Hintergrund: Goldschakal sorgt für juristisches Tauziehen
Ein einzelner Goldschakal auf der Insel Sylt hat innerhalb kurzer Zeit Dutzende Lämmer gerissen und damit eine juristische Auseinandersetzung ausgelöst. Nach einem Hin und Her vor den Gerichten hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig am 3. Juli 2025 endgültig entschieden, dass der problematische Goldschakal abgeschossen werden darf. Mit diesem Eilbeschluss wurde die Beschwerde einer Umweltvereinigung gegen den zuvor erteilten Abschuss genehmigung abgelehnt, sodass der Schakal nun wieder gejagt werden darf. Gegen die OVG-Entscheidung im Eilverfahren ist kein Einspruch möglich.
Das OVG Schleswig bestätigte damit den Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Schleswig vom 19. Juni 2025, der den Abschuss erlaubt hatte. Die Gerichte zweifelten nicht daran, dass der Goldschakal für mindestens 76 gerissene Schafe in einer Herde verantwortlich ist – ein Einzelnachweis für jedes einzelne getötete Tier sei nicht erforderlich. Wäre der Schakal tatsächlich erlegt worden, handelte es sich um den ersten behördlich bestätigten Abschuss eines Goldschakals in Deutschland. Der Aufenthaltsort des Tieres ist allerdings unklar; es wurde zuletzt Ende Mai gesichtet und könnte sich verborgen halten. Die Naturschutzinitiative als klagende Umweltorganisation bezeichnete den Beschluss als „grundlegend falsch“ und kündigte an, notfalls bis vor das Bundesverwaltungsgericht und den Europäischen Gerichtshof zu ziehen.
Artenschutzrechtlicher Rahmen: „besonders geschützte“ Tierart
Der Goldschakal (Canis aureus) unterliegt in Deutschland dem strengen Artenschutzrecht. Er ist europarechtlich im Anhang V der FFH-Richtlinie gelistet und nach Bundesrecht besonders geschützt. Anders als etwa Füchse oder Rehe unterfällt der Goldschakal nicht dem Jagdrecht, sondern dem Naturschutzrecht. Eine Tötung oder das Fangen eines solchen Tieres ist daher grundsätzlich verboten – Zuwiderhandlungen stehen sogar unter Strafandrohung (§ 71 Abs.1 Nr.1 Bundesnaturschutzgesetz, BNatSchG).
Diese strikten Schutzvorschriften sollen die Ausbreitung und das Überleben der seltenen Tiere sichern. Gleichzeitig lässt das Gesetz aber Ausnahmen zu, sofern eng definierte Voraussetzungen vorliegen. Eine Entnahme (Entfernung oder Tötung) eines streng geschützten Wildtieres darf nur als letztes Mittel (ultima ratio) erfolgen, wenn keine andere zumutbare Lösung zur Schadensabwehr zur Verfügung steht. Das bedeutet: Bevor ein Abschuss genehmigt werden kann, müssen andere Maßnahmen – etwa Schutzzäune, Vergrämung oder der Versuch, das Tier lebend einzufangen und umzusiedeln – geprüft und als unzureichend eingestuft worden sein. Zudem darf die Ausnahmegenehmigung den Erhaltungszustand der Art nicht gefährden, sprich: Die Tötung einzelner Tiere muss biologisch verkraftbar sein.
Ausnahmegenehmigung: Voraussetzungen im Fall Sylt
Das Bundesnaturschutzgesetz sieht in § 45 Abs. 7 BNatSchG verschiedene Ausnahmefälle vor, in denen trotz Artenschutz ein Abschuss genehmigt werden kann. Im Fall des Sylter Goldschakals wurden gleich drei der gesetzlich anerkannten Ausnahmegründe als gegeben angesehen:
- Abwendung erheblicher landwirtschaftlicher Schäden (§ 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 BNatSchG) – Durch die bereits angerichteten Verluste (etwa 100 getötete Schafe binnen weniger Wochen) und eine Prognose weiterer Risse ist von ernsten wirtschaftlichen Schäden in der Schafhaltung auszugehen. Die Voraussetzung „erheblicher Schaden“ für eine Ausnahmegenehmigung zum Abschuss ist damit erfüllt.
- Schutz anderer bedrohter Arten (§ 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 BNatSchG) – Zum Beutespektrum des Goldschakals gehören auch bodenbrütende Vögel sowie andere kleine Wildtiere. Auf Sylt existieren sensible Brutgebiete seltener Vogelarten, die durch den neu hinzugekommenen Prädator zusätzlich unter Druck geraten könnten. Der Schutz dieser anderen gefährdeten Arten in dem empfindlichen Inselsystem wurde höher bewertet als das individuelle Schutzinteresse des einzelnen Goldschakals.
