Hintergrund der Werksschließung
- Geberit hat beschlossen, das Keramikwerk in Wesel zum Jahresende 2026 zu schließen; von dieser Maßnahme sind rund 300 Arbeitsplätze betroffen.
- Nach intensiven Verhandlungen zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat wurde eine Einigung über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan erzielt. Diese Vereinbarungen bilden den Rahmen für die bevorstehenden Kündigungen. Der Sozialplan legt fest, welche Leistungen (z.B. Abfindungen) die Arbeitnehmer beim Ausscheiden erhalten, während der Interessenausgleich regelt, wer zu welchem Zeitpunkt das Unternehmen verlassen muss.
- Teil der Einigung ist auch die Einrichtung einer Transfergesellschaft, die den Mitarbeitern, die spätestens Ende des nächsten Jahres (2026) ihre Jobs verlieren, Weiterbildung und Qualifizierung ermöglicht. Mit dieser Transferlösung soll den Beschäftigten der Übergang in neue Arbeit erleichtert werden, anstatt direkt in die Arbeitslosigkeit zu fallen.
Sozialplan: Abfindung und Unterstützung
- Ein Sozialplan ist eine verbindliche Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, die darauf abzielt, die finanziellen Folgen einer Massenentlassung für die Beschäftigten abzufedern. Er enthält in der Regel auch eine Abfindung als Ausgleich für den Arbeitsplatzverlust, deren Höhe vor allem von Ihrer Betriebszugehörigkeit und Ihrem Alter abhängt; weitere Faktoren wie eine Schwerbehinderung oder Unterhaltspflichten können die Abfindungshöhe ebenfalls beeinflussen.
- Abfindung prüfen: Stellen Sie sicher, dass die Berechnung Ihrer Abfindung korrekt ist. Grundsätzlich darf der Sozialplan niemanden von der Abfindungszahlung ausschließen – auch Arbeitnehmer, die in die Transfergesellschaft wechseln, haben Anspruch auf die im Sozialplan vorgesehene Abfindung. Allerdings kann es sein, dass beim Wechsel in die Transfergesellschaft ein Teil der Abfindung einbehalten oder reduziert wird, da dieser zur Finanzierung der Transfermaßnahmen genutzt wird.
- Prüfen Sie auch, ob der Sozialplan weitere Unterstützungsleistungen vorsieht – etwa Weiterbildungszuschüsse, Überbrückungs- oder Vorruhestandsregelungen für ältere Mitarbeiter oder Härtefallklauseln für besondere soziale Härten. Diese können den Übergang erleichtern und finanzielle Nachteile zusätzlich abmildern.
- Beachten Sie: Im deutschen Arbeitsrecht gibt es keinen gesetzlichen Automatismus für Abfindungen – ein Anspruch entsteht in der Regel nur, wenn ein Sozialplan oder eine individuelle Vereinbarung dies vorsieht. Durch den jetzt vereinbarten Sozialplan ist jedoch sichergestellt, dass Sie im Fall des Arbeitsplatzverlustes eine Kompensation erhalten und nicht vollkommen leer ausgehen.
Transfergesellschaft: Weiterqualifizierung und Rechte
- Die vereinbarte Transfergesellschaft bietet den Beschäftigten die Möglichkeit, für eine befristete Zeit weiterbeschäftigt zu werden und sich weiterzubilden, anstatt unmittelbar nach dem Jobverlust arbeitslos zu werden. Die Teilnahme an der Transfergesellschaft ist freiwillig – kein Arbeitnehmer kann gegen seinen Willen zum Wechsel gezwungen werden.
- Wie funktioniert die Transfergesellschaft? In der Praxis schließen Sie in der Regel einen Aufhebungsvertrag, der Ihr bisheriges Arbeitsverhältnis beendet, und gleichzeitig einen neuen befristeten Arbeitsvertrag mit der Transfergesellschaft. Diese Beschäftigung dauert üblicherweise bis zu 12 Monate und soll den Betroffenen Zeit geben, sich weiterzuqualifizieren und eine neue Stelle zu finden.
- Während der Zeit in der Transfergesellschaft üben Sie in der Regel nicht mehr Ihre vorherige Tätigkeit aus. Stattdessen nehmen Sie an Qualifizierungs- und Bewerbungsmaßnahmen teil, um Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Für diese Dauer erhalten Sie ein Einkommen bzw. Transferkurzarbeitergeld – dieses beträgt etwa 60 % Ihres letzten Nettogehalts (mit mindestens einem Kind 67 %) und wird von der Bundesagentur für Arbeit finanziert. In manchen Fällen stockt der ehemalige Arbeitgeber dieses Transferentgelt noch etwas auf.
- Rechte in der Transfergesellschaft: Sie bleiben während der Transferzeit formal Arbeitnehmer und haben weiterhin Anspruch auf bezahlten Urlaub sowie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Außerdem sind Sie über die Transfergesellschaft sozialversichert – Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung laufen für Sie weiter. Ihre Betriebszugehörigkeit beim früheren Arbeitgeber endet allerdings mit dem Aufhebungsvertrag.
- Ein Wechsel in die Transfergesellschaft kann vorteilhaft sein, da er eine sofortige Arbeitslosigkeit verhindert und Ihnen aktiv bei der Stellensuche und Weiterbildung hilft. Finden Sie bereits während der Transferphase eine neue Anstellung, können Sie das Transfer-Arbeitsverhältnis in der Regel vorzeitig beenden. Die im Sozialplan vereinbarten Hilfen (z.B. Unterstützung durch Beratung) sollten Ihnen auch in der Transfergesellschaft zur Verfügung stehen.
- Abwägung: Die Entscheidung für oder gegen die Transfergesellschaft will gut überlegt sein, denn es gibt Vor- und Nachteile. Wechseln Sie in die Transfergesellschaft, verzichten Sie oftmals auf einen Teil der Abfindung (vollständig gestrichen werden darf sie jedoch nicht). Lehnen Sie den Wechsel ab, erhalten Sie zwar in der Regel die volle Abfindungssumme gemäß Sozialplan, stehen aber nach Ablauf der Kündigungsfrist direkt ohne Beschäftigung da. Ihre persönliche Situation ist entscheidend: Wenn Sie z.B. bereits ein neues Jobangebot in Aussicht haben, kann es sinnvoll sein, die Kündigung hinzunehmen und die höhere Abfindung auszuschöpfen. Müssen Sie hingegen davon ausgehen, dass die Stellensuche längere Zeit dauert, bietet die Transfergesellschaft ein wichtiges Auffangnetz.
- Wichtig: Bedenken Sie, dass die Teilnahme an der Transfergesellschaft Auswirkungen auf spätere Arbeitslosengeldansprüche Wenn Sie erst nach Ende der Transfergesellschaft arbeitslos werden, bemisst sich das Arbeitslosengeld I anhand des zuletzt bezogenen Transferentgelts – und dieses liegt in aller Regel deutlich unter Ihrem vorherigen Gehalt. Dadurch fällt das Arbeitslosengeld geringer aus, als wenn Sie direkt nach dem höheren Gehalt arbeitslos geworden wären. Auch diesen Aspekt sollten Sie in Ihre Entscheidung mit einbeziehen.
Kündigungen und Widerspruchsmöglichkeiten
- Bei einer Betriebsschließung erfolgen die Kündigungen in der Regel aus betriebsbedingten Gründen. Sobald Ihnen eine Kündigung schriftlich zugeht, läuft die dreiwöchige Frist, um beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage zu erheben. Wird diese Frist versäumt, gilt die Kündigung als wirksam, selbst wenn sie eigentlich angreifbar gewesen wäre.
- Kündigungsschutzklage: Mit einer Kündigungsschutzklage können Sie überprüfen lassen, ob Ihre Kündigung sozial gerechtfertigt ist und ob alle vorgeschriebenen Verfahren korrekt eingehalten wurden. Insbesondere bei einer Massenentlassung müssen bestimmte Vorgaben erfüllt sein: Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat vorab umfassend beteiligen und die Entlassungen der Agentur für Arbeit ordnungsgemäß anzeigen. Werden diese Pflichten verletzt (z.B. keine oder verspätete Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur), kann dies die Kündigung unwirksam machen.
- Zudem muss – selbst wenn das Werk in Etappen geschlossen wird – fair entschieden werden, wer wann gehen muss. Diese Sozialauswahl erfolgt nach gesetzlichen Kriterien wie Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung. Eine fehlerhafte oder unsachgemäße Sozialauswahl kann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Zwar sollten solche Punkte im Interessenausgleich festgelegt sein, dennoch ist eine gerichtliche Überprüfung möglich, falls ein Arbeitnehmer sich benachteiligt fühlt.
- Beachten Sie: Wenn Sie der angebotenen Aufhebungsvereinbarung zum Wechsel in die Transfergesellschaft zustimmen, verzichten Sie damit in der Regel auf eine Kündigungsschutzklage – denn es kommt gar nicht erst zur Kündigung durch den Arbeitgeber. Ein solcher Wechsel lässt sich nachträglich kaum revidieren. Überlegen Sie daher gut und lassen Sie sich im Zweifel beraten, bevor Sie unterschreiben.
- Sonderfälle: Bestimmte Personengruppen (z.B. schwerbehinderte Menschen, werdende Mütter oder Betriebsratsmitglieder) genießen besonderen Kündigungsschutz. Hier müssen zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein (etwa die Zustimmung der zuständigen Behörde oder Aufsichtsbehörde). Lassen Sie im Zweifel prüfen, ob solche Schutzvorschriften in Ihrem Fall beachtet wurden.
- Im Ergebnis kann eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage dazu führen, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht oder – realistischerweise bei einer Werksschließung – dass der Arbeitgeber zu einer Nachbesserung bereit ist, z.B. in Form einer höheren Abfindung im Vergleich zu der im Sozialplan vorgesehenen. Viele Arbeitgeber zeigen sich in solchen Fällen vergleichsbereit, um einen langwierigen Rechtsstreit zu vermeiden.
Nächste Schritte für betroffene Arbeitnehmer
- Information einholen: Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Inhalte des Sozialplans und des Interessenausgleichs. Darin finden Sie Details über Abfindungshöhen, Kündigungsfristen und die Modalitäten der Transfergesellschaft. Ihr Betriebsrat sollte Ihnen diese Dokumente zugänglich machen und offene Fragen erläutern.
- Beratung nutzen: Zögern Sie nicht, sich anwaltlich beraten zu lassen. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht kann einschätzen, ob das Angebot fair ist und welche Strategie für Sie persönlich sinnvoll erscheint. Gerade bei der Entscheidung Transfergesellschaft vs. Kündigungsschutzklage kann eine individuelle Beratung helfen, die Vor- und Nachteile abzuwägen. Oft muss das Angebot zum Wechsel in die Transfergesellschaft bis zu einem bestimmten Stichtag angenommen werden – hier hilft rechtzeitige Beratung.
- Fristen beachten: Halten Sie alle relevanten Fristen strikt ein. Insbesondere gilt es, die 3-Wochen-Frist für eine Kündigungsschutzklage ab Zugang der Kündigung unbedingt zu wahren. Wenn Sie ein Angebot zum Eintritt in die Transfergesellschaft erhalten, ist meist ebenfalls eine relativ kurze Annahmefrist gesetzt – verpassen Sie diese nicht, falls Sie wechseln möchten. Notieren Sie sich diese Termine am besten sofort.
- Zukunft planen: Nutzen Sie die Angebote der Transfergesellschaft, falls Sie sich dafür entscheiden – Weiterbildungs- und Bewerbungsunterstützung können Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Falls Sie sich gegen die Transfergesellschaft entscheiden, beginnen Sie frühzeitig mit der Stellensuche und nutzen Sie ggf. andere Unterstützungsangebote (z.B. der Agentur für Arbeit oder externe Outplacement-Beratung). In beiden Fällen gilt: Aktiv werden zahlt sich aus.
- Emotionen managen: Eine Werksschließung ist für alle Beteiligten schwierig. Versuchen Sie trotz verständlicher Enttäuschung, die Situation pragmatisch anzugehen. Sozialplan und Transfergesellschaft bieten Ihnen Hilfestellungen – es liegt an Ihnen, diese zu Ihrem Vorteil zu nutzen. Informieren Sie sich gründlich, handeln Sie fristgerecht und treffen Sie die Entscheidungen, die für Ihre berufliche Zukunft am besten sind.
Wenn Sie diese Hinweise beherzigen und Ihre Rechte kennen, können Sie das Beste aus der schwierigen Lage machen. Die Schließung des Geberit-Werks in Wesel ist ohne Zweifel ein schwerwiegender Einschnitt, doch dank des Sozialplans und der Transfergesellschaft haben die betroffenen Mitarbeiter nun konkrete Möglichkeiten, ihre Interessen zu wahren und den Übergang in eine neue Beschäftigung zu meistern. Ihre rechtlichen Handlungsmöglichkeiten sind klar umrissen – nutzen Sie sie. Viel Erfolg für Ihren weiteren Weg!