderlich

14. Juli 2025 -

Arbeitgeber müssen bei dem Verdacht eines schweren Fehlverhaltens des Arbeitnehmers sehr zügig handeln, selbst wenn der Arbeitnehmer gerade im Urlaub ist. Das zeigt ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg vom 12.12.2024 (Az. 12 Sa 25/24). In dem Fall entschied das Gericht, dass ein Arbeitgeber den Mitarbeiter noch während dessen laufenden Urlaubs kontaktieren muss, um ihn zu den Vorwürfen anzuhören – andernfalls verstreicht die gesetzliche Frist für eine fristlose Kündigung und die Kündigung wird unwirksam.

Hintergrund: Zwei-Wochen-Frist bei fristloser Kündigung

Bei einer außerordentlichen (fristlosen) Kündigung schreibt § 626 Abs. 2 BGB eine zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist vor. Diese Frist beginnt, sobald der Kündigungsberechtigte (in der Regel der Arbeitgeber) von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen vollständig Kenntnis erlangt. Wird die Kündigung nicht innerhalb von zwei Wochen ausgesprochen, ist sie allein deshalb unwirksam. Das Gesetz will damit schnelle Klarheit: Ein Arbeitgeber soll sich zügig entscheiden, ob er sich von einem Mitarbeiter wegen eines gravierenden Fehlverhaltens trennt oder nicht.

In vielen Fällen ist es für den Arbeitgeber notwendig, vor dieser Entscheidung weitere Ermittlungen anzustellen – insbesondere wenn die Kündigung auf einem bloßen Verdacht basiert (sog. Verdachtskündigung). Hier ist es sogar zwingend erforderlich, den Arbeitnehmer vorher anzuhören, damit er die Möglichkeit bekommt, den Vorwurf zu entkräften. Eine Anhörung des Arbeitnehmers gehört bei einer geplanten fristlosen Verdachtskündigung regelmäßig zur Aufklärung des Sachverhalts und kann den Lauf der Zwei-Wochen-Frist hemmen. Allerdings gilt: Diese Anhörung muss zügig erfolgen, im Allgemeinen innerhalb einer Woche nach Kenntnis der Vorwürfe. Andernfalls wird angenommen, dass der Arbeitgeber die Ermittlungen nicht mit der gebotenen Eile vorantreibt, es sei denn, es liegt ein Ausnahmefall vor.

Länger abwesend? Anhörungspflicht auch während des Urlaubs

Was aber, wenn der betroffene Arbeitnehmer zum kritischen Zeitpunkt abwesend ist – etwa wegen Krankheit oder Urlaub? Eine Erkrankung des Arbeitnehmers gilt als besonderer Fall: Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darf der Arbeitgeber aus Rücksicht auf den Genesungsprozess eine angemessene Zeit abwarten, bevor er den Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit mit den Vorwürfen konfrontiert. Spätestens nach einigen Wochen sollte jedoch eine vorsichtige Anfrage erfolgen, ob der Arbeitnehmer gesundheitlich zu einer Stellungnahme in der Lage ist. Bei einer Urlaubsabwesenheit greift der gesundheitliche Schonungsaspekt zwar nicht – dennoch genießt der Urlaub besonderen Schutz, damit der Arbeitnehmer sich erholen kann. Arbeitgeber sind grundsätzlich gehalten, während des Erholungsurlaubs nicht wegen jeder Kleinigkeit anzurufen. Ein Recht auf völlige Unerreichbarkeit ist allerdings nicht absolut, insbesondere in dringenden Fällen.

Genau hierzu hat das LAG Baden-Württemberg nun deutlich Stellung bezogen. In dem entschiedenen Fall befand sich ein Arbeitnehmer (Zugführer in einem Verkehrsunternehmen) in einer genehmigten Ruhezeit und direkt anschließend für drei Wochen im Urlaub, als der Arbeitgeber von einem schwerwiegenden Vorwurf erfuhr (der Mitarbeiter soll einen Kollegen sexuell belästigt haben). Der Arbeitgeber wartete bis zur Rückkehr und lud den Mitarbeiter erst am ersten Tag nach seinem Urlaub zu einem Personalgespräch zur Anhörung ein. Damit, so das Gericht, war die Zwei-Wochen-Frist bereits verstrichen – die fristlose Kündigung ging ins Leere. Der Arbeitgeber hätte den Arbeitnehmer noch während des Urlaubs kontaktieren müssen, um ihm zeitnah Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Denn zum Zeitpunkt der Kenntnis der Vorwürfe dauerte der Urlaub noch „einen im rechtlichen Sinne erheblich langen Zeitraum“ an. Anders ausgedrückt: Der Arbeitgeber durfte nicht einfach wochenlang untätig abwarten, bis der Mitarbeiter wieder da ist.

Das LAG stellte klar, dass ein Arbeitgeber bei längerer urlaubsbedingter Abwesenheit (mehr als drei Wochen) verpflichtet ist, spätestens innerhalb dieser Urlaubszeit einen Anhörungsversuch zu unternehmen. Nur bei sehr kurzen Urlaubszeiträumen oder unmittelbar bevorstehender Rückkehr dürfe die Kontaktaufnahme ausnahmsweise bis dahin aufgeschoben werden. Wo genau die Grenze zwischen „kurz“ und „lang“ verläuft, ließ das Gericht offen – aber im konkreten Fall waren die drei Urlaubswochen eindeutig zu lang, um untätig zu bleiben.

Interessenabwägung: Erholungszeit vs. Aufklärungspflicht

Warum wiegt die Aufklärungspflicht hier schwerer als der Urlaubsfrieden? Das LAG betont, dass beide Seiten ein Interesse an schneller Klärung haben. Aus Arbeitgebersicht dient es der Rechtssicherheit, binnen der Frist die notwendigen Schritte einzuleiten. Und auch aus Sicht des Arbeitnehmers ist es vorteilhaft, Vorwürfe so rasch wie möglich aus der Welt zu schaffen – solange die Erinnerungen aller Beteiligten noch frisch sind. Je länger man wartet, desto eher können Erinnerungslücken bei Zeugen und Beteiligten auftreten, die eine sachgerechte Aufklärung erschweren. Das Gericht stellte ausdrücklich fest, dass es dem Arbeitnehmer überlassen bleiben muss, ob er seinen Urlaub für eine schnelle Entlastung unterbrechen möchte. Entscheidet er sich dafür, überwiegt dieses Interesse an zügiger Klärung sein Interesse an einem völlig ungestörten Urlaub. Mit anderen Worten: Der Schutz der Urlaubserholung tritt zurück, wenn der Arbeitnehmer selbst bereit ist, zur Aufklärung beizutragen und damit möglicherweise seine eigene Position zu retten.

Natürlich bedeutet das nicht, dass der Arbeitgeber den Urlaub willkürlich stören darf. Verhältnismäßigkeit ist geboten: Die Kontaktaufnahme sollte sich auf das Nötige beschränken und respektvoll erfolgen. Im vorliegenden Fall ging es jedoch um einen gravierenden Vorwurf (sexuelle Belästigung) und eine drohende fristlose Kündigung – ein Szenario, in dem eine Kontaktaufnahme während des Urlaubs nach Auffassung des Gerichts sogar geboten war, um die Ausschlussfrist zu wahren.

Tipps für Arbeitgeber

  • Zwei-Wochen-Frist im Blick behalten: Sobald Sie von einem wichtigen Kündigungssachverhalt erfahren, läuft die 14-Tage-Frist nach § 626 Abs. 2 BGB. Verzögerungen können fatal sein, denn nach Fristablauf ist eine fristlose Kündigung unwirksam. Planen Sie also alle nötigen Schritte (Anhörung des Mitarbeiters, Beteiligung des Betriebsrats etc.) so ein, dass die Kündigungserklärung rechtzeitig zugeht.
  • Anhörung zügig durchführen: Wollen oder müssen Sie den Arbeitnehmer zu den Vorwürfen anhören (bei einer Verdachtskündigung ist das Pflicht), organisieren Sie dies innerhalb von etwa einer Woche nach Bekanntwerden des Vorwurfs. Nur in besonderen Ausnahmefällen dürfen Sie länger zuwarten. Andernfalls gilt die Ermittlung als nicht „mit der gebotenen Eile“ betrieben, was den Kündigungserfolg gefährden kann.
  • Bei Urlaub nicht untätig bleiben: Ist der Arbeitnehmer für längere Zeit abwesend (z.B. mehr als 3 Wochen Urlaub), sollten Sie noch während des Urlaubs versuchen, ihn zu kontaktieren. Informieren Sie ihn über die Vorwürfe und bitten Sie um eine zeitnahe Stellungnahme – entweder schriftlich oder in einem Personalgespräch, je nach Sachlage. Setzen Sie eine kurze Frist (z.B. eine Woche) für seine Rückmeldung. Dieser Kontaktversuch ist wichtig, um zu zeigen, dass Sie die Sache unverzüglich aufklären wollen.
  • Dokumentation von Kontaktversuchen: Halten Sie fest, wann und wie Sie den Mitarbeiter zu erreichen versucht haben (Telefonate, E-Mails, Einschreiben etc.). Reagiert der Mitarbeiter nicht oder lehnt er eine Anhörung während des Urlaubs ab, haben Sie zumindest Ihre Pflichten erfüllt. In der Regel wird dann ein wichtiger Grund vorliegen, die Anhörung auf den Rückkehrzeitpunkt zu verschieben, ohne dass Ihnen die Frist entgegengehalten wird. Sie können die Kündigung dann unmittelbar nach Urlaubsende – innerhalb von 2 Wochen ab der Kenntnis der Vorwürfe unter Berücksichtigung der Hemmung – erklären.
  • Rücksicht und Verhältnismäßigkeit: Auch wenn Eile geboten ist – formulieren Sie die Kontaktaufnahme sensibel. Schildern Sie kurz den Sachverhalt, den Klärungsbedarf und die Dringlichkeit. Drängen Sie nicht unnötig, sondern ermöglichen Sie dem Arbeitnehmer, freiwillig beizutragen. So zeigen Sie auch später vor Gericht, dass Sie beide Interessen (Aufklärung und Erholungszeit) abgewogen haben. Übrigens: Bei erkrankten Mitarbeitern sollten Sie noch vorsichtiger agieren – hier einige Tage abzuwarten ist zulässig, aber auch in Krankheitsfällen darf nicht unbegrenzt zugewartet werden, wenn die Frist sonst verstreicht.

Tipps für Arbeitnehmer

  • Kennen Sie Ihre Rechte: Wenn Ihnen fristlos gekündigt wird, prüfen Sie, wann Ihr Arbeitgeber von dem angeblichen Fehlverhalten erfahren hat. Ist seitdem mehr als zwei Wochen vergangen, ohne dass die Kündigung zugegangen ist, stehen die Chancen gut, dass die Kündigung wegen Fristversäumnis unwirksam ist. Das kann selbst dann gelten, wenn der Vorwurf an sich schwerwiegend ist – wie das LAG Baden-Württemberg gezeigt hat.
  • Urlaub ist kein absoluter Schutz: Seien Sie sich bewusst, dass auch während Ihres Urlaubs arbeitsrechtliche Schritte gegen Sie eingeleitet werden können. Bei gravierenden Vorwürfen (z.B. strafbares Verhalten, grobe Pflichtverletzungen) darf und muss der Arbeitgeber Sie u.U. kontaktieren, um eine Anhörung durchzuführen. Ein völliges „Recht auf Unerreichbarkeit“ besteht in solch dringenden Fällen nicht. Sollte Ihr Arbeitgeber also anrufen oder schreiben, um Sie mit einem Kündigungsvorwurf zu konfrontieren, kommt das nicht aus heiterem Himmel, sondern beruht auf gesetzlichen Fristen und Pflichten.
  • Chance zur Stellungnahme nutzen: Auch wenn es unangenehm ist, kann es in Ihrem eigenen Interesse liegen, frühzeitig Stellung zu beziehen, selbst während des Urlaubs. So haben Sie die Gelegenheit, Ihre Sicht darzulegen, Missverständnisse auszuräumen oder entlastende Informationen vorzubringen. Eine schnelle Aufklärung kann verhindern, dass voreilig gekündigt wird. Das LAG betont, dass der Arbeitnehmer die Wahl hat: Er kann entscheiden, ob er seinen Urlaub zur Verteidigung unterbricht – und dieses Interesse an der eigenen Entlastung ist grundsätzlich wichtiger als ein paar ungestörte Urlaubstage mehr.
  • Keine Reaktion ist auch eine Reaktion: Ignorieren Sie eine legitime Anhörungsaufforderung im Urlaub nicht einfach. Wenn Sie gar nicht reagieren, wird der Arbeitgeber zwar bis zu Ihrer Rückkehr warten müssen – aber Ihr Schweigen könnte im Prozess negativ ausgelegt werden. Außerdem dürfte der Arbeitgeber dann berechtigt sein, die Kündigung unmittelbar nach Urlaubsende auszusprechen, ohne dass Sie daraus einen Vorteil ziehen. Bedenken Sie: Nur weil der Arbeitgeber die Anhörung verschieben musste, heißt das nicht, dass die Angelegenheit vom Tisch ist. Im Zweifel sollten Sie rechtlichen Rat einholen, wie Sie am besten vorgehen.
  • Kündigungsschutzklage in Erwägung ziehen: Sollten Sie eine fristlose Kündigung erhalten haben – ob während des Urlaubs oder danach – zögern Sie nicht, innerhalb von 3 Wochen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einzureichen. In der Klage können Sie rügen, dass die Kündigung unwirksam ist, z.B. weil die Frist überschritten oder kein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren durchgeführt wurde. Die Gerichte prüfen dann die Wirksamkeit der Kündigung genau. Im besprochenen Fall hatte der gekündigte Arbeitnehmer mit seiner Klage Erfolg, da formale Fehler des Arbeitgebers vorlagen.

Dieses Urteil des LAG Baden-Württemberg setzt ein wichtiges Signal: Arbeitgeber dürfen die Kündigungsfrist des § 626 BGB nicht „aussitzen“, nur weil ein Mitarbeiter im Urlaub ist. Umgekehrt sollten Arbeitnehmer wissen, dass dringende betriebliche Maßnahmen – wie eine Verdachtsanhörung – auch im Urlaub an sie herangetragen werden können. Noch ist die letzte Entscheidung in dieser Sache nicht gesprochen: Die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist anhängig (Az. 2 AZR 55/25). Bis zur Klärung durch das BAG tun Arbeitgeber gut daran, im Zweifel lieber frühzeitig zu handeln und den Dialog zu suchen. Arbeitnehmer können aus dem aktuellen Stand lernen, ihre Rechte zu kennen und proaktiv mitzuwirken, um ihre Interessen zu wahren. So lässt sich für beide Seiten das Risiko einer unwirksamen Kündigung oder einer unnötigen Eskalation verringern.