- Überwiegende öffentliche Interessen (§ 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG) – Die Schafbeweidung hat auf Sylt eine zentrale Bedeutung für den Küstenschutz, da die Tiere durch das Abweiden der Deiche zur Deichsicherheit beitragen. Ein wirksamer Herdenschutz an den ausgedehnten Deichflächen ist kurzfristig kaum umsetzbar. Müssten die Schafe wegen der Raubtiergefahr abgezogen werden, wäre die Deichpflege und damit der Hochwasserschutz gefährdet. Daher besteht ein übergeordnetes öffentliches Interesse daran, die Schafherden auf Sylt zu schützen.
Diese Gründe wurden in einer Allgemeinverfügung des Landesamts für Umwelt Schleswig-Holstein vom 4. Juni 2025 aufgeführt, mit der der Abschuss des Goldschakals auf Sylt genehmigt wurde. Die Naturschutzbehörde hatte die anerkannten Naturschutzverbände vorab angehört, wie es das Gesetz verlangt; dennoch blieb insbesondere die Naturschutzinitiative e.V. bei ihrer ablehnenden Haltung. Sie hielt die Ausnahmegenehmigung für unzulässig und rief die Gerichte an.
Gerichtliche Auseinandersetzung um den Abschuss
Die Umweltvereinigung beantragte nach Erlass der Abschussgenehmigung einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht. Aus ihrer Sicht verstieß der geplante Abschuss gegen das Natur- und Artenschutzrecht, da nicht ausreichend geprüft worden sei, ob der Goldschakal nicht auch lebend eingefangen oder durch andere Maßnahmen unschädlich gemacht werden könne. Außerdem monierten die Naturschützer, die Behörden auf Sylt hätten präventive Schutzvorkehrungen (wie z.B. wolfssichere Zäune) vernachlässigt und damit die Konflikte erst ermöglicht.
Das Verwaltungsgericht Schleswig lehnte den Eilantrag des Verbands jedoch ab. In seinem Beschluss vom 19.06.2025 (Az. 8 B 16/25) bestätigte es die Rechtmäßigkeit der Ausnahmegenehmigung. Die Begründung: Angesichts der außergewöhnlichen Häufung der Rissvorfälle innerhalb kurzer Zeit – weit über das hinaus, was in der Region bisher bekannt war – sei die Schwelle zum “ernsthaften Schaden” überschritten. Die Abschussfreigabe diene der Gefahrenabwehr für das Eigentum der Tierhalter (die Schafe) und sei daher zulässig.
Unmittelbar nach dieser Entscheidung spielten sich weitere juristische Zwischenschritte ab: Zunächst setzte das OVG Schleswig per Hängebeschluss vom 20.06.2025 den Vollzug der Abschussgenehmigung vorläufig aus, um die Beschwerde der Naturschutzinitiative gegen den VG-Beschluss in Ruhe prüfen zu können. Einige Tage später erfolgte eine ähnliche Zwischenverfügung, sodass der Goldschakal bis zur endgültigen OVG-Entscheidung vorerst verschont blieb. Dieses Procedere verdeutlicht, wie sorgfältig die Gerichte in solchen Artenschutz-Eilverfahren abwägen: Einerseits der Schutz des Tieres, andererseits der Schutz der betroffenen Nutztiere und Interessen der Halter.
Mit Beschluss vom 03.07.2025 hat das OVG Schleswig schließlich die Beschwerde der Naturschutzinitiative zurückgewiesen und den Abschuss des Goldschakals endgültig erlaubt (Az. 5 MB 8/25). In der Sache folgte das OVG der Linie des VG Schleswig: Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine artenschutzrechtliche Ausnahme seien erfüllt, insbesondere wegen der umfangreichen Schäden (mindestens 76 getötete Schafe in einer Herde). Nach Auffassung des Senats reichte dieser Nachweis aus – es sei nicht nötig, für jedes einzelne gerissene Schaf die Urheberschaft des Goldschakals getrennt zu belegen.
Zugleich trat das OVG den Argumenten der Naturschutzseite entgegen, man hätte den Abschuss durch bessere Prävention oder einen Fang des Tieres vermeiden können. Das Gericht betonte, es gebe keine Anhaltspunkte für eine Vernachlässigung zumutbarer Schutzmaßnahmen durch die Halter oder Behörden vor Ort. Außerdem bestehe keine praktikable Alternative zur Tötung: Der Einsatz eines Betäubungsgewehrs oder Fallenfangs sei geprüft worden, biete aber keine ausreichende Erfolgsaussicht, um die akute Gefahr zeitnah zu bannen. Damit stellten die Richter klar, dass in dieser Ausnahmesituation der Abschuss als ultima ratio gerechtfertigt ist.
Konsequenz: Durch die OVG-Entscheidung durfte der Abschuss sofort vollzogen werden. Weitere Rechtsmittel im Eilverfahren standen nicht zur Verfügung. Die Naturschutzinitiative hat jedoch angekündigt, im Hauptsacheverfahren weiterzuklagen bis in die höchsten Instanzen. Es bleibt daher abzuwarten, ob künftig das Bundesverwaltungsgericht oder sogar der Europäische Gerichtshof sich mit dem Fall befassen und ggf. neue Maßstäbe für den Umgang mit seltenen Wildtieren setzen werden.
Verantwortung von Tierhaltern und Pflichten der öffentlichen Hand
Der Fall des Goldschakals auf Sylt zeigt exemplarisch, wie wichtig sowohl Eigenverantwortung der Tierhalter als auch Unterstützung durch die Behörden ist, um Konflikte zwischen Wildtieren und Weidetierhaltung zu minimieren. Grundsätzlich sind Nutztierhalter angehalten, zumutbare Vorkehrungen zum Schutz ihrer Herden zu treffen. In vielen Bundesländern werden präventive Herdenschutzmaßnahmen – etwa elektrische wolfssichere Zäune oder der Einsatz von Herdenschutzhunden – empfohlen und teils finanziell gefördert, gerade seit der Rückkehr des Wolfs. Auch auf Sylt wurden nach den ersten Rissvorfällen umgehend Schutzmaßnahmen ergriffen: Dem betroffenen Schäfer stellte die Behörde kostenlos Vergrämungs- und Zaunmaterial (Blinklichter, Flatterbänder sowie mobile Elektrozäune) zur Verfügung, um weitere Übergriffe möglichst zu verhindern. Dieses Zusammenwirken von Tierhalter und Naturschutzbehörde diente dazu, den Schaden einzudämmen.
Dennoch stößt der Herdenschutz in der Praxis an Grenzen – insbesondere in exponierten Lagen wie einer Insel. Sylt weist weite offene Flächen, Dünen und Deichlandschaften auf, die sich nicht lückenlos einzäunen lassen. Hinzu kommt, dass Schafe dort zur Deichsicherung auf großen Arealen weiden. Hier sind auch die öffentlichen Stellen in der Pflicht, praktikable Lösungen zu fördern: Dazu zählen Beratungsangebote, technische Hilfen und finanzielle Unterstützungen für Schäfer. Schleswig-Holstein hat ein umfassendes Wolfsmanagement etabliert, das u.a. geschulte Rissgutachter einsetzt und Standardverfahren zur Untersuchung von Nutztierrissen vorsieht. Bestätigt sich der Verdacht eines geschützten Raubtiers als Verursacher, übernimmt das Land die Kosten und leitet ein Entschädigungsverfahren ein. Dem Tierhalter wird in solchen Fällen ein Antrag auf Schadensausgleich zur Verfügung gestellt, den das Land finanziert. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Schäfer für Verluste durch streng geschützte Wildtiere einen Ausgleich erhalten und ihre traditionelle Weidetierhaltung fortführen können, ohne das Vertrauen in den Artenschutz zu verlieren.
Der OVG-Beschluss vom 03.07.2025 (Az. 5 MB 8/25) verdeutlicht die komplexe Abwägung zwischen Naturschutz und den berechtigten Interessen der Tierhalter. Geschützte Arten wie der Goldschakal genießen einen hohen rechtlichen Schutzstatus; Eingriffe in diesen Schutz sind nur in außergewöhnlichen Ausnahmefällen zulässig. Die Behörden müssen solche Fälle sorgfältig dokumentieren und alle milderen Mittel ausschöpfen, bevor zum äußersten Mittel gegriffen wird. Im Sylter Fall haben die Gerichte bestätigt, dass die Schwelle für eine Ausnahme erreicht war: Die Gefährdung der Landwirtschaft und sogar der öffentlichen Sicherheit (Deichschutz) wogen hier so schwer, dass eine Entnahme des Raubtieres gerechtfertigt ist. Gleichzeitig hat die Auseinandersetzung gezeigt, dass präventive Maßnahmen und schnelle Hilfe für die Tierhalter unerlässlich sind, um ein Miteinander von Wildtier und Weidewirtschaft zu ermöglichen. Ob der Goldschakal von Sylt tatsächlich noch erlegt wird, bleibt abzuwarten – möglicherweise werden höhere Instanzen das letzte Wort in diesem spannenden Konflikt zwischen Artenschutz und menschlichen Nutzungsinteressen haben